Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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»Vor vielen hundert Jahren, eh noch das Christentum in deutschen Landen verbreitet gewesen, lebte ein Graf, der besaß eine Tochter, Belsore, die hatte er eines Herzogs Sohn, mit Namen Alexis, zur Ehe versprochen. Diese liebten einander treulich und rein; über ein Jahr sollte Alexis sie heimführen dürfen. Mittlerweile aber mußte er einen Zug tun mit seinem Vater, weit weg, nach Konstantinopel. Dort hörte er zum erstenmal in seinem Leben das Evangelium von Christo predigen, was ihn und seinen Vater bewog, diesen Glauben besser kennenzulernen. Sie blieben einen Monat in der gedachten Stadt und kamen mit Freuden zuletzt überein, daß sie sich wollten taufen lassen. Bevor sie wieder heimreisten, ließ der Vater von einem griechischen Goldschmied zwei Fingerringe machen, worauf das Kreuzeszeichen in kostbaren Edelstein gegraben war; der eine gehörte Belsoren, der andere Alexis. Als sie nach Hause kamen und der Graf vernahm, was mit ihnen geschehen, und daß seine Tochter sollte zur Christin werden, verwandelte sich seine Freude in Zorn und giftigen Haß, er schwur, daß er sein Kind lieber würde mit eigner Hand umbringen, eh ein solcher sie heiraten dürfe, und könnte sie dadurch zu einer Königin werden. Belsore verging für Jammer, zumal sie nach dem, was ihr Alexis vom neuen Glauben ans Herz gelegt, ihre Seligkeit auch nur auf diesem Weg zu finden meinte. Sie wechselten heimlich die Ringe und gelobten sich Treue bis in den Tod, was auch immer über sie ergehen würde. Der Graf bot Alexis Bedenkzeit an, ob er etwa seinen Irrtum abschwören möchte, da er ihn denn aufs neue als lieben Schwiegersohn umarmen wolle. Der Jüngling aber verwarf den frevelhaften Antrag, nahm Abschied von Belsoren, und griff zum Wanderstab, um in geringer Tracht bald da bald dort als ein Bote des Evangeliums umherzureisen. Da er nun überall verständig und kräftig zu reden gewußt, auch lieblich von Gestalt gewesen, so blieb seine Arbeit nicht ohne vielfältigen Segen. Aber oft, wenn er so allein seine Straße fortlief, bei Schäfern auf dem Felde, bei Köhlern im Walde übernachten blieb und neben soviel Ungemach auch wohl den Spott und die Verachtung der Welt erfahren mußte, war er vor innerer Anfechtung nicht sicher und zweifelte zuweilen, ob er auch selbst die Wahrheit habe, ob Christus der Sohn Gottes sei, und würdig, daß man um seinetwillen alles verlasse. Dazu gesellte sich die Sehnsucht nach Belsoren, mit der er jetzt wohl längst in Glück und Freuden leben könnte. Indes war er auf seinen Wanderungen auch in diese Gegend gekommen. Hier, wo nunmehr der Brunnen ist, soll damals nur eine tiefe Felskluft, dabei ein Quell gewesen sein, daran Alexis seinen Durst gelöscht. Hier flehte er brünstig zu Gott um ein Zeichen, ob er den rechten Glauben habe; doch dachte er sich dieser Gnade erst durch ein Geduldjahr würdiger zu machen, währenddessen er zu Haus beim Herzog, seinem Vater, geruhig leben und seine Seele auf göttliche Dinge richten wolle. Werde er in dieser Zeit seiner Sache nicht gewisser und komme er auf den nächsten Frühling wiederum hieher, so soll der Rosenstock entscheiden, an dessen völlig abgestorbenes Holz er jetzt den Ring der Belsore feststeckte: blühe bis dahin der Stock und trage er noch den goldenen Reif, so soll ihm das bedeuten, daß er das Heil seiner Seele bisher auf dem rechten Wege gesucht und daß auch seine Liebe zu der Braut dem Himmel wohlgefällig sei. So trat er nun den Rückweg an. Der Herzog war inzwischen dem Erlöser treu geblieben, und von Belsoren erhielt Alexis durch heimliche Botschaft die gleiche Versicherung. Sosehr ihn dies erfreute, so blieb ihm doch sein eigener Zweifelmut; zugleich betrübte er sich, weil es im Brief der Braut beinah den Anschein hatte, als ob sie bei aller treuen Zärtlichkeit für ihn, doch ihrer heißen Liebe