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LVI.

Pipes wird seiner Hartnäckigkeit wegen verabschiedet. Peregrine lernt auf dem Wege nach Gent ein Frauenzimmer kennen, die ihn fesselt und sucht, um mit ihr bekannt zu werden, ihren Beichtvater für sich zu gewinnen.

Auf jeden Fall würde der Doctor, einmal im Zuge von den Alten zu reden, noch lange fortgeschwatzt haben, hätte ihn nicht Jolters Eintritt unterbrochen, welcher der Gesellschaft in großer Bestürzung meldete: daß Pipes einen Soldaten beschimpft habe und jetzt auf der Straße umringt, in großer Gefahr stehe getödtet zu werden, wenn man sich nicht schnell ins Mittel schlüge.

Auf diese Nachricht eilte Peregrine sogleich hinab, seinem treuen Diener beizustehen, während ihm der Maltheser folgte und ihn bat, ihm die Sache vermitteln zu lassen. Nicht weit von der Thüre fand man Tom mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, sich tapfer mit einem Besenstiele gegen mehrere Soldaten vertheidigen, die sogleich bei Erblickung des Ritters von ihrem Angriff abstanden, und auf seinen Befehl festgenommen wurden; doch verlangte einer derselben, ein Irländer, so dringend ihn anzuhören, bevor man ihn nach der Wache schicke, daß man nicht umhin konnte, dies zu willfahren, und nun sowohl ihn als die andern in das Haus führte, um sie mit ihrem Gegner zu confrontiren.

Hier erklärte denn der Irländer: er habe Master Pipes von ungefähr getroffen, und ihn, obschon sie der Zufall in verschiedene Kriegsdienste geführt, als Landsmann zu einem Glase Wein eingeladen, worauf sie denn zusammen in ein Wirthshaus gegangen und daselbst die Andern angetroffen hätten. Hier wäre man nun auf die Macht und Größe der Könige von Frankreich und England zu sprechen gekommen, und da habe sich denn Master Pipes sehr unehrerbietig über Se. Majestät von Frankreich geäußert. Er, als Wirth, hätte ihn hierauf freundschaftlich gebeten, sich artiger zu betragen, und ihm dabei bemerklich gemacht: daß er sich sonst, da er jetzt in französischen Diensten stehe, genöthigt sehen, seine Schmähungen zu rügen: ehe noch seine Cameraden Toms Meinung aber begriffen hätten, habe dieser sie alle zusammen herausgefordert, und ihn einen Rebellen gegen König und Vaterland genannt, ja sogar in gebrochenem Französisch auf den Untergang des Königs von Frankreich und seiner Anhänger getrunken. Durch dieses Betragen habe er sich nun genöthigt gesehen, ihn zu seiner eigenen Rechtfertigung herauszufordern, worauf denn Pipes unter dem Vorwande, sich einen Degen zu holen, fortgegangen, bald darauf aber wiedergekommen sey, und sie mit einem Knüppel überfallen habe, wo sie dann nothwendig zu ihrer Vertheidigung hätten von Leder ziehen müssen.

Peregrine fragte jetzt seinen Diener: ob dies wahr sey? »Von Wort zu Wort,« antwortete dieser; »aber,« setzte er hinzu: »ich mache mir aus den Plempen so wenig als aus einem alten Tau und hätten Sie sich nur nicht drein gemengt, so wollte ich die Kerle wohl so zugerichtet haben, daß sie kein ganzes Raa mehr hätten haben sollen.« – Sein Herr verwies ihm jetzt sein Betragen und befahl ihm, die Beleidigten auf der Stelle um Verzeihung zu bitten; zu seinem Erstaunen sah er aber, daß diesmal nichts in der Welt den Seemann bewegen konnte, der stumm und taub, wie eine marmorne Bildsäule, bei allen Drohungen und wiederholten Befehlen blieb. Dies brachte denn Peregrine so auf, daß er im höchsten Zorne auf ihn losging und sicher auf der Stelle gezüchtigt haben würde, wenn sich der Maltheser nicht ins Mittel gelegt und Peregrine soweit besänftigt hätte, daß sich dieser damit begnügte, ihn aus seinen Diensten zu entlassen. Zugleich bewirkte er die Befreiung der Anderen und gab ihnen als Schadenersatz ein Goldstück zum Vertrinken.

