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Der Graf Mondega

Eine italienische Strafgesetz-Novelle.

Das Genußreichste nebst der Veroneser Salami ist unstreitig eine Veroneser Nacht. Wenn die vielhundertjährigen Cypressen im Giardino Giusti schweigend zum Himmel blicken, als hätten sie nie reden gelernt; wenn die Etsch im Wiederscheine der Sterne glitzert wie ein wasserreicher Strom; wenn die Arena gigantische Schatten wirft, um sich darin abzukühlen, und ein sanfter Zephir sein Quos ego säuselt: – dann fühlt der Fremde erst, wie bedauerlich es wäre, wenn im Reiche Italien die Sonne nie unterginge. In einer solchen unbeschreiblich südlichen Nacht war es vor siebzehn Jahren, als eine männliche Gestalt sich in den Giulietta's Grab bergenden Klostergarten schwang. Wäre der Garten nicht so menschenleer gewesen, so hätte gewiß irgend jemand erkannt, daß der nächtliche Besucher nicht der Herr selbst, sondern nur der vertraute Diener seines Herrn sei.

Kaum hatte der Diener einige Schritte gemacht, als er stolperte. Pietätvolle Hände hatten nächst der Tomba di Giulietta eine Kegelbahn errichtet und der Laden derselben war die Ursache des Strauchelns. Der vertraute Diener unterdrückte mühsam einen großen Fluch und näherte sich dann leisen Schrittes, vorsichtig nach allen Seiten ausspähend, Juliettens Sarkophag. Der steinerne Trog, welcher diesen Namen trägt, war leer; nur etwas Feuchtigkeit in seinem Grunde verriet, daß des Grabmals Hüterin vor drei Stunden etwa ihr jüngstes Kind darin gebadet hatte. Welch' merkwürdig Schicksal diesem Sarge aus Stein doch beschieden ist! Ursprünglich soll er die irdischen Überreste eines Kindes der Shakespear'schen Muse umschlossen haben, später zappelte das Kind der Hüterin in demselben, und wieder war es ein Kind, das der geheimnisvolle Eindringling jetzt in seine Tiefe legte nebst einem Zettel, auf welchem die italienischen Worte standen:

»Ein Vater diesem Kind gebricht
Auch keine Mutter hat es nicht.«

Darauf verschwand er, der Elende. Die blühenden Akazien dufteten dem armen Kinde ein Schlummerlied und die Nachtviolen seufzten in den schmerzlichsten Farben ob des in dieser veronesischen Nacht Geschehenen ...

Wenden wir unsere Blicke hinweg von diesem Verbrechen der Kindesweglegung nach § 149 des österreichischen Strafgesetzes und versuchen wir es, in die Umstände Einblick zu gewinnen, welche die Veranlassung zu demselben gebildet haben mögen.

In einem halbverfallenen Palazzo zu Verona hauste der Graf Francesco Cornaro, dessen Stammbaum indes keine Verwandtschaft mit der gegenwärtig in der Berliner National-Galerie aufgehängten Katharina Cornaro aufweisen konnte. Von seinen im Dienste Venedigs gestandenen Ahnen waren leider im Kampfe gegen die Türken nur wenige getötet, so viele aber gefangen worden, daß die Familie infolge der heillosen Lösegelder gänzlich verarmte. Graf Francesco lebte sehr zurückgezogen in einem einzigen Zimmer seines Palazzo, wohin er sich hatte zurückziehen müssen, weil die anderen im höchsten Grade baufällig waren. Sein einziger Diener Gaetano schlief im Keller, um zehn Flaschen Vino Chianti zu bewachen, welche seit 150 Jahren in der Familie seines Gebieters ein Fideikommiss bildeten. Nur selten verließen Herr und Diener den sogenannten Palast. Beide waren finster und schweigsam, unzugänglich für jeden Verkehr.

Eines Tages brachte ein junges weinendes Mädchen eine große, schwere Schachtel, in deren Deckel mehrere Luftlöcher geschnitten waren. Das Mädchen verschwand eiligst wieder, nachdem es zu Gaetano gesagt hatte: »Meine Schwester Lucia kann nicht selbst kommen, sie ist gestorben.« Gaetano erklomm das Zimmer seines Herrn und öffnete dort auf dessen Geheiß die Schachtel. Ein einstimmiger zweistimmiger Schrei erschütterte auf höchst bedenkliche Art das Gemach. Ein neugeborenes Kind lag da. Es trug deutlich die Züge des Grafen Francesco. So mußte der Graf auch ausgesehen haben, als er sich in so zartem Alter befand.

