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Herr Kraftmayer

Sportsache.

Es war eine schwärmerische Zeit. »Wer is denn gestern um d' Erd g'haut word'n?« fragte man sich täglich in Wien; und wenn es hieß, der »Rohrer-Schorschl« habe den Franzosen im Zirkus Carré niedergelegt, daß dem Bezwungenen alle Rippen krachten, dann hielt man es nur mehr für eine Frage von wenigen Tagen, daß dem siegreichen vaterländischen Ringkämpfer die Salvatormedaille oder eine andere bedeutende Auszeichnung verliehen werde. Überall wurde mit einem wahren Fanatismus gerungen. Erging man sich in einer Prater-Au, so hörte man plötzlich ein wildes Schnaufen und sah mehrere achtbare Männer, welche einander krampfhaft an den Hosen gepackt hatten, um nach Schweizer Sitte zu ringen. An der Donaulände betrieben die Holzscheiber das Ringen mit solcher Leidenschaft, daß eines Tages zwei verbissene Burschen über die Böschung in die Donau hinabrollten und noch unter'm Wasser um die Meisterschaft rangen, welche jedoch unentschieden blieb, da sie beide vorher elendiglich ertranken. Wenn sich die Schulknaben, welche in ihrer immerwährenden Verschmitztheit jedes Tagesereignis für ihre Zwecke auszubeuten pflegen, würgten, bis sie braun und blau wurden, so hatten sie den liebevollen Abmahnungen ihrer Eltern und Lehrer gegenüber die Ausrede: »Wir spiel'n ja Rohrerschorschl.« Und auf den Standplätzen der öffentlichen Fuhrwerke konnte man nicht allzu selten einen Kutscher sehen, welcher plötzlich wie ein gereizter Hammel seinen Kopf in die Magengegend eines Kameraden bohrte, weil dies als eine der vorteilhaftesten »Nuancen« des Ringens galt.

In dieser Epoche der Kraftanbetung entstanden die Klubs der sogenannten Kraftmayer, welche durch systematische Übungen die Stärke ihrer Mitglieder auf ein ungeheures Maß zu erhöhen trachteten. Zu diesem lobenswerten Zwecke wurden im Klublokale mächtige Hämmer, fabelhaft schwere Ambosse, wuchtige Mühlsteine, Zentnergewichte und dergleichen von den modernen Cyklopen in Bewegung gesetzt, durch welche Übungen dieselben allmählich jedes Gefühl für leichtere Gegenstände verloren, so daß sie beispielsweise keine gewöhnlichen Spazierstöcke mehr benutzen konnten, sondern sich eiserner in einem Gewichte von ungefähr 20 Kilo bedienen mußten. Diese nützlichen Eisenstangen bildeten auch eine Art Erkennungszeichen zwischen den Mitgliedern der einzelnen Cyklopenklubs, indem ihre Besitzer sie auf dem Pflaster zum Schrecken der Passanten klirren ließen, sich sodann, als Kraftgenossen erkennend, begrüßten, und sofort ihre Mittelfinger ineinander schlangen, um zu prüfen, wer stärker im Hakenziehen sei, während alle Vorübergehenden glauben konnten, es handle sich nur um einen warmen Händedruck. Ehrensache für jedes Mitglied war es ferner, jedem fremden Individuum, das den Ruf ungewöhnlicher Kraft genoß, an den Leib zu gehen, wodurch es geschah, daß ein Frotteur in einem hiesigen Bade mehrere Wochen lang fast ausschließlich damit beschäftigt war, die gesamten Riesen eines solchen Klubs derart durchzuwalken, daß sie keinen gesunden Fleck am Leibe behielten, worauf sie ihn fürderhin in Ruhe ließen und ihn ihrer Achtung versicherten. Nicht minder wohlgefällig wurde es von der Klubleitung vermerkt, wenn die Riesen während ihrer Spaziergänge oder Reisen sich an gewichtigen Objekten versuchten: Zum Beispiel Grenzsteine aus der Erde zogen, alte Tannen entwurzelten, gefährliche Lawinen mit den Händen auffingen, Mastschweine am Schwänzlein freischwebend hielten, oder aber, was das beliebteste war, unter die rückwärtige Achse eines beladenen Wagens krochen und denselben vermittelst kunstgerechter Schulterstemmung in die Höhe hoben.

