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Erstes Bändchen.

Das Geisterhaar

Eine Weihnachtsgeschichte.

Ueber Haarkräusler ist schon viel geschrieben worden, aber lange nicht genug. Dem Beobachter eröffnen sich immer neue Seiten an diesem Künstlergeschlechte. Man muß nur beim Rasirtwerden und der sonstigen Behandlung, welcher man in Barbierstuben ausgesetzt wird, die Augen offen halten. Ja, wenn man ein fauler Mensch ist, der gleich gut schläft, wenn ihm der Friseur auf dem Kopfe herumkrabbelt und die Haare schneidet, da sieht man freilich nichts. Es giebt Barbiere, betreffs deren man ein eidesstättiges Affidavit abgeben könnte, daß sie irgend einmal, wo nicht heute, so doch morgen, ein Unheil anrichten. Und diese Künstler muß man wohl im Auge behalten. Wir kennen Einen, der ein Gewaltmensch schlimmster Sorte ist. O, er möge sich's gesagt sein lassen, daß das Gesetz für Körperverletzungen mit bleibender Verunstaltung schwere Strafen kennt. Möge er die Seife nicht mit der Faust auftragen, die irgendwo eine harte Haut hat, welche er längst hätte beseitigen lassen sollen. Möge er nicht sein Knie gegen den Schoos seines Opfers stemmen, um dasselbe an der Gurgel zu drosseln, damit die Gesichtshaut die gewünschte Straffheit erlange. Möge er nicht in unerhörter Verzückung unablässig mit der Zunge schnalzen während der schrecklichen Procedur, da sich doch niemand in der Absicht rasiren läßt, einem verblendeten und grausamen Individuum damit Wonneschauer zu erwecken. Wir halten ihm den Charakter eines Collegen aus einer anderen Rasirstube vor, welcher immer eine bedenkliche Schwatzhaftigkeit an den Tag gelegt hat, aber seinen Kunden stets zart entgegen gekommen ist. Als kürzlich das längst gefürchtete Unglück geschehen mußte, wußte es der ehrenwerthe, wackere Mensch so zu fügen, daß es blos sein Blut kostete. Er schnitt sich nämlich inmitten einer hastigen Erzählung plötzlich und auf unbegreifliche Art selber in die Nase. So handelt ein Barbier, welcher Herz hat für seine Kunden. Dieser Pelikan unter den Barbieren sollte auch hinfüro jenem Jüngling als leuchtendes Vorbild dienen, welcher einst, wie wir uns eben erinnern, einer vorsätzlichen Grausamkeit gegen ein kleines Mädchen, also gegen ein unschuldiges Wesen angeklagt war, das schon deßwegen seine Leidenschaften nicht reizen konnte, weil es keinen Bart trägt und auch nie einen tragen wird. Doch wir schweifen zu sehr ab von Liepolds Rasirstube, welche den eigentlichen Schauplatz unserer Geschichte bildet.

