Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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Die Zigeunerin war inzwischen auch wieder zum Vorschein gekommen; Agnes offenbarte ihr bei einer heimlichen Zusammenkunft den Plan ihrer Entsagung, womit die Betrügerin sehr zufrieden schien, und sogar einen Brief an Nolten zu besorgen versprach.

Auf diese Weise standen die Personen eine geraume Zeit in der wunderlichsten Situation gegeneinander, indem eines das andere mit mehr oder weniger Falschheit, mit mehr oder weniger Leidenschaft zu hintergehen bemüht war.

Nolten kam um so weniger in Versuchung, dem Schauspieler den wahren Grund seiner Entfremdung von der Braut zu entdecken, da dieser nicht weiter in ihn drang, indem er, vielleicht von eigenen Erfahrungen in der Liebe ausgehend, alles nur einer ekeln Lauheit zuschrieb, wogegen kein anderes Heilmittel sei als die Zeit, von der er denn auch mit größter Zuversicht das Beste hoffte, wenn nur sein Freund, erst anderwärts durch leichten Schaden klug geworden, die Ansicht mit ihm teilen gelernt hätte, daß die verfeinertsten Reize der weiblichen Welt keinen Ersatz für ein so seltenes Gut gewähren, als jenes einfache Mädchen nach der Überzeugung des Schauspielers war.

Wenn also zwischen beiden Freunden die Sache nur sehr wenig berührt wurde, so fehlte es gleichwohl nicht an Auftritten wie der, dessen sich der Leser vielleicht noch von jener Neujahrsnacht erinnert, wo übrigens unser Maler von einer offenen Darlegung der Umstände nur noch durch die Furcht abgehalten ward, der Schauspieler möchte ihm ins Gewissen reden, und das zur höchsten Unzeit, da ihm in Constanzen ein neues herrliches Gestirn aufging.

 

Länger als gewöhnlich entbehrte Theobald die Gelegenheit, das Zarlinsche Haus zu besuchen. Der Graf und Constanze hatten eine längst vorgehabte Reise zu einer Verwandten ausgeführt. Zwölf Tage verstrichen ihm unter leeren Zerstreuungen, unter der peinlichsten Unruhe, denn frühe genug hatten sich verschiedene Zweifel über das hohe Glück bei ihm eingestellt, das er sich vielleicht zu voreilig aus dem sonderbaren Vorfall in jener Ballnacht gedeutet haben konnte. Daß Constanze unlängst in seiner und anderer Freunde Gegenwart, als eben von der Blumensprache die Rede war, aus Gelegenheit eines blühenden Granatbaums das feurige Rot desselben für das Symbol lebhafter Neigung erklärt hatte, indem sie sich dabei schalkhaft geheimnisvoll auf das Urteil Noltens als »besonders passionierten Kenners« vorzugsweise berief, und daß ihm eine Woche später von unbekannter Hand ein solcher Strauß war angeheftet worden, konnte sehr leicht bloße Neckerei des Zufalls sein, oder wohl gar – und dieser Meinung sind wir selbst – der Schelmstreich einer lustigen Person, welche nicht nur jenen Ausdruck der Gräfin mit angehört, sondern auch dem Maler seine schwache Seite längst mochte abgelauscht haben. Er befand sich deshalb in der größten Ungewißheit; nur soviel schien ihm bisher ausgemacht, daß die Gräfin damals auf dem Balle gewesen, und jetzt erst fiel ihm ein, sich näher zu erkundigen. Aber auch wenn er manchmal sich selbst geflissentlich die vielverheißende Bedeutung jenes Zeichens ausredete, wenn er alles verwarf, was er sich sonst zu seinem Vorteil ausgelegt, so konnte er am Ende bei jedem Blick in sein Inneres bemerken, daß ein unerklärlicher Glaube, eine stille Zuversicht in ihm zurückgeblieben war, und er nahm sodann diese wundersame Hoffnung gleichsam wieder als ein neues Orakel, dem er unbedingt zu vertrauen habe. So eigen pflegt der Geist mit sich selber zu spielen, wenn jene träumerische Leidenschaft uns beherrscht.

Endlich kam der Abend, der den auserlesenen Zirkel wieder in das Haus des Grafen lud. Mit bangen Empfindungen schritt Nolten, gegen die kalte Winterluft dicht in den Mantel gehüllt, an der Seite seines Freundes Larkens nach der geliebten Straße zu. Aber sie sahen die Jalousiefenster, deren sanft durchscheinendes Licht den kommenden Gästen sonst schon von weitem ein wohl erwärmtes fröhlich belebtes Zimmer versprach, diesmal nicht erhellt, und schon besorgten sie eine widrige Täuschung, als der Bediente, der im untern Hausflur die Mäntel, Degen und Stöcke der Herren abzunehmen hatte, sie hinten durch den Garten nach dem Pavillon wies, dessen erleuchtete Glastüren auch wirklich schon von ferne die glänzende Gesellschaft zeigten.

