Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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Vierte Szene

König und Thereile allein.

König für sich: Still, sachte nur, mein Geist; gib dich zur Ruhe!
Lagst mir so lang in ungestörter Dumpfheit,
Hinträumend allgemach ins Nichts dahin,
Was weckt dich wieder aus so gutem Schlummer?
Lieg stille nur ein Weilchen noch!
    Umsonst! umsonst! es schwingt das alte Rad
Der glühenden Gedanken unerbittlich
Sich vor dem armen Haupte mir!
Will das nicht enden? mußt du staunend immer
Aufs neue dich erkennen? mußt dich fragen,
Was leb ich noch? was bin ich? und was war
Vor dieser Zeit mit mir? – Ein König einst,
Ulmon mein Name; Orplid hieß die Insel;
Wohl, wohl, mein Geist, das hast du schlau behalten;
Und doch mißtrau ich dir; Ulmon – Orplid –
Ich kenne diese Worte kaum, ich staune
Dem Klange dieser Worte – Unergründlich
Klafft's da hinab – O wehe, schwindle nicht!
    Ein Fürst war ich? So sei getrost und glaub es.
Die edle Kraft der Rückerinnerung
Ermattete nur in dem tiefen Sand
Des langen Weges, den ich hab durchmessen;
Kaum daß manchmal durch seltne Wolkenrisse
Ein flüchtges Blitzen mir den alten Schauplatz
Versunkner Tage wundersam erleuchtet.
Dann seh ich auf dem Throne einen Mann
Von meinem Ansehn, doch er ist mir fremd,
Ein glänzend Weib bei ihm, es ist mein Weib.
Halt an, o mein Gedächtnis, halt ein wenig!
Es tut mir wohl, das schöne Bild begleitet
Den König durch die Stadt und zu den Schiffen.
Ja, ja, so war's; doch jetzt wird wieder Nacht. –
Seltsam! durch diese schwanken Luftgestalten
Winkt stets der Turm von einem alten Schlosse,
Ganz so, wie jener, der sich wirklich dort
Gen Himmel hebt. – – Vielleicht ist alles Trug
Und Einbildung und ich bin selber Schein.

Er sinkt in Nachdenken; blickt dann wieder auf.

Horch! auf der Erde feuchtem Bauch gelegen
Arbeitet schwer die Nacht der Dämmerung entgegen,
Indessen dort, in blauer Luft gezogen,
Die Fäden leicht, kaum hörbar fließen,
Und hin und wieder mit gestähltem Bogen
Die lustgen Sterne goldne Pfeile schießen.

Thereile noch immer in einiger Entfernung:
Wie süß der Nachtwind nun die Wiese streift,
Und klingend jetzt den jungen Hain durchläuft!
Da noch der freche Tag verstummt,
Hört man der Erdenkräfte flüsterndes Gedränge,
Das aufwärts in die zärtlichen Gesänge
Der reingestimmten Lüfte summt.

König: Vernehm ich doch die wunderbarsten Stimmen
Vom lauen Wind wollüstig hingeschleift,
Indes mit ungewissem Licht gestreift
Der Himmel selber scheinet hinzuschwimmen.

Thereile: Wie ein Gewebe zuckt die Luft manchmal,
Durchsichtiger und heller aufzuwehen,
Dazwischen hört man weiche Töne gehen
Von sel'gen Elfen, die im blauen Saal
Zum Sphärenklang,
Und fleißig mit Gesang,
Silberne Spindeln hin und wieder drehen.

König: O holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt
Auf schwarzem Samt, der nur am Tage grünet,
Und luftig schwirrender Musik bedienet
Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt,
Womit du Stund um Stunde missest,
Dich lieblich in dir selbst vergissest –
Du schwärmst, es schwärmt der Schöpfung Seele mit!

Thereile legt sich auf einen Rasen, das Auge sehnsüchtig nach dem Könige gerichtet. Er fährt fort, mit sich selbst zu reden.

Im Schoß der Erd, im Hain und auf der Flur
Wie wühlt es jetzo rings in der Natur
Von nimmersatter Kräfte Gärung!
Und welche Ruhe doch, und welch ein Wohlbedacht!
Dadurch in unsrer eignen Brust erwacht
Ein gleiches Widerspiel von Fülle und Entbehrung.
In meiner Brust, die kämpft und ruht,
Welch eine Ebbe, welche Flut!

