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Zwei Spezi

Freunde.

Zum Kapitel der Wiener Gemütlichkeit.

Es hieße vorschnell urteilen, wenn man behaupten wollte, Herr Johann Horner, bürgerlicher Spirituosenerzeuger, sei Herrn Georg Ritter, welcher einen schwunghaften Handel mit Schweinen betreibt, an Stärke überlegen. Richtig ist nur, daß die beiden breitschultrigen und rotbackigen Kämpen in einem Gasthause ein wenig aneinander gerieten, und daß Herr Ritter bald darauf vor dem Polizeikommissär des Bezirkes Landstraße in einem Zustande erschien, welcher jedem Menschenfreunde Mitleid und Grauen einflößen mußte. Er befand sich indes in keiner sonderlichen Aufregung als er zu Protokoll gab, er habe aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Wege hieher irgendwo sein linkes Auge verloren, welches von Herrn Johann Horner im Gasthause durch einen Faustschlag etwas gelockert worden. Es schien, als wollte Herr Georg Ritter weniger eine Beschwerde wegen erlittener Mißhandlungen, als eine Verlustanzeige hinsichtlich seines linken Auges einbringen und einen Finderlohn dafür aussetzen. Belehrt, daß er das Auge noch besitze, wenn auch bis zur Unkenntlichkeit entstellt, entfernte er sich wieder, um nach seinem Gegner Ausschau zu halten, bezüglich dessen er sich schmeichelte, daß derselbe den Kampfplatz mit zwei gebrochenen Rippen verlassen habe. Wir wissen nicht, ob Herr Ritter diese tröstliche Mutmaßung bestätigt fand, und es muß daher für jedermann, der unparteiisch und nur nach sorgfältiger Erwägung aller Umstände zu urteilen gewohnt ist, vorläufig unentschieden bleiben, welcher von den beiden den andern kräftiger zu prügeln verstanden.

Herr Ritter vergaß vollständig darauf, daß sein damaliges Erscheinen vor der Polizei eine Anklage gegen Horner wegen körperlicher Verletzung zur Folge haben werde, und er ermangelte nicht, seinem Erstaunen über die Vorladung zu dem Bezirksgerichte Landstraße den entsprechenden Ausdruck zu geben.

– »Entschuldigen, Herr Rath«, – sagte er zu dem Richter – »das muß a Irrtum sein. Da in der Schrift, die i kriegt hab', heißt's, i soll gegen den Horner als Beschädigter auftreten, weil er mi' aufs Aug' g'haut hat. Fallt mir gar net ein, kaiserlicher Herr Rat, da schauen's her, mein Aug' is wieder so schön wie ehnder, und i und der Horner san wieder die besten Spezi, g'rad so wie ehnder. Wir werd'n do net weg'n an klan Dischputat ewi' an Pick Haß. aufeinander hab'n?«

– »Der Geklagte Horner ist leider nicht erschienen«, bemerkte der Richter.

– »Ja, freili is er net da«, erwiderte breit schmunzelnd Herr Ritter, »er sitzt unten im Wirtshaus und wart' auf mi. Geh' auffi, hat er g'sagt, und mach' die G'schicht ab, weil's d' hast damals weg'n der Kleinigkeit auf die Polizei geh'n müssen. Alsdann, Herr Rat, i will nit, daß ihm was g'schicht und auf mi kommt's doch an.«

– »Keineswegs; die Anklage ist von dem staatsanwaltlichen Funktionär erhoben worden. Holen Sie augenblicklich den Horner herauf.«

Der dicke Mann folgt kopfschüttelnd dem richterlichen Befehle, und nach einer Weile keucht Herr Horner zur Thüre herein, doch allein. »Der Ritter wart' auf mi unten in Wirtshaus, Herr Rat«, meint er und sucht über den ganzen Fall scherzhaft hinwegzugehen, indem er der Überzeugung Ausdruck giebt, es habe niemand das Recht, seine Bestrafung zu verlangen, als der unten im Wirtshause sitzende Ritter, und dieser sei vielmehr eben im Begriffe, ihm eine Maß Wein zu zahlen. Herr Horner wird von dem Richter eines anderen belehrt und strenge aufgefordert, sofort Herrn Ritter herbeizuschaffen. Dem Angeklagten will die Sache durchaus nicht einleuchten, und es ist nun an ihm, kopfschüttelnd abzugehen, um den Freund zu holen. Die beiden bleiben ziemlich lange aus, was Herr Horner damit entschuldigt, daß sein hochgeschätzter Freund inzwischen ein zweites Wirtshaus aufgesucht hatte. Aufgefordert, Zeugenschaft abzugeben, und an die Heiligkeit dieser Funktion gemahnt, ist Herr Ritter zu seinem maßlosen Verdrusse gezwungen zu bestätigen, daß die brüderliche Rechte seines Freundes Horner allerdings im Laufe eines eifrigen Gespräches mit seinem Auge in Berührung gekommen sei; allein er finde sich veranlaßt, den Richter auf einen Fehler dieses Auges aufmerksam zu machen, welcher demselben seit der Geburt anhafte. Es blute nämlich ungemein leicht, und es wäre somit eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn er sagen würde, daß sein Freund Horner ihm eine der Rede werte Verletzung zugefügt habe. Dessen ungeachtet lautet das Erkenntnis des Richters auf eine Geldstrafe von zehn Gulden.

– »Aber, Herr Rat«, entgegnet der Angeklagte Horner, »wie kann denn i a Straf' annehmen, wo mein Freund nix davon wissen will?«

– »Er hat recht«, sagt Herr Ritter, »wie kann denn er a Straf' annehmen, wo i alles vergeb'n und vergessen hab'?«

Als diese Einwendungen fruchtlos bleiben und Herr Horner endlich erklären soll, wann er die Geldbuße zu bezahlen gedenke, schneidet ihm Herr Ritter mit einem »Pscht« das Wort ab, krabbelt in einem ungeheuer tiefen Sacke seines Winterrockes nach einer großen rotledernen Brieftasche und nimmt aus derselben eine Note zu zehn Gulden.

– »Herr Rat«, sagt er, die Note auf den Tisch legend, »wann's amol nix nutzt, so zahl' i die zehn Gulden für ihn; 's nit mehr als recht und billig so, weil er weg'n meiner den g'richtlichen Anstand g'habt hat.«

– »Das ist eigentlich nicht in der Ordnung«, erwidert der Richter, mit Mühe seinen Ernst bewahrend. »Die Strafe sollte der Verurteilte selbst bezahlen.«

– »Na, denken's Ihnen halt, i hätt's ihm g'liehen und er hätt's selber daher g'legt.«

Der edelmütige Ritter nahm nach diesen Worten seinen Freund unter dem Arm und verließ mit ihm das Amtszimmer. In der gesamten Zuhörerschaft dämmerte die Vermutung auf, daß die beiden Spezi jetzt den Weg nach einem dritten Wirtshause einschlagen würden.

* * *


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