Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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So hatte Nolten einen andern Vater, es hatte der Förster den würdigsten Freund verloren; ja dieser durch und durch erschütterte Mann, da ihm zugleich ein neues Glück in seinen Kindern tröstlich aufgegangen war, gewann doch seinem ersten Schmerzgefühl kaum so viel ab, als billig schien, um, wie es sonst in seiner frommen Art gewesen wäre, dankbar und laut eine Wohltat zu preisen, die ihm der Himmel mit der einen Hand als reichlichen Ersatz nicht minder unerwartet schenkte, als er ihm unerwartet mit der andern ein teures Gut entrissen hatte.

Was Theobald betrifft, so war ein solcher Verlust für ihn noch von besonderer Bedeutung. Wenn uns unvermutet eine Person wegstirbt, deren innige und verständige Teilnahme uns von Jugend an begleitete, deren ununterbrochene Neigung uns gleichsam eine stille Bürgschaft für ein dauerndes Wohlergehn geworden war, so ist es immer, als stockte plötzlich unser eignes Leben, als sei im Gangwerk unseres Schicksals ein Rad gebrochen, das, ob es gleich auf seinem Platze beinah entbehrlich scheinen konnte, nun durch den Stillestand des Ganzen erst seine wahre Bedeutung verriete. Wenn aber gar der Fall eintritt, daß sich ein solches Auge schließt, indem uns eben die wichtigste Lebensepoche sich öffnet, und ehe den Freund die frohe Nachricht noch erreichen konnte, so will der Mut uns gänzlich fehlen, eine Bahn zu beschreiten, welche des besten Segens zu ermangeln, uns fremd und traurig anzublicken scheint.

Wer dieser trüben Stimmung Theobalds am wenigsten aufhelfen konnte, war Agnes selbst, deren Benehmen in der Tat den sonderbarsten Anblick darbot. Sie war seit gestern wie verstummt, sie ließ die andern reden, klagen oder trösten, ließ um sich her geschehen was da wollte, eben als ginge sie's am wenigsten an, als werde sie nicht von dieser allgemeinen Trauer, sondern von etwas ganz anderem bewegt. Sie kämpfte mit Erhebung gegen ein Gefühl, das sie mit niemand teilen zu können schien. Dann wieder war ihr Wesen auf einmal feierlich gehoben; sie griff die gewöhnlichen häuslichen Geschäfte mit aller äußern Ruhe an, wie sonst, aber nur der Körper, nicht der Geist, schien gegenwärtig zu sein. Auf mitleidiges Zudringen des Bräutigams und Vaters bekannte sie zuletzt, daß eine unerklärliche Angst seit gestern an ihr sei, ein unbekannter Drang, der ihr Brust und Kehle zuschnüre. »Ich seh euch alle weinen«, rief sie aus, »und mir ist es nicht möglich. Ach Theobald, ach Vater, was für ein Zustand ist doch das! Mir ist, als würde jede andere Empfindung von dieser einzigen, von dieser Feuerpein der Angst verzehrt. O wenn es wahr wäre, daß ich meine Tränen auf größeres Unglück aufsparen soll, das erst im Anzug ist!« Sie hatte dieses noch nicht ausgesagt, als sie in das fürchterlichste Weinen ausbrach, worauf sie sich auch bald erleichtert fühlte. Sie ging allein ins Gärtchen, und als Theobald nach einer Weile sie dort aufsuchte, kam sie ihm mit einer weichen Heiterkeit auf dem Gesicht, nur ungewöhnlich blaß, entgegen. Der Maler im stillen war über ihre Schönheit verwundert, die er vollkommener nie gesehen hatte. Sie fing gleich an, jene traurigen Ahnungen zu widerrufen, und nannte es sündhafte Schwäche, dergleichen bösen Zweifeln nachzugeben, die man durch aufrichtiges Gebet jederzeit am sichersten loswerde, und es sei auch gewiß das letzte Mal, daß Nolten sie so kindisch gesehen. Mit der natürlichen Beredsamkeit eines frommen Gemüts empfahl sie ihm Vertrauen auf Gottes Macht und Liebe, von welcher sie nach solcher Anfechtung nur um so freudigeres Zeugnis in ihrem Innersten empfangen habe. – So wahr ihr auch dies alles aus dem Herzen floß, so wich sie Noltens Fragen, was denn eigentlich der Grund jenes Verzagens gewesen sei, mit einiger Unruhe aus. Sie glaubte ihn mit dem Bekenntnisse verschonen zu müssen, daß, als sie gestern den Brief des Hofrats gelesen, ihre Freude hierüber auf der Stelle mit einer dunkeln Furcht vor diesem Glück, vielleicht gerade weil es ihr zu groß gedeucht, seltsam gemischt gewesen war.