Der Ritter, welcher unterdeß bemerkte, daß sein Gesellschafter über diesen Vorfall sehr verdrießlich geworden war, glaubte nun, jemehr er das seltsame Betragen und Wesen des bereits alten Dieners erwog, der ihm ein Liebling unter den Domestiken zu seyn schien, weswegen dem Herrn das Opfer, welches er durch dessen Verabschiedung gebracht, schwer würde, Alles anwenden zu müssen, die Sache wieder ins Gleiche zu bringen, und legte dieserhalb die wärmsten Fürbitten für Pipes ein; doch konnte er es nicht weiter bringen, als daß sich Peregrine endlich entschloß, Pipes unter den festgesetzten Bedingungen wieder zu Gnaden anzunehmen, oder wenigstens unter der, dem Ritter wegen seiner unziemlichen Aeußerungen über den französischen Monarchen Abbitte zu leisten.

Dem zufolge rief man jetzt Pipes herbei und verkündete ihm die Milderung seines Schicksals; doch versetzte er sogleich: »Auf den Knieen will ich vor meinem Herrn Abbitte leisten, aber verflucht will ich seyn, wenn ich jemals einen Franzmann in der Christenheit ein gutes Wort gebe.« Zorniger als vorher über diese unartige Erklärung, befahl ihn Peregrine sich augenblicklich zu entfernen, und ihm nie wieder vor die Augen zu kommen, und obschon der Maltheser sich alles seines Einflusses und seiner ganzen Gewandtheit bediente, um Pickle's Unwillen zu besänftigen, so war doch Alles vergebens. Nicht ohne es sich merken zu lassen, wie sehr ihn der schlechte Erfolg seiner Verwendung kränkte, zog sich der Ritter endlich gegen Mitternacht zurück.

Die Reisenden waren unter sich übereingekommen, den nächsten Tag mit der Diligence abzugehen, ein Vorschlag, der von Peregrine in der Hoffnung gemacht wurde, hierdurch vielleicht einige Abentheuer und Zeitvertreib zu finden. Jolter hatte die Plätze für sie sämmtlich besorgt; der Kammerdiener und des Doctors Lakei sollten neben dem Wagen herreiten, was Pipes aber betraf, so blieb dieser, obschon sich neuerdings Alle für ihn verwendeten, seinem Schicksale überlassen.

Um sechs Uhr des Morgens fuhr man hierauf von Ryssel ab; eine Abentheuerin, eine junge sehr hübsche Dame, ein Kapuziner und ein Jude aus Rotterdam bildeten die übrige Gesellschaft. Peregrine, welcher zuerst in den Wagen stieg betrachtete sogleich die Fremden mit aufmerksamen Blicken und setzte sich dann hinter die junge Dame, die einzig und allein seine Aufmerksamkeit fesselte; Pallet nahm, um es unserm jungen Herrn nachzumachen, einen Platz in der Nähe des andern Frauenzimmers; der Arzt setzte sich neben den Kapuziner und Jolter zu dem Juden.

