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Kapitel 88

Was ist ein rechter Kuß? Der höchste Preis reinster Liebe die Gottesbrautschaft. Die Extreme berühren sich, Helena wie eine glückliche Unglückliche

Am 8. Juni 1849

1 Spricht die Helena fragend: »O Herr! Du sagtest mir, daß ich Dir einen rechten Kuß geben solle! und siehe, das Wort macht mir rechten Skrupel; denn ich kenne keinen anderen Kuß, als den die Liebe beut, und ich habe noch nie je jemanden einen anderen gegeben! und Dir, o Du meine allerwahrste und innerste Liebe, könnte ich ja doch unmöglich ewig je wann einen anderen geben! Denn ein verräterischer Judaskuß ist meinem Herzen und Leben noch nie zur Möglichkeit geworden! Wenn aber ein Kuß, der der reinsten und aufrichtigsten Liebe entstammt, ein nicht rechter sein solle, da weiß ich wirklich nicht, von welcher Beschaffenheit ein von Dir bezeichneter rechter Kuß sein solle?! Ich bitte Dich darum, o Du mein allerliebster, süßester und schönster Herr Jesus, Du mein heiligster Gott! Sage es mir daher gnädigst, wie ein rechter Kuß beschaffen sein muß?!«

2 Rede Ich: »Aber, aber! Mein allerliebstes Helena’chen! Welch' einen anderen Kuß solle es wohl noch irgend geben, den man einen rechten nennen könnte, als eben den nur, welchen die reine und wahre Liebe bietet!? Du hast aber die einzige Liebe zu Mir in dir, daher du Mir auch aus solcher deiner Liebe heraus unmöglich je einen anderen, als nur einen ganz vollkommenen rechten Kuß geben kannst! – Aber nur gibt es eine zweifache Art von den rechten Küssen; die erste, die mehr aus Achtung, als aus einer eigentlichen Liebe geschieht oder eigentlich erteilt wird, und die zweite, die abgesehen von der Achtung – bloß rein aus Liebe geschieht oder erteilt wird! – Und siehe, diese zweite Art, die den Kuß vom Munde wieder an den Mund gibt, und nicht an die Stirn allein, wird von Mir als ein rechter Kuß bezeichnet; einen der innersten Achtung aber hast du Mir schon auf Meine Stirne gegeben; Ich fand ihn sehr heiß, und merkte schon damals, daß er mehr Liebe als so ganz eigentlich eine für sich abgeschlossene pure Achtung enthielt. Da aber seit dieser unserer ersten Kußepoche deine Achtung ganz in die Liebe übergesiedelt ist, und mit ihr ein Wesen ausmacht, was Mir wohl ewig das angenehmste ist, so kannst du Mir denn nun auch nicht mehr einen Stirnkuß, sondern einzig und allein nur einen so ganz handfesten und brennheißen Mundkuß geben, und das wird dann ein rechter Kuß sein! – Verstehst du Mein allerliebstes Helena’chen das?«

3 Spricht die Helena ganz rosig geröteten Angesichts: »O ja, das verstehe ich jetzt schon! Aber es wird doch vielleicht – hm, ja, hm, so – ein bißchen gar zu stark aussehen! Weißt Du, Die (anderen) werden mich vielleicht doch ein bißchen auslachen wegen meiner Keckheit? Aber – h, was macht's denn auch?! Willst es ja Du, Du, mein Gott und mein einzigster Herr! Was Du aber willst, das kann nicht gefehlt sein, und die Liebe kann auch nicht fehlen! Freilich, wenn ich bedenke, daß Du der allmächtige ewige Schöpfer aller Dinge und Wesen bist, und ich nur ein schwaches Geschöpf, so ist das freilich etwas sehr Sonderbares, so ich Unheiligste Dich Allerheiligsten auf den Mund küsse, durch Dessen allmächtiges »Werde« Himmel und Erde, und alles was darauf geworden ist! – Aber, Du, Du willst es ja, Du Selbst willst dadurch meines Herzens heißestem Drange die ersehnte höchste Seligkeit gewähren, und so geschehe denn, wonach sich mein Herz heimlich schon gar oft und lebendigst gesehnet hat!« – –

4 Nach diesen Worten gibt sie Mir einen Kuß wahrlich non plus ultra, das heißt, einen Kuß von echtem Schrot und Korne; und Ich sage darauf zu ihr: »Nun erst bist du vollkommen, und hast für die ganze Erde an Mir ein großes Versöhnungswerk vollbracht! Du selbst aber wirst von nun an stets an Meiner Seite, d.h. durch alle Meine Liebe ewig fortan die höchste Seligkeit aller Seligkeiten genießen; nämlich die Seligkeit Meines höchsten und pursten Liebehimmels, in welchem lauter solche Engel wohnen, die Mich dir gleich lieben! Aber das sage Ich dir auch, daß es deren eben nicht gar zu viele gibt! Wohl lieben Mich sehr viele, aber nur als natürlich Das, was Ich bin, nämlich: als ihren Gott, Herrn und Vater! – Du aber bist mit deiner Liebe, nach dem Beispiele der Magdalena, wahrlich noch tiefer in Mich hineingedrungen, und hast Mein Herz erfaßt, und hingezogen an das deinige, wodurch zwischen uns eine vollkommene Ehe aller Himmel vor sich gegangen ist! – Durch diese Ehe bist du nun zu einem förmlichen Gottesweibe geworden, und somit eins mit Mir! Daher aber sollest du an jeder allerhöchsten Seligkeit denselben gleichen Teil haben, der Mir zukommt! Bist du damit zufrieden?!«

5 Spricht die Helena ganz bebend vor höchster Wonne: »O, o, o! Du, Du, Du mein heiligster süßester Jesus! Ich – arme Sünderin – wäre nun, o Gott, o Gott! Dein, Dein – Weib !??! – O Himmel, Himmel, Himmel! was ist aus mir geworden? ich, ein Gottes-Weib?! Nein, nein, das kann ja doch unmöglich sein! – Aber Du, Du ewigste Wahrheit hast es nun Selbst ausgesprochen, und so wird es auch also sein! – Aber was werd' ich beginnen in der Seligkeiten tiefsten Tiefen und höchsten Höhen!? Wie werde ich sie ertragen können?! Wird es mir nicht also zu schwindeln anfangen, als wie einer armen Sünderin, die von aller Sterne höchstem auf die erschrecklich tief unten rastende Erde hinabblickete?! oder werde ich mich wohl ewig je zurecht finden können in solcher Höhe? – O Gott, o Gott! o Du mein süßester Jesus! was hast Du nun aus mir gemacht? Ach, ach! ich komme mir nun vor wie eine glücklichste Unglückliche, und wie eine seligste Unselige! Ja – wie eine, die ist, und nicht ist!«

6 Sage Ich: »Meine Geliebteste, sei nur recht ruhig und heiter; Ich sage es dir, du wirst dich gar bald, und gar überaus leicht in alles finden; denn sieh, in Meiner allerhöchsten Höhe geht es dir am allereinfachsten und niedrigsten zu (siehe, Die geistige Sonne); da gibt's keine Hofetiketten, keine übertriebene Pracht, und durchaus keinen Luxus, sondern die schönste und allerreinste Bescheidenheit, und einen fortwährend gleichen und ungetrübten Frohsinn, und siehe, das sind eben deine Sachen! und so wirst du dich da schon zurecht finden. Nun aber sehe du zum Fenster, das gen Morgen gewendet ist, hinaus, und sage Mir, was du durch dasselbe alles gesehen und entdecket hast!?« –


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