Sie traten in einen angenehmen, geräumigen, halbrunden Saal, dessen Wände rings mit Spiegellampen versehen waren. Maler Tillsen und der wunderliche Herr Hofrat sind die ersten, von welchen unser Freund sogleich ins Gespräch gezogen wird. Die schöne Hauswirtin, von einer Menge Damen umringt, schien sein Eintreten anfangs nicht zu bemerken, aber während Theobald zuweilen mit rechter Ungeduld hinüberschielte nach den freundlich beredten Lippen, nach dem stets gefällig mitnickenden Köpfchen, glitt zufällig ihr Blick über die versammelten Gruppen hin und eine gütige Verbeugung gegen Nolten setzte dessen Lebensgeister auf einmal in eine muntere, mit aller Welt ausgesöhnte Bewegung. Der Graf kam indessen mit einer Rolle Papier herbei und flüsterte: »Hier meine Herren – wir könnten später nicht mehr so leicht dazu kommen – eine neue Zeichnung in Tusch von unserer eigensinnigen Künstlerin, die uns gerne alles versteckte und verschöbe – aber diesmal hab ich selbst einigen Anteil an dem Lobe, das Sie ihr gönnen werden; die Idee ist, sozusagen, hälftig mein.« Er wollte eben das Blatt entrollen, als ihm von hinten eine zarte Hand in die Finger griff – »Erlauben meine Herren!« sagte die herbeigeeilte Schwester, merklich errötend, »es ist billig, daß ich die Sache selbst vorzeige: – zu seiner Zeit, heißt das!« setzte sie lachend hinzu und eilte mit dem Blatte nach dem Schrank, wo sie es trotz aller Einsprache der Anwesenden rasch verschloß. Sie verschwand in einem Kabinett, nach dem Tee zu sehen.

Wenn sie so auf Augenblicke abwesend war, so mochte Theobald gerne im ruhigsten Anschauen ihres geistigen Bildes das Auge auf irgendeinen der leblosen Gegenstände heften, mit dem ihre Person noch soeben in Berührung gekommen war. So stand auf einem schmalen Mahagonipfeiler an der Wand eine offene Kalla in buntgemaltem Topfe, der den goldenen Buchstaben C. im blauen Schilde trug. Diese Pflanze, dachte er bei sich, nimmt sie nicht in meiner Einbildung einen Teil von Constanzens eigenem Wesen an? Ja, dieser herrliche Kelch, der aus seiner schneeigen Tiefe die mildesten Geister entläßt, diese dunkeln Blätter, die sich schützend und geschützt unter das stille Heiligtum der Blume breiten, wie schön wird durch das alles die Geliebte bezeichnet und was sie umgibt! wie vertritt die Pflanze mir durch ihre ahnungsvolle Gegenwart die himmlische Gestalt!

Unversehens war Constanze wieder da, die Gesellschaft diesmal allein bedienend. Sie brachte endlich Theobalden die Tasse, und indes Larkens eine neue Anekdote zu allgemeiner Belustigung preisgab, nahm jener Anlaß, sich scherzhaft gegen Constanze wegen der vorenthaltenen Tuscharbeit zu beschweren.

»Ei«, war die Antwort, »Sie haben's nicht um mich verdient, Sie haben mir neulich einen übeln Schrecken zugefügt, der mir wohl das Leben hätte kosten können, zwar bloß im Traume.«

»Wie? meine Gnädige, ich wäre so unglücklich gewesen? und so glücklich doch, daß mein Bild im kleinsten Ihrer Träume –?«

»Das eben nicht – doch ja, Ihr Bild, ein Bild aus Ihrer Phantasie.«

»Wieso, wenn ich fragen darf?«

»So hören Sie und lachen mich aus! Vorige Nacht beliebte es Ihrer gespensterhaften Orgelspielerin, ungebührlicherweise aus dem Rahmen des schauerlichen Gemäldes herauszuschreiten und leibhaftig vor mich hinzutreten.«

Nolten war bestürzt, ohne eigentlich zu wissen, warum.

