Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sein Verdacht

Ein Pfänderspiel.

»Geld und Werthpapiere sind unbedingt, Schmuckgegenstände in der Regel hinwegzunehmen.«

Mit dieser bedeutungsvollen Vollmacht ist jeder Steuercommissär ausgerüstet, sofern seine Thätigkeit sich auf Personen erstreckt, die verstockt genug sind, mit der Zahlung von Taxen und Steuern im Rückstande zu bleiben. Man darf jedoch nicht glauben, daß die Functionäre, welchen eine so weitgehende Macht über die kostbarsten Besitzthümer ihrer Mitmenschen eingeräumt ist, sich derselben etwa unter rücksichtslosen äußeren Formen bedienen. Sie erscheinen nicht etwa mit dem erschütternden Rufe: »Das Geld und die Werthpapiere unbedingt, die Schmuckgegenstände in der Regel her!« sondern ihr Auftreten ist dasjenige von Machthabern, welche sich bewußt sind, daß selbst ihre persönliche Liebenswürdigkeit noch immer Furcht und Entsetzen genug um sie verbreitet.

Die Commissäre machen ihre Aufwartung bei dem Executen, allerdings zu früher Morgenstunde, allein ohne jedwedes Aufsehen, wie Geschäftsfreunde, die vor Beginn des Tagesverkehres noch rasch einen »Schluß« zum gestrigen Curse zu machen oder eine Verbindlichkeit lösen wollen. Sie bedauern unendlich, die Dame des Hauses stören zu müssen und geben sodann ihrem sehnlichen Wunsche Ausdruck, die vorhandenen Werthgegenstände besichtigen zu dürfen. Ihr Urtheil über dieselben ist ein ebenso gründliches als klares. Beispielsweise über ein kunstvoll gesticktes Saffiantäschchen mit Banknoten darin oder ein älteres Sparkassenbuch mit Cinquecento wird ihr Ausspruch nie anders lauten als: unbedingt! Silberne Vasen, Armleuchter, goldene Pokale, Armbänder, Uhren, Brillantringe u. dgl. entlocken ihnen den bewundernden Ausruf: in der Regel! worauf sie diese Kunstgegenstände, da die besagte Regel nie eine Ausnahme erleidet, mit dem Unbedingten vereinigen und den ganzen Hausschatz nach einer höflichen Verbeugung gegen dessen ehemaligen Besitzer forttragen – zur Deckung der Steuern und Taxen, welche der verstockte Bürger seinem Magistrate schuldig geworden.

Es wäre die lauterste Unwahrheit, wollte man etwa behaupten, daß der Marktcommissär Herr Ambros Hacker ein minder zartes Benehmen an den Tag gelegt habe, als er am Morgen gegen acht Uhr in der Wohnung des Börsebesuchers Herrn Samuel Fränkel erschien, um denselben zu pfänden und zu transferiren. wie es in der Sprache der Gerichtsdiener heißt. Herr Samuel Fränkel war sehr erstaunt über den Besuch, da er sich nur erinnerte, im Jahre 1877 für die Haltung eines ganz kleinen Winkelversatzamtes eine große Geldstrafe und Steuer vom Magistrate vorgeschrieben bekommen zu haben, bezüglich welcher er sich dem verhängnisvollen Wahne hingegeben hatte, das Steueramt sei des langen Wartens überdrüssig geworden und habe einsichtiger Weise freiwillig das Schuldbuch vernichtet. Herr Ambros Hacker entriß ihn jedoch diesem Irrthum durch Vorweisung des Pfändungsbescheides. Herr Samuel Fränkel, höchlich verwundert über das fabelhafte Gedächtnis des Steueramtes, erwiderte darauf, daß er nun die Zeit für gekommen erachte, um mit dem Steueramte einen Proceß anzufangen wegen dieser Angelegenheit. Herr Ambros Hacker meinte sehr freundlich, Samuel Fränkel möge dieses später ja nicht unterlassen, für jetzt aber müßte er zufolge seiner Instruction (Geld und Werthpapiere unbedingt, Schmucksachen in der Regel mitzunehmen ) ersuchen, daß ihm Einblick in den Fränkel'schen Familienschmuck, sowie in das Baarvermögen Herrn Fränkels gestattet werde. Herr Fränkel wollte sich noch ein wenig sperren, doch seine Gattin Frau Karoline Fränkel führte den Gast nun selbst in das Speisezimmer, wo sie ihn mit den Worten: »Alles sollen Sie sehen,« sanft an der Kredenz vorbeizog.

– »Ich möchte mit den Kredenzladen anfangen,« sagte Herr Ambros Hacker mit freundlichem Nachdruck.

