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Das Ehepaar Windischgrätz

Eine Bauerngeschichte.

Wie die beiden alten Leute zu diesem bedeutenden Spitznamen gekommen sind, wissen sie nicht zu sagen, doch tragen sie ihn schon ein Vierteljahrhundert ohne Beschwerde und sind in den kleinen Ortschaften nächst Wien, welche sie als Hausierer durchziehen, nur unter diesem Namen bekannt. Ihr wahrer Name lautet anders, aber sie haben ihn fast vergessen über der langjährigen Gewohnheit, sich bei dem Namen des großen vaterländischen Feldherrn rufen zu hören. Trotz der schweren Bürde, welche sie in Gestalt von Kasten und Schachteln auf dem Rücken durchs Leben zu schleppen haben, ist ihnen eine köstliche Eigenschaft des Gemütes nicht abhanden gekommen, die gute Laune, welche sie antreibt, in allen den Dorfschänken, wo sie des Abends zu rasten pflegen, den Bauern allerlei schnurrige Geschichten zu erzählen und ab und zu ein fröhliches Lied anzustimmen, von dem sie behaupten, es sei das neueste Wiener »G'stanzl«, auch wenn es der älteste Gassenhauer ist. An einem Aprilabend bildete das Ehepaar Windischgrätz mit diesen kleinen liebenswürdigen Eigenschaften die Quelle einer unerhört famosen Unterhaltung in Volker's Gasthaus zu Schwechat. Der kleine, vertrocknete Mann mit den halbblinden Hornbrillen hatte von dem angesehensten der Gäste schon den dritten wohlwollenden Faustschlag auf den Magen bekommen wegen der erschütternden Komik seiner Anekdoten und wurde unter Verabreichung eines nicht minder gutgemeinten aber ebenso schmerzhaften Kniffes in das Bein neuerdings von dem Angesehenen aufgefordert, in seinen »Dummheiten« fortzufahren.

Er begann darauf eine Gespenstergeschichte zu erzählen, deren Anfang so gruselig war, daß die Bauern näher aneinander rückten und die Wirtin ein- über das anderemal ausrief, dergleichen sollte man doch heutzutage nicht mehr für möglich halten, aber sie schäme sich nicht zu gestehen, daß sie keinen Augenblick an der Fähigkeit Verstorbener, sich durch Klopfen und sonstigen Lärm bemerklich zu machen, gezweifelt habe. Der kleine Windischgrätz nickte allemal zustimmend und ersah im Laufe seiner schauderhaften Erzählung einmal die Gelegenheit, die Wirtin auf sein leeres Glas aufmerksam zu machen, wobei er die Bemerkung einflocht, das Schlimmste käme noch und sei von so erschütternder Schrecklichkeit, daß er sich selbst zuvor durch einen Trunk stärken möchte. Da sich die Wirtin nicht mehr allein in den Keller zu gehen vermaß und der Wirt auch nicht wollte, so begleitete sie der kleine Windischgrätz hinunter und kam mit einem vollen Glase wieder zum Vorschein, während ihm frischer Bierschaum am Barte klebte – ein Zeichen, daß ihm von der Wirtin für die bethätigte Unerschrockenheit ein Ehrengeschenk an Gratisbier gemacht worden war. Nun führte der Schelm seine Erzählung zum Schlusse.

»Was glaubt ihr also«, sagte er feierlich, »was meine entsetzten Augen unter dem Himmelbette gesehen haben, von was glaubt ihr, ist das gespenstische Klapp-Klapp, Klapp-Klapp in dem verwunschenen Schloß hergekommen?« Windischgrätz verdrehte die Augen und machte eine schändlich lange Kunstpause. –

»No, ausser damit, Sö Batz'nlippel, was habn's denn g'seg'n«, schrie der angesehene Gast, wütend aus Angst vor den zu gewärtigenden Enthüllungen.

– »Jessas, Jessas, was wird er denn g'seg'n hab'n«, jammerte die Wirtin, während der Wirt brummte: »I drah eahm 's G'nack um, wenn er net glei ausserruckt.«

Der Erzähler sah sich furchtsam im Kreise um und meinte: »Wenn nur keins von euch der Schlag trifft aus Schrock'n ...« –

»Mi' trifft er net«, versicherte der Angesehene und hielt sich mit beiden Händen am Tische fest, »jetzt reden's aber, sonst werd'ns 'nausg'feuert, Sö Schwindler.« –

»Nun gut«, nahm der kleine Windischgrätz, mit einem unheimlichen Ausdrucke in seinem faltigen Gesicht, wieder das Wort, »wie ich also hinter das Bett schau ( die Wirtin stöhnt laut auf und verbirgt ihr Gesicht in den Händen) fallt mein Blick auf den Stiefelknecht und ich seh' wie sich auf ihm zwei Flöh' hutschen – klapp – klapp, klapp – klapp – das war das Klopfen, was ich die ganze Nacht g'hört hab'. – –