»Ja, ja, mein Herr! mit recht kuriosen, hämischen Augen starrte sie mir tief ins Gesicht und sagte – nein! das sollen Sie jetzt nicht hören.«

»Ich bitte!«

»Nehmen Sie sich in acht –«

»Sagte sie?«

»Nicht doch, das sag ich; eben gleitet Ihnen ja die Tasse aus der Hand!«

»Wirklich fast – Aber was sprach der Geist?« fragte Nolten dringend aufs neue, und nach einer Pause brachte die schöne Frau mit kaum unterdrückter Verwirrung die Worte hervor: »›Constanze Josephine Armond wird auch bald die Orgel mit uns spielen‹« –

»Aber, mein Gott«, erwiderte Nolten, »doch hat der Traum Sie nicht erschrecken können?«

»Bis zum Erwachen doch; übrigens dank ich ihm, daß er mir Anlaß gibt, meinem etwaigen Berufe zu dieser Gattung von Musik, sowie meiner Aufnahme in so ernste Gesellschaft, auch ein wenig nachzudenken.«

Theobald, wie er nun wieder allein stand, wußte nicht, was er aus den letzten Worten machen sollte; dem Tone nach konnten sie nur für Scherz gelten, aber das Ganze hatte einen störenden Eindruck bei ihm zurückgelassen. Warum denn just diese Figur? Er wußte zu gut, daß er gerade in ihr das getreue Porträt eines Zigeunermädchens, einer Person dargestellt hatte, welche einst verhängnisvoll genug in sein eigenes Leben eingegriffen hatte. Auf der andern Seite ließ sich alles und jedes ganz natürlich aus dem starken Eindruck erklären, welchen das Gemälde auf eine sehr empfängliche Einbildungskraft machen mußte.

Was übrigens den Mut unsers Freundes noch weit mehr niederschlug, das war die aus dem Verfolg des allgemeinen Gesprächs für ihn hervorgegangene Gewißheit, daß Constanze damals wirklich nicht an der Maskerade teilgenommen, sondern bereits auf der Reise begriffen gewesen.

Die nicht mehr erwartete Ankunft des Herzogs verursachte eine plötzliche Bewegung. Nolten aber, statt durch die Gegenwart seines Rivals nur immer trüber und unmächtiger in sich selbst zu versinken, fühlte sich dadurch zu einem gewissen Kraftaufwande genötigt, der, obgleich anfangs nur erkünstelt, doch bald, von Larkens' ehrlicher Munterkeit unterstützt, eine wohltätige Wirkung auf das Ganze ausübte. Vorzüglich willkommen war es Theobalden, als man endlich auf den Wunsch des Herzogs selbst Anstalt machte, ein gewisses Spiel vorzunehmen, das auf eine sinnreiche Art drei verschiedene Künste in Verbindung brachte, den Tanz, die Malerei oder Zeichnung, und untergeordneterweise die Musik. Dies setzt jedoch folgende Bemerkung voraus. Constanze, bekannt als fertige und geistreiche Zeichnerin, war zugleich eine große Freundin des schönen künstlichen Tanzes und entwickelte namentlich bei Solopartien eine hohe Grazie. Nun hatte Nolten einmal gelegentlich den Einfall geäußert, es müßte eine artige Unterhaltung abgeben, wenn einige Personen in Zeit von einer kleinen Stunde zusammen ein Tableau, irgendeine Szene zeichneten, indem sie den Kreidenstift von Hand zu Hand gebend, nach einer langsamen Melodie tanzend, abwechslungsweise vor eine aufgerichtete Tafel träten und den darzustellenden Gegenstand immer nur um einige Striche weiter förderten, bis zuletzt eine harmonische Komposition zum Vorschein käme, über die man sich zuvor im allgemeinen verständigt, deren Einzelheiten aber der augenblicklichen Eingebung eines jeden überlassen war. Der Gedanke fand Beifall, und nach einigem Besprechen zeigte sich die Möglichkeit seiner Ausführung vollkommen, obwohl man anfangs verlegen war, die gehörige Anzahl von Tänzern, die auch zugleich gute Zeichner wären, und umgekehrt, zu finden. Doch hiezu wußte man Rat. Nolten selbst, obgleich ein abgesagter Feind alles des Schlendrians, um den sich unsere Ballbelustigungen gewöhnlich zu drehen pflegen, besaß doch Leichtigkeit der Glieder und reinen Sinn genug für eine edle rhythmische Bewegung. Die dritte Rolle mußte notwendig Herrn Tillsen übergeben werden, denn wenn vielleicht auch der ungeübteste Tänzer immer noch besser gewesen wäre als er, so blieb doch die andere Eigenschaft die wichtigere. »Und«, sagte er verbindlich zu der Gräfin, »neben Ihnen würde ein Vestris übersehen werden, glücklicherweise also auch Tillsen, der ich in diesem Stück zum voraus allem Neid und jedem Ruhm entsage.«

