Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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Die Ungeduld, mit welcher von jetzt an Larkens seinen Abgang betrieb, verhinderte ihn nicht, das fernere Schicksal seines Freundes zu bedenken, vielmehr wenn er sich bisher zur ernstlichsten Aufgabe gemacht hatte, die Neigung Noltens wieder auf die Braut zurückzulenken, wenn er sich vermittelst jenes fromm täuschenden Verkehrs mit Agnesen fortwährend von der Liebenswürdigkeit des Mädchens, von ihrem reinen und schönen Verstande, aber auch von dem natürlichen Verlangen überzeugte, womit, wie billig, ein zärtliches Kind sich den Geliebten bald für immer in die Arme wünscht, wenn er Theobalds ganze Verfassung, die noch immer drohende Nähe Constanzens bedachte, so konnte ihm nichts angelegener sein, als diesem zweifelhaften Schwanken einen raschen und kräftigen Ausschlag zu geben. Sein Plan deshalb stand fest, aber er sollte erst nach seiner Abreise in Wirkung treten, ja es war der günstige Erfolg, dessen er sich vollkommen versichert hielt, gewissermaßen auf seine Entfernung berechnet.

Nun schrieb er an Agnesen, und wirklich, er dachte nur ungerne daran, daß es zum letzten Male sei. »Was für ein Tor man doch ist!« rief er aus, indem er nachdenklich die Feder weglegte. »Mitunter hat es mich ergötzt, von der innersten Seele dieses lieblichen Wesens gleichsam Besitz zu nehmen, und um so größer war mein Glück, je mehr ich's unerkannt und wie ein Dieb genießen konnte. Ich bilde mir ein, das Mädchen wolle mir wohl, während ich ihr in der Tat soviel wie nichts bedeute; ich schütte unter angenommener Firma die ganze Glut, die letzte, mühsam angefachte Kohle meines abgelebten Herzens auf dies Papier und schmeichle mir was Rechts bei dem Gedanken, daß dieses Blatt sie wiederum für mich erwärme. O närrischer Teufel du! kannst du nicht morgen verschollen, gestorben, begraben sein, und wächst der Schönen drum auch nur ein Härchen anders? Bei alledem hat mir die Täuschung wohlgetan, sie half mir in hundert schwülen Augenblicken den Glauben an mich selbst aufrechterhalten. Es fragt sich, ob es nicht ähnliche Täuschungen gibt, eben in bezug auf unsre herrlichsten Gefühle? Und doch, es scheint in allen etwas zu liegen, das ihnen einen ewigen Wert verleiht. Gesetzt, ich werde diesem wackern Kinde an keinem Orte der Welt von Angesicht zu Angesicht begegnen, gesetzt, es bliebe ihr all meine warme Teilnahme für immerdar verborgen, soll das der Höhe meines glücklichen Gefühls das mindeste benehmen können? Wird denn die Freude reiner Zuneigung, wird das Bewußtsein einer braven Tat nicht dann erst ein wahrhaft Unendliches und Unveräußerliches, wenn du damit ganz auf dich selbst zurückgewiesen bist?«

Er nahm jetzt in Gedanken den herzlichsten Abschied von dem Mädchen, und weil nach seiner Berechnung schon ihr nächster Brief wieder unmittelbar an Nolten kommen sollte, so gab er ihr deshalb die nötige Weisung, jedoch so, daß sie dabei nichts weiter denken konnte.

Verriet nun das Benehmen des Schauspielers in diesen letzten Tagen überhaupt eine gewisse Unruhe und Beklommenheit, so war er bei dem Abschied von Theobald noch weniger imstande, eine heftige Bewegung zu verbergen, welche, zusammengehalten mit einigen seiner Äußerungen, auf ein geheimes Vorhaben hinzudeuten schien und unserm Maler wirklich auf Augenblicke ein unheimliches Gefühl gab, das denn Larkens nach seiner Art, wobei man oft nicht sagen konnte, ob es Ernst oder Spaß sei, schnell wieder zu zerstreuen wußte.