Noch war man nicht weit gefahren, als Peregrine seine Dame anredete und sich glücklich pries, daß ihm das Geschick eine so liebenswürdige Reisegefährtin zugeführt hatte: das Frauenzimmer dankte ihm für dies Compliment ohne die mindeste Ziererei, und setzte mit einem munteren Wesen hinzu: sie müßten sich jetzt sämmtlich, da sie einmal so zusammen gekommen wären, die Zeit so gut als möglich zu vertreiben suchen. Diese offene Erklärung machte unserm Helden Muth, und ihr schönes, dunkles Auge fesselte ihn mit jedem Augenblick mehr, so daß binnen Kurzem ihre Unterredung so lebhaft und vertraulich wurde, daß der Kapuziner es für gut fand, sich in das Gespräch zu mischen, und dabei dem jungen Herrn merken zu lassen, wie er, der wohlbestellte Aufseher der jungen Dame wäre. Diese Entdeckung war für Peregrine keineswegs unangenehm, denn er glaubte, daß der Zwang, in welchem das junge Frauenzimmer gehalten würde vielleicht zum Nutzen des Verehrers wirken, und überdies die Treue des Argus nicht über alle Proben erhaben seyn dürfte. Dies veranlaßte denn, daß er sich gegen den Kapuziner mit großer Zuvorkommenheit benahm und dies Betragen sowohl als die geheime Hoffnung auf des Fremden Freigebigkeit, nahmen den Mönch auch dermaßen für ihn ein, daß Peregrine jetzt ohne weitere Störung sein Vorhaben fortsetzen konnte. Der Maler unterhielt inzwischen seine Dame, der es bereits gelungen war, eine große Verheerung in seinem Herzen anzurichten, auf das Beste, und gab sein Vergnügen über ihre Nähe durch lautes Lachen und allerlei Merkmale zu erkennen, die auch von der Schönen sehr gut verstanden wurden.

Während sich ihre Freunde so angenehm unterhielten, waren der Hofmeister und der Arzt ebenfalls nicht müßig. Jolter hatte kaum bemerkt, daß der Holländer ein Jude war, so vertiefte er sich mit ihm in eine Untersuchung über die hebräische Sprache; der Doctor aber griff den Mönch wegen der wunderlichen Regeln seines Ordens an und behauptete, indem er im Allgemeinen über Pfaffentrug und Pfaffenlist zu Felde zog, daß dies nie und nirgends ärger als bei den Katholiken hervorgetreten wäre. – So zusammen gepaart, hatte Jeder das Vergnügen eine Unterhaltung zu genießen, die er ohne Besorgniß gestört zu werden, fortführen konnte, und Alle waren in ihre verschiedenen Materien so vertieft, saß sie sich kaum eine kleine Pause erlaubten, um die Verwüstungen in Menin in Augenschein zu nehmen, als sie durch diese zerstörte Grenzfestung fuhren. Gegen Mittag kam man zu Courtryk an, wo die Pferde gewechselt werden, und wo sich die Gesellschaft ungefähr eine Stunde aufhielt. Peregrine führte seine Schöne hier in ein Zimmer, wohin sich auch das andere Frauenzimmer begab; dann ging er aber unter dem Vorwande, die Kirchen zu besehen, mit dem Kapuziner fort, bei welcher Gelegenheit er von diesem erfuhr: daß die junge Dame die Gemahlin eines französischen Herrn von Stande sey, mit dem sie erst seit einem Jahre verheirathet sey, und daß sie jetzt im Begriff stände, ihre Mutter in Brüssel zu besuchen, die gefährlich krank läge und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit dem Leben davonkommen würde. Nach dieser Einleitung brach der Mönch in eine Menge Lobsprüche über die Tugend der jungen Dame und deren Anhänglichkeit an ihren Mann aus, und erzählte dann, wie er der Beichtvater des Hauses und zu ihrem Führer auf der Reise durch Flandern gewählt worden sey, da Beide, sowohl der Mann als die Frau, das größte Vertrauen in seine Rechtschaffenheit und Klugheit setzten.

