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Bileams Eselin

War dies nun das Verhältnis, in dem er weiter mit Lili existieren konnte? Mit solch einem Opfer an Selbstbewußtsein! Innerlich knurrte Goethe. Er lebte in lauter Verworrenheiten.

An das, was soeben geschehen war, durfte er gar nicht denken. Trotzdem ließ es ihn nicht los. Quälte ihn anfangs nicht wenig – bis er eines frühen Morgens, bereits wieder in Frankfurt, in anderer Stimmung erwachte, sich aufrüttelte und nun das Ganze durch das Triebrad seiner Phantasie rollen ließ – nun unter heiterem Aspekt.

Gewohnt, sich durch die Gaben seiner Dichterkraft von seinen inneren Beklemmungen zu befreien, strebte er auch jetzt nach dieser Erlösung. Lili als übermütige Menageriebesitzerin, er selbst als zottiger, ungefüger Bär sich hinzudrängend, das gab drollig-eigenartige Bilder ab. Schonen wollte er sich nicht. So sehr er sich verirrt haben mochte, jeder Einzelzug mußte ins Gedicht hinein. Nur so konnte er sich seelisch reinigen, nur so seine Selbstachtung zurückerobern. Er war jetzt gleichsam sich selbst eine fremde Person geworden, die er mit Psychologen-Neugier beobachtete. Ja, er vermeinte, während er dichtete, über diesen Jüngling sich weidlich lustig zu machen.

Indes, die Wiederaufrichtung war nur halb gelungen. Zwar hatte er sein Gedicht mit den stolzklingenden Worten beendet: »Ich fühl's, ich schwör's: Noch hab ich Kraft!« Aber schon beim geringsten Gedanken an Offenbach und das, was dort als mitleidlose Wirklichkeit seiner harrte, fühlte er, wie seine mehr in der Einbildung stehende »Kraft« sich auflöste und zerschmolz. Als er einmal, im Auftrage von Frau Dorothee d'Orville, einen Käse besorgt hatte und diesen als überaus empfindliche und weiche Ware in der Hand wog, verfiel er auf ein erheiterndes Bild. Wie dieser Käse, um nicht zu zergehen, gleich in einen kühlen Keller gebracht werden mußte, so mußte auch er in der Stadt Frankfurt zurückgehalten werden, die für seine Seele einen Eiskeller bedeutete. Sie konnten beide die Sonne nicht vertragen, der Käse nicht, und auch er nicht: für den Lili die Sonne bedeutete, vor deren sengenden Strahlen sein Selbstbewußtsein zerschmolz.

Wohl schalt er »der Männer Schlappsinn«, aber er war – zur Zeit wenigstens – unvermögend, darüber Herr zu werden. Angeregt durch eine Stelle in seinem geliebten Tasso, wünschte er sich »Ubaldos Diamantschild«, der jedem seine wahre Gestalt zu zeigen vermochte. Gleich, wie der durch die schöne Zauberin Armida in Liebe und Wohlleben verstrickte Ritter Rinaldo durch einen Blick in diesen blinkenden Schild sein entwürdigtes Äußeres zu sehen bekam und hieraus die Kraft gewann, sich aus seinen Fesseln zu lösen, so wollte auch er durch einen Blick in – ja, wo war sein Wunderspiegel? – Immer nur blickte er in grausame Leere.

Er kam sich vor wie jener Prophet und Hohepriester des alten Bundes, den Gott durch einen Engel warnen ließ, zu seinen Feinden – der Lili-Sippe! – hinüberzugehen und sein eigenes Volk zu verfluchen: jener unselige Bileam, der den Engel Gottes nicht sah, den seine ahnungsvolle Seele – verhext in die getreue Eselin, auf der er ritt – schon längst auf dem Wege vor sich erblickt hatte. Und Bileam schlug auf die Eselin ein, die doch klüger war als er, und schalt sie und beschimpfte sie, ehe er deren seherische Wachheit erkannte. So prügelte auch er auf sein zweites Bewußtsein, auf sein Unterbewußtsein, los und wollte in seinem Aberwitz es gewaltsam in die Irre lenken, das doch längst den rechten Weg erkannt hatte.