Den folgenden Tag war die Beisetzung des Barons. Alle, auch Agnes, die ihm die Totenkrone flocht, hatten ihn noch im Sarge gesehen, und einen durchaus reinen und erhebenden Eindruck von seinem Liebe-Bild zurückbehalten. Raymund, mit einem dankbaren Schreiben Theobalds an den Hofrat, war zeitig weitergegangen. Zur festgesetzten Zeit wollten beide Künstler sich an dem neuen Orte ihrer Bestimmung fröhlicher wieder begrüßen, als sie sich jetzo trennten.

Zunächst nun folgte in dem Forsthaus eine stille, doch wohltätige Trauerwoche. In traulichen, öfters bis tief in die Nacht fortgesetzten Gesprächen vergegenwärtigte man sich die eigentümliche Sinnesart des Verstorbenen auf alle Weise. Erinnerungen aus frühester und neuester Zeit traten hervor. Entwürfe eines Denkmals, das Grab des Toten einfach und edel zu zieren, wurden verschiedentlich versucht, Umrisse der freundlichen Gesichtsbildung wurden gezeichnet, nach Ansicht eines jeden sorgfältig verändert und wieder gezeichnet. Jetzt langten Noltens Effekten an. Er fand unter seinen Papieren eine Sammlung älterer Briefe des Barons (denn in dem letzten Jahre schrieb er fast nichts mehr, und alle Verbindung zwischen ihm und dem Maler war nur gelegentlich durch das Forsthaus). Meistens fiel diese Korrespondenz in die Zeit, da sich Theobald in Rom aufhielt, man bekam die Gegenblätter vollständig aus dem Nachlasse des Barons zusammen und sie gewährten jetzt eine ebenso lehrreiche als erbauliche Unterhaltung.

Von einem solchen, dem teuren Abgeschiedenen mit frommer Neigung gewidmeten Andenken war dann der Übergang zum lebendigen Genusse der Gegenwart in jedem Augenblicke leicht gefunden. Größere und kleinere Spaziergänge, Besuche aus der Nachbarschaft erwidert, hundert kleine Beschäftigungen in Haus und Feld und Garten wechselten ab, die Tage schnell und harmlos abzuspinnen. Nolten versäumte dabei nicht, wenn von der großen Veränderung die Rede war, die ihm und den Seinigen bevorstand, gelegentlich einen Plan erst nur entfernterweise und wie im Scherze blicken zu lassen, womit er aber eines Abends, als alle drei beim traulichen Lichte versammelt saßen, ernsthaft hervortrat und den Vater wie Agnesen nicht wenig überraschte. Er sei entschlossen, sagte er, seinen künftigen Wohnort auf einem kleinen Umweg über einige sehenswerte Städte Deutschlands zu erreichen, und nicht nur die Geliebte werde ihn begleiten, sondern, wie er halb hoffe, auch der Vater, den er auf jeden Fall als bleibenden Genossen seines künftigen Hauses schon längst im stillen angesehn und nunmehr, von Agnesen unterstützt, um seine Einwilligung herzlich und kindlich bitte. Gerührt versprach der Alte, der Sache nachzudenken; »was aber«, setzte er hinzu, »diese nächste Reise betrifft, so taugt ein alter gebrechlicher Kamerade wie ich zu dergleichen Seitensprüngen nicht mehr. Und überdies« (er hatte die Landkarte auf dem Tisch ausgebreitet) »so ganz unbeträchtlich find ich den Umweg des Herrn Sohns eben nicht. Sehn Sie, dies Dreieck, man mag es nehmen wie man will, macht immer einen ziemlich spitzen Winkel hier bei P***, wo Sie dann gegen Norden lenken wollten. Nein, liebe Kinder, vorderhand bleib ich hier. Euch so lange hinzusperren, bis ich Haus und Hof beschickt und abgegeben hätte, wäre unsinnig, und doch muß man sich zu so etwas Zeit nehmen können; daß ich aber für jetzt nur abbräche, um wiederzukommen und dann die Sachen in Ordnung zu bringen, wäre womöglich noch ungeschickter. Kommt ihr nur erst an Ort und Stelle an, wir wollen sehen, was sich dann weiter schickt und ob es Gottes Wille ist, daß ich euch folge.«