Es war schon viel Blut an diesem Orte geflossen. Wenn solches irgendwo der Fall, dann haben nach dem Volksglauben die Gespenster leichter Zutritt. Aber im allgemeinen sieht es durchaus nicht gespensterhaft aus in Liepold's Rasirstube. Man bemerkt nichts, was sie von anderen Wiener vorstädtischen Rasirstuben im Geringsten unterscheiden würde. Da hängen dieselben Oeldruckbilder an der Wand, auf welche man überall einen letzten Blick wirft, wenn Einem das Messer an die Kehle gesetzt wird: eine Landschaft im Sommer mit durstigen grünen Kühen, und eine Landschaft im Winter mit einem eingefrorenen oder umgeworfenen Schlitten. Ferner giebt es da auf den Consolen die Statuetten von Schiller und Goethe, welche augenscheinlich weniger ihrer literarischen Bedeutung wegen in den Rasirstuben so häufig anzutreffen sind, als weil sie Beide keinen Bart trugen und somit gewissermaßen den Kunden als erhabene Muster glattrasirter Herren vor die Augen gestellt werden. Ueber der Hinterthür, die in einen geheimnisvollen Nebenraum führt, der stets dunkel gehalten wird, hängt ein kleines Marienbild mit einem Palmkätzchen dahinter, und auf den Spiegelconsolen ringsum steht die bekannte Menge von Tiegeln, Schalen, Fläschchen und Instrumenten, deren Zahl und Aussehen erst den richtigen Begriff davon geben, wie vielerlei Fette und Gewürze und welche erschreckliche Mühe dazu gehören, einen menschlichen Kopf seinem Urzustande zu entreißen. Auch Herr Liepold ist nicht anders, wie viele seiner Collegen, mit der Abweichung allerdings, daß er eine ganz eigene Art zu sprechen hat. Er pflegt nämlich jeden ausgesprochenen Gedanken mehrmals zu wiederholen, um ihn den Kunden wohl einzuprägen, oder wohl auch, weil ihm just kein neuer Gedanke einfällt. Es ereignete sich beispielsweise, daß ein Kunde die Bemerkung machte, es beginne draußen zu schneien. Hierauf antwortete Herr Liepold nach einem flüchtigen Blicke durch die Glasthür: »Ja, wenn das Kukuruz (Mais) wäre!« Und nach einer Weile sagte er wieder: »Ja, wenn das Kukuruz wäre!« wobei er dem Kunden zunickte, um anzudeuten, daß in dem Falle, als Kukuruz, anstatt Schnee vom Himmel fiele, ein bedeutender Wohlstand auf Erden eintreten würde. Dann sagte er es noch einmal in einem gewissen schmachtenden Tone, der ausdrücken sollte, es sei ja leider nicht daran zu denken, daß seine Bemerkung je einen praktischen Werth haben könnte. Nun hielt sich endlich der Gehilfe, welcher damit beschäftigt war, Haare in einen gespannten Faden einzuflechten, für berechtigt, des Meisters Wort aufzugreifen, indem er vor sich hinseufzte: »Ja, wenn das Kukuruz wäre!« Der Meister warf ihm einen geringschätzigen Blick zu, sagte aber nichts, da es ihn innerlich doch freute, daß der Gehilfe keine selbständigen Einfälle hatte.

Zu Beginn der Weihnachtszeit befestigte Herr Liepold in seinem Schaufenster einen Zettel mit der Ankündigung: »Das passendste Weihnachtsgeschenk ist ein Haarzopf und hier ist eine große Auswahl davon zu den billigsten Preisen zu haben.« Das ganze Schaufenster war mit üppigen Flechten behangen, auch die drehbare Wachspuppe trug einen gelbblonden Zopf, und es schien, daß sie sich blos aus Neugierde, dieses Meisterwerk zu besichtigen, fortwährend um ihre Achse drehe. Aber das eigentliche Weihnachtsstück war eine lange Flechte aschblonden Haares, welche Herr Liepold nicht oft genug mit den Fingern durchwühlen konnte, indem er dabei stets in einen Ruf der Bewunderung ausbrach: »Eine Venus war sie!« was er natürlich immer dreimal sagte.

– »Wer denn?« fragte der Gehilfe endlich, als der Meister wieder in solches Entzücken versank.