Diese unerwartete Lösung entfesselte einen Sturm der verschiedensten Empfindungen unter den Zuhörern. Die Wirtin weinte aus Vergnügen; der Wirt gab die bestimmte Erklärung ab, er habe von dem Windischgrätz ohnehin nichts Gescheiteres erwartet; der älteste anwesende Bauer knurrte, das sei eine Betrügerei, und der angesehene Gast entschied sich, da er im Augenblick nicht wußte, wie er sich ausdrücken solle, für eine neuerliche Kundgebung seines Wohlwollens nach der Magengegend des kleinen Windischgrätz, welcher jedoch diesmal so vorsichtig war, den steifen Filzhut seines Gönners auf die bedrohte Stelle zu legen, angesichts dessen der angesehene Mann von seinem Vorsatze abging. Im ganzen aber war die Gesellschaft durch die merkwürdige Pointe der Gespenstergeschichte doch etwas gegen den kleinen Windischgrätz aufgebracht und man züchtigte ihn für seine Frechheit dadurch, daß man Frau Windischgrätz aufforderte, nunmehr lieber etwas Gesangliches von sich zu geben. Die gute Frau ließ sich nicht lange bitten, sondern hub sofort mit einer dünnen aber ungemein behendigen Stimme mehrere angenehme Lieder zu singen an. Sie zeigte sich als eine schätzenswerte Virtuosin in der Geltendmachung ihrer stimmlichen Fähigkeiten. Hatte Paganini nur eine Saite, so hatte die wackere Dame nur einen Zahn, und doch geriet der Liedervortrag wunderbar, namentlich was das eingeschobene Jodeln betrifft, welches der angesehene Gast als das Vollendetste bezeichnete, was er je von einer so alten Gurgel – er faßte den Teil für das Ganze ins Auge – gehört. Es wurden jetzt auch Stimmen laut, welche sich rückhaltslos dahin aussprachen, daß man sich niemals noch so wahnsinnig gut unterhalten habe wie heute, und der Wirt ging in plötzlicher Begeisterung von einem zum andern, jedem die Tabaksdose anbietend, versagte aber ebenso freundlich als entschieden der Sängerin die verlangte Prise, indem er der Befürchtung Ausdruck gab, Frau Windischgrätz könnte durch heißhungriges Aufschnupfen Tabak in den Schlund bekommen und dadurch zur weiteren Produktion unfähig werden.

Mitten in diese glückliche Stimmung klang plötzlich ein Mißton hinein, der sie fast ohne jeden Übergang in eine überaus feindselige und bedauerliche verwandelte. Herr Windischgrätz hatte im Übermaß der Wonne über die Erfolge seiner Lebensgefährtin ein Glas zu Boden geschlagen und dies erbitterte den Wirt dermaßen, daß er ihn ohne weiters zur Thür hinauswerfen wollte. Frau Windischgrätz sah nicht sobald die Bedrängnis ihres Gemahls, als sie das eben bearbeitete Lied mit einer schrillen Kadenz schloß und dem Gatten zu Hilfe eilte. Und so ist Menschengunst: Während vor wenigen Minuten noch das Ehepaar Windischgrätz oder zum mindesten die schönere Hälfte desselben bejubelt und gefeiert wurde, fand sich jetzt niemand, am allerwenigsten aber der angesehene Gast, zu seinem Schutze, als es der Wirt unsinnig prügelte und vor die Thüre stieß. Eine so kräftige Hand hatte der Wirt dabei geführt, daß er über die nachträgliche Klage der Windischgrätz'schen Eheleute vom Bezirksgerichte Schwechat zu drei Tagen Arrest, Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt wurde. Seine Berufung bildete den Gegenstand einer Verhandlung vor dem Appellsenate, bei welcher das Ehepaar Windischgrätz, recte Pfister, persönlich erschien.

– »Haben Sie Verletzungen erlitten?« fragte der Vorsitzende Madame Windischgrätz.

– »No, gehörige«, jammerte sie. »Mein Buckel war so schwarz, wie Euer Gnaden sein Rock; i hab' m'r Umschläg' machen müssen und war so bluatunterlaufen, als ob i g'schröpft word'n war.

– »Konnten Sie häusliche Arbeiten verrichten, als Sie das Zimmer hüten mußten?«

– »Na ja; wann m'r dös a häusliche Arbeit nennen kann, daß i mein zerschlagenen Mann Umschläg' g'macht hab'. Ich sag' Ihnen, den Binkel hab' i lang gnua net am Rücken nehmen können ... Und weg'n was soviel Schläg'? ... Die Liader, die i g'sungen hab', die war'n doch sehr schön, z. B. der böhmische Wenzel, der is dort no gar net g'hört word'n und alle hab'n aufg'lacht und g'sagt, so guat hab'n sie si' no' niemals unterhalten. I bin ka Unschuld net, Herr Präsident, i bin sechzehn Jahr verheirat', aber die Liader, die war'n alle unschuldig.«

Während der Urteilsberatung erhob sich Frau Windischgrätz, trat in den Zuhörerraum und sagte, nachdem sie sich geräuspert und den Mund abgewischt hatte: »Daß die Herrschaften einen Begriff kriegen von die unschuldigen Lieder, die i g'sungen hab', hörn's zua.« Darauf sang sie leise die Erstlingsstrophen mehrerer Lieder. Wir haben leider nur Bruchstücke des interessanten Textes im Gedächtnis behalten. Sie sang: »Das ise Wenzel, was schlagt alle Feinde tot« und:

»Mein lieber Hausherr, wissens was –
I eß a Brat'l mit Salat –
Und trink dazu a Glasl Wein –
Und laß den Hausherrn sein.« –

»Dös is das Hausherrnlied g'wesen«, fügte sie hinzu, »no und das Postillonlied kennt doch jeder. Net wahr, das san unschuldige Lieder, net wahr?«

Als man ihr in dieser Hinsicht vollkommen beruhigende Antworten erteilte, eilte sie, vergnügt kichernd, wieder auf ihren Platz. Bald darauf trat der Gerichtshof ein und verkündete, daß es bei den drei Tagen Arrest sein Bewenden habe. Es waren warme Blicke, die dem drolligen alten Ehepaar Windischgrätz bei dessen Entfernung folgten.

 

Ende.

* * *


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