Agnes konnte dem Vater nicht Unrecht geben; am liebsten freilich hätte sie Theobalden jenen Nebenplan ausreden mögen, der ihr und, wie sie wohl bemerkte, noch mehr dem Vater, der bedeutenden Kosten wegen, bedenklich vorkam. Sie hielt auch diese Einwendung nicht ganz zurück, doch da man sah, wie vielen Wert der Maler auf die Sache legte, so dachte man sie ihm nicht zu verkümmern. Man fing also zu rechnen an, und Theobald erklärte, daß er, so günstig wie nunmehr die Dinge für ihn lägen, eine Schuld ohne Gefahr aufnehmen könne, ja er gestand, er habe dies Geschäft schon abgetan und bereits die Wechsel in Händen. Dies gab ihm einen kleinen Zank, doch mußte man es ihm wohl gelten lassen.

Nun aber kam ganz unvermeidlich die Hochzeit zur Sprache. Es war ein Punkt, der diese letzten Tage her Agnesen im stillen vieles mochte zu schaffen gemacht haben; sie faßte sich daher ein Herz und fing von selbst davon zu reden an, jedoch nur um zu bitten, daß man damit nicht eilen, daß man diesen und den nächsten Monat noch abwarten möge. »Was soll das heißen?« rief der Vater und traute seinen Ohren kaum. »Wir reisen ja die nächste Woche schon, mein Kind!« rief Nolten. Das hindere nichts, behauptete Agnes; sie müßten sich ja nicht notwendig im Lande trauen lassen, was ihr freilich, an sich betrachtet, ungleich lieber wäre, es könne aber wohl in W*** geschehn (dies war der Ort, wo sie sich niederlassen sollten), und noch besser in H*** (hier lebte ein naher Verwandter des Försters und die Reisenden mußten das Städtchen passieren, das nur wenige Meilen von W*** gelegen war); dort würden sie in einer festzusetzenden Woche mit dem Vater zusammentreffen, und so alle miteinander aufziehn. – Der Alte hielt seinen Verdruß noch an sich, um erst die Gründe der Tochter zu hören, allein da diese rein innerlich, dem guten Mädchen selber nicht ganz klar und überhaupt gar nicht geeignet waren, eine gemein verständige Prüfung auszuhalten, so geriet der Vater in Hitze und es kam zu einem Auftritt, den wir dem Leser gern ersparen. Genug, der Förster, nachdem er seine Meinung über solchen Eigensinn mit Bitterkeit von sich geschüttet hatte, verließ ganz außer sich das Zimmer. Die Arme warf sich voller Schmerz aufs Bette, und Theobald, dem sie nur rückwärts ihre Hand hinlieh, saß lange schweigend neben ihr. Sie wurde ruhiger, sie rührte sich nicht mehr, ein leiser Schlaf umdämmerte ihre Sinne.

