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Eine fidele Verhaftung.
An dem Gartenzaun vor Korbs Kaffeehaus nächst dem Landesgerichte lehnten zwei Männer. Wenn sie hier Schutz vor dem niederströmenden Regen suchten, so war die Stelle ziemlich schlecht gewählt. Der Wind schüttelte die Baumkronen über ihren Häuptern, daß ganze Wasserfälle auf sie niederstoben und er pfiff ihnen hier so derb um die Ohren wie nur irgendwo. Allein es schien, als ob die beiden Männer dem Aufruhr in der Natur nicht die mindeste Aufmerksamkeit schenkten und als ob ihre Stimmung dadurch ganz und gar nicht verdüstert würde. Sie blickten aus der sie umgebenden Dunkelheit nach den hell erleuchteten Fenstern des Kaffeehauses, in welchem zu dieser Abendstunde wie gewöhnlich ehrsame Bürger der Josephstadt ihrer Tarokpartie oblagen, und es machte den Eindruck, als ob sie unter denselben einen Bekannten zu finden hofften.
– »Mir scheint ... er is net da,« sagte der Jüngere von den Beiden, nachdem er einen höchst lästigen Schluckenanfall niedergekämpft hatte. »Warten m'r drin, Herr Collega.« Damit ergriff er den Arm des merkwürdig unbehilflichen Herrn Collegen und Beide traten in das Kaffeehaus.
Es zeigte sich hier, daß die Herren in ein feierliches Schwarz gekleidet waren, dessen Wirkung nur einigermaßen durch den Umstand beeinträchtigt wurde, daß die Beinkleider bis zu den Knien mit Koth bespritzt waren und die Cylinderhüte unter dem Einflusse des Regens die unglückliche Form von Seihfilzen angenommen hatten. Die zwei sonderbaren Gäste verlangten Kaffee und starken Rum – zur »Erfrischung«, wie sie sagten. Als der Marqueur ihnen diese Erfrischungen vorsetzte, fragte der Aeltere mit schwerer Zunge:
– »Hab'n's den Grafen Lamezan nicht g'seh'n?«
– »Nein,« versetzte der Marqueur verwundert.
– »Schad', recht Schad',« lallte der Jüngere und ließ seine ungemein glasigen Augen im Lokale herumschweifen. »Aber vielleicht is ein Diener von der Staatsanwaltschaft da. Wissen's, wir möchten uns heut' noch gerne vorstell'n und hätten das gerne dahier gethan, es is freundlicher als Oben ... Wie is denn das eigentlich, wenn jemand – versteh'n's mich gut – nehmen wir den Fall an, er will gleich dort bleiben ... Na ja, das kann doch vorkommen, nicht wahr? Also was geschieht da? ...«
– »Hörn's auf,« unterbrach ihn der Andere, »das sind weltbekannte Sachen; aber vielleicht, Schätzbarster, haben Sie reden gehört, wie die Verpflegung ist und die Bewegung in frischer Luft ... man hört darüber so Manches in der Nachbarschaft. Stellen Sie sich's angenehm vor, oder wie? Schauen's, wenn Sie einen Diener von der Staatsanwaltschaft rufen möchten, das wär' schön von Ihnen. Sagen's, es sind zwei Herren da, die ein pressantes Anliegen haben.«
Der Marqueur vermochte die Wißbegier der beiden Gäste nicht zu befriedigen, sondern gab ihnen, etwas mißtrauisch geworden, den Rath, die gewünschten Erkundigungen an Ort und Stelle einzuziehen.
– »Es wird uns nichts überbleiben, als selber hinaufzugehen,« sagte der Jüngere und griff nach seinem Hute.
– »Halt!« rief der Zweite und zog seinen Collegen vor den Spiegel, »in dem Zustande können wir uns nicht sehen lassen. Wir müssen uns wenigstens die Haar' ein bissel richten.«
Sie blieben Beide vor dem Spiegel, kämmten einander sorgfältig das Haar und brachten sonstige Verbesserungen an ihrer Toilette an. Dann verließen sie Arm in Arm das Kaffeehaus und begannen, wieder beim Gartenzaun angelangt, mit köstlichem Frohsinn das Lied zu singen:
»Aber so Zwa, wia mir Zwa,
Dö giebt's schon net bald ...«
Immer noch den Refrain dieses Liedes auf den Lippen wankten sie hinein unter den düsteren Thorbogen des Seitenflügels vom Landesgerichtsgebäude, schritten höflich grüßend an der Wache vorüber und die Stiege aufwärts in den Corridor der Staatsanwaltschaft. Dem ersten Aufseher, dem sie begegneten, präsentirten sie sich mit den Worten: »Sind's so gut, arretirn's uns, mir sein zwei Defraudanten!« Der Aufseher ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern führte die beiden fidelen Defraudanten alsbald zu dem diensthabenden Staatsanwalte, welcher nach kurzer Thatbestandsaufnahme ihre Verhaftung anordnete. Es waren zwei Steueramtsbeamte von Sechshaus, welche sich auf diese Weise selbst gestellt hatten, nachdem sie zuvor bemüht gewesen waren, ihren Gemüthern durch ausgiebigen Trunk den schweren Gang in heiterer Färbung erscheinen zu lassen. Noch auf dem Rückwege von dem Bureau des Staatsanwaltes summten sie, ein bekanntes Wiener Lied auf ihre Lage anwendend:
»Uns hab'n's g'halt'n, uns hab'n's g'halten
Aber desweg'n is no' gar nix verlor'n ...«
Klirrend that sich plötzlich die eiserne Gefängnisthüre vor ihnen auf. Da schien ihnen zum Bewußtsein zu kommen, was sie alles verloren hätten. Der Rausch und mit ihm die künstliche Heiterkeit verflogen in einem Augenblicke und die beiden Gefangenen empfanden nun erst ihre wahre Lage. Nur zögernd betraten sie die Schwelle des Kerkers und ihren Augen entstürzten heiße Thränen.
Das Landesgericht ist kein fideles Gefängnis! ...
* * *