Diesen Wink verstand Pickle vollkommen und beschloß ihn zu benutzen. Er schmeichelte der Eitelkeit des Priesters durch eine Menge Lobsprüche über die Uneigennützigkeit seines Ordens, der sich zu Heil der Menschheit von allem Irdischen losgemacht habe; dann pries er die Geduld, die Demuth und die Kenntnisse der frommen Brüder und strich besonders deren geistliche Gaben heraus, die, wie er versicherte, schon öfters so mächtig auf ihn gewirkt hätten, daß er, wenn seine Verhältnisse es ihm nicht bisher schlechterdings unmöglich gemacht hätten, sicher schon längst zur katholischen Kirche übergetreten und um den Zutritt in den frommen Orden der Kapuziner nachgesucht haben würden: da ihm jedoch das Schicksal nicht verstatte, dies zu thun, so bäte er hiermit den guten Vater inständig, ein kleines Zeichen der Liebe und Achtung für das Kloster anzunehmen, zu dem er gehöre. Mit diesen Worten zog er einen Beutel mit zehn Guineen hervor, worauf denn der Kapuziner sogleich den Kopf wegwendete, den Arm in die Höhe hob und dadurch eine Tasche zeigte, die ihm fast unter der Achsel saß. Hier steckte Peregrine das Geld hinein.

Diese Freigebigkeit brachte übrigens bei dem Bettelmönch eine ganz erstaunende Wirkung hervor. Er drückte dem milden Geber die Hand, verlieh dem Halbbekehrten seinen besten Segen und ermahnte ihn, das große Werk zu vollenden, das der Finger Gottes in seinem Herzen begonnen habe; um ihm aber ganz zu zeigen, wie viel ihm an der Wohlfahrt seiner Seele lag, versprach er außerdem noch, ihn den Ermahnungen der frommen Person zu empfehlen, die er begleitete; »denn«, setzte er hinzu, »sie ist eine wahre Heilige auf Erden und besitzt in einem außerordentlichen Grade die Gabe, die Herzen selbst der verstocktesten Sünder zu rühren.«

»Ach mein Vater!« rief jetzt der arge Heuchler, der nun die volle Ueberzeugung hatte, daß er sein Geld nicht vergebens weggeworfen, »wenn mir nur der Unterricht dieser Auserwählten eine halbe Stunde vergönnt wäre, so würde gewiß, das fühle ich tief, ein verirrtes Schaf zur Herde zurückgebracht und ich in die Pforten des Himmels eingelassen werden; denn, ach! in ihrem ganzen Wesen liegt soviel Uebernatürliches, daß ich nur mit den Augen der Inbrunst an ihr zu hängen vermag und meine zwischen Hoffnung und Verzweiflung ringende Seele sich bei ihrem Anblick bis in das Innerste erschüttert fühlt.«

Diese mit einem erkünstelten Ernst und in einer Art von Entzückung vorgebrachten Worte veranlaßten den Mönch, ihm zu erklären, daß dies offenbar eine Wirkung der Gnade sey, der man nicht entgegenstreben dürfe, weshalb er denn auch sein Möglichstes thun wolle, um sein sehnsüchtiges Verlangen noch diesen Abend zu erfüllen. Für diese warme Theilnahme versicherte ihm Peregrine: er solle seine Güte an keinen Undankbaren verschwendet haben, und da nun die übrige Gesellschaft zu ihnen stieß, so kehrten sie jetzt zusammen in den Gasthof zurück, wo man in Gesellschaft speisete und wo die Damen es sich gefallen ließen, die Gäste unsers Helden zu seyn.

Da die Materien, womit man sich den Vormittag unterhalten hatte, noch nicht erschöpft waren, so wurden sie bei der der Weiterreise von neuem vorgenommen. Die Dulcinea, an welche sich der Maler gemacht, vollendete dessen Eroberung durch ihre Kunst zu liebäugeln und zu seufzen und indem sie einige französische Liederchen sang, die sie mit einem so rührenden Ausdruck vorzutragen wußte, daß Pallet's Herz ganz und gar dahinschmolz, und er zuletzt, theils um sie von der Wichtigkeit ihres Sieges zu überzeugen, theils ihr einen Beweis von seinen Talenten zu geben, ebenfalls ein berühmtes englisches Volkslied anstimmte, dessen Refrain lautet:

Und die Ferkel – sie liegen mit nacktem Steiß.


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