zum Heiland die seinige in etwas nachgesetzt. Er konnte kaum erwarten, bis bald das Jahr um war. Da macht er sich also zu Fuße, wie er's gelobt, auf den Weg. Er findet den Wald wieder aus, er kennt schon von weitem die Stelle, er fällt, bevor er näher tritt, noch einmal auf die Knie und eilt mit angstvollem Herzen hinzu. O Wunder! drei Rosen, die schönsten, hängen am Strauch. Aber ach, es fehlte der Ring. Sein Glaube also galt, aber Belsore war ihm verloren. Voll Verzweiflung reißt er den Strauch aus der Erde und wirft ihn in die tiefe Felskluft. Gleich nachher reut ihn die Untat; als ein Büßender kehrt er zurück ins Vaterland, dessen Einwohner durch die Bemühungen des Herzogs bereits zum großen Teil waren bekehrt worden. Alexis versank in eine finstere Schwermut; doch Gott verließ ihn nicht, Gott gab ihm den Frieden in seinem wahrhaftigen Worte. Nur über einen Punkt, über seine Liebe zu der frommen Jungfrau, war er noch nicht beruhigt. Eine heimliche Hoffnung lebte in ihm, daß er an jenem wunderbaren Orte noch völlig müsse getröstet werden. Zum drittenmal machte er die weite Wallfahrt, und glücklich kommt er ans Ziel. Aber leider trifft er hier alles nur eben wie er's verlassen. Mit Wehmut erkennt er die nackte Stelle, wo er den Stock entwurzelt hatte. Kein Wunder will erscheinen, kein Gebet hilft ihm zu einer fröhlichen Gewißheit. In solcher Not und Hoffnungslosigkeit überfiel ihn die Nacht, als er noch immer auf dem Felsen hingestreckt lag, welcher sich über die Kluft herbückte. In Gedanken sah er so hinunter in die Finsternis und überlegte, wie er mit anbrechendem Morgen in Gottes Namen wieder wandern und seiner Liebsten ein Abschiedsschreiben schicken wolle. Auf einmal bemerkt er, daß es tief unten auf dem ruhigen Spiegel des Wassers als wie ein Gold- und Rosenschimmer zuckt und flimmt. Anfänglich traut er seinen Augen nicht, allein von Zeit zu Zeit kommt der liebliche Schein wieder. Ein frohes Ahnen geht ihm auf. Wie der Tag kommt, klimmt er die Felsen hinab, und siehe da! der weggeworfene Rosenstock hatte zwischen dem Gestein, kaum eine Spanne überm Wasser, Wurzel geschlagen und blühte gar herrlich. Behutsam macht Alexis ihn los, bringt ihn ans Tageslicht herauf und findet an derselben Stelle, wo er vor zweien Jahren den Reif angesteckt, ringsum eine frische Rinde darüber gequollen, die ihn so dicht einschloß, daß kaum durch eine winzige Ritze das helle Gold herausglänzte. Noch voriges Jahr müßte Alexis den Ring, wäre er nicht so übereilt und sein Vertrauen zu Gott größer gewesen, weit leichter entdeckt haben. Wie dankbar warf er nun sich im Gebet zur Erde! Mit welchen Tränen küßte er den Stock, der außer vielen aufgegangenen Rosen noch eine Menge Knospen zeigte. Gerne hätte er ihn mitgenommen, allein er glaubte ihn dem heiligen Orte, wo er zuvor gestanden, wieder einverleiben zu müssen. Unter lautem Preise der göttlichen Allmacht kehrte er, wie ein verwandelter Mensch, ins väterliche Haus zurück. Dort empfängt ihn zugleich eine Freuden- und Trauerbotschaft: der alte Graf war gestorben, auf dem Totenbett hatte er sich, durch die Belehrung seiner Tochter gewonnen, zum Christentum bekannt und seine Härte aufrichtig bereut. Alexis und Belsore wurden zum glücklichsten Paare verbunden. Ihr erstes hierauf war, daß sie miteinander eine Wallfahrt an den Wunderquell machten und denselben in einen schöngemauerten Brunn fassen ließen. Viele Jahrhunderte lang soll es ein Gebrauch gewesen sein, daß weit aus der Umgegend die Brautleute vor der Hochzeit hieherreisten, um einen gesegneten Trunk von diesem klaren Wasser zu tun, welches der Rosentrunk geheißen; gewöhnlich reichte ihn ein Pater Einsiedler, der hier in dem Walde gewohnt. Das ist nun freilich abgegangen, doch sagen die Leute, die Schäfer und Feldhüter, daß noch jetzt in der Karfreitag- und Christnacht das rosenfarbene Leuchten auf dem Grund des Brunnens zu sehen sei.«

