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Prachtvolles Gemach im Hause des Herrn von Steinreich.
Steinreich, auf einem Armsessel sitzend. Vor ihm ein Tisch mit vielen Papieren darauf. Neben ihm steht Sekretär Schreiber.
Steinreich. Aber heute werden Sie wieder gar nicht fertig mit Ihrem Vortrag und ich bin so leidend.
Schreiber. Ich bedaure, Herr Baron; allein es liegt Ihnen ja selbst daran, daß Ihre Geschäfte täglich Vormittags erledigt werden. Hier ist noch die Eingabe des armen Taglöhners mit Weib und sechs Kindern; er bittet um Nachlaß der Schuld oder Termin zur Rückzahlung.
Steinreich. Ei was! er soll zahlen; die Auspfändung soll ihren Lauf nehmen. Ich kann nicht Alles verschenken. Soll ich selbst zum Bettelmann werden. O weh! was leid ich wieder. Mein Herz, mein Herz!
Schreiber. Bedaure – aber bedenken, Herr Baron, der Mann war ein halb Jahr krank und konnte sich nichts verdienen.
Steinreich. Das ist nicht meine Schuld. Wenn ich nicht ein so gutes Herz hätte – o weh wie drückt's mich wieder! – so hätte ich ihn längst schon auspfänden lassen. Mein gutes Herz wird mich noch ganz und gar ruiniren.
Schreiber. (für sich) O du Heuchler! (zu Steinreich) Also wirklich Herr Baron?
Steinreich. Es bleibt dabei. Apropos! Vergeßen Sie nicht, mir wieder 300 Flaschen Champagner zu bestellen von der Qualität, die ich neulich probirt habe.
Schreiber. Ich habe bereits an das Haus Clic[^o]t geschrieben. Hier ist noch ein kleines Gesuch der Wittwe Müller. Sie hat kein Bett mehr. Eine Lähmung der rechten Hand hindert sie zu nähen, so daß sie keinen Verdienst hat. Um Brod für ihre zwei Kinder zu kaufen, gab sie ihr Bett her und liegt nun auf dem Stroh. Sie bittet nur um ein paar Thaler. Ihre Noth ist groß.
Steinreich. Was den Leuten nicht Alles einfällt! Ueberall soll ich helfen. Verschonen sie mich mit solchen zudringlichen Betteleien. Ein für allemal!
Schreiber. Aber der Hunger thut weh!
Steinreich. Man soll sich nach der Decke strecken und nicht mehr wollen, als man hat. Der Mensch soll sich überhaupt auf das Nothwendigste beschränken. – Apropos! Ich hoffe, daß die Gänseleberpastete aus Straßburg angekommen ist; ich freue mich schon lange darauf.
Schreiber. Sie soll heute auf die Tafel kommen.
Steinreich. Bravo! –Ich muß mich durch gute Nahrung stärken; mein Herzleiden wäre mir unerträglich. Dieß ist auch die Ansicht der Aerzte.
Schreiber. Nun habe ich die Ehre mich zu empfehlen.
Steinreich. Adieu! beinahe hätt' ich vergessen! Ist Doctor Sassafras bestellt, den ich noch consultiren will?
Schreiber. Er wird diesen Vormittag seinen Besuch abstatten, (ab.)
Steinreich. (vom Stuhl aufstehend.) Was nützt aller Reichthum, wenn man nicht gesund dabei ist? Alle Genüße des Lebens könnte ich mir verschaffen; aber dieses Drücken da auf der linken Seite. Es muß mir am Herzen fehlen. Wenn's nur keine Verhärtung ist oder ein organischer Fehler! – Der berühmte Doctor Sassafras wird gewiß ein Mittel finden, mich zu kuriren. Ich will nichts sparen; mit Ducaten will ich seine Rezepte bezahlen, wenn ich nur gesund werde. Ah, meine Nichte!
Marie (tritt ein.)