Letztere Kraftübung, vorgenommen an einem auf der Gürtelstraße stehenden Leiterwagen, brachte Herrn Emerich Wendler, einen der angesehendsten Kraftmayer, vor kurzem leider in eine sehr schiefe Situation. Herr Wendler kehrte gegen Mitternacht von der Schmelz zurück, wo er sich zwei Stunden bloß in der Absicht ergangen hatte, von irgend einem Lumpenkerl räuberisch angefallen zu werden, was ihm erwünschte Gelegenheit geboten hätte, seine Stärke zu erproben. Da ihm dieses Glück nicht beschieden war, wollte er wenigstens den Tag nicht beschließen, ohne jenen Leiterwagen emporzuheben. Während er gerade unter der Last des Wagens keuchte und die Wagenschmiere seinem Gesichte bei dem trüben Scheine der Straßenlaterne den Ausdruck erschrecklicher Wildheit verlieh, kam der Kutscher aus der Branntweinbude zurück und rief ihm sofort einige Schimpfworte zu. Herr Wendler hätte dem Grobian um den Hals fallen mögen.

– »Kommen Sie nur her, lieber Mann«, erwiderte Herr Wendler und kroch unter dem Wagen hervor, »kommen Sie her, wenn Sie Courage haben, ich werde Sie niederlegen, daß Sie zappeln vor Vergnügen.«

– »Ah, da legst di' nieder«, brüllte der Kutscher ergrimmt, »so a angezogener Kladerstock will mi niederleg'n, na wart!«

Er stürzte sich auf Herrn Wendler und im nächsten Augenblicke lag dieser am Boden. »Merkwürdig«, stöhnte der Kraftmayer und wollte sich, den Kampf für beendigt haltend, erheben. Allein der Kutscher nahm die Sache gewissenhafter und drosch auf den Liegenden noch geraume Weile eifrig los, bis auf dessen Hilfegeschrei ein Wachmann herbeieilte und den Kutscher arretierte. Der letztere wurde, da Herr Wendler sichtbare Merkmale des Abenteuers davontrug, des Raufhandels angeklagt – sehr wider den Willen des Beschädigten, wie sich bei der Bezirksgerichtsverhandlung zeigte. Herr Wendler war der eifrigste Fürsprecher für den Angeklagten, indem er sich selbst alle Schuld an dem unliebsamen Vorfalle beimaß; er hätte im Vorhinein wissen können, daß ein Kutscher über die Grenzen eines ehrbaren Ringkampfes hinausgehen werde. Mit Rücksicht auf die Bitten Herrn Wendlers erkannte der Richter ausnahmsweise auf eine Geldstrafe, und zwar auf eine solche von fünf Gulden. Herr Wendler übergab diesen Betrag auf der Stelle seinem Widersacher, winkte denselben hierauf in eine Ecke und flüsterte ihm zu:

– »Wollen Sie noch zwei Gulden verdienen, so erklären Sie mir den »Vorteil«, wie Sie mich so beispiellos rasch niedergeworfen haben.«

– »Dös is gar ka b'sunderer Vortel«, sagte der Kutscher, »'s Füaßl hab' i Ihna halt geb'n.« Ein Bein gestellt.

– »'s Füaßl?« wiederholte Herr Wendler gespannt. »Ich sage Ihnen, das »Füaßl« ist eine der großartigsten Erfindungen. Mann, Sie wissen gar nicht, was Sie daran haben. Wollen Sie mir draußen Unterricht erteilen im ›Füaßl-Geben?‹«

– »Warum denn net, auf eins zwei hab'n Sie's weg; 's is gar ka Kunst.«

Sie verließen beide das Gerichtszimmer, der Kutscher kopfschüttelnd, der Kraftmayer schwelgend in dem Vorgenusse der Erlernung des so unfehlbar zum Siege führenden »Füaßl's«.

* * *


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