Franz Pocci
Lustiges Komödienbüchlein
Franz Pocci

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweite Abtheilung.

Weihnachtsmorgen.

Frau Werner. Hab' ich doch die ganze Nacht kaum schlafen können! Der Vergleich meiner jetzigen Armuth mit früherer Wohlhabenheit beschäftigte bei dieser Weihnachtsfeier wieder so lebendig mein Inneres – und, Gott weiß es, nicht um meinetwillen, nein! nur meines Ludwigs wegen! (Es schellt an der Hausglocke.) Wie? hört' ich recht? Wer kann so früh am Tag zu mir wollen? – (Geht durch die Mittelthüre hinaus, die sie offen stehen läßt) Wer schellt? –

(Stimme von außen) Ich habe ein Paket abzugeben an den kleinen Ludwig Werner.

Frau Werner. An meinen Sohn? Von wem?

(Stimme) Werden's schon sehen. (Man hört die Hausthüre zufallen.)

Frau Werner (mit einem Paket in der Hand wieder eintretend.) Wirklich ein Paket an Ludwig. Sollte Jemand ihm die Freude gemacht haben, eine Weihnachtsgabe zu schicken? Ich wüßte wirklich nicht, wer es sein könnte. – Einerlei – ihm selbst will ich die Überraschung lassen, es zu öffnen; nun zünde ich am Weihnachtsbaum die Kerzchen an und lege die räthselhafte Gabe hin. (Ruft hinein) Ludwig, Ludwig! mache dich fertig und komme, Christkind! war diese Nacht über da und hat dir Bescheerung gebracht.

Ludwig (von Innen.) Juhe, Juhe! ich bin schon angekleidet, nur noch die Schuhe!

Frau Werner. Ich muß gestehen, daß mich die Neugier wirklich in Versuchung führen könnte, diese geheimnisvolle Sendung zu besichtigen.

Ludwig (hereinspringend, nimmt Frau Werner um den Hals.) Guten Morgen, liebe Mutter! – Ah! sieh' da, das schöne Bäumchen! (Tritt an den Tisch.) Acht Äpfel daran und zwei Lebkuchen, und – was liegt denn da nebenan? Gehört das Paket auch dazu?

Frau Werner. Es ward diesen Morgen schon hieher gebracht und die Adresse lautet an dich.

Ludwig. Wie, an mich? – ja von wem denn, liebe Mutter?

Frau Werner. Das muß sich zeigen, wenn du geöffnet hast.

Ludwig. Mütterl, Mütterl! das ist eine Ueberraschung vom Christkindl! Gewiß, gewiß!

Frau Werner. (scherzend.) Nun, so löse das Siegel des Geheimnisses! Ich wollte dir nicht vorgreifen.

Ludwig. (öffnet das Päckchen und nimmt ein Buch heraus.) Sie ist's, sie ist's, Mutter! (freudig springend)

Frau Werner. Wer ist's, wer?

Ludwig. Nun die Bilderbibel, die ich mir vom Christkindlein erbeten habe.

Frau Werner. Ich verstehe dich nicht; wie meinst du das?

Ludwig. O lieb Christkindl, tausend, tausend Dank! (Er herzt das Buch.) Ja, liebe Mutter, jetzt weiß ich gewiß, daß das Jesuskind überall ist, daß es gerne erfüllt und gibt, wenn man es recht inständig bittet.

Frau Werner (nimmt das Buch.) Hast du dir denn diese schöne Bilderbibel gewünscht?

Ludwig. Höre, Mutter! Als du gestern Abends ausgegangen warst, habe ich an das Christkindchen einen Brief geschrieben und darin um eine schöne Bilderbibel gebeten, wie wir schon eine hatten, als der Vater noch lebte, und hab' mein Briefchen zum Fenster hinausfliegen lassen. Da haben es wohl die Engel an seinen Ort gebracht; denn siehst du, hier ist die Erfüllung.

Frau Werner. Wahrhaftig – das ist ja beinah' ein Wunder! (für sich) Fürwahr, ich weiß nicht, was ich davon halten soll!

Ludwig. Du selbst hast mir ja schon oft gesagt, daß wer recht herzlich und innig bittet, vom lieben Gott gehört wird. Und wenn Du Etwas sagst, liebe Mutter, so weiß ich, daß es wahr ist! – Jetzt erlaube mir, daß ich mich mit meinem Freund Casperl in die Schlafstube setze und mit ihm die schönen Bilder anschaue.

Frau Werner. Herzlich gern! thue das, lieber Ludwig, und danke aber noch zuvor dem gütigen Jesuskind, das dich so beglückt hat. (Ludwig ab.)

Frau Werner. (allein) In der That, der Vorfall ist mir ein unerklärliches Räthsel. Ich wüßte den Schlüssel zu dessen Lösung wahrlich nicht zu suchen. (Es schellt draußen.) Nun – aber heute geht's lebendig her an meiner Schelle draußen. (Sie geht hinaus.)

Frau Werner. Walter. Walter. Entschuldigen Sie, Frau Werner, daß ich Sie schon in früher Morgenstunde belästige.

