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Kapitel 53

Das »Wienerheldenkleeblatt« im Jenseits; deren Ansichten über ihren Zustand, über Gott, die Hölle und das Fatum

Am 1. März 1849

1 Wir beide gelangen nun bei der Türe an, und diese geht auch alsogleich wie von selbst auf.

2 Durch die geöffnete Türe sieht man nun die drei ganz vertieft um einen runden Tisch sitzend, in verschiedenen Schriften und Akten also herumwühlen, als suchten sie irgend ein wichtiges Dokument.

3 Nach einiger Weile dieses wie vergeblichen Suchens spricht Messenhauser ziemlich aufgeweckt: »Aber ich sage es ja immer, dies wichtigste Dokument für unsere Unschuld ist bei den letzten unglücklichsten Affären rein verloren oder wohl ganz und gar vernichtet worden! Was nützt uns nun all unser Suchen; verloren ist verloren! Rettet uns sonst nicht ein guter Genius aus diesem unserem Gefängnisse, etwa bei Nacht und Nebel, so sind wir ohne weiteres verloren; denn bei diesen Rechtlern Gnade erwarten, wäre noch ein größerer Wahnwitz, als so man meinen würde: Eine ganze Herde Tiger möchte einem Menschen nichts tun, der recht mutig mitten durch sie ginge! Wir sind nun schon einmal in den Händen der rechten Teufel, und da gibt es weder Gnade noch Erbarmen! Denn wo Minos (Totenrichter in der Unterwelt), Eakus und Redamantus zu Gerichte sitzen, da steigen sogar dem Satan die Grausbirnen auf, geschweige uns dreien armen Sündern! Ihr werdet es sehen, es wird gar nicht lange hergehen, so wird ein sanfter Herr Autitor mit einem Profosen zu uns hereinkommen, und wird uns ein allerliebstes Todesurteil vorlesen, und das mit einer so stoischen Gleichgültigkeit, als hätte er statt Menschen bloß nur so ein paar Regenwürmchen vor sich, die zertreten werden sollen! Ich sage es euch, wir werden erschossen werden!«

4 Spricht darauf der Jellinek: »Freund Messenhauser! ich versichere dir um was du nur immer willst, daß das, was du noch immer befürchtest, an uns schon lange buchstäblich ist vollzogen worden. – Es sieht die Sache wohl nahe so aus wie ein Fiebertraum; aber es ist dennoch kein Traum! Denn ich weiß es nur zu gut, und es schwebt mir nur zu klar noch vor meinen Augen, wie ich hinausgeführt worden bin in den entsetzlichen Graben, und bin dort in optima forma erschossen worden! – Daß ich darauf mich aber auch alsogleich in diesem zweiten, dem irdischen gar nicht unähnlichen, Kerker befand, und dich, Messenhauser, schon hier antraf, und der Freund Becher auch solchergestalt hier eintraf; daß ich nur wahrlich nicht weiß, ob er oder ich früher da war, das ist mir das einzige Unerklärliche bei der ganzen Sache! – Wir leben also nun ganz bestimmt nach dem Tode unseres Leibes hier ein gewisserart geistiges Seelenleben fort, und unsere Furcht vor einem nochmaligen Erschossenwerden ist eitel, das versichere ich auf alles, was ihr nur immer wollt!

5 Aber mich drückt hier in diesem sonderbaren Zustande etwas ganz anderes, und das ist die große Ungewißheit – erstens wo wir nun sind? Zweitens: – Was haben wir zu erwarten; und drittens: Was wird in der Folge aus uns? – Wenn in Dreiteufelsnamen denn am Ende an den vielen Höllenpredigten der Liguorianer und Konsorten doch etwas dran wäre!? So wären wir mit unserem Lose wahrlich nicht zu beneiden! So ein ewiges Verdammungsurteil von Seite irgendeines allmächtigen Wesens ginge zur Vervollständigung unseres Glückes gerade noch ab! Aber ich tröste mich bis jetzt noch immer mit dem, daß das Gottwesen, so es irgendwo ist, doch sicher endlos besser sein muß, als alle die besten Menschen der Erde zusammengenommen; und solle es auch nicht gar so unmenschlich gut sein, so ist es doch sicher besser als der Feldmarschall Windischgrätz, der uns mit einer so unbeschreiblichen Gemütsruhe hat hinrichten lassen, als wie da ein Aar verzehret ein Aas. O, wenn es nur da irgend ein Mittel gäbe, sich an diesem Tiger rächen zu können, und das so ausgedacht grausam, als nur immer möglich, so wäre das für mich wenigstens die größte Seligkeit, die ich mir nur immer denken und wünschen könnte! Wäret ihr da nicht mit einverstanden?!«

6 Spricht der Becher: »Ja, ja, Bruder, du scheinst in allem recht zu haben! Der Freund Messenhauser ist da noch in einer gewissen Hinsicht wie irdisch gefangen, und meint, daß er noch immer in Wien in einem Kerker schmachtend das Todesurteil zu erwarten habe?! – Allein in diesem Punkte stimme ich nun ganz dem Freund Jellinek bei. Es ist im vollsten Ernste kein Traum, sondern leider die allernackteste Wahrheit, daß wir drei allesamt und sämtlich ganz vollkommen sind erschossen worden, und so ich mich nicht irre, zirka November oder Dezember herum?! Könnte aber dennoch nicht mit Gewißheit bestimmen, an welchem Tage; denn ich bin hier, wo es weder ganz Tag noch ganz Nacht ist, ganz vollkommen aus aller Zeitrechnung heraus! Es liegt hier aber auch nichts daran; wir sind irdisch genommen ein für alle Male tot, und da nützt kein Denken und Reden; aber ich frage hier auch, wie du Bruder Jellinek ehedem ganz richtig gefraget hast!

7 Aber an eine Hölle glaube ich durchaus nicht; denn so es einen Gott gibt, da kann es keine Hölle geben; gibt es aber keinen Gott, da kann es wohl noch weniger eine Hölle geben! Denn der eigentliche Begriff