– »Warum?« fragte Frau Karoline Fränkel ein wenig beleidigt.

– »Es ist so eine Gewohnheit von mir,« bemerkte der Steuercommissär verbindlich.

Frau Karoline Fränkel schien dies für eine sehr schlechte Gewohnheit des Commissärs zu halten, denn sie öffnete nicht ohne Widerwillen die Laden.

– »Ich danke recht sehr,« sagte Herr Ambros Hacker, als eine der Laden mehrere Schmuckschatullen und ein Buch mit einem Päckchen Fünfguldennoten zeigte. Es freute ihn sichtlich, das Unbedingte mit der Regel hier vereinigt zu finden. »Bemühen Sie sich nicht weiter,« setzte er hinzu und griff zunächst nach dem Unbedingten, um das Werk der Zählung zu beginnen.

In diesem Augenblicke stürzte aber Herr Samuel Fränkel ergrimmt auf ihn zu, packte seine rechte Hand und drückte dieselbe im Laufe einer längeren Balgerei, an welcher im Rücken des Feindes auch Frau Karoline Fränkel theilgenommen haben soll, so heftig, daß – ein höchst seltener Fall – das Steuerorgan ein Geld fahren lassen mußte, das es schon zwischen den Fingern gehabt.

– »Sie haben mir Gewalt angethan,« sagte Herr Ambros Hacker düster und blies auf seine schmerzende Hand. »Ich werde mit Verstärkung wiederkehren. Die Folgen haben Sie sich selbst zuzuschreiben.«

Da eine Pfändung zu jenen Ereignissen gehört, welche nöthigen Falls unter Aufgebot der gesammten Wehrkraft des Reiches herbeigeführt werden müssen, und das Ehepaar Fränkel dies nach dem erfochtenen Pyrrhussiege auch allmählich zu begreifen anfing, so hatte Herr Ambros Hacker, als er in Begleitung von zwei zu den ernstesten Maßregeln entschlossenen Amtsorganen wiederkehrte, keinen warmen Händedruck mehr zu überwinden. Herr und Frau Fränkel aber mußten einige Wochen später vor dem Erkenntnisgerichte unter der Anklage wegen öffentlicher Gewaltthätigkeit gegen ein Amtsorgan erscheinen. Herr Fränkel, ein lebhafter, rundlicher Mann, fühlte sich ungemein unschuldig.

– »Herr Präsident,« entschuldigte er sich, »er hat mir gewollt das Geld aus der Hand reißen, und hat er sich weh gethan, was kann ich davor? Ich kann Ihnen sagen, ich hab' einen Verdacht gehabt gegen ihn. Kann ich wissen, ob er ist wirklich a Steuermann? Ma hört jetzt so viel von Schwindlern, kann er nicht auch die Papiere haben und is doch a Schwindler? Hab' ich gesagt zu ihm: Herr, sag' ich, pfänden Se so viel Se wollen, aber mitnehmen därfen Se nix. Aber er hat ja nix reden lass'n über der Sache, meine Frau kann es nicht anders sagen.«

Frau Karoline Fränkel bekräftigte diese Verantwortung mit vieler Wärme und fügte hinzu: »Wenn wir uns hätten widersetzen wollen der Pfändung, hätten die Herren später das Geld und den Schmuck noch gefunden auf dem alten Platz? Hätten wir nicht wegräumen können?«

»Fanden Sie noch Alles, als Sie das zweite Mal kamen?« fragte der Vorsitzende Herrn Ambros Hacker.

– »Das Geld nicht,« erwiderte dieser, »das hatte Frau Fränkel schon in der Tasche, und daran durfte ich nicht rühren, da die Pfändung nur gegen Herrn Fränkel lautete.«

– »Frau Fränkel, Sie sagten doch eben, daß die Herren das Geld gefunden hätten, und nun hören Sie, daß es in Ihrer Tasche war.«

– »Hab' ich so gesagt? Nu ich weiß nicht mehr genau: war das Geld in meiner Tasche, oder war's noch in der Lade.«

Der Gerichtshof verurtheilte schließlich Herrn Samuel Fränkel zu zwei Monaten einfachen Kerkers, sprach aber Frau Karoline Fränkel frei, da deren Betheiligung an dem Vorgehen ihres Gatten nicht erwiesen sei. Herr Fränkel beglückwünschte seine Gemahlin auf dem Corridor mit einer Variante des schönen Gedichtes:

»Du kannst aus dem Fenster seh'n,
Ich muß im Arreste geh'n.«

* * *


 << zurück weiter >>