Agnes betrachtete einen vorstehenden Mauerstein, worauf noch ziemlich deutlich drei ausgehauene Rosen und ein Kreuz zu bemerken waren. Henni leitete aus der Geschichte mehrere Lehren für seine arme Schutzbefohlene ab; sie merkte aber sehr wenig darauf und zog ihn bald von dem Platze weg, um nahebei einen kleinen Berggipfel zu besteigen, welcher sich kahl und kegelförmig über das Wäldchen erhob. »Der Wind weht fort! Ich muß das Windlied singen; es ist sehr ratsam heute«, rief Agnes, voraneilend.

Sie standen oben und sie sang in einer freien Weise die folgenden Verse, indem sie bei Frag und Antwort jedesmal sehr artig mit der Stimme wechselte, dabei sehr lebhaft in die Luft agierte.

»›Sausewind! Brausewind!
Dort und hier,
Deine Heimat sage mir!‹

    ›Kindlein, wir fahren
Seit vielen Jahren
Durch die weit weite Welt,
Und wollen's erfragen,
Die Antwort erjagen,
Bei den Bergen, den Meeren,
Bei des Himmels klingenden Heeren –
Die wissen es nie,
Bist du klüger als sie,
Magst du es sagen.
– Fort! Wohlauf!
Halt uns nicht auf!
Kommen andre nach,
Unsre Brüder,
Da frag wieder.‹

    ›Halt an! Gemach,
Eine kleine Frist!
Sagt, wo der Liebe Heimat ist,
Ihr Anfang, ihr Ende!‹

    ›Wer's nennen könnte!
Schelmisches Kind,
Lieb ist wie Wind,
Rasch und lebendig,
Ruhet nie,
Ewig ist sie,
Aber nicht immer beständig.
– Fort! Wohlauf auf!
Halt uns nicht auf!
Fort über Stoppel, und Wälder, und Wiesen!
Wenn ich dein Schätzchen seh,
Will ich es grüßen;
Kindlein, ade!‹«

Gegen Abend hatte sich Agnes ermüdet zu Bette gelegt; der Präsident war eine Zeitlang bei ihr gewesen; auf einmal kam er freudig aus ihrem Schlafzimmer und sagte eilfertig zu Theobald hin: »Sie verlangt nach Ihnen, gehn Sie geschwinde!« Er gehorchte unverzüglich, die andern blieben zurück und er zog die Türe hinter sich zu. Agnes lag ruhig auf der Seite, den Kopf auf einem Arm gestützt. Bescheiden setzte er sich mit einem freundlichen Gruß auf den Stuhl an ihrem Bette; durchaus gelassen, doch einigermaßen zweifelhaft sah sie ihn lange an; es schien als dämmerte eine angenehme Erinnerung bei ihr auf, welche sie an seinen Gesichtszügen zu prüfen suchte. Aber heißer, schmelzender wird ihr Blick, ihr Atem steigt, es hebt sich ihre Brust, und jetzt – indem sie mit der Linken sich beide Augen zuhält – streckt sie den rechten Arm entschlossen gegen ihn, faßt leidenschaftlich seine Hand und drückt sie fest an ihren Busen; der Maler liegt, eh er sich's versieht, an ihrem Halse und saugt von ihren Lippen eine Glut, die von der Angst des Moments eine schaudernde Würze erhält; der Wahnsinn funkelt frohlockend aus ihren Augen, Verzweiflung preßt dem Freunde das himmlische Gut, eh sich's ihm ganz entfremde, noch einmal – ja er fühlt's, zum letztenmal, in die zitternden Arme.

