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Lichtbild eines Vagabunden.
Das lohnte einmal der Mühe. Ein so heiterer alter Bursche hatte schon lange nicht den Weg zu Gericht gefunden. Da stand er in einem langen abgeschabten, schwarzen Rocke, in transparenten Stiefeln, mit auswärts gebürstetem, dünnem Haar und einem mächtigen ins Graue spielenden Knebelbarte, der jeder Bewegung des Unterkiefers folgte, wie beim schwatzhaften Barbier auf dem bekannten, durch ein Uhrwerk in Lebendigkeit versetzten Bilde in Spielwaarenhandlungen. Und der Knebelbart kam aus seinen Schwingungen nur selten zur Ruhe, denn Dominik Fogarassy, der Angeklagte, schien es darauf angelegt zu haben, so lange zu reden, bis die Richter darauf vergessen würden, ein Urtheil wider ihn zu schöpfen. Unter den seltenen Rechtsfällen, namentlich unter den Justizmorden, welche je vorgekommen, befindet sich, wenn wir dem eifrigen Redner Glauben schenken dürfen, keiner, welcher einen Vergleich aushielte mit dem himmelschreienden Unrecht, welches die Gerichtsbarkeit eben wieder an ihm zu begehen im Begriffe stehe. Während er sich mit größter Gewißheit erinnern könne, Photograph zu sein, hätten sich einige Detectives der niedrigen Meinung hingegeben, er sei ein Bettler und Vagabund; während er von einem Unbekannten die gefälschten Documente, die dort auf dem Gerichtstische liegen und Gegenstand der Anklage sind, in Klosterneuburg harmlosen Sinnes übernommen habe, behaupte man, er selbst habe sie gefälscht, er, Einer der Tausend von Marsala, der ganz verfluchte Geschichten erzählen könnte von Garibaldi und Victor Emanuel, wenn er nur wollte; während er Stipendist einer Spiritisten-Sozietät sei, wolle man ihn durch die Verbreitung beunruhigender Gerüchte über seine Subsistenzlosigkeit an Ehre und Charakter schädigen und gewissermaßen als Waare für das Landesgericht behandeln! Er müsse sich wirklich wundern, daß die Regierung ein derartiges Vorgehen dulde, durch welches ein wackerer Patriot, wie er, für immer seinem Vaterlande entfremdet werden könne. Jener unbekannte Schurke von Klosterneuburg, jener Feigling und Missethäter möge hier den Platz des Angeklagten einnehmen, nicht aber Dominik Fogarassy, ein allgemein geachteter, wenn auch minder bemittelter Staatsbürger.
Der Vorsitzende erachtete jetzt die Gelegenheit für günstig, den geachteten Staatsbürger an eine sechsjährige Kerkerstrafe zu mahnen, die derselbe wegen Diebstahls in München verbüßt hatte. Allein, es gelang ihm nicht, den maulfertigen Landstreicher dadurch aus der Fassung zu bringen.
– »A Kleinigkeit,« rief dieser mit einer wegwerfenden Handbewegung aus, »wissen Sie denn auch, ob ich schuldig war?«
Der Vorsitzende ging ihm nun noch stärker zu Leibe, indem er einen auf den Namen Frimont gefälschten Paß vorwies, in welchem der österreichische Consul in Alexandrien angeblich bestätigte, daß dem Photographen jenes Namens die gesammte Habe dortselbst verbrannt sei. Diesem Falsificate folgten andere gefälschte Documente, darunter nachstehendes, in köstlichem Latein abgefaßtes und mit dem nachgemachten Sigill der Dompfarre Laibach versehenes Schriftstück:
» Testimonium.
Hisce litteris testamur dominum Dominic von Frimont prius Militom in Custodia ejus Sanctitatis Papae Pii IX. et Leonis XIII. praesentim Photo- et Littographum Omnoasua documenta et testimonia in magno incendio »zum Löwen« 29. Aprilis 1883 estito amississe. Nos propterea hoc testimonium quia eadem priedie vidimus cumendamus praescriptum Omnibus fratribus nostris ac quobenefactoribus Christianis.