Seitdem hatte man diese Unterhaltung schon etliche Abende mit Glück versucht. So ließ man denn auch jetzt die eigens hiezu bestimmte große Tafel aufstellen, deren angenehm graulackierte Fläche recht eigentlich einladend sich dem schwarzen Stifte darbot. Ein schöner Fußteppich lag unmittelbar davor auf dem Boden gebreitet, für eine stärkere Beleuchtung war ebenfalls gesorgt. Die drei Virtuosen kamen heimlich in der Wahl eines anziehenden Sujets überein. Larkens nahm die Violine zur Hand und eröffnete das Spiel mit einer gewissen Feierlichkeit, dadurch die Erwartung nur noch mehr gespannt wurde. Jetzt trat Constanze, im weißen Atlaskleide, mit ernstem Schritt hervor, stellte sich einige Momente sinnend der Tafel gegenüber, allmählich fing ihre Gestalt an mit der Musik sich zu heben, in mäßiger Bewegung bald nach beiden Seiten schwebend, bald der Tafel entgegen. Sie schien dabei noch immer den ersten entscheidenden Strich zu überlegen, jetzt hielt sie vor dem Brette still, indem sie leicht vorgebeugt auf dem rechten Fuße fest stehend, den linken rückwärts auf die Zehe gestützt, die Kreide ansetzte. Das begleitende Adagio der Violine schien die Hand gefällig auf der glatten Fläche hinzuführen. Bald erkannte man die Umrisse eines lieblichen Knabenkopfs, welcher mit dringenden Blicken bittend an etwas hinaufsieht. Dieser Ausdruck des Affekts war von der Art, daß er in der vorgreifenden Phantasie des Zuschauers beinahe jetzt schon ein paar flehend ausgestreckte Arme und Hände hervorrufen mußte. Doch die Zeichnerin hielt inne, und unter einem Allegro zurücktretend, beobachtete sie, während ihr reizender Leib sich hin und her wiegte, das angefangene Werk noch eine kleine Weile. Mit einer Verbeugung empfing Tillsen die Kreide aus ihrer Hand und ohne viel Umstände stellte dieser Meister mit raschen Zügen den oberen kraftvollen Körper eines Mannes in drohender Gebärde dem Mitleid fordernden Gesichtchen gegenüber. Die Begierde der Gesellschaft wuchs mit jeder Linie; es ließen sich schon einige Beifall rufende Stimmen vernehmen, es hieß: der junge Prinz Arthur ist's, wie er vor seinem Mörder steht! Aber der freudigste Applaus entstand, als Constanze, nachdem Tillsen für Theobald den Platz geräumt, vom Eifer ihres Gedankens hingerissen, dem letztern in den Weg sprang und nun die beiden großen Gestalten mit trefflich mimischer Heftigkeit um das Vorrecht der Kreide rangen, die denn zuletzt in zwei geschickte Teile brach, worauf das Paar bei lebhafter Musik ein verschlungenes Duo tanzte, um dann vereinigt vor die Tafel zu schreiten. Die Hauptsache war in kurzer Zeit getan, die Versammlung drängte sich herbei, inzwischen Tillsen noch mit einigen derben Strichen nachhalf. Man lobte, tadelte, lachte, bewunderte, wie es auch bei einer solchen Stegreifproduktion nicht fehlen konnte, daß neben den glücklichsten Spuren eines umfassenden, gleichartigen Geistes doch immer etwas Inkorrektes oder Halbes hervorsprang. Im ganzen war die Szene so wohlgeraten, daß Tillsen der Aufforderung gerne nachgab, sie gelegentlich für das kleine Gesellschaftsarchiv zu kopieren.

In der Hitze des Hin- und Widerredens war indessen kaum jemandem aufgefallen, wie Constanze mit jedem Augenblicke blaß und blässer wurde. Sie entfernt sich in ein Seitenzimmer, man flüstert, die Damen eilen nach, alles wird aufmerksam, der Herzog läßt sich nicht halten, sie selbst zu sehen, er klagt sich an, daß er den anstrengenden Tanz verlangt, am meisten ist Nolten bestürzt. Es konnte ihm nicht entgehen, daß unter der Türe noch Constanzes letzter Blick mit einem matten sonderbaren Lächeln auf ihm ruhte. Endlich geht man auseinander, nachdem der Graf, aus dem Kabinette tretend, die Versicherung gegeben, man habe von dem Anfall keine Folgen zu befürchten.


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