»Signor Conte?« hauchte fragend Gaetano. Der Graf brauste, wie auf einer Schwäche ertappt, auf.

»Kümmere dich um deine Sachen«, herrschte er den Diener an, »und schaffe mir das Bambino vom Halse, gleichgiltig wohin. Gieb es in Pflege und wenn es mich fünfzig Lire jährlich kosten soll!«

Gaetano wagte es, noch eine Bemerkung zu machen, allerdings mehr für sich, als für das Ohr seines Herrn berechnet: »Signor Conte ist doch immer so solid zu Hause gewesen und fast niemals ohne mich ausgegangen?«

» Maledetto schiavo?« rief der Graf wütend und erhob die Hand.

Gaetano fühlte sich durch diese Handbewegung verabschiedet, nahm das Kind und ging.

Wer nach diesem Vorgange noch daran zweifelt, daß Gaetano der vertraute Diener war, welcher in jener Nacht das Grabmal Julia's aufsuchte, der ist entschieden unbescheiden in seinen Ansprüchen an eine Novelle.

*

O wunderbare Lösung eines festgeschürzten Knotens!

Vor einem Senat des Wiener Landesgerichts stand ein siebzehnjähriger Jüngling, Namens Karl Wolfinger; nur ein Bäckerlehrling vorläufig, aber nach seiner Versicherung der Erbe eines gräflichen Namens. Er behauptet nämlich, von dem Bruder des längst verstorbenen Grafen Cornaro, dem Grafen Luigi von Mondega als Neffe agnosciert und als Sohn adoptiert worden zu sein. Graf Mondega habe ihn eines Tages im Rathauspark scharf ins Auge gefaßt, sei dann auf ihn zugestürzt und habe, ihn umarmend, ausgerufen: Du bist der Sohn meines Bruders, Francesco Cornaro. Bis dahin war der Jüngling der Sohn armer Schustersleute gewesen, und es ist ihm auch nicht bekannt geworden, auf welche Art er von Verona nach Wien und in Pflege derjenigen gekommen, welche ihn bis jetzt als ihr eigenes Kind betrachteten und noch erklären, daß sie alle Ursachen hätten, ihn als solches anzusehen. Für ihn sei beweismachend folgende unter seinen Effekten befindliche Testamentsabschrift, welche er von dem Grafen Mondega eines Tages erhalten habe. Dieselbe lautet wörtlich:

»Testamentalische Abschrift!

Hiermit erkläre ich, daß der am 6. August 1867 zu Verona in Italien geborne Sohn meines Bruders Francesco Cornaro von mir unter heutigem Dato adoptiert ist – zugleich vermache ich ihm ein Kapital von 180,000 Lira, welches Zins auf Zins anwachsen und von Graf Karl Mondega zur Zeit seiner Volljährigkeit bei dem königl. Obergerichte zu Verona, wo dasselbe deponiert ist, in Empfang genommen werden soll. Falls Graf Karl Mondega zur Zeit verheiratet ist, oder sich zu verheiraten gedenkt, so ist es mein Wunsch, daß ihm nur die Zinsen eingehändigt werden, während das Kapital für die Kinder seiner Ehe stehen bleibt und ihm nur der Nießbrauch desselben bis zur Volljährigkeit der letzteren zugestanden wird.

Verona, 12. Februar 1883.
Graf L. v. Mondega.

Nachschrift: Dieses Dokument ist urkundlich und untersiegelt auf dem königl. Obergerichte zu Verona deponiert.«

Der junge Graf, Erbe eines solchen Namens und Vermögens, hatte sich leider hinreißen lassen, einer Zimmerfrau seiner Mutter ein Sparkassebuch über 47 Gulden zu stehlen. Er wurde deshalb zu vier Monaten Kerkers verurteilt. Dies schien ihn indes weniger zu kränken als eine Reihe von Bemerkungen des Staatsanwaltes, aus welchen hervorging, daß derselbe weit geneigter sei, den Jüngling für einen ausgemachten Galgenstrick, als für einen Abkömmling der erlauchten Familie Mondega zu halten. Es giebt eben keine Romantik mehr!

* * *


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