Steinreich. Mamsell Marie, ei guten Morgen.
Marie. Guten Morgen, lieber Onkel.
Steinreich. Wie steht's? noch immer die Grillen im Kopf? Noch nicht zur Besinnung gekommen?
Marie. Wenn Sie meine Ueberzeugung Grillen nennen, Herr Onkel, so muß ich gestehen, daß noch keine Aenderung – –
Steinreich. Was Ueberzeugung? Einfältige Schwärmerei! Was willst du mit diesem Schreiber? Er ist kein Mann für dich.
Marie. An dem Todbette der seligen Mutter haben wir uns die Hände gereicht für immer. Unser Bund ist durch den Segen der Sterbenden geheiligt.
Steinreich. Und ich will nichts davon wissen; aber du weißt schon längst, daß es meine Absicht ist, dich an den Baron Goldberg zu verheirathen.
Marie. Mein Herz ist mein freies Eigenthmn. Es gehört Schreiber, dessen Werth Sie selbst so oft gerühmt und anerkannt haben.
Steinreich. Ist dieß der Dank, daß ich dich, armes Mädchen, zu mir genommen habe? Der dummen Geschichte soll ein Ende gemacht werben. Schreiber muß aus dem Hause, heute noch. Ich werde leicht einen andern Sekretär finden.
Marie. Ich werde Ihnen stets für alle mir erwiesenen Wohlthaten herzlich dankbar sein; allein damit ist gewiß nicht die Verpflichtung verbunden, mich zwingen zu laßen, daß ich Baron Goldberg heirathe.
Steinreich. So magst du als alte Jungfer sterben. Fort von mir, auf dein Zimmer! – Ach! mein Herz, mein Herz! wie drückt's mich wieder!
(Ein Bedienter tritt ein.)
Bedienter. Doctor Sassafras.
Steinreich. Gut, laß ihn herein. (Bedienter ab.) (Zu Marie) Fort, sag' ich! (Marie weinend ab)
Sassafras (tritt ein.) Herr von Steinreich haben mich rufen lassen?
Steinreich. O, wie froh bin ich, daß Sie mich besuchen. Ich bin sehr leidend.
Sassafras Es würde mir eine große Freude sein, wenn ich durch meine Kunst zur Linderung Ihres Zustandes Etwas beitragen könnte. Was fehlt Ihnen?
Steinreich. Ich leide, glaube ich, am Herzen. Meine außerordentliche Gutherzigkeit hat mich ruinirt.
Sassafras Will nicht hoffen; allein es ist kein Zweifel, daß physische Zustände von großen Einfluß auf den Körper sind. Die geistigen Qualitäten impregniren sich der Materie.
Steinreich. Seh'n Sie, Herr Doctor, (auf die linke Seite die Hand legend) seh'n Sie, da thuts halt ungeheuer weh! Es ist mir oft als wenn ein harter Klumpen drin war.
Sassafras Können auch Congestionen sein. Erlauben Sie.
(befühlt die Stelle)
Ich finde keine Alteration des Herzschlages.
(lauscht mit dem Ohr daran.)
Ich finde wirklich gar nichts besonderes. Aeußerlich gar keine Verhärtung, kein Symptom, das bedenklich wäre. – Haben Sie Appetit?
Steinreich. Das Essen ist das Einzige, das mir gut thut und meinen Zustand erleichtert.
Sassafras Wie sieht's mit dem Schlaf aus?
Steinreich. Vortrefflich; bisweilen aber fühl' ich auch bei Nacht ein gewißes Drücken.
Sassafras. Erlauben Sie, den Puls. (greift den Puls.) Sonstige Funktionen?
Steinreich. Alles in Ordnung. Aber da drin, da drin – –
Sassafras. Ich werde Sie einige Zeit beobachten müßen, Herr von Steinreich. So ein Fall bedarf längerer Aufmerksamkeit. Vor der Hand werde ich Ihnen ein Recept aufschreiben. Vermeiden Sie jede Aufregung.