Übrigens fühlte Nolten die große Lücke, welche durch des Schauspielers Entfernung notwendig nach innen und außen bei ihm entstehen mußte, nur allzubald, und die vielfachen Nachfragen der Leute zeigten ihm genugsam, daß er nicht als der einzige bei dieser Veränderung entbehre. Die beiden Freunde Leopold und Ferdinand reisten indessen auch ab, und doppelt und dreifach ward jetzt des Malers Verlangen geschärft, das Gleichgewicht seines Wesens vollkommen herzustellen. Der Entwurf eines neuen Werkes, wozu die erste Idee während der Gefangenschaft bei ihm entstanden war, lag auf dem Papier, und nun ging es an die Ausführung mit einer Lust, mit einem Selbstvertrauen, dergleichen er nur in den glücklichsten Jahren seines ersten Strebens gehabt zu haben sich erinnerte. Dennoch mußte er nach und nach bemerken, daß ihm zu einer völligen Freiheit der Seele noch vieles fehlte; er ward verdrießlich, er stellte die Arbeit unwillig zurück, er wußte nicht, was ihn hindere.

Eines Morgens bringt man ihm die Schlüssel zu den Zimmern des Schauspielers. Dieser hatte sie bei seiner Abreise einem dritten Freunde mit dem ausdrücklichen Wunsche hinterlassen, daß er sie erst nach Verfluß einiger Tage an den Maler ausliefere, welcher dann nicht säumen möge, die Zimmer aufzuschließen und was darin sich vorfinde, teils in Empfang zu nehmen, teils zu besorgen. Zugleich erhielt Nolten ein Verzeichnis der sämtlichen Effekten, nebst Angabe ihrer Bestimmung. Er stutzte nicht wenig über diese sonderbare Kommission und befragte jene Mittelsperson mit einiger Ängstlichkeit: Was denn das alles zu bedeuten hätte? Der junge Mensch aber wußte nicht viel weiter Bescheid zu geben und entfernte sich bald. Sogleich öffnete Nolten die Zimmer, wo er Mobilien, Bücher, Kupferstiche, Uhren und dergleichen wie sonst in der besten Ordnung fand. Alsbald aber zogen einige an ihn überschriebene Pakete, die auf einem Tischchen besonders hingerüstet waren, seine Augen auf sich. Hastig riß er den Brief auf, welcher obenan lag. Gleich bei den ersten Linien geriet Nolten in die größte Bewegung, es zitterte das Blatt in seiner Hand, er mußte innehalten, er las aufs neue, bald von vorne, bald aus der Mitte, bald von hinten herein, als müßte er die ganze bittere Ladung auf einmal in sich schlingen. Inzwischen fiel sein Blick auf die übrigen Pakete, deren eines die Überschriften hatte: »Briefe von Agnes. Von deren Vater. Meine Briefkonzepte an Agnes.« Ein anderes zeigte den Titel: »Fragmente meines Tagebuchs.« Ohne recht zu wissen was er tat, griff er nochmals nach dem einzelnen Schreiben, er durchlief es ohne Besinnung, indem er sich von einem Zimmer, von einem Fenster zum andern rastlos bewegte; er wollte sich fassen, wollte begreifen, nachdem er schon alles begriffen, alles erraten hatte. Er warf sich aufs Sofa nieder, die Ellbogen auf die Kniee gestützt, das Gesicht in beide Hände gedrückt, sprang wieder auf und stürzte wie ein Unsinniger umher.

Sein Bedienter hatte soeben das Pferd zum Spazierritt vorgeführt und meldete es ihm. Er befahl, es wegzuführen, er befahl, noch zu warten, er widersprach sich zehnmal in einem Atem. Der Bursche ging, ohne seinen Herrn verstanden zu haben. Nach einer halben Stunde, während welcher Nolten, weder die übrigen Papiere anzusehen, noch sich einigermaßen zu beruhigen vermocht hatte, wiederholte der Diener seine Anfrage. Rasch nahm der Maler Hut und Gerte, steckte die nötigsten Papiere zu sich und entkam wie betrunken der Stadt. Wir wenden uns auf kurze Zeit von ihm und seinem traurigen Zustande weg und sehen inzwischen nach jenem wichtigen Schreiben.

Larkens an Nolten

»Indem Du diese Zeilen liesest, ist der, der sie geschrieben, schon viele Meilen weit von Dir entfernt, und wenn er Dir denn die Absicht gesteht, daß er sich fortgestohlen, um so bald nicht wiederzukehren, daß er seinen bisherigen Verhältnissen auf immer und auch Dir, dem einzigen Freunde, vielleicht auf Jahre sich entziehen will, so soll folgendes wenige diesen Schritt, so gut es kann, rechtfertigen.

