Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Tierstück.
Das Stubenmädchen vom zweiten Stockwerke stieg die Treppe empor. Auf dem ersten Stiegenabsatze angelangt, that die Jungfer plötzlich einen Seitensprung und rief unter allen Zeichen der Überraschung und des Abscheues: »Jessas na, was der Hund treibt, das is scho' a wahre Schand fürs Haus!« Sie zog sogleich an der Klingel der Partei im ersten Stocke. Das Guckloch wurde geöffnet und jemand sagte: »Ah, Sie sein's, Kathi; was giebt's denn?«
Kathi gab sich den Anschein, als ob sie sprachlos wäre vor Entrüstung. Sie deutete bloß auf den Boden hin. Die Köchin vom ersten Stockwerke zeigte sich nach einem Augenblicke, den sie der Betrachtung dieser Stelle gewidmet, nicht minder ergriffen von der Schändlichkeit des Ereignisses und seines Urhebers. Sie trompetete durch das Guckloch einen wilden Schrei und leistete sodann den Schwur, daß niemand anderer dem Hunde vom dritten Stockwerke das Fell vom lebendigen Leibe ziehen werde, als sie selbst. Der Vorfall wurde sofort durch beide Dienstboten zur Kenntnis der Hausbesorgerin Frau Schreiberger gebracht. Eine gemischte Kommission, bestehend aus den eben benannten drei Damen, einem Laufburschen der Hausmeister'schen und einem höchst neugierigen Enkelkinde der Frau Schreiberger, begab sich ebenso unverzüglich an den Thatort, um gewissermaßen zum ewigen Gedächtnisse den Augenschein aufzunehmen. Die Wirkung, welche der Anblick dieser Örtlichkeit auf Frau Schreiberger ausübte, versetzte die übrigen Kommissionsmitglieder in erhebliche Rührung. Die brave Frau schlug die Hände über den Kopf zusammen und richtete, sich im Kreise umsehend, an die Anwesenden zunächst die Frage, ob dieselben ihr das Zeugnis versagen wollten, daß sie eine ungemein reinliche Person sei. Mit Begeisterung wurde das verlangte Zeugnis abgegeben, und nun redete sich Frau Schreiberger in jene starke Erregung hinein, die bei ihr stets ein eigentümliches Zischen in der Sprache zur Folge hat, weshalb sie auch von den Hausleuten insgeheim die alte Kreuzotter genannt wird.
– »Was hilft«, sagte Frau Schreiberger, »das Gebot, daß ... zsch ... zsch ... die Hund' Maulkörb' trag'n müssen, gegen solchene zsch ... zsch Zuständ'? Und wann zsch ... zsch ... zufällig der Herr Inspektor kommt, wer kriagt sein Tanz ... zsch ... zsch dessentwegen als i? Von der Fruah bis in die zsch ... zsch ... sinkende Nacht eini plag' i mi, und nachher soll's weg'n zsch ... so ein Hundsviech haßen, daß ... zsch ... i's Haus ... zsch ... net reinlich halt? Stantapede geh' i aber hiazt auffi und sag' der Gnädigen mei Manung über das ... zsch ... zsch ... Verreckerl!«
Frau Schreiberger kam nicht dazu, ihr Vorhaben auszuführen, denn im nämlichen Augenblicke wurde aus dem dritten Stockwerke ein schrecklicher Lärm hörbar. Frau Johanna von Märkenstein, die Eigenthümerin des schuldbeladenen Hundes, stand im Begriffe, diesen gleichfalls an den Thatort zu schleppen und ihm dort die für derlei Ausschreitungen längst versprochene Züchtigung angedeihen zu lassen. Lydi, ein wunderhübscher Pintscher, bereits an der Thüre von furchtbaren Ahnungen befallen, verlegte sich anfänglich auf ein recht erbärmliches Winseln, womit er, wie schon so oft, das liebevolle Herz seiner Gebieterin zu erweichen vermeinte. Allein je weiter abwärts er am Halsbande gezogen wurde, desto schwärzer wurden seine Ahnungen, und als es die zweite Treppe hinunter ging, stand ihm sein Schicksal bereits so klar vor Augen, daß er, ohne noch einen Schlag empfangen zu haben, wie toll zu heulen anhub.
– »Aha, der Lydi wird hiazt g'haut, daß ihm die Schwarten kracht«, sagten die Kommissionsmitglieder unten und machten erwartungsvoll dem zerknirschten Delinquenten und seiner Herrin Platz. Die letztere begann den Exekutionsakt mit einer Ansprache an Lydi, in welcher demselben eine Reihe ähnlicher Schandthaten vorgehalten und er ermahnt wurde, sich in Hinkunft würdiger zu benehmen. Sodann erhielt Lydi mit einem spanischen Rohre etliche Hiebe, durch welche er jedoch höchst angenehm enttäuscht zu werden schien; denn er heulte dabei weit weniger als vorher, sodaß es den Eindruck machte, als habe Lydi in der ganzen Affaire schwärzer gesehen als notwendig gewesen, und als heule er überhaupt jetzt nur vorsichtshalber, um nicht durch sein Schweigen zur Erteilung mehrerer und härterer Prügel herauszufordern. Dies dachte offenbar Kathi, das Stubenmädchen vom zweiten Stockwerke, auch, indem sie sich herausnahm, die Bemerkung zu machen, daß es für den schamlosen Lydi eine weit entsprechendere Strafe wäre, wenn ihm ein Ohr ausgedreht oder mindestens ein Bein ausgerissen würde. Frau von Märkenstein, ohnehin etwas nervös geworden durch die ganze Prozedur und die Anwesenheit der gemischten Kommission, verbat sich jede Einmischung eines fremden Dienstboten in ihre Angelegenheiten und nannte bei diesem Anlaß Kathi, das Stubenmädchen vom zweiten Stockwerke, einen frechen Trampel. Kathi rief sofort die Anwesenden zu Zeugen auf für diesen unerhörten Schimpf, und es verbreitete sich noch an demselben Tage im Hause das Gerücht, daß Kathi eine Klage bei Gericht überreichen und Frau von Märkenstein vermutlich für längere Zeit auf die Festung kommen werde.
Zur Verhandlung vor dem Bezirksgerichte erschien Frau von Märkenstein, eine distinguierte schöne Dame, persönlich. Sie war weniger bemüht, sich, als ihren Lydi vor dem Richter zu rechtfertigen. »Lydi«, erzählte sie lächelnd, »ist ein sonst wohlerzogener Hund, aber zerstreut, sehr zerstreut. Wird er auf die Straße hinabgeschickt, so spaziert er dort herum, betrachtet Wagen und Leute und freut sich so sehr seiner Freiheit, daß er den Zweck seines Ausganges gänzlich vergißt. Erst in der Nähe der Wohnung erinnert er sich wieder daran und verschafft mir durch diese Zerstreutheit solche Unannehmlichkeiten wie diejenige war, derenthalben ich heute hierher mußte.«
Frau von Märkenstein büßte ihre damalige Äußerung mit einer Geldstrafe von fünf Gulden. Kathi, das Stubenmädchen vom zweiten Stockwerke, konnte zu solch' gelinder Strafe nur den Kopf schütteln. Ihrer Meinung nach werden heutzutage im allgemeinen schwere Verbrecher viel zu menschlich behandelt.
* * *