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Sobald von den plumpen, auf Räder gestellten Archen der Kunstreiter, Gymnastiker, Raritäten- und Panoramenbesitzer die Rede ist, steigt in unserer Erinnerung unwillkürlich auch der eigentümliche Geruch auf, den diese fahrenden Künstlerwohnungen ausströmen und der sich jedem Insassen derselben unvertilgbar mitteilt. Im Gemüte der Jugend erweckt dieser Duft in Verbindung mit dem geheimnisvoll aus dem blechernen Schornsteine des Künstlerwagens aufsteigenden Rauche, den stets sorgfältig verhängten Fenstern und gewissen aus dem Innern der Arche dumpf an die Außenwelt dringenden Geräuschen, eine Art andächtiger Vorstellung von höchst zauberhaften Dingen, die da drinnen zu sehen wären, wenn jemand die Tollkühnheit besäße, die hölzerne Treppe hinaufzukriechen und durch die Thürspalte zu lugen.
Wer, für derlei Sinnesanregungen empfänglich, vor nicht allzu langer Zeit in das Berhandlungszimmer des Bezirksgerichtes Wieden trat, sah auf der Stelle im Geiste einen jener Schauplätze vor sich, welche fahrende Künstler für ihre Produktionen zu wählen pflegen: Versengtes, staubiges Gras – abgerissene Stadtmauern – nachbarliche Pappelalleen nebst angekreideten Steinhaufen – frischhölzerne Planken – durchlöcherte Zeltleinwand – buntfarbiges Aushängebild – schaukelnde Affen oder Papageien – türkisch verhängter Zahltisch – magerer, scheinbar weidender Schimmel – grünangestrichener Künstlerwagen mit verdrehter Achse u. dgl. m. Eine zu diesem Ensemble passende Figur befand sich vor Gericht und von ihr ging der fragwürdige Geruch aus, der in dem Zuschauer die bezeichneten Eindrücke hervorbrachte.
Es war eine Zigeunerin Namens Minka Toldos, nicht jung, nicht schön, aber in Signor Bettos Akrobatengruppe, welche auf dem freien Felde vor der Favoritenlinie Gastspiele veranstaltete, eine Zugkraft ersten Ranges. Die dunkle Dame hatte sich leider hinreißen lassen, die Kunstfertigkeit ihrer Hände auch im Laden einer Seifensiederin in der Vorstadt Margarethen an den Tag zu legen, indem sie einige silberne Zehnkreuzerstücke mit staunenswerter Behendigkeit aus der Geldschale in ihre Tasche gleiten ließ. Vor dem Richter erklärte sie den Besitz dieser Geldstücke als einen ganz und gar rechtschaffenen, denn sie habe dieselben bloß den Affen ihres Patrons Herrn Betto von den Halsbändern abgelöst.
Über diesen Punkt wurde nun Herr Betto als Zeuge vernommen. Ein sehr beweglicher höflicher Mann, trat Signor Betto mit der zierlichen Verbeugung eines Kavaliers aus der Zopfzeit vor den Tisch des Richters und stellte sich vor: »Euer Hochwohlgeboren, habe die Ehre, mich vorzustellen als Ignaz Betto, bekannt unter dem Künstlernamen Ignazio Betto.«
»Sie sind Direktor einer Akrobatengesellschaft?« frug der Richter.
»Euer Hochwohlgeboren haben hierin nicht Unrecht, allein es sei mir die ergänzende Bemerkung gestattet, daß ich auch Musiker bin.«
»Wo wohnen Sie?«
»In Rothneusiedel, Euer Hochwohlgeboren zu dienen.«
»Welche Nummer?«
Herr Betto räusperte sich verlegen.
»Welche Nummer? Eigentlich gar keine, hochgeborner Herr; ich mag nachdenken wie ich will, an eine Nummer kann ich mich nicht erinnern.«
»Das ist doch wohl nicht denkbar; die Häuser in Rothneusiedel werden doch numeriert sein.«
»Die Häuser wohl, hochgeborner Herr, ganz gewiß haben die Häuser Nummern; aber – Signor Betto versuchte es jetzt, sich in einen prahlerischen Ton zu stürzen – aber die Wohnung eines Künstlers von meinem Genre trägt gewöhnlich keine Nummer. Ich domiziliere in meiner Equipage.«
»Ach so. Nun, was können Sie mir über die Angeklagte hier mitteilen?«
Signor Betto warf einen begeisterten Blick auf die Zigeunerin und versicherte dann mit großer Wärme und Nachdrücklichkeit: »Ah ... ah, Euer Hochwohlgeboren, sie ist eine bewunderungswürdige Künstlerin; sie spielt das Cymbal virtuos und tanzt zum Entzücken des Publikums – ei ja wohl, sie ist eine große Künstlerin, eine Perle für das Geschäft.« Der Direktor begleitete dieses vortreffliche Zeugnis mit einem Hämmern der Finger, als ob er ein Cymbal vor sich hätte, und einem Wiegen des Körpers, mit dem er offenbar den graziösen Tanz der Zigeunerin versinnlichen wollte.
»Haben Sie Affen?« fragte der Richter weiter.
Signor Betto schnellte zurück.
»Affen?« wiederholte er sichtlich gekränkt, »Hochgeborner Herr, wo denken Sie hin? Affen! .. Ich bin so glücklich, Kinder zu besitzen, aber keine Affen ... oh, wie können mir Euer Hochwohlgeboren so etwas anthun ...«
»Sie haben mich total mißverstanden,« entgegnete der Richter. »Ich habe diese Frage nur an Sie gerichtet, weil die Angeklagte sich auf Ihre Affen ausgeredet hat.«
»Ah, dann bitte ich Euer Hochwohlgeboren tausendmal um Verzeihung, ja Affen habe ich, aber sie tragen leider keine Geldstücke!« rief Signor Betto erleichtert aus und verließ hierauf mit Erlaubnis des Richters das Gerichtszimmer, da es ihm vermutlich widerstrebte, die Perle seines Geschäftes noch länger in einer so trostlosen Situation zu sehen.
Der Richter verurteilte die Zigeunerin zu drei Wochen strengen Arrestes. Als dieselbe dieses Urteil vernahm, blitzte es wild in ihren Augen auf, und indem sie die Fäuste ballte, stieß sie eine jener ebenso düstern als nichtssagenden Drohungen aus, mit welchen die Zigeuner der Landbevölkerung so zu imponieren verstehen.
»Gut,« schrie sie, »verurteilt bin ich, aber nehmen Sie's auf Ihr Gewissen, Herr Rat – ich bin eine Zigeunerin!«
* * *