Unserem Freunde drangen sich in dieser stummen sonderbaren Lage verschiedene Betrachtungen auf, die er seit jenem Morgen, an dem er die Geliebte von neuem an sein Herz empfing, nimmermehr für möglich gehalten hätte, doch jetzt, wer möchte ihm verargen, wenn ihn der Zweifel überschlich, ob denn das Rätselwesen, das hier trostlos vor seinen Augen lag, dazu bestimmt sein könne, durch ihn glücklich zu werden, oder ihm ein dauerndes Glück zu gründen, ob er es für ein wünschenswertes und nicht vielmehr für ein höchst gewagtes Bündnis halten müsse, wodurch er sich fürs ganze Leben an dies wunderbare Geschöpf gefesselt sähe? Aber zu fragen brauchte er sich wenigstens das eine nicht: ob er sie wirklich liebe, ob seine Neigung nicht etwa nur eine künstlich übertragene sei? vielmehr durchdrang ihn das Gefühl derselben nie so vollglühend als eben jetzt. Er dachte weiter nach und mußte finden, daß eben jene dunkle Klippe, woran Agnesens sonst so gleichgewiegtes Leben zum erstenmal sich brach, dieselbe sei, nach der auch sein Magnet von früh an unablässig strebte, ja daß (man gönne uns immer das Gleichnis) die schlimme Zauberblume, worin des Mädchens Geist zuerst mit unheilvollen Ahnungen sich berauschte, nur auf dem Grund und Boden seines eignen Schicksals aufgeschossen war. Notwendig daher und auf ewig ist er mit ihr verbunden, Böses oder Gutes kann für sie beide nur in einer Schale gewogen sein.

Seine Gedanken verschwammen nach und nach in einer grundlosen Tiefe, doch ohne Ängstlichkeit; mit einer Art von frommer Todeswollust, mit überschwenglichem Vertrauen küßt er den Saum am Kleide der Gottheit, deren geweihtes Kind er sich empfindet. Er hätte eine Ewigkeit so sitzen können, nur diese Schlafende neben sich, nur diese ruhige Kerze vor Augen. – Er neigt sich über Agnes her und rührt mit leisen Lippen ihre Wange; sie schrickt zusammen und starrt ihm lange ins Gesicht, bis sie sich endlich findet. Stillschweigend treten beide ans offene Fenster, eine balsamische Luft haucht ihnen entgegen; der volle Mond war eben aufgegangen und setzte die Gegend, das Gärtchen, ins Licht. Sie deutet hinab, ob er noch einen Gang zu machen Lust hätte. Man zauderte nicht. Der Vater war zu Bette gegangen, das ganze Dorf in Ruhe. Sie wandelten den mittlern Weg vom Haus zur Laube, zwischen aufblühenden Rosengehegen, Hand in Hand auf und nieder. Keins konnte die ersten Worte recht finden. Er fing endlich damit an, den Vater zu entschuldigen, und rückte so dem Gegenstand des Streites näher, um zu erfahren, woher ihr diese Scheu, dies Widerstreben gegen ein so natürliches als erfreuliches Vorhaben kam, von dem sie noch vor wenig Wochen mit aller Unbefangenheit, ja ganz im Sinn des echten Mädchens gesprochen hatte, dem auch die äußeren Erfordernisse eines solchen Tags, die Musterung und Wahl des Putzes, ein reizender Gegenstand der Sorgfalt und der Mühe sind. Mit welcher Rührung hatte sie neulich (wir versäumten bis jetzt, es zu erwähnen), mit welcher Bewunderung das schöne Angebinde der unbekannten Freundinnen aus Theobalds Händen empfangen und gegen das schwarze Festkleid gehalten! »Sieh«, sagte der Bräutigam jetzt, und streichelte ihr freundlich Kinn und Wangen, indem sein Ton zwischen Wehmut und einer ermutigenden Munterkeit wechselte, »dort schaut das Kirchlein her und tut wie traurig, daß es die Freude deines Tags nicht sehen soll! kannst du ihm seinen Willen denn nicht tun? – Gewiß, Agnes, ich will dich nicht bestürmen: hier meine Hand darauf, daß du mit keinem Wort, mit keiner unfreundlichen Miene, auch vom Vater nicht, es künftig entgelten sollst, wenn du, was wir verlangen, nun einmal nicht über dich vermöchtest, nur überleg es noch einmal. Ich will alles beiseite setzen, was der Vater hauptsächlich für seine Absicht anführt, ich will davon nichts sagen, daß es jedermann auffallen müßte, Stoff zu Vermutungen gäbe, und dergleichen. Aber ob du der Heimat, in deren Schoß du deine frohe Jugend lebtest, von der du nun für immer Abschied nimmst, ob du ihr dies Fest nicht schuldig bist, worauf sie so gerne stolz sein möchte? Der Ort, das Haus, das Tal, wo man erzogen wurde, dünkt uns von einem eigenen Engel behütet, der hier zurückbleibt, indem wir uns in die weite Welt zerstreuen: es ist dies wenigstens das liebste Bild für ein natürliches Gefühl in uns; bedenke nun, ob dieser fromme Wächter deiner Kindheit dir's je verzeihen könnte, wenn du ihm nicht vergönnen wolltest, dir noch den Kranz aufs Haupt zu setzen, dich auf der Schwelle deines elterlichen Hauses mit seinem schönsten Segen zu entlassen. Es hoffen alle deine Gespielen, jung und alt hofft dich vor dem Altar zu sehen, das ganze Dorf hat die Augen auf dich gerichtet. Und darf ich noch mehr sagen? Zweier Personen muß ich gedenken, die diesen Tag nicht mehr mit uns begehen sollten, deine teure Mutter und unser kürzlich vollendeter Freund: ihr Gruß wird uns an jenem Morgen schmerzlich fehlen, aber doch eine Spur ihres Wesens wird uns an der Stätte begegnen, wo sie einst mit uns waren, von ihrer Ruhestätte wird –«

