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Ein Sklave seiner Gewohnheiten

»Wer erlaubt sich, dieses unangenehme Geräusch zu machen?«

Diese Frage hatte der Richter schon wiederholt gegen den kleinen Zuschauerraum der Gerichtsstube gerichtet, ohne eine Antwort darauf zu erhalten. Die dort stehenden Herrschaften, fast ausschließlich für eine spätere Stunde vorgeladene Parteien, blickten einander verlegen an, und jeder Einzelne gab durch ehrerbietige Geberden zu erkennen, daß die Störung keineswegs von ihm ausgehe; aber kaum setzte der Richter sein Werk der Gerechtigkeit fort, so wurde er schon wieder von dem seltsamen Geräusche gepeinigt. Dasselbe begann immer mit mehreren rasch aufeinander folgenden Schnarchtönen, wie sie Unglückliche von sich zu geben pflegen, welche am Stockschnupfen leiden und sich eines plötzlichen Nasenkitzels entledigen wollen. Hierauf folgte ein eigenthümliches Krachen, wie wenn einem Skelette sämmtliche Knochen zerbrochen würden, und zum Schluß schnalzte es fröhlich auf wie von dem Peitschenschlage eines Schweinetreibers.

»Ich werde den Saal räumen lassen,« sagte der Richter, als sich das Schnauben, Krachen und Schnalzen wieder ärger als je vernehmen ließ. »Es treibt jemand sein Gespötte mit der Würde dieses Ortes.«

Auf diese Drohung öffnete sich der Kreis der Zuschauer und ließ im Hintergrunde einen ungemein mageren Mann sehen, dessen verwittertes Gesicht den Ausdruck bedeutenden Schreckens annahm, als er sich solchermaßen dem Richter ausgeliefert sah.

»Soll das heißen, daß dieser Herr Ursache des von mir so oft gerügten Geräusches ist?« fragte der Richter in scharfem Tone.

»Es ist immer von dort hergekommen,« bemerkten mehrere Anwesende.

»Dann mag dieser Herr vortreten,« befahl der Richter.

Mit zwei Schritten seiner wie verlängerte Zirkelstangen aussehenden Beine hatte der Frevler der Aufforderung des Richters entsprochen und war vor den Tisch desselben hingetreten, wobei er zum Entsetzen der Zuhörer und zur maßlosen Entrüstung des Richters abermals mehrere Schnarchtöne von sich gab. Nur mühsam wurde der Richter seines Unwillens Herr.

»Sie wollen,« herrschte er den sonderbaren Kauz an, »wie es scheint, das unerhörte Spiel auch jetzt noch fortsetzen und zwingen mich dadurch, ein Exempel zu statuiren, wie ein derartiges Benehmen vor Gericht bestraft wird. Geben Sie sofort Ihren Namen an!«

»Entschuldigen tausendmal, hoher Richter,« stotterte der Angeschuldigte, »wo denken Sie hin ... keine Absicht, nur schlechte Gewohnheit ... ich kriege nicht Luft genug ...«

Man verstand seine weiteren Entschuldigungen nicht mehr. Dasselbe Krachen wie vorhin machte sich vernehmbar, und ein Blick auf die Hände des Mannes belehrte den Richter, auf welch grausame Art Jener den Lärm erzeugte. Er packte nämlich mit der rechten Hand jeden Finger der linken Hand, zog zuerst mit aller Kraft daran, als ob er ihn durchaus abreißen wolle und stieß dann ebenso kräftig zurück, wodurch er sämmtliche Gelenke zu einem so betäubend lauten Knacken brachte, wie es nur bei diesen gewaltigen knöchernen Händen möglich war.

»O Gott,« stöhnte der Knochenmann, als er den strengen Blick des Richters auf seinen Händen ruhen sah, »ich kann mir halt nicht helfen ... nichts als schlechte Gewohnheit ... von Jugend auf hab' ich immer steife Finger gehabt, und da thu' ich sie manchmal biegen und schlenkern.«

Jetzt machte sich auch der Schlußeffect, der Peitschenknall hörbar, und es zeigte sich, daß der unselige Gewohnheitsmensch denselben hervorbrachte, indem er mit dem Zeigefinger gegen Daumen und Mittelfinger derselben Hand schnippte. Sein Schrecken über diese abermalige unbewußte Uebertretung des richterlichen Gebotes war so groß, daß er förmlich zusammenknickte und ein dreimaliges so krampfhaftes Schnarchen von sich gab, als ob er auf der Stelle seine geängstigte Seele aushauchen wollte.

An der Wahrhaftigkeit der Entschuldigung des armen Teufels zweifelte nunmehr unter großer Heiterkeit des Publikums auch der Richter nicht mehr länger, sondern äußerte sich blos, er wünsche in dessen Interesse, daß derselbe so schlechter und zu Mißverständnissen herausfordernder Gewohnheiten Meister werden möge. Er wolle in dieser Hinsicht das Beispiel des berühmten Redners Demosthenes citiren, welcher durch eiserne Ausdauer sogar einen Sprachfehler beseitigt habe.

»Was hat er denn gethan, dieser Herr?« fragte der Gewohnheitsmensch und schnob so leise als möglich, um seine Unterwürfigkeit und seinen guten Willen sofort an den Tag zu legen.

»Je nun, er hat einen Stein in den Mund genommen.«

»O Gott,« jammerte der Schnarcher, » das Mittel kann mir nicht helfen; ich kann doch nicht all meine Lebetag' mit zwei Kieseln in der Nase und einem Pflasterstein in der Hand herumgeh'n ...«

* * *


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