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Die Pyramide der Rache

Skizze aus dem Volksleben.

Die Theilung der Güter war vollzogen. Es handelte sich zwischen den beiden Menschen, welche jahrelang gemeinsamen Haushalt geführt hatten, nur mehr um ein unbedeutendes Streitobject, auf das indes von beiden Seiten gewichtige Eigenthumsansprüche geltend gemacht wurden. Der Gegenstand der Differenz war ein kleines »Milchhäferl«. Herr Josef Tendler, Bildhauer, behauptete, sich ganz bestimmt zu erinnern, daß dieses »Milchhäferl« aus seinem Privatvermögen angeschafft worden sei, folglich bei der bevorstehenden Trennung in seinen Besitz überzugehen habe. Frl. Anna Findling hingegen, seine bisherige Geliebte, erklärte sich zu jedem Eide darüber bereit, daß sie das besagte »Milchhäferl« zu Kathrein im abgelaufenen Jahre aus eigenen Mitteln gekauft habe, da sie sich noch dachte: »Der Schmutzian laßt mich alles nachschaffen« – und etwas Aehnliches auch der Nachbarin sagte, als ihr diese auf der Stiege begegnete – und sie auch noch wie heute wisse, daß in dem »Milchhäferl« das erste Mal nicht Milch, sondern Kamillenthee gekocht worden sei, da Er gerade von jungem Bier Leibschmerzen gehabt habe – weshalb kein Richter der Welt ein anderes Urtheil abgeben werde, als das: Josef Tendler ist schuldig, der Anna Findling das »Milchhäferl« unweigerlich und auf ewige Zeiten in ihr alleiniges Eigenthum zu überlassen. Herr Josef Tendler schrie hierauf, diese Person habe es aus seinen Ruin abgesehen, aber er werde es auf einen Proceß ankommen lassen. Frl. Anna Findling sagte dasselbe, Beide griffen nach dem »Milchhäferl« und balgten sich, bis es schließlich dem klügeren »Milchhäferl« gelang, zu Boden zu fallen und durch sein Zerbrechen den in Aussicht gestellten Proceß unmöglich zu machen.

– »Also jetzt kannst geh'n,« sagte Frl. Anna Findling, nachdem sie eine Weile nachdenklich die Scherben betrachtet hatte. »I geh' morgen in der Früh zeitlich aus, und wenn i gegen Zehni z'ruckkomm', mußt' draußt sein beim Tempel.«

Er erwiderte nichts, war also einverstanden. Am nächsten Tage kam Frl. Anna Findling zur bestimmten Stunde in ihre Wohnung zurück und freute sich sehr darauf, ihn nicht mehr da zu treffen. In der That war er fort; aber seine Künstlerhand hatte ihr ein merkwürdiges Andenken zurückgelassen. Vom Tische aus bis fast zur Decke ragte eine Pyramide empor, mit Zuhilfenahme einer Besenstange erbaut aus Unterröcken, Stiefletten, Kopftüchern, Bettdecken, Schürzen, Kleidern, vier Versatzzetteln u. dgl. – alles in zerschnittenem und zerfetztem Zustande. Das war seine Rache.

Die trostlose Besitzerin dieser zerstörten Herrlichkeiten klagte den Vandalen auf boshafte Beschädigung fremden Eigenthums, unter welcher Anklage Josef Tendler auch vor dem Einzelrichter des Bezirksgerichtes Hernals erschien. Er kicherte wohlgefällig, als ihn der Richter fragte, ob er sich schuldig bekenne. Dann kriegte er den Schlucken und stieß heraus: »Ja. ja, ja, ein klein Rach'n (Zorn) Hab' i auf sie g'habt, aber was liegt denn d'ran an dö Hadern.«

– »Sie haben heute wohl schon getrunken?« bemerkte der Richter.

Der Angeklagte blickte den Richter wie eine überirdische Erscheinung an, so sehr schien es ihn Wunder zu nehmen, daß dieser von dem Morgentrunke Kenntnis habe. Um ihn jedoch auf die Probe zu stellen, ob er nicht etwa blos zufällig die Sache errathen habe, antwortete Herr Tendier vorsichtig: »Getrunken – ja, wie man's nimmt.« ( Schlucken.)

– »Mir scheint sogar, Sie sind berauscht,« fuhr der Richter fort.

Jetzt gab der Angeklagte jeden Zweifel an der Allwissenheit des Richters auf. Er überlieferte sich auf Gnade und Ungnade, indem er sagte: »Mir scheint a, daß i an Rausch hab'; aber, Herr Richter, aber zurechnungsfähig, ganz zurechnungsfähig, von allerbester Zurechnungsfähigkeit.«

Der Richter gab ihm nun das Urtheil bekannt, welches auf zwei Tage Arrest lautete.

– »Ganz wohl, werd's gleich zahl'n,« brummte der Angeklagte und griff in die Westentasche.

– »Das geht nicht,« erklärte ihm der Richter, »Sie müssen sitzen.«

– »Hm, hm, hm, sitzen,« meinte der Angeklagte kopfschüttelnd, »das is freili a Schand für die Nachkommen. Na, i bitt' halt um ein Aufschub.«

Er wankte zur Thüre; hier aber kehrte er sich noch einmal um und rief seiner ehemaligen Geliebten in einem halb verweisenden, halb belehrenden Tone zu: »Zurechnungsfähig – i – ganz zurechnungsfähig, merk dir's!«

* * *


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