Steinreich. Ach, aber mein gutes Herz läßt mir keine Ruhe!
Sassafras. In ein paar Tagen werde ich mir die Freiheit nehmen, wieder meinen Besuch abzustatten.
Steinreich. Kommen Sie reckt bald wieder. Rechnen Sie auf meine Dankbarkeit. Adieu, adieu. Ich will jetzt einen kleinen Spaziergang in meinem Garten machen. (ab.)
Sassafras (allein.) Vortrefflich – der ist mein. Die Kundschaften, die an der Einbildung leiden, waren mir stets die liebsten. Ich kann ihn Jahre lang hinhalten, geb' ihm unschädliche Mittel, schicke ihn auf Reisen und in Bäder – und – er muß tüchtig blechen. Ha, ha, ha! solche Patienten laß ich mir gefallen! Die gehören für unsere Erholung und füllen den Geldbeutel.
Nun wieder ein paar Häuser weiter! Meine Praxis wächst mir beinahe über den Kopf; glücklich bin ich im Kuriren, also läuft mir Alles zu und wo die Kunst nicht ausreicht, da hilft die Schlauheit. Sassafras, du wirst unsterblich!
(will hinaus; der Tod in schwarzer Kleidung als Knochenmayer tritt ihm durch die Thüre entgegen.)
Tod. Halt! Unsterblicher!
Sassafras. Mein Herr, was wollen Sie?
Tod. Sie selbst will ich, Herr Doctor, wenn auch nicht jetzt, doch seiner Zeit jedenfalls!
Sassafras. Wen habe ich die Ehre? Warum treten Sie mir in den Weg?
Tod. Ich habe mit Ihnen ein Wörtchen zu reden. Mein Name ist Knochenmayer.
Sassafras. Womit kann ich dienen? bedürfen Sie etwa meiner ärztlichen Hilfe? In der That, Ihr Aussehen spricht dafür.
Tod. Bitte recht sehr! Ich bin zwar klapperdürr und etwas blasser Physiognomie; allein ich erfreue mich doch der besten Gesundheit und bin so alt wie die ganze Menschheit.
Sassafras. Wie soll ich das verstehen? Sprechen sie deutlicher. Jedenfalls ersuche ich sie, mich nicht umsonst aufzuhalten; meine Geschäfte – –
Tod (ihn unterbrechend.) Haben keine Eile, wenn ich mit Ihnen zu reden habe.
Sassafras. Wie kommen sie mir vor? (will hinaus)
Tod. Halt! keinen Schritt weiter!
Sassafras. Welche Kühnheit! – Ich bin Doctor Sassafras, Respect vor mir!
Tod. Und ich bin Doctor Knochenmayer, Respect vor mir!
Sassafras. Immerhin! ich kenne sie nicht.
Tod (mit fürchterlicher Stimme.) So lerne mich kennen, Elender!
(Die Bühne verfinstert sich.)
Sassafras. Weh mir! was ist dieß?
Tod. Sieh dorthin und erkenne mich!
(Der Hintergrund hat sich mit schwarzen Wolken verhüllt, auf welchen in Flammenschrift zu lesen ist:)
CONTRA VIM MORTIS NON HERBULA CRESCIT IN HORTIS.
(Zugleich hat der Tob sein Gewand abgeworfen und steht als Gerippe da.)
Tod.
Der Mächtigste auf Erden steht vor dir!
Drum zitt're, der du dich bestrebst, zu lähmen
Die Allgewalt die unerbittlich herrscht.
Doch ich will gnädig sein: die Hälfte dir,
Die Hälfte mein! So magst du heilend wirken;
Wo nicht, so bist alsbald du mir verfallen,
Bedenk' es! deinen Entschluß kannst du sagen,
Wenn ich bei dir erscheine nach drei Tagen!
(Sassafras sinkt zusammen)