Pause.

Almissa – –! Wie? Wer flüstert mir den Namen,
Den langvergeßnen, zu? Hieß nicht mein Weib
Almissa? Warum kommt mir's jetzt in Sinn?
Die heilge Nacht, gebückt auf ihre Harfe,
Stieß träumend mit dem Finger an die Saiten,
Da gab es diesen Ton. Vielleicht genoß ich
In solcher Stunde einst der Liebe Glück – –

Langes Schweigen. Aufschauend endlich gewahrt er Thereilen, die sich ihm liebevoll genähert hat.

Ha! bin ich noch hier? Stehst du immer da?
So tief versank ich in die stummen Täler,
Die mir Erinnrung grub in mein Gehirn,
Daß mir jetzt ist, ich säh zum erstenmal
Dich, die verhaßte Zeugin meiner Qual.
O warf ein Gott mich aus der Menschheit Schranken,
Damit mich deine fluchenswerte Gunst
Gefesselt hält in seligem Erkranken,
Mich sättigend mit schwülem Zauberdunst,
Mir zeigend aller Liebesreize Kunst,
Indes du dich in stillem Gram verzehrst
Um den Genuß, den du dir selbst verwehrst?
Denn dieser Leib, trotz deinen Mitteln allen,
Ist noch dem Blut, das ihn gezeugt, verfallen;
Umsonst, daß ich den deinen an mich drücke,
Vergebens diese durstig schöne Brust,
So bleiben unsre Küsse, unsre Blicke
Fruchtlose Boten unbegrenzter Lust!

Für sich

Weh! muß ich eitle Liebesklage heucheln,
Mir Mitleid und Erlösung zu erschmeicheln? –
    Darum, unsterblich Weib, ich bitte sehr,
Verkenne dich und mich nicht länger mehr!
Verbanne mich aus deinem Angesicht,
So endigst du dies jammervolle Schwanken,
Mein unwert Bildnis trage länger nicht
Im goldnen Netze liebender Gedanken!

Thereile: Ganz recht! was ungleich ist, wer kann es paaren?
Wann wäre Hochzeit zwischen Hund und Katze?
Und doch, sie sind sich gleich bis auf die Tatze.
Wie soll, obwohl er Flossen hat, der Pfeil
Alsbald, dem Fische gleich, den See befahren?
Hat ja ein jedes Ding sein zugemessen Teil;
Doch weiß ich nichts, das wie des Menschen Mund
So viel verschiedne Dienste je bestund:
Ei, der kann alles trennen und vereinen,
Kann essen, küssen, lachen oder weinen,
Nicht selten spricht er, wenn er küssen soll;
Muß aber einmal doch gesprochen sein,
So ist es Wahrheit, sollt ich meinen,
Schön Dank! da ist er aller Lügen voll.
    Denn sieh, mit welcher Stirn wirfst du mir ein,
Wir glichen uns nur halb, und nur zum Schein?
Kann der von Bitter sagen oder Süß,
Den ich den Rand noch nicht des Bechers kosten ließ?
Still, still! ich will nichts hören, nicht ein Wort!
So wenig lohnt es sich mit dir zu rechten,
Als wollt ich einem Bären Zöpfe flechten.
Tu, was du magst. Geh, trolle dich nur fort!
Ich bin des Schnickeschnackens müde.

König: Ist es dein Ernst?

Thereile:                 Ernst? o behüte!
Jetzt überfällt mich erst die wahre Lust,
Dir zum Verdruß dich recht zu lieben.
Komm, laß uns tanzen! Komm, mein Freund, du mußt!

Sie fängt an zu tanzen.

König für sich: Wie haß ich sie! und doch, wie schön ist sie!
Hinweg! mir wird auf einmal angst und bange
Bei dieser kleinen golden-grünen Schlange.
Von ihren roten Lippen träuft
Ein Lächeln, wie drei Tropfen süßes Gift,
Das in dem Kuß mit halbem Tode trifft.
Ha! wie sie Kreise zieht, Anmut auf Anmut häuft!
Doch stößt's mich ab von ihr, ich weiß nicht wie.

Es ruft etwas entfernt: »Thereile! Ach Thereile!«

König: Horch!

Thereile:     Die Kinder kommen: welch Geschrei!


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