Gewiß klingt es Dir selber bald nicht mehr wie ein hohles und frevelhaft übertriebenes Wort, was Du wohl sonst manchmal von mir hast hören müssen: mein Leben hat ausgespielt, ich habe angefangen, mich selber zu überleben. Das ist mir so klar geworden in der letzten Zeit, wo ja unsereiner wahrhaftig schöne Gelegenheit hatte, die Resultate von dreißig Jahren wie Fäden mit den Fingern auszuziehn. Ich mag Dir die alte Litanei nicht vorsingen; genug, mir ist in meiner eigenen Haut nimmer wohl. Ich will mir weismachen, daß ich sie abstreife, indem ich von mir tue, was bisher unzertrennlich von meinem Wesen schien, vor allem den Theaterrock, und dann noch das eine und andere, was ich nicht zu sagen brauche. Mancher grillenhafte Heilige ging in die Wüste und bildete sich ein, dort seine Tagedieberei gottgefälliger zu treiben. Ich habe noch immer etwas Besseres wie das im Sinn. Am End ist's freilich nur eine neue Fratze, worin ich mich selber hintergehen möchte; und fruchtet's nicht, nun so geruht vielleicht der Himmel, der armen Seele den letzten Dienst zu erweisen, davor mir denn auch gar nicht bang sein soll.

Den Abschied, Lieber, erlaß mir! O ich darf nicht denken, was ich mit Dir verliere, herrlicher Junge! Aber still; Du weißt, wie ich Dich am Herzen gehegt habe, und so ist auch mir Deine Liebe wohlbewußt. Das ist kein geringer Trost auf meinen Weg. Auch kann es ja gar wohl werden, daß wir uns an irgendeinem Fleck der Erde die Hände wieder reichen. Aber wir tun auf alle Fälle gut, diese Möglichkeit als keine zu betrachten. Übrigens forsche nicht nach mir, es würde gewiß vergeblich sein.

Und nun die Hauptsache.

Mit den Paketen übergeb ich Dir ein wichtiges, ich darf sagen, ein heiliges Vermächtnis. Es betrifft Deine Sache mit Agnesen, die mich diese letzten zehn Monate fast einzig beschäftigte. Mein Lieber! ich bitte dich, höre mich ruhig und vernünftig an.

In der gewissesten Überzeugung, daß die Zeit kommen müsse, wo Dein heißestes Gebet sein werde, mit diesem Mädchen verbunden zu sein, ergriff ich ein gewagtes Mittel, Dir den Weg zu diesem Heiligtume offenzuhalten. Vergib den Betrug! nur meine Hand war falsch, mein Herz gewißlich nicht: ich glaubte das Deine treulich abzuschreiben; straf mich nicht Lügen! Laßt mich den Propheten eurer Liebe gewesen sein! Ihr Märtyrer war ich ohnehin; denn indem ich Deiner Liebe Rosenkränze flocht, meinst du, es habe sich nicht manchmal ein Dorn in mein eigen Fleisch gedrückt? Doch das gehört ja nicht hieher; genug, wenn meine Episteln ihren Dienst getan. Fahre Du nun mit der Wahrheit fort, wo ich die Täuschung ließ. O Theobald – wenn ich jemals etwas über Dich vermochte, wenn je der Name Larkens den Klang der lautern Freundschaft für Dich hatte, wenn Dir irgend das Urteil eines Menschen richtiger, besser scheinen konnte als Dein eignes, so folge mir diesmal! Hätt ich Worte von durchdringendem Feuer, hätt ich die goldne Rede eines Gottes, jetzt würd ich sie gebrauchen, um Dein Innerstes zu rühren, Freund, Liebling meiner Seele! – So aber kann ich's nicht; mein Kiel ist stumpf, mein Ausdruck matt, Du weißt ja, es ist alle Schönheit von mir gewichen; die dürre nackte Wahrheit blieb mir allein, sie und – die Reue. Vor dieser möcht ich Dich bewahren. Ich bin Dein guter Genius, und indem ich von Dir scheide, sei Dir ein andrer, besserer, empfohlen. Ich meine Agnesen. Setze das Mädchen in seine alten Rechte wieder ein. Du findest auf der Welt nichts Himmlischers, als die Seele dieses Kindes ist. Glaub mir das, Nolten, so gewiß, als schwür ich's auf dem Totenbette. – Du hast Dich in Deinem Argwohn garstig geirrt. Lies diese Briefe, namentlich des Vaters, und es wird Dir wie Schuppen von den Augen fallen. Dann aber zaudre auch nicht länger; fasse Dich! Eile zu ihr, tritt sorglos unter ihre Augen, sie wird nichts Fremdes an Dir wittern, sie weiß nichts von einer Zeit, da Theobald ihr minder angehört als sonst; das Feld ist durchaus frei und rein zwischen euch.

