Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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Am folgenden Tage fiel ihm ein, von dem Hofrat, dem er ohnehin einen Besuch schuldig war, die Stimmung der Zarlinschen zu erlauschen, und sogleich machte er sich auf den Weg.

Bei der Wohnung des Hofrats angelangt, fand er zufällig die Haustüre nur angelehnt, was ihn sehr wundernahm, da es einen der ersten Grundsätze in der Hausordnung dieses Mannes ausmachte, die Eingänge jederzeit geschlossen zu halten. Außer dem Briefträger und einer alten Magd, welche auswärts wohnte, und zu gesetzten Stunden mit dem Essen erschien, betrat nur selten ein Besuch die Schwelle, und wenn jemals, so mußte die Glocke gezogen werden, worauf ein grauer Diener, das einzige lebende Wesen, das den Hofrat umgab, bedächtig aus dem Fenster schaute und öffnete. Im untern Hausflur, wo sich sogleich der Geschmack und die Kunstliebhaberei des Hausherrn in gut aufgestellten Gipsfiguren ankündigte, findet Theobald einen unscheinbar gekleideten Knaben auf der Treppe sitzen und Zuckerwerk aus seiner Mütze naschen, der übrigens ganz hier zu Hause zu sein scheint. Eine unglaublich angenehme Gesichtsbildung, die hellsten Augen, sehr mutwillig, lachen dem Maler entgegen, dem besonders die zierlich gelockten Haare auffallen. Der Knabe, nachdem er unsern Freund ruhig vom Kopf bis zum Fuße gemessen, stand auf und gab der Türe einen tüchtigen Tritt, daß sie schmetternd zuschlug. »Kannst du sagen, artiger Junge, ob der Herr Hofrat daheim ist?« Der Kleine antwortete nicht, sondern indem er die Treppe hinaufging, winkte er Theobalden, zu folgen. Oben öffnet er leis eine schmale Türe und deutet schalkhaft hinein. Nolten befand sich allein in einem kleinen Vorzimmer, wollte eben an einem zweiten Eingang klopfen, als ihm ein kleines Seitenfenster, dessen Vorhang von innen schlecht zugezogen ist, die wunderbarste stumme Szene im Nebenzimmer zeigt. In einer gespannten Beleuchtung, fast nur im Dämmerlichte, sitzt weiß gekleidet ein Frauenzimmer, bis an den Gürtel entblößt. Ihre Stellung ist sinnend, das Haupt etwas zur Seite geneigt, eine Hand oder vielmehr nur den Zeigefinger hat sie unterm Kinne, dies kaum damit berührend. Ihr Sessel steht auf einem dunkelroten Teppich, auf welchen herab die reichen Falten des Gewandes und der Tücher sich prächtig ergießen. Ein Bein, das über das andre geschlagen ist, läßt den Fuß nur bis über die Knöchel blicken, wo ihn die andre Hand bequem zu halten scheint. Aber welch ein herrlicher Kopf! mußte Theobald unwillkürlich für sich ausrufen; die römische Kraft im Schwunge des Hinterhaupts vom starken Nacken an kontrastierte so rührend gegen das Kindliche des Angesichts, dessen Ausdruck nur lautre Scham verriete, wenn sich die letztere nicht soeben zur liebevollsten Ergebung in die Notwendigkeit des Augenblicks zu neigen schiene. Offenbar war das Frauenzimmer nicht gewohnt, als Modell zu dienen. Und in des Hofrats Hause? Sollte der alte Narr etwa selbst den Pfuscher machen? Leider war es unmöglich, eine zweite Person, die sich gewiß im Zimmer befinden mußte, zu entdecken; auch hörte man keinen Laut: die Schöne verharrte wie ein Marmor in derselben Stellung, nur die leisen Bebungen der Brust verrieten, daß sie atme, auch schien es einmal, als ob sie einen müden Blick gegen das