»Um Jesu willen, Theobald, nicht weiter!« ruft Agnes, ihrer nicht mehr mächtig, und wirft sich schluchzend vor ihm auf die Kniee – »Du bringst mich um – Es kann nicht sein – Erlasset mir's!« Bestürzt hebt er sie auf, liebkost, beschwichtigt, tröstet sie: man sei ja weit entfernt, sagt er, ihrem Herzen Gewalt anzutun, er habe sich nun überzeugt, wie unmöglich es ihr sei, auch liege ja so sehr viel nicht an der Sache, er werde es dem Vater vorstellen, es werde alles gut gehn. Sie kamen vor die Laube, sie mußte sich setzen; ein schmaler Streif des Mondes fiel durchs Gezweige auf ihr Gesicht und Theobald sah ihre Tränen in hellen Tropfen fallen. Er solle die Reise allein machen, verlangte sie, er solle wieder zurückkommen, indessen sei die Zeit vorüber, vor welcher sie sich fürchte, dann wolle sie gern alles tun, was man wünsche und wo man es wünsche. Auf die Frage, ob es also nicht die Reise selbst sei, was sie beängstige, erwiderte sie: nein, sie könne nur das Gefühl nicht überwinden, als ob ihr überhaupt in der nächsten Zeit etwas Besonderes bevorstünde – es warne sie unaufhörlich etwas vor dieser schnellen Hochzeit. »Was aber dies Besondere sei, das wüßtest du mir nicht zu sagen, liebes Herz?« Sie schwieg ein Weilchen und gab dann zurück: »Wenn der Zeitpunkt vorüber ist, sollst du es erfahren.« Nolten vermied nun, weiter davon zu reden. Er war weniger wegen irgend eines bevorstehenden äußern Übels, als um das Gemüt des Mädchens besorgt; er nahm sich vor, sie auf alle Art zu schonen und zu hüten. Was ihm aber eine solche Vorsicht noch besonders nahelegte, war eine Äußerung Agnesens selbst. Nachdem nämlich das Gespräch bereits wieder einen ruhigen und durch Theobalds leise, verständige Behandlung, selbst einen heitern Ton angenommen hatte, gingen beide, da es schon gegen Mitternacht war, ins Haus zurück. Sie zündete Licht für ihn an, und man hatte sich schon gute Nacht gesagt, als sie seine Hand noch festhielt, ihr Gesicht an seinem Halse verbarg und kaum hörbar sagte: »Nicht wahr, das Weib wird nimmer kommen?« »Welches?« fragt er betroffen. »Du weißt es«, erwiderte sie, als getraue sie sich nicht, das Wort in den Mund zu nehmen. Es war das erstemal, daß sie ihm gegenüber die Zigeunerin berührte. Er beruhigte sie mit wenigen aber entschiedenen Worten.

Auf seinem Zimmer angekommen untersucht er eifrig den Verschlag, worin unter andern Malereien auch das fatale Bild vergraben war; eine augenblickliche Besorgnis, die Kiste möchte aus Irrtum geöffnet worden sein, war durch Agnesens Worte in ihm aufgestiegen; doch fand sich alles unversehrt.


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