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(Orig.-Roman aus dem Wiener Volksleben von ***).
Die schwarzen Schatten der Nacht lagerten über einem der ältesten und schmutzigsten Stadttheile von Wien. Es war so finster, daß man die Hand vor den Augen nicht sehen konnte. Der Mann aber, welcher durch eine der engen, schlüpfrigen Gassen schlich, sah sein Verderben voraus.
Er trug die gewöhnliche Kleidung derjenigen, die nichts anzuziehen haben. Ein eigenthümlicher Blick seiner tiefliegenden Augen, welche in dichten Strähnen von seinem rabenschwarzen Haupthaar bedeckt waren, das fast unmerklich in einen zerzausten blonden Vollbart überging, verkündete nur zu deutlich, daß dieser Mann fähig wäre und darauf ausgehe, noch in derselben Nacht eine schlimme Leidenschaft zu befriedigen.
Diese Leidenschaft war der – Hunger. Wem hätte nicht schon einmal diese verzehrende Leidenschaft das Innere durchwühlt? Der Glückliche wird ihrer Herr, indem er irgend einen Gegenstand zu sich nimmt, welcher nach der öffentlichen Meinung aller Nationen als ein sogenanntes Genußmittel gilt, gleichviel, ob er echt oder gefälscht ist.
Ueber Fälschungen ließe sich viel sagen, doch es würde dies den Rahmen, welchen wir uns in dieser Richtung gesteckt haben, wesentlich überschreiten. Zu der Bemerkung aber halten wir uns trotzdem für verpflichtet, daß der Fragner Eisenacker, Grimmbartgasse 15, Znaimer Gurken und Ottakringer Abzugbier vollkommen unverfälscht ausschrotet. Ein wackerer Bürger vom alten Schlage! Möge ihm die Erde leicht sein, wenn er dereinst sterben sollte!
Was aber soll der Unglückliche thun, wenn das bleiche Gespenst des Hungers und Elends, obdachlos und mittellos, an seine Thüre pocht? Was soll er zumal in dem ergreifenden Falle thun, wenn er nicht einmal mehr eine Thür hat, an die jenes Gespenst pochen könnte?
Obdachlose haben keine Thüre! Das ist eine der furchtbaren Wahrheiten, welche sich aus der Statistik der Armenpflege ergeben und an welchen nicht zu rütteln ist. Jener Mann, der zu nächtlicher Stunde unter den baufälligen, hohen Giebelhäusern dahinschlich, befand sich in diesem beklagenswerthen Zustande.
Er litt darunter fast seit der unseligen Zeit, als er zum ersten Male geboren wurde. Ein homus novus auf der Welt, wie ein guter Lateiner sagen würde, fand er seitens seiner nächsten Anverwandten nicht jene Pflege, deren ein Säugling bedarf, um sein tägliches Brot zu haben. Als Wickelkind schon stand er auf eigenen Füßen, und dies gab seinem Charakter einen trotzigen, eigenwilligen Zug für das ganze Leben. Weil er zu gewahren glaubte, daß alle Menschen um ihn her ihr Eigenthum sorgsam hüteten, fand er eine Befriedigung darin, ihnen gelegentlich etwas davon wegzunehmen. Allein, zur Zeit, als wir ihn in der engen Gasse schleichen sahen, hatte ihm ein hartes Geschick diesen Trost im Unglücke schon lange versagt. Bittere Gedanken darüber durchkreuzten eben seinen Kopf, als plötzlich eine rauhe Stimme an sein Ohr schlug:
– »Hm, hm!«
Diese Anrede kam aus dem dunklen Thorbogen eines halbverfallenen Hauses. Zugleich löste sich aus dem Mauerwerk die in einen langen Mantel gehüllte Gestalt eines Unbekannten los. Man bemerkte unter dem Mantel hohe Reiterstiefeln, wodurch die Persönlichkeit des Fremden noch unkenntlicher wurde.
– »Wie viel Uhr ist es?« fragte unser Mann den Unbekannten barsch, indem er ihm den Weg vertrat.