Fenster hinüber wagte, von wo das Licht hereinfiel. Nolten hätte geschworen, dort sitze der Hofrat. Sagte nicht ein Gerücht, daß der alte Herr früher wirklich die Kunst getrieben? und wollten nicht einige behaupten, er habe den Meißel noch in seinem Alter insgeheim ergriffen? Wie überraschte es daher unsern Maler, als auf ein Geräusch, das in der Ecke entstand, die Jungfrau sich erhob und ein schlanker, schwarzbärtiger Mann anständig auf sie zutrat, ihr mit einem Kusse auf die Lippen dankte, so herzlich und unbefangen, als wenn es eine Schwester wäre. Theobald erkannte in dem Krauskopf auf der Stelle einen Bildhauer, Raymund, den er öfters und namentlich bei dem Larkensschen Abschiedsschmause gesehen, ohne ihm irgend nähergekommen zu sein. Doch es war endlich Zeit zum Rückzuge, so schwer er sich von diesem Anblick trennen konnte, der ihm ebenso rührend und schuldlos deuchte, als er reizend und erhebend war. Kaum hat er die Tür hinter sich zugezogen und sich gefreut, daß der verräterische kleine Schelm nicht etwa wieder um den Weg war, um Zeuge seiner gestillten Neugierde zu sein – so streckt der Hofrat den Kopf aus dem Saale, und beide begrüßen sich mit merklicher Verlegenheit, die denn auch noch eine Weile fortdauerte, nachdem das Gespräch bereits in Gang gekommen. Theobald war durchaus zerstreut von seinem schönen Abenteuer; auf seinem Gesicht, in seinen Augen lag eine ungewöhnliche Glut, deren Grunde der Alte schlau genug nachkam. »Ich merke, merke was!« schmunzelte er und klopfte dem Freund auf die Achsel; »nur lassen Sie ja sich sonst nichts anmerken! es ist ein wilder Eber, der Raymund, und nicht mit ihm zu spaßen.« Nolten gestand offenherzig den sonderbaren Zufall. »Unter uns«, sagte der Hofrat, »Sie sollen wissen, wie alles zusammenhängt. Der junge Mann, furios in seiner Kunst so wie im Leben, verlangte von seiner Braut, an der er außer einem hübschen Wuchs lange keinen Vorzug mochte gekannt haben, daß sie ihm sitze, stehe, wie er's als Künstler brauche. Das Mädchen konnte sich nicht überwinden, es kam zum Verdruß, der bald so ernstlich wurde, daß Raymund das störrige Ding gar nicht mehr ansah. So dauert es ein halb Jahr und das Mädchen, sonst ein sanftes, verständiges Geschöpf, das ihn unbändig liebt, überdies armer Leute Kind ist, fängt an im stillen zu verzweifeln. Überdem bekömmt sie einen vorteilhaften Antrag, sich fürs Theater zu bilden, da sie sehr gut singen soll. Sie schlägt es standhaft aus, und diese wackere Resignation bringt den Trotzkopf von Bräutigam plötzlich auf ganz andere Gedanken von dem Werte des Mädchens, so daß er sie vor etlichen Tagen zum erstenmal wieder besuchte. Auf beiden Seiten soll die Freude des Wiedersehens ohne Grenzen gewesen sein, und gleich in der ersten Viertelstunde, so erzählt er mir, habe sie ihm die Gewährung seiner artistischen Grille freiwillig zugesagt. Da nun Raymund durch sein Zusammenwohnen mit einem andern Künstler um ein Lokal verlegen war, so fand er bei mir, der ich ihm auch sonst zuweilen nützlich zu sein suche, gerne den erforderlichen Raum. Heut ist die zweite Sitzung. Das Närrische dabei ist, daß er sich nicht entschließen kann, was er eigentlich machen soll. Er behauptet, wenn man eine Weile ins Blaue hinein versuche und den Zufall mitunter walten lasse, so gerate man häufig auf die besten Ideen.«