Frau Werner. Es ist mir durchaus keine Störung, ich bitte, mir den Zweck ihres Besuches zu sagen. Wen habe ich das Vergnügen bei mir zu sehen?

Walter. Der Name Walter wird Ihnen vielleicht nicht unbekannt sein.

Frau Werner. Friedrich Walter – nicht wahr? Sie sind der Jugendfreund meines unvergeßlichen Mannes? Wie oft sprach er von Ihnen!

Walter. Allerdings, ich bin es. Es wird Ihnen wohl bekannt sein, daß ich mich vor sechs Jahren auf Reisen begab. Ich zweifle nicht, daß mein alter Freund, wenn er meiner erwähnte, auch davon gesprochen haben mag.

Frau Werner. Ja wohl. Er erzählte mir, daß Sie die Ihnen in Fülle gebotenen Mittel auf das Edelste zu verwenden pflegten und sich auf eine Reise begeben haben, um Ihre Kenntnisse in den Naturwissenschaften zu bereichern.

Walter. Ich danke Gott, daß er mir zu meinem Reichthum auch den Sinn für edle Bestrebung gewährt hat. Beides sind Gaben des Himmels. – Bei meiner Rückkehr aus dem Oriente war es mein Erstes, meinen theuren Carl Werner aufzusuchen. Ich reiste sogleich hieher. – Im Gasthofe, wo ich gestern früh abstieg, erfuhr ich die erschütternde Nachricht, daß der treffliche Mann schon vor zwei Jahren diesem Leben und somit seiner liebenden Gattin entrissen worden. Wie hätte ich anders gekonnt, als mich beeilen, die Wittwe meines besten, ältesten Freundes aufzusuchen? Ihre Wohnung konnte mir nicht bezeichnet werden, weßhalb ich nicht säumte, auf der Polizei gestern Abends noch persönlich Erkundigung einzuziehen.

Frau Werner. An Ihrer Güte, an Ihrer Theilnahme erkenne ich Sie so ganz und gar, wie mein seliger Carl Sie mir stets geschildert hat.

Walter. Hören Sie – welch' sonderbarer Zufall mir begegnete. Der Polizeikommissär nahm eben, als ich in das Bureau eintrat, von den Polizeisoldaten Rapport ein. Einer derselben meldete ihm als scherzhaften Vorfall, daß er einen Brief, in der Kirchengasse auf dem Boden liegend, desselben Abends gefunden habe, mit der sonderbaren Adresse: »An das liebe Christkindchen im Himmel oben.« Der Commissär erbrach lächelnd den Brief: Ludwig Werner – war die Unterschrift. Meine Anfrage und deren Aufklärung knüpften sich an diesen Namen; der Inhalt des gefundenen Briefes war eine kindliche Bitte um eine Bilderbibel als Weihnachtsgabe. Ich dankte wirklich dem Himmel im Stillen für die wunderbare Fügung, eilte sogleich in einen Weihnachtsladen, um das himmlische Weihnachtsgeschenk zu acquiriren und hoffe, daß es heute bereits an den kleinen Briefschreiber gelangt ist.

Frau Werner. In der That, Herr Walter, die Fügungen des Himmels – im Großen wie im Kleinen – sind wunderbar! – Mein Söhnlein sitzt freudetrunken vor dem Buche. Erlauben Sie, daß ich ihn dem gütigen Geber vorstelle.

Walter. Und warum wollten Sie ihm denn das Wunderbare der Erfüllung seiner Bitte rauben?

Frau Werner. Sie haben Recht – sein frommer Glaube werde nicht gestört. Es liegt ja nur in der Form der Unterschied; im Wesen der Sache glauben wir Alle, Groß und Klein, dasselbe.

Walter. Ja, gute Frau, an Gottes allwaltende Fürsorge und Obhut, und an diesem Glauben festhaltend, gestatten Sie, daß ich nun der zweite Vater Ihres Sohnes sein darf. Ich möchte, indem ich eine ältere Schuld an Ihren verblichenen Gatten abtrage, fortan Ihnen die Mittel anbieten, so zu leben, wie Sie früher gewohnt waren, und Ihrem Kinde jene Erziehung zu gewähren, welche ihm zu Theil geworden, wenn sein Vater noch am Leben wäre.

Frau Werner. Ich nehme das Anerbieten an – denn ich kenne Ihr Herz! Ich schäme mich nicht, es zu thun; denn ich bin dessen gewiß, daß mein Ludwig seinem und meinem Wohlthäter stets jene Dankbarkeit bethätigen werde, welche jedweder edlen That der schönste Lohn ist.

Walter. Wenn es Ihnen genehm ist, so lade ich Sie ein, auf meinem Landgute die Verwalterin meines Hauses zu sein und Ludwig soll in ein Erziehungshaus eintreten, dessen Trefflichkeit mir gerühmt ward.

Frau Werner. Gott lenkt Alles gut und so, wie es uns zum Besten gereicht! – Stets unvergeßlich aber wird mir diese heurige Weihnachtsfeier sein.

Walter. (zieht einen Brief hervor.) Und der Weihnachtsbrief an das Christkindchen kommt unter Glas und Rahmen!

Ende.


 << zurück weiter >>