– »Ihr seid mein Mann,« erwiderte dieser, sichtlich erfreut, die Bekanntschaft eines Herrn zu machen, welcher Nachts in einer engen finsteren Gasse jemanden fragt, wie viel Uhr es sei. »Meine Uhr werdet Ihr mir nicht »abbiegen«, Gauner-Ausdruck für stehlen fuhr er fort, »aber Ihr werdet andere Uhren haben und sie auf bequemere Art erlangen.«
Unser Mann erwiderte, daß er ein ehrlicher Mensch sei, der sich nicht von dem nächstbesten Schurken zum Narren halten lasse. Auf schöne Reden gebe er nichts, er verlange Bürgschaften.
Der Unbekannte zog einen Revolver aus der Tasche und lächelte; dann ein Messer und lächelte wieder; dann ein Stilet und lächelte abermals. Jeden dieser Gegenstände nahm er in eine seiner Hände, richtete sie gegen den Mann, der von ihm Bürgschaften verlangte, und sprach, die Augen rollend:
– »Ich bin der Falke der Berge, ich lüge nie!«
Der Andere zuckte zusammen. Die Erscheinung eines Falken der Berge, der nicht log, überwältigte selbst diese gemeine Natur, und sie erlag der grauenhaften Seltsamkeit eines solchen Vorkommnisses. Diesen Eindruck gewahrend, rieb sich der Falke der Berge die Hände.
– »Ich bin das Haupt der schwarzen Liga,« sagte er nach einer Pause und nachdem er stolz den schwarzen Schnurrbart, von welchem seine gebieterisch emporstehende Nase umrahmt war, gestrichen hatte. »Was siehst du an meiner Brust für einen Fleck?« Er schlug den Mantel zurück.
– »Ein gelbes Fleckerl,« flüsterte demüthig der Mann von der Straße, »ich wer's ausputzen, wenn Euer Gnaden erlauben.«
– »Esel«, herrschte ihn der Falke der Berge an, »das Fleckchen ist aus Tuch und bedeutet den Tod von Verräthern. Ein schwarzes bedeutet für die Männer der Liga den Tod eines Feindes, ein weißes die Verfolgung eines Bundesmitgliedes. Es mangelt uns an einem Scharfrichter, der unsere Urtheile vollzieht. Du sollst diesen Posten haben und von nun an den Namen »Lämmergeier« führen.«
– »Könnt' es kein schönerer Name sein?« wagte der Angeredete zu stammeln.
– »Nein; und jetzt komm' mit mir, die Todten dieser Nacht hinwegzuschaffen.«
Der Unbekannte schritt voran; er trat wieder in den dunklen Thorweg und öffnete das Schloß durch einen leisen Druck seiner Hand. Das Thor sprang auf und ließ in einen Hof sehen, der mit lauter Menschenköpfen gepflastert war. Die Fugen waren mit Schienbeinen und Fingerknochen ausgefüllt, was einen ungewöhnlichen aber reinlichen Anblick darbot. Sie schritten darüber hinweg zu einer niederen Thüre, die sich von selbst öffnete. Einige Stufen führten abwärts in ein Gewölbe. An der Brust des Unbekannten zuckte ein elektrisches Glühlämpchen auf und erhellte den entsetzlichen Raum und dessen sensationellen Inhalt: Neben der Leiche eines jungen Mädchens lag ein am Rande des Grabes stehender Greis! ....
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So ungefähr, im Style der Volksbibliotheken, denken wir uns den Roman, welcher den Malergehilfen, Herrn Josef Jelin, zur Gründung eines Geheimbundes begeistert hat, dessen Titel und Statuten ganz denjenigen gleichen sollten, die in dem betreffenden Romane mit grausamer Ausführlichkeit beschrieben waren. Herr Jelin befand sich deshalb unter der Anklage der Geheimbündelei vor dem Erkenntnisgerichte, vermochte aber zu seinen Gunsten die Lectüre jenes Romanes, sowie den glaubwürdigen Umstand vorzubringen, daß es ihm nicht Ernst gewesen sei mit dieser »Liga«, sondern daß er sich blos ein gewisses Ansehen geben wollte unter seinen leichtgläubigen Genossen. Sein Vertheidiger führte diese Verantwortung noch des Weiteren in überzeugender Weise aus und der Gerichtshof erblickte darnach keine beträchtliche Gefahr für die Gesellschaft darin, wenn das Bundes-Oberhaupt der Schwarzen Liga freigesprochen werde. Den Autor des mehrerwähnten Romanes kennt man leider noch nicht. Häscher suchen ihn.
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