»Er hat recht!« sagte Theobald.

»Er hat nicht unrecht«, versetzte der Alte; »wenn mir aber solch ein Verfahren am Ende nur nicht gar zu dilettantisch würde! So fängt er neulich einen Amor in Ton zu formen an, wozu er das Muster auf der Gasse unter den Betteljungen aufgriff, wirklich ein delikates Füllen, schmutzig, jedoch zum Küssen die Gestalt. Seitdem nun aber die Geliebte sich eingestellt, durfte der Liebesgott springen; jetzt liegt ihm die aufdringliche Kröte, die sich gar gut bei dem Handel gestanden, tagtäglich auf dem Hals, und daß der Bursche nicht schon im Hemdchen unters Haus kömmt, ist alles; neulich ward er gar boshaft und paßte der Braut mit einem Prügel auf; recht ein Cupido dirus!«

»Ein Anteros!« rief Theobald lachend.

»Suchen Sie doch einiges Verhältnis zu Raymund«, fuhr der Hofrat fort, »es wird Ihnen leicht werden: er respektiert Sie höchlich, und das will bei dem stolzen Menschen schon etwas heißen. Sie finden das ehrlichste Blut in ihm und ein eminentes, leider noch wildes Talent. Es ärgert manches an ihm, Kleinigkeiten vielleicht, die indessen doch einen Mangel an Bildung verraten, genug, mich indignieren sie; nur ein Beispiel und Sie werden mir beistimmen. Man traut mir billig zu, daß ich kein Pedant bin mit archäologischer Vielwisserei, insofern sie dem Künstler nichts hilft. Stellt mir einer eine lobenswerte Ariadne hin, so frag ich den Henker darnach, ob er wisse, daß die Gemahlin des Bacchus auch Libera heißt. Macht es einen Mann aber nicht lächerlich, wenn er von Göttern und Halbgöttern nur eben wie ein Dragoner spricht? Werden es ihm diejenigen vergeben, die auf den ersten Blick unmöglich wissen können, daß dieser Mensch, so gut als einer, Charakteristik der Mythen versteht und plastischen Sinn genug in Aug und Fingern sitzen hat? Nun stellen Sie sich vor, neulich abends im ›Spanischen Hofe‹, es waren lauter gründliche Leute da, kömmt auf ein paar Kunstwerke die Rede, Raymund fällt in seinen begeisterten Schuß und sagt wirklich vortreffliche Dinge, aber er spricht statt von Panen und Satyrn, mir nichts dir nichts, und in vollem Ernste immer von Waldteufeln! Ist so was auch erhört? Ich saß wie auf Nadeln, schämte mich in sein Herz hinein, trat ihm fast die Zehen weg und wollt ihm helfen; nichts da! ein Waldteufel um den andern! und merkte das Lächeln nicht einmal, das hie und da auf die Gesichter schlich. Nachher verwies ich ihm die Unschicklichkeit, und was ist seine Antwort? Er lacht; ›nun, alter Papa‹, rief er, ›es muß mir doch erlaubt sein, mitunter so zu sprechen, wie die Niederländer malen durften!‹« Der Hofrat lachte selber aufs herzlichste, und man sah ihm an, wie lieb er den hatte, den er soeben schalt. »Ein stupender Eigensinn! Mich dauert nur die Braut.«

»Wer ist sie denn eigentlich?« fragte Nolten.

»Des Schloßwärters F. Tochter.«

»Was? hör ich recht?« rief Nolten voll Verwunderung aus. »O gute Henriette! Wie manchmal hat dein wehmütiger Gesang unter meinen Gittern mich getröstet!«

»Ja ja«, versetzte der Hofrat, »das war noch zur Zeit der liebekranken Nachtigall!«

Der Maler fiel auf einige Augenblicke in süße Gedanken. Die glückliche Vereinigung dieser Liebenden war ihm von guter Vorbedeutung für sich; denn hatte nicht jene Verlassene in seiner kranken Einbildung einigemal die Stimme Agnesens geborgt? und war er nicht auf dem Wege, der letztern auch den Bräutigam zurückzugeben?

Nun aber fand er erst Zeit, den Hofrat in der Angelegenheit zu befragen, um derentwillen er eigentlich gekommen war. Der alte Herr bedachte sich und zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, an Ihrer Stelle ging' ich geradezu selbst hin – die Gräfin zwar soll unpaß sein, den Grafen können Sie immer sprechen. Mein Gott, was sollten denn diese Leute eigentlich gegen Sie haben?« Soviel indessen Theobald aus dem weitern Gespräch entnehmen konnte, war es geratener, sich nicht persönlich auszusetzen. Der beste Ausweg fiel ihm aber ein. Eine Frau von Niethelm, die intimste Freundin Constanzens, eine feine hochbegabte Dame, deren Zeit und Talent vorzüglich der Bildung zweier Prinzessen gewidmet war, hatte sich ihm von jeher gewogen gezeigt; ihrer hoffte er sich nun als Mittelsperson zu bedienen, und der glückliche Gedanke erfüllte ihn augenblicklich dergestalt, daß er den Hofrat eilends verlassen wollte, als eben Raymund hereintrat. Der feurige Mann umarmte ihn alsbald mit Enthusiasmus, und suchte ihm seine Achtung auf jede Art zu bezeugen. Um nicht unfreundlich zu erscheinen, verweilte Nolten noch eine Viertelstunde, worauf er sich bestens empfahl.

 

Gegen Abend trat er den Gang zur Gouvernantin an, nachdem er auf sein Anmelden eine höfliche Einladung erhalten hatte. Unterwegs erst fiel ihm auf, wie wenig er auf das, was zu sagen und wie es zu sagen war, vorbereitet sei; er nahm sich schnell zusammen; eh er sich's versah, stand er im Zimmer der Gouvernantin.

Die zarte Dame empfing ihn im ganzen freundlich genug, und wenn dennoch etwas von Zurückhaltung fühlbar war, so schien es, als ob sie nur ungerne und mit Rücksicht auf Constanzen sich einigen Zwang auflegte.

