Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mondnacht. Wald.
König tritt herein. Silpelitt springt voraus.
Silpelitt: Hier ist der Baum, o König, den du meinst,
Den meine Schwester manche Nacht besucht;
Das Haupt anlehnend pflegt sie dann zu schlummern.
König: Von gelber Farbe ist der glatte Stamm,
Sehr schlank erhebt er sich, und, sonderbar,
Die schwarzen Zweige senken sich zur Erde,
Wie schwere Seide anzufühlen. Kind,
Wir sind am Ziel. Sei mir bedankt, du hast
Mich mühsam den versteckten Pfad geleitet,
Die zarten Füße hat der Dorn geritzt,
Doch sind wir noch zu Ende nicht. Sag mir –
Silpelitt: Ich will dir alles sagen, nichts verschweigen –
König: Was hast du? Warum fängst du an zu zittern?
Nicht dich zu ängstigen kam ich hieher.
Silpelitt: Nein, du mußt alles wissen, aber nur
Der Schwester sage nichts –
König: Gewißlich nicht.
Silpelitt: Schon seit der Zeit, als ich mich kann besinnen,
War ich Thereilen untertan, der Fürstin;
Doch nur bei Nacht (dies ist der Feen Zeit)
War ich gehorsam, gleich den andern Kindern;
Allein am Morgen, wenn sie schlafen gingen,
Band ich die Sohlen wieder heimlich unter,
Nach Elnedorf zu wandern, und im Nebel
Schlüpft ich dahin, von allen unbemerkt.
Dort wohnt ein Mann, heißt Kollmer, dieser nennt
Mich seine Tochter, warum? weiß ich nicht.
Er meint, ich wäre gar kein Feenkind.
Er ist gar gütig gegen mich. Bei Tag
Sitz ich an seinem Tisch, geh aus und ein
Mit andern Hausgenossen, spiele dann
Mit Nachbarkindern in dem Hofe, oder
Wenn ich nicht mag, so zerren sie mich her
Und schelten mich ein stolzes Ding; ei aber
Sie sind zuweilen auch einfältig gar.
Zur Nachtzeit geh ich wieder fort und tue,
Als lief ich nach der obern Kammertür,
So glaubt der Vater auch, denn droben steht
Mein Bettlein, wo ich schlafen soll. Allein
Ich eile hinten übern Gartenzaun
Durch Wald und Wiesen flugs zum Schmettenberg,
Damit Thereile meiner nicht entbehre;
Auch hat sie's nie gemerkt, doch einmal fast.
König: Besorge nichts; vertraue mir, bald hörst du weiter.
Silpelitt verliert sich während des Folgenden etwas im Walde.
König: Dies ist die Frucht von einem seltnen Bund,
Den vor elf Jahren eine schöne Fee
Mit einem Sterblichen geschlossen hat;
Nachher verließ sie ihn, ja sie benahm
Ihm das Gedächtnis dessen, was geschah,
Vermittelst einer langen Krankenzeit;
Nur dieses Kind sollt ihm als wie ein eignes
Lieb werden und vertraut. Ja, sonder Zweifel
Ist es der Mann, der, wenn mein Geist nicht irrt,
Mich oft besucht und mir das Buch verschaffte.
So also ward der Vater Silpelitts
Zum ersten Werkzeug meiner Rettung weislich
Erlesen von den Göttern, doch das Kind
Soll noch das Werk vollenden, aber beide
Erwartet gleicher Lohn. Dies liebliche Geschöpf
Wird eine Handlung feierlicher Art
Nach Ordnung dieses Buchs mit mir begehen,
Und in dem Augenblicke, wo der Zauber
Thereilens von mir weicht durch dieses Kinds
Unschuldge Hand, ist auch das Kind befreit;
Ein süß Vergessen kommt auf seine Sinne,
Und der geliebte Vater wird in ihm
Die eigne Tochter freudevoll umarmen.