Bileam! Bileam! schrie die Eselin. Wohin willst Du wandern? Siehst Du denn nicht, daß Du in Dein Verderben rennst? Was suchst und willst Du bei diesen Menschen, die Dich nichts angehen und die Dich nur zum besten halten?

Aber großartig erwiderte Bileam: Eselin, Du bist nur ein dummes Tier und ganz in Dumpfheit befangen. Wie kommst Du dazu, einen Weisen, wie mich, belehren zu wollen?

Die Eselin ließ ein schmerzliches I-ah! ertönen, dann erwiderte sie mit menschlicher Stimme: Freilich bin ich nur ein dummes Tier – aber dennoch sehe ich den warnenden Engel des Herrn, der vor uns auf dem Weinberge zwischen den Mauern steht und uns das Weiterschreiten verbietet!

Ach Eselin, langweile mich nicht mit Deinem Engel, der nur ein Phantom ist! fuhr Bileam sie an. Glaube mir, ich weiß selber, was mir fruchtet. Das fruchtet mir, was mir behagt! Willst Du vielleicht die Beweggründe meines Herzens kennen, Du dumme Eselin? Und weißt Du nicht, daß das Herz das hellste Bewußtsein ist, das sich nie auf seinem Wege irrt?

Ich ehre und bewundere Dein Herz, o Bileam! erwiderte das gescholtene Grautier. Und dennoch warne ich Dich davor. Es ist gar eigenmächtig, Dein Herz, und es fragt nicht, was Dich frei macht; sondern sucht, was Dich in Fesseln schlägt. Mißtraue Deinem Herzen, Du Weisester der Menschen! Dein Herz hat eines Weibes Stimme, und obgleich ich selbst bloß eine Eselin bin, so weiß ich doch, daß das Weib zumeist lauter Unrat ausheckt.

Ich lache Deiner, Eselin! spottete Bileam und war sehr hochgemut. Was verleumdest Du das Weib? Bist ja selber eines und ganz befangen in Deiner Geschlechtsart. Gewiß gibt es auch Eselinnen unter den Weibern – Du beweisest es mir – aber die ich meine, ist eine Göttin – die mag freilich für Dich zu hoch sein! – Hörst Du mich, Eselin?

Ja, ich höre! Aber nun höre auch Du mich! Achte wohl darauf, Bileam, ob Deine erhabene Göttin nicht vielleicht eine verkleidete Unheilsfee ist, die Dich mit holden Gesichtern narrt und Dich Dir selbst entfremdet! So sprach die Eselin, wandte den grauen Kopf und blickte Bileam, ach, so treuherzig! an.

Bileam aber lachte.

Du wirst mich nicht irremachen, Asinella! Ich weiß, Du meinst es gut – aber Du bist blöde. – Es ist die Art der Göttinnen, zuweilen sich mal eine bösartig aussehende Maske vorzubinden und diejenigen quälerisch auf die Probe zu stellen, die ihnen verehrend nahen. Aber das muß so sein. Mich, den großen Bileam, zieht die Macht eines inneren Gebotes, in den Bannkreis jener Schönen, die ich zur Gottheit erkoren habe. Ich kann und will nicht von ihr weg. Sie hat Zaubermacht. Und damit übt sie Allgewalt. In ihr allein erblicke ich meine Seligkeit!

Da ließ die Eselin voll Trauer den Kopf hängen. Ich sage nichts mehr, o Bileam! ließ sie sich vernehmen. Du hast Dein eigenes Urteil gesprochen ...

– – – Wie aus einer Traumentrückung erwachte Goethe. Was waren da für Stimmen um ihn her gewesen? Die törichte eines weisen Mannes und die wissende einer Eselin! Gerne wäre er der Eselin gefolgt, hätte sich in voller Redlichkeit warnen lassen. Aber sollte er sich vor der Welt zum Gespött machen, einer Eselin zu folgen?

Für den morgigen Tag beschloß Goethe, nun doch wieder nach Offenbach zu übersiedeln.


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