Aber Agnes fängt schon an unruhig zu werden, sich seinen Küssen leise zu entziehen, sie hebt ängstlich den Kopf in die Höhe: »Was flüstert denn bei dir? was spricht aus dir? ich höre zweierlei Stimmen – Hülfe! zu Hülfe! du tückischer Satan, hinweg –! Wie bin ich, wie bin ich betrogen! – O nun ist alles, alles mit mir aus. – Der Lügner wird hingehn, mich zu beschimpfen bei meinem Geliebten, als wär ich kein ehrliches Mädchen, als hätt ich mit Wissen und Willen dies Scheusal geküßt – O Theobald! wärest du hier, daß ich dir alles sagte! Du weißt nicht, wie's die Schlangen machten! und daß man mir den Kopf verrückte, mir, deinem unerfahrnen, armen, verlassenen Kind!« Sie kniete aufrecht im Bette, weinte bitterlich und ihre losgegangenen Haare bedeckten ihr die glühende Wange. Nolten ertrug den Anblick nicht, er eilte weinend hinaus: »Ja lache nur in deine Faust und geh und mach dich lustig mit den andern – es wird nicht allzu lange mehr so dauern, denn es ist gottvergessen und die Engel im Himmel erbarmt's, wie ihr ein krankes Mädchen quält!«

Die Schwägerin kam und setzte sich zu ihr, sie beteten; so ward sie ruhiger.

»Nicht wahr?« sprach sie nachher, »ein selig Ende, das ist's doch, was sich zuletzt ein jeder wünscht; einen leichten Tod, recht sanft, nur so wie eines Knaben Knie sich beugt; wie komm ich zu dem Ausdruck? ich denke an den Henni; mit diesem müßte sich gut sterben lassen.«

In diesem Ton sprach sie eine Weile fort, vergaß sich nach und nach, ward munterer, endlich gar scherzhaft, und zwar so, daß Nannetten dieser Sprung mißfiel. Agnes bemerkte es, schien wirklich durch sich selbst überrascht und beschämt, und sie entschuldigte alsbald ihr Benehmen auf eine Art, welche genugsam zeigt, wie klar sie sich auf Augenblicke war: »Siehst du«, sagte sie mit dem holdesten Lächeln der Wehmut, »ich bin nur eben wie das Schiff, das leck an einer Sandbank hängt und dem nicht mehr zu helfen ist; das mag nun wohl sehr kläglich sein, was kann aber das arme Schiff dafür, wenn mittlerweile noch die roten Wimpel oben ihr Schelmenspiel im Wind forttreiben, als wäre nichts geschehn? Laß gehen wie es gehen kann. Wenn erst Gras auf mir wächst, hat's damit auch ein Ende.«

 

Der Maler verließ den folgenden Tag in aller Frühe das Schloß: der Präsident selbst hatte dazu geraten und ihm eines seiner Pferde geliehen. Es war vorderhand nur um einen Versuch mit einigen Tagen zu tun, wie das Mädchen sich anließe, wenn Theobald ihr aus den Augen wäre. Er selbst schien bei seiner Abreise noch unentschlossen, wohin er sich wende. Auf alle Fälle ward ein dritter Ort bestimmt, um zur Not Botschaft für ihn hinterlegen zu können. Von W* war nicht die Rede; noch kürzlich hatte er dorthin um Frist geschrieben, im Herzen übrigens gleichgültig, ob sie ihm gewährt würde oder die ganze Sache sich zerschlüge.

