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Ein Straßenbildchen.
Niemand, der mit Frau Kummenecker, Milchmeierin in der Schottenfeldgasse, in Verkehr gestanden, hatte je die Wahrnehmung gemacht, daß sie hustete. Sie durfte sich auf das Zeugnis aller Nachbarn berufen, welche wohl öfter vernommen hatten, daß sie sich räusperte, denn sie war eine etwas beleibte Dame – aber husten? Nein. »Net an anzigen Kakezer«, bestätigten sie übereinstimmend; »die Kummeneckerin war alleweil g'sund auf der Brust und fest beinand, bis zu dem Krawall mit'n Hauer von der Burggass'n. Seit dera Zeit kann sie si' net mehr derfangen.« Der Krawall, auf welchen hier angespielt wird, muß immerdar als ein Schandfleck in der Historie des ganzen »Grundes« betrachtet werden. Als gewiß darf man annehmen, daß ihn Josef Hauer, Milchmeier in der Burggasse, begonnen, indem er den unerhörten Versuch unternahm, den Mistbauer gegen die Qualität des Düngers aus dem Kummenecker'schen Stalle in verleumderischer Weise einzunehmen.
Man kann nicht sagen, daß Herr Kummenecker, der Gatte der Frau Anna Kummenecker, von diesem unwürdigen Manöver selbst gehört hätte, denn er ist seit Jahren vollständig taub. Allein seine Frau, welche sich mit ihm trefflich zu verständigen weiß, machte ihn mit der Sache bekannt, und Herr Kummenecker unterließ nicht, den Verbreiter so beunruhigender Nachrichten über seinen Dünger bei nächster Gelegenheit auf der Gasse zur Rede zu stellen. Herr Hauer, weit entfernt, Abbitte zu leisten, wurde auffallend grob, was Herrn Kummenecker wenig anfocht, seine Gattin aber desto mehr erbitterte, so daß sie endlich in jener nachdrücklichen Weise, welche einer Wiener Milchmeierin würdig ist, Stellung nahm wider den Gegner ihres Mannes. Was darauf geschah, kann nicht in jener vollen Nacktheit der Thatsachen dargestellt werden, als es sich am helllichten Tage vor den Augen zahlreicher Neugieriger zugetragen. Milchmeier Hauer ergriff Frau Anna Kummenecker, bog ihren Körper über seinen Milchwagen, entfernte alle Hindernisse, welche seinem verabscheuungswürdigen Vorhaben im Wege waren und klatschte mit ruchloser Hand darauf los, bis Herr Kummenecker im Vereine mit mehreren entsetzten Zuschauern dem grausamen Schauspiele ein Ende bereitete, indem er den Thäter von seinem Opfer hinwegriß, wobei der Unhold, der doch Schuld daran war, daß Frau Kummenecker sich so peinliche Blößen gegeben, noch schamlos und frivol genug war, die bedauernswerte Dame eine »nackete S…« zu nennen.
Konnte dieser Vorgang schon an und für sich wegen des unliebsamen Aussehens, das er erregt hatte, von Seite des Gerichtes nicht milde beurteilt werden, so kam noch dazu, daß Frau Kummenecker ganz bedeutsame Erklärungen abgab hinsichtlich der schweren Folgen, die er für ihr Befinden nach sich gezogen. Vor dem Appellsenate nahm sie es auf ihren Eid, daß ein äußerst quälender Husten, unter dem sie seither leide, seinen Ursprung jener beschämenden Mißhandlung verdanke.
– »Hohes Gericht« – sagte sie, immer hüstelnd – unsereins ist sunst net hakli, aber verstengens, wann m'r g'wöhnt is, so und so viel Röck anz'hab'n und auf amal is gar nix da, so verkühlt m'r si' damisch, und so a Verkühlung schlagt sie leicht auf die Brust. Da schaun's her, den Binkel Rezepten; dö hab' i alle schon eing'nommen, nutzt aber nix, hörn's mi' nur an: kh ... kh ... kh ... 's reine Totengraberhunderl.«
Obwohl der Appellsenat die Größe der Beleidigung, welche Frau Kummenecker angethan worden, in ihrem vollen Umfange anerkannte, so vermochte er doch nicht den Husten der Klägerin in so innigen Zusammenhang mit dem mißhandelten Körperteil zu bringen, wie es diese that, und er setzte daher des Milchmeiers Hauer vom Bezirksgerichte auf vierzehn Tage bemessene Strafe auf eine Woche Arrestes herab. Frau Kummenecker bekam nach der Urteilsverkündigung wieder einen schweren Hustenanfall, welcher sich anhörte wie ein gewaltiger Protest gegen das nach ihrer Meinung viel zu milde Strafausmaß.
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