– »Das Mädel,« erwiderte Herr Liepold: »hab' noch nie eine so schöne Leich' g'sehn.«

– »Eine Leich'?« stotterte der Gehilfe: »Sie haben die schönen Haar' von einer Leich' herunterg'schnitten, und das soll ein Weihnachtsgeschenk sein?«

– »Ja natürlich,« versetzte der Meister unwillig; »man nimmt's, wo man's kriegen kann; der alten Mutter haben die zwanzig Gulden recht wohl gethan, und das todte Mädel hat ihre Haare weniger 'braucht, als ein lebendiges.«

– Der Gehilfe erwiderte nichts, aber er widmete der Angelegenheit ein tiefes Nachsinnen, in welchem er auch dann noch verharrte, als er sich nach Geschäftsschluß in das geheimnisvolle Hinterzimmer begab, wo sein Lager aufgerichtet war. Es ward stille um ihn her, so daß er das Ticken der Pendeluhr aus dem Geschäftslokale hörte, und die Schritte der wenigen Vorübergehenden zählen konnte, bis sie in der Ferne verhallten. Er warf sich auf sein Lager und verlöschte das Licht. Kaum war dies geschehen, so hatte er eine eigenthümliche Vision. Das Gemach erhellte sich mit einem Male von den Strahlen vieler Wachskerzen auf einem Christbaum, der mit seinem Wipfel durch die Decke zu dringen schien. Ein seltsamer Aufputz hing an dem Baum. Anstatt der vergoldeten Nüsse und Aepfel baumelten die verschiedenartigsten Perrücken von den Aesten herab, anstatt der papierenen Ketten schlangen sich blonde, braune und schwarze Haarzöpfe von Ast zu Ast und hoch oben prangte, den ganzen Baum schleierartig umhüllend, die schöne aschblonde Flechte. Die Wachskerzchen strömten einen merkwürdigen Geruch aus und summten einen klagenden Ton wie der Herbstwind, wenn er über bepflanzte Gräber streicht. Plötzlich flackerten die Lichtlein, und rauschte es in dem Baume wehmüthig auf. Eine durchsichtige Erscheinung schwebte in das Zimmer, eine Gestalt von dämmerhaften Umrissen, aber zweifelsohne die eines Mädchens in langem, weißen Gewande mit verhülltem Haupte. Ein Seufzer durchzitterte das Gemach, und sich langsam höher hebend, ohne daß das weiße Gewand den Boden verließ, langte die geisterhafte Mädchengestalt nach den aschblonden Flechten auf dem Christbaume, erreichte sie mit einer schmalen, wächsern aussehenden Hand und befestigte sie auf ihrem Hinterhaupte. Nun warf sie das Laken von sich und stand da im Glanze einer überirdischen Schönheit, die großen blauen starren Augen auf den entsetzten Gehilfen gerichtet. Einen Augenblick später heulte ein Windstoß unheimlich durch das Zimmer und der Christbaum, das schöne todte Mädchen und das Geisterhaar waren verschwunden. Tiefe Finsternis umwallte den ohnmächtigen Gehilfen.

*

– »Binden Sie uns doch keine Geistergeschichten auf,« sagte der Vorsitzende zu dem Angeklagten Patzek. »Ihr Meister beschuldigt Sie, ihm einen Zopf im Werthe von mindestens dreißig Gulden entwendet zu haben. Der Zopf ist weg, das ist Thatsache, aber es findet nach der Anklage seine sehr natürliche Erklärung.«

– »O, Herr kaiserlicher Rath, es giebt Dinge zwischen Himmel und Erde ... mein Herr Meister hat das immer gesagt, daher hab' ich mir's gemerkt, denn er sagt alles so oft, daß man sich's merken muß. Und fragen's ihn nur, was ich ihm gleich am andern Tag erzählt hab? Man hat mich ja laben müssen in der Früh.«

– »Wahrscheinlich haben Sie Ihrem Meister dieselbe Spukgeschichte erzählt, wie eben uns. Er ist leider nicht hier, da er erkrankt ist. Bestehen Sie auf seinem Erscheinen? Wenn ja, so muß die Verhandlung vertagt werden.«

– »Freilich, freilich, wie kann ich unschuldig für ein' Geist aus dem Jenseits leiden, der nit will, daß seine Haar' als Weihnachtsgeschenk verkauft werd'n.«

Und dabei blieb er, nichts konnte ihn davon abbringen.

* * *


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