Die größere Ruhe, die man bei Agnes, seit der Gegenstand ihrer Furcht verschwunden ist, alsbald wahrnehmen kann, wird nach und nach zur stillen Schwermut, ihre Geschwätzigkeit nimmt ab, sie ist sich ihres Übels zuzeiten bewußt und der kleinste Zufall, der sie daran erinnert, ein Wort, ein Blick von seiten ihrer Umgebung kann sie empfindlich kränken. Auffallend ist in dieser Hinsicht folgender Zug. Der Präsident, oder Margot vielmehr, besaß ein großes Windspiel, dem man, seiner ausgezeichneten Schönheit wegen, den Namen Merveille gegeben. Der Hund erzeigte sich Agnesen früher nicht abgeneigt, seit einiger Zeit aber floh er sie offenbar, verkroch sich ordentlich vor ihr. Ohne Zweifel hatte diese Scheu einen sehr natürlichen Grund, Agnes mochte ihn unwissentlich geärgert haben – genug, sie selber schien zu glauben, es fühle das Tier das Unheimliche ihrer Nähe. Sie schmeichelte dem Hund auf alle Weise, ja gar mit Tränen, und ließ zuletzt, da nichts verfangen wollte, betrübt und ärgerlich von ihm ab, ohne ihn weiter ansehn zu wollen.

Seit kurzem bemerkte man, daß sie ihren Trauring nicht mehr trug. Als man sie um die Ursache fragte, gab sie zur Antwort: »Meine Mutter hat ihn genommen.« »Deine Mutter ist aber tot, willst du sie denn gesehen haben?« »Nein; dennoch weiß ich, sie hat den Ring mit fort; ich kenne den Platz, wo er liegt, und ich muß ihn selbst dort abholen. O wäre das schon überstanden! Es ist ein ängstlicher Ort, aber einer frommen Braut kann er nichts anhaben; ein schöner Engel wird da stehn, wird fragen, was ich suche, und mir's einhändigen. Auch sagt er mir sogleich, wo mein Geliebter ist und wann er kommt.«

Ein andermal ließ sie gegen Henni die Worte fallen: »Mir kam gestern so der Gedanke, weil der Nolten doch gar zu lange ausbleibt, gib acht, er hat mich aufgegeben! Und, recht beim Licht besehn, es ist ihm nicht sehr zu verdenken; was tät er mit der Törin? er hätte seine liebe Not im Hause. Und überdies, o Henni – welk, welk, welk, es geht zum Welken! Siehst du, wie es nun gut ist, daß noch die Hochzeit nicht war; ich dachte wohl immer so was. Nun mag es enden wann es will, mir ist doch mein Mädchenkranz sicher, ich nehm ihn ins Grab – Unter uns gesagt, Junge, ich habe mir immer gewünscht, so und nicht anders in Himmel zu kommen. Aber den Ring muß ich erst haben, ich muß ihn vorweisen können.«

Noch eines freundlichen und frommen Auftritts soll hier gedacht werden, zumal es das letzte ist, was wir von des Mädchens traurigem Leben zu erzählen haben.

Nannette kam einsmals in aller Eile herbeigesprungen und ersuchte das Fräulein und deren Vater, ihr in ein Zimmer des untern Stocks herab zu folgen, um an der angelehnten Türe der alten Kammer, wo die Orgel stand, einen Augenblick Zeuge der musikalischen Unterhaltung Hennis und Agnesens zu sein. So gingen sie zu dreien leise an den bezeichneten Ort und belauschten einen überaus rührenden Gesang, in welchen die Orgel ihre Flötentöne schmolz. Bald herrschte des Knaben und bald des Mädchens Stimme vor. Es schien alt-katholische Musik zu sein. Ganz wundersam ergreifend waren besonders die kraftvollen Strophen eines lateinischen Bußliedes aus E-dur. Hier steht nur der Anfang.

Jesu, benigne!
A cuius igne
Opto flagrare,
Et te amare; –
Cur non flagravi?
Cur non amavi
Te, Jesu Christe?
– O frigus triste!Diese Zeilen finden sich wirklich in einem uralten, wohl längst vergriffenen Andachtsbuch. Sie sind unnachahmlich schön; indessen fügen wir, um einiger Leser willen, diese Übersetzung bei: Dein Liebesfeuer, / Ach Herr! wie teuer / Wollt ich es hegen, / Wollt ich es pflegen – / Hab's nicht geheget, / Und nicht gepfleget, / War Eis im Herzen, / – O Höllenschmerzen! /

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