Labaci die 29. Aprilis 1883.«
– »Damit wollten Sie offenbar in den Klöstern als Abbrandler betteln?« meinte der Vorsitzende, mit Mühe ernst bleibend.
– »Ganz richtig, das war für die Pfaffen,« versetzte der Angeklagte, »aber nicht von mir, sondern von dem unbekannten Schuft, der mir's in Klosterneuburg dictirt hat, um mich einzufädeln. Die andern Siegeln und Documenten gehören zu meiner Sammlung.«
– »Ah, also Sie sind ein Sammler von Falsificaten?«
– »Leidenschaftlich. Wie Andere Käfer sammeln, so hab' halt ich eine Passion für solche Sachen. Is man deswegen schon ein Verbrecher? Wenn Einer ein' ganzen Waffensaal gesammelt hat, is er deswegen schon ein Räuber? Han? Ein Künstler, wie ich, darf solche Leidenschaften haben. Ich bin zu Haus in der Physikalie, Astronomie und Physigonologie. Ich kurir' Alles. Haben's vielleicht die Gicht, Herr Rath? Oder sind Sie rheumatisch? Mit zwei Bädern kurir' ich Ihnen.«
Er nahm eine Prise, als ob er die sofortige Bestellung eines derartig heilkräftigen Bades erwartete. Anstatt dessen fragte ihn der Vorsitzende blos, ob etwa auch das Lotteriespiel zu seinen Leidenschaften gehöre?
– »Nur einmal alle Jahr, Herr Rath,« erwidert er in lebhaftem Tone; »und nur nach meiner Mondberechnung. Das letzte Mal hab' ich die Mondregel verfehlt; jetzt muß ich warten bis zum October. Aber ich kann Ihnen sagen, was in hundert Jahren für ein Mondviertel ist, das wissen Sie nicht, darauf wett' ich.«
– »Ambo, Extratto, Terno,« sagte der Vorsitzende, in Lotterie-Riscontis blätternd. Der Angeklagte eilte, freudig bewegt, zum Gerichtstische. »Terno? Ein Terno hab' ich g'macht und das sagen Sie mir jetzt erst?«
– »Nein, ich meine, gesetzt haben Sie auf Terno secco.« – »Ui Jegerl,« seufzte der Vagabund und setzte sich enttäuscht wieder auf seinen Platz. Er verhielt sich jetzt schweigsam und ruhig, da er sich den Hauptschlag für die Urtheilspublication aufsparte. Als diese erfolgte und wegen versuchten Betruges und Falschmeldung auf sechs Monate Kerkers, sowie Abschaffung aus Wien lautete, sprang er mit einem Satze auf und schrie:
– »Was? Mir so was? Wenn alle Dieb' so saudumm wär'n wie ich, wär Wien in größter Sicherheit. Schon Salomo hat gesagt: Lieber 99 Schuldige laufen lassen, als einen Unschuldigen verurtheilen – und ich bin dieser Hundertste.«
– »Hätten Sie nicht schon sechs Jahre gehabt, so würden Sie vielleicht nur einen Monat bekommen haben.«
– »Ah, das hätt' ich mir auch g'fallen lassen,« sagte der alte Vagabund beifällig. Nach längeren Versuchen, etwas von der Strafe herunterzufeilschen, entschloß er sich endlich zum Antritte derselben. Gesenkten Hauptes schritt er vor dem Justizwachmann zur Thür, blieb aber hier plötzlich stehen und rief nach Art des lydischen Königs auf dem Scheiterhaufen noch zweimal einen Namen: »O Salomon, Salomon!«
Dann wandte er sich zurück an die Richter, um sich von denselben mit den Worten: »Ich habe die Ehre, meine Herren!« und einer Verbeugung zu empfehlen, welche in würdiger Weise dem begreiflichen Selbstgefühle eines Mannes Ausdruck verlieh, der nicht allein Salomo's Hundertster, sondern auch Marsala's Tausendster gewesen.
* * *