Zum ersten Male morgen, Silpelitt,
Wirst du den Fuß ins kleine Bettlein setzen,
Das noch bis jetzt dein reiner Leib nicht hat
Berühren dürfen; dennoch sollst du glauben,
Du wärst es so gewohnt, Thereile aber
Wird dir ein fabelhafter Name sein.
– Wo bleibst du, Mädchen?
Silpelitt kommend: Sieh, hier bin ich schon.
Ich war den Felsen dort hinangeklettert,
Mein' Schwester Morry hat einmal auf ihm
'nen roten Schuh verloren.
König: Sei bereit,
Hier rechter Hand die Schlucht hinabzusteigen.
Dort wirst du eine Grotte finden –
Silpelitt: Wohl.
Ich kenne sie. Noch gestern hat der Riese,
Der starke Mann, den Felsen weggeschoben.
Jetzt ist der Eingang frei. Ich sah ihm zu
Bei seiner Arbeit. Herr, die Erde krachte,
Da er den Block umwarf, ihm stund der Schweiß
Auf seiner Stirn, doch sang er Trallira!
Und sagte: dies wär nur ein Kinderspiel.
Dann nahm er mich und setzt' mich auf den Gipfel;
Ich bat und weint, er aber ließ mich zappeln,
Bis ich ihm oben ein hübsch Liedchen sang.
Nun trollt er weg und brummt: ich soll dich grüßen,
Wenn du ihn wieder brauchest, sollst's nur sagen.
Verzeih, daß ich's vergaß.
König: Schon gut; nun höre!
Durch jene schmale Öffnung dringest du
Zu einer Höhle, deren Innerstes
Ein Schießgerät mit einem Pfeil verwahrt.
Dies beides hole mir.
Sie geht.
So lehret mich
Das Buch des Schicksals, so heißt mich ein Gott.
Dort lehnt ein uralt schwer Geschoß, zeither
Von keines Menschen Hand berührt, nur heute
Soll dieser Bogen an das Tageslicht,
Den Pfeil zu schleudern in den giftgen Auswuchs
Reizvoller Liebe, die nach kurzem Schmerz
Zur Heilung sich erholet. O Thereile,
Ich nehme bittern Abschied, denn es fährt
Die feige Schneide, die uns trennen soll,
Bald rücklings in dein treues Herz; hier steht
Der träumerische Baum, in dessen Saft
Du unser beider Blut vor wenig Monden
Hast eingeimpft.
Jetzt kreiset es in süßer Gärung noch
Im Innern dieses Stammes auf und nieder.
Wie sehr die Nacht auch stille sei, mein Ohr
Bestrebet sich vergeblich, zu vernehmen
Den leisen Takt in diesem Webestuhl
Der Liebe, die mit holden Träumen oft
Dein angelehnet Haupt betöret hat.
Bald aber rinnet von dem goldnen Pfeil
Der Liebe Purpur aus des Baumes Adern,
Und alsbald aus der Ferne spürt dein Herz
Die Qual der schrecklichen Veränderung,
Doch nach vertobtem Wahnsinn wird im Schlummer
Sich Ruhe senken auf dein Augenlid.
O Himmel! wie verlangt mich nach Erlösung!
Die Senne jenes göttlichen Geschosses
Zu spannen, fordert tausendjährge Stärke,
Ich habe sie; doch wahrlich, o wahrhaftig,
Auch ohnedem fühl ich die Kraft in mir,
Gleich jenem Gott, der den demant'nen Pfeil
Zum höchsten Himmel schnellte, daß er knirschend
Der Sonne Kern durchschnitt und weiterflog,
Bis wo des Lichtes letzter Strahl verlöschte.
Das Kind kommt zurück mit einer Art von Armbrust. Er spannt sie mit leichter Mühe, legt auf, und reicht sie dem Mädchen in der Richtung nach dem Baume. Silpelitt drückt ab und in dem Augenblicke wird es ganz finster. Man hört ein Seufzen von der getroffenen Stelle her. Beide schnell ab.