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Staub-Ferien

Ein Stimmungsbild.

Es war sehr ungemütlich. Wenn man den Korridor der Erkenntnissenate betrat, so machte sich zunächst ein scharfer Geruch von Seife und Kalk bemerklich. Jeder derartige Geruch, das sogenannte Zinnkräutlein, womit Küchengeschirre gereinigt werden, mitinbegriffen, verursacht einem an Ruhe und Ordnung gewöhnten Menschen unbeschreibliches Mißbehagen. Er fühlt sich nicht sicher in solcher Atmosphäre, denn die Erfahrung hat ihn gelehrt, daß in derselben zwischen den schweren Kalktropfen von oben und den erklecklich schmutzigen Waschlappen und Bürsten von unten ein ruchloses Einverständnis hinsichtlich ihrer unüberwindlichen Abneigung gegen anständig gekleidete Personen nur allzu häufig zum Ausdruck kommt. Außerdem wirbelt der Staub wie toll umher, als freute er sich, nach so langem Sitzen endlich enthaftet zu werden und fände in seiner blinden Wonne nur nicht gleich den rechten Ausgang. Die Wartebänke sind in die Mitte des Korridors gerückt und von Parteien besetzt, denn nur ein Saal ist geschlossen, während in den zwei anderen Sälen verhandelt wird – vollständige Ferien giebt es ja im Landesgerichte nicht. Ein Maler arbeitet mit Pinsel und Lineal an der Wand, um schadhafte Stellen auszubessern. Die Leute auf den Wartebänken hinter ihm verfolgen seine Arbeit so aufmerksam, daß es den Eindruck macht, als hätte man ein Publikum vor sich, das gekommen sei, um einem Konzertzeichnen anzuwohnen.

Desto weniger schien sich der Maler um seine Zuschauer zu bekümmern; bald hockte seine in Zwilch gekleidete Gestalt ganz unten an den Fliesen des Korridors, bald sah man ihn hoch oben auf einer Doppelleiter, letzterere mit bekannter Geschicklichkeit als Stelzen zur Bewegung nach seitwärts benutzend. Sein schweigsamer Fleiß wurde zuerst einer ältlichen Dame aus Ottakring auffällig, welche des Vorrufs zum Appellsenate harrte, weil sie mehreren Hausgenossen ein so üble Nachrede gewidmet hatte, daß dieselben danach lechzten, sie schleunigst hinter Schloß und Riegel zu wissen.

– »Er därf wahrscheindli nix red'n«, meinte sie zu ihrem Nachbar, einem Fiaker, welcher anläßlich einer verletzten Rippe im Landesgerichte zu thun hatte, ohne daß jedoch eine seiner eigenen Rippen irgendwie an dieser Rechtssache beteiligt gewesen wäre.

– »Warum soll er denn nix red'n därf'n«, gab der Fiaker zurück, »er wird halt net woll'n; es is ja net a Jed's so a Plauschen« Schwätzer..

– »Ah, glauben's das net; er is halt a Sträfling, segn's denn das net an sein Zwilchg'wand? Und a Sträfling därf 'n Brotladen Mund. net aufmachen, sunst is g'fehlt.«

– »A Sträfling, manen's wirkli?« sagte der Fiaker, etwas bedrückt durch die alsbald in seiner Seele aufsteigende finstere Ahnung, daß er in nicht allzuferner Zeit vielleicht ebenso angethan als Lenker des Gefängnis-Wasserwagens auftreten müßte.

– »G'wiß a no', in Landesgericht müssen alle arbeiten, a jeder was er kann, nur mit de Schlosser san's a wengerl vorsichti' – no eh' schon wissen, warum. Und der da, der is halt a Künstler und muaß mal'n. Segn's, wia si' der Posten int'ressirt für ihn, allweil schaut er her.«

– »Vielleicht geht das Ihna an, das Herschau'n, Sö san ja no' alleweil a ganz riegelsame Frau; wann i der Posten war, schauet i a her ...«

– »Machen's kan G'spaß, mir is gar net danach. Kan Tropfen Blut gebet i, wenn i mir denken sollt', daß i wirkli in Arrest kommet weg'n so aner Bagaschi ...«

»Redn's net z'viel, liebe Frau, Sö werd'n Ihna eh' nur durch's viele Kauschen Klatschen. eintunkt hab'n«, riet ihr der Fiaker wohlmeinend und mit der Überlegenheit eines Mannes, welcher nötigenfalls durch den Befund über eine verletzte Rippe nachzuweisen vermöchte, daß er nicht gewohnt sei, bloß mit Worten herumzuwerfen. Die Unterhaltung wurde durch den Namensaufruf der Ottakringer Frau unterbrochen, während der Fiaker noch eine Weile nachdenklich den Maler betrachtete. Endlich schüttelte er den Kopf und trat in den nächsten Saal, offenbar um sich an die Schrecken einer Gerichtsverhandlung vorerst zu gewöhnen, ehe er selbst in die Schranken zu treten hatte.

Mit dem Maler aber war's nicht ganz richtig; denn als am nächsten Tage durch die wieder hergestellte Ordnung auf dem Korridor der Schluß der Staub-Ferien verkündet ward, glaubten wir dieselbe Persönlichkeit in einem Manne, der ganz unbehindert in Gesellschaft mehrerer Farbentöpfe nach außen verkehren durfte, wieder zu erkennen, obgleich er nicht mehr die Zwilchkleidung trug. Alle Wahrscheinlichkeit sprach somit dafür, daß er eine freie Kunst ausgeübt habe im Korridor des Gefängnisses während der Staub-Ferien.

* * *


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