»Ich bin«, begann Nolten, als er der liebenswürdigen Frau gegenüber Platz genommen hatte, »ich bin veranlaßt, in kurzem dieser Stadt und Gegend Lebewohl zu sagen; Pflicht und Neigung führen mich auswärts; aber wie sehr muß ich wünschen, mit vollkommen beruhigtem Sinne scheiden zu können! Es ist so schön und tröstlich, sich im Andenken seiner Freunde gesichert wissen! Die Liebe, die Neigung, die wir an einem Orte zurücklassen, gibt uns eine stille Gewähr, daß uns auch anderswo ein guter Stern erwarte. Möchte denn auch ich diesen Trost mit mir nehmen dürfen! möchten Sie, meine Gnädige, mich in dieser frohen Zuversicht bestärken können! – Indem sich mir in diesen Tagen eine Reihe ausgezeichneter Personen, deren Bekanntschaft ich mich im Laufe dreier Jahre vielfach zu erfreuen hatte, doppelt lebendig vor dem Geiste aufstellt, und indem ich mich anschicke, den einzelnen noch ein herzliches Wort zu sagen, muß ich vor allen jenes verehrten Hauses gedenken, dessen Gastfreundschaft mir unvergeßlich bleibt, das mit den Edelsten dieser Stadt, und, wie freudig spreche ich es aus! auch mit Ihnen, gnädige Frau, mich in freundliche Verbindung setzte. Leider hat das schöne Verhältnis zuletzt eine Störung erlitten, die mir das ganze Glück einer dankbaren Erinnerung für alle Zukunft trüben muß, und um so schmerzlicher, da man mir aus den Gründen meines Mißgeschicks, insofern ich dieses selbst verschuldet haben soll, ein Geheimnis macht. Sollte nun auch Ihnen, Verehrteste, nicht erlaubt sein, meine Zweifel zu lösen, so gestatten Sie doch, daß ich die Versicherung bei Ihnen niederlege, ich sei mir, Ihrer teuren Freundin, sowie dem Herrn Grafen gegenüber, eines solchen Vergehens nicht bewußt; vergönnen Sie, daß ich den Freunden, die mich nicht mehr zu sehen wünschen, die Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen durch Ihren Mund beteure.«

Die Gouvernantin, die in den Mienen des Malers, solange er sprach, mit Aufmerksamkeit zu lesen gesucht hatte, schien keineswegs ungerührt; zwar erwiderte sie nur das Allgemeinste, doch sah man ihr an, sie hätte herzlich gerne mehr gesagt. Nolten gewann nun Mut, folgendergestalt fortzufahren: »Wie wäre Ihnen zu verargen, gnädige Frau, wenn sich Ihnen, so wie wir uns jetzt einander gegenüber befinden, und nach dem, was indessen alles zur Sprache gekommen sein mag, ein unüberwindliches Mißtrauen gegen mich im Herzen aufwerfen sollte! Ich fühle wohl, und Sie selber verbergen sich's nicht, wie fremde in ganz kurzer Zeit Ihnen ein Mann geworden sei, der Ihnen früher nicht ganz unwert gewesen. Sonst war es uns willkommener Genuß, Erfahrung und Empfindung in heiteren Gesprächen auszuwechseln, Entferntes und Nächstgelegenes lebendig durcheinanderzumischen; stets schenkten Sie mir nachsichtsvolles Gehör, wenn, wie es wohl dem jüngeren Manne, der eben erst in eine völlig neue Welt eintrat und vielfach Ursache findet, unzufrieden mit sich selbst zu sein, natürlich zu geschehen pflegt, sich auch bei mir ein inniges Bedürfnis regte, mich einer gemütvollen, geistreichen Frau bescheiden mitzuteilen, Ihnen meine Verehrung für jenes edle Haus im ersten glücklichen Erstaunen auszudrücken. Nun heute wieder, wie gerne möcht ich den Zustand meines Innern offen und gläubig vor Ihnen enthüllen, doch Ihr Verstummen verschüchtert mir das Wort auf meinen Lippen! wie gerne würden Sie meiner Unruhe hülfreich entgegenkommen, doch wird es schwer, den Faden des Vertrauens so schnell wiederaufzunehmen. Wohlan, meine teure, meine hochverehrte Freundin, lassen Sie mich wenigstens einige Augenblicke der schönen Täuschung leben, als säßen wir noch so wie ehmals gegeneinander über! Erlauben Sie, daß ich erzähle, was in der Zwischenzeit sich mit mir begeben, in mir verändert hat. Lassen Sie mich keine Absicht nennen, wozu dies Bekenntnis dienen soll. Es soll nur sein, als spräche ich zu einer Dame, von der ich weiß, sie nehme an meinem Schicksale allgemeinen heitern Anteil, und aus deren Munde eine günstige Divination meines künftigen Geschickes zu vernehmen mich hoch beglücken würde.«


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