Es steht bei Dir, ob der gute Tropf das Intermezzo erfahren soll oder nicht; bevor ein paar Jahre vorüber, würd ich kaum dazu raten. Dann aber wird euch sein, als hättet ihr einmal in einem Sommernachtstraum mitgespielt, und Puck, der täuschende Elfe, lacht noch ins Fäustchen über dem wohlgelungenen Zauberspaß. Dann gedenket auch meiner mit Liebe, so wie man ruhig eines Abgeschiednen denkt, nach welchem man sich wohl zuweilen sehnen mag, doch dessen Schicksal wir nicht beklagen dürfen.«

 

Auf einem besondern Zettel befand sich noch folgende

Nachschrift

»Schon war mein Brief geschlossen, als es mir nachgerade gewaltigen Skrupel machte, Dir einen Umstand verschwiegen zu haben, der Dich vielleicht verdrießen mag, mir aber ad inclinandam rem nicht wenig dienen konnte. Ein Winkelzug gegen die Gräfin. So höre denn, und fluche mir die ganze Hölle auf den Hals und heiß mich einen Schurken, wenn Du das Herz hast – ich weiß doch, was ich zu tun hatte. Constanze wurde durch mich, oder vielmehr durch einen angelegten Zufall (hinter welchem sie weder mich noch sonst jemand vermuten kann) avertiert, daß ein gewisser Freund bereits irgendwo auf der Liste der glücklichen Bräutigame stehe. – Ich hoffe nicht, Dich durch den Coup zu stark kompromittiert zu haben, und ein weniges war schon zu wagen. Wenn ihr die Neuigkeit nicht schmeckte, so ist das in der Regel; nicht, weil sie in Dich verliebt, sondern weil sie ein Weib ist. Wir haben die Ungnade, worein sie uns gleich auf jenes Possenspiel hat fallen lassen, einer elenden Konvenienz gegen die Hofsippschaft zugeschrieben, und einesteils bin ich noch jetzt der Meinung; gesteh ich Dir nun aber zugleich, daß sie um die nämliche Zeit auch die Agnesiana zu schlucken bekam, so seh ich schon im Geist voraus, an was für neuen verzweifelten Hypothesen nun plötzlich Dein armer Kopf anrennen wird. Wie, wenn Madam sich mit ganz andern Gründen zum Zorne hinters allgemeine Zeter ihrer Schranzen versteckt hätte? Holla! das läuft dem guten Jungen heiß und kalt über die Leber! Auch will ich ein Rhinozeros von Propheten sein, wenn sich Dir nicht in diesem Augenblick die rührende Gestalt von der Ferne zeigt, den schwarzen Lockenkopf in Trauer hingesenkt, weinend um Deine Liebe. Ein verführerisch Bild, fürwahr, dem schon Dein Herz entgegenzuckt! Doch halt, ich weise Dir ein anderes. – In dem sonnigen Gärtchen hinter des Vaters Haus betrachte mir das schlichte Kind, wie es ein fröhlich Liedchen summt, seine Veilchen, seine Myrten begießt. Man sieht ihr an, sie hat den Strauß im Sinne, den ihr heimkehrender Verlobter bald unter tausend tausend Küssen zum Willkomm haben soll; jeden Tag, jede Stunde erwartet sie ihn – –

Was nun? wohin, Kamerade? Nicht wahr, ein bittrer Scheideweg! Hier wollt ich Dich haben! so weit muß ich's führen. Der Rückweg zu Constanzen – vielleicht er steht noch offen, ich zeig ihn Dir, nachdem Du ihn schon für immer verschlossen geglaubt. Du solltest freie Wahl haben; das war ich Dir schuldig. Inzwischen hast Du gelernt, es sei auch möglich, ohne eine Constanze zu leben, und damit mein ich, ist unendlich viel gewonnen.

Theobald! noch einmal: denk an den Garten! Neulich hat sie die Laube zurechtgeputzt, die Bank, wo der Liebste bei ihr sitzen soll. Wirst Du bald kommen? wirst Du nicht? – Wag es sie zu betrügen! Den hellen süßen Sommertag dieser schuldlosen Seele mit einem verzweifelten Streiche hinzustürzen in eine dumpfe Nacht, wehe! das wimmernde Geschöpf! Tu's, und erlebe, daß ich in wenigen Monden, ein einsamer Wallfahrer, auf des Mädchens Grabhügel die kraftlose Posse, das Nichts unsrer Freundschaft, und die zerschlagene Hoffnung beweine, daß mein elendes Leben, kurz eh ich's ende, doch wenigstens noch so viel nutz sein möchte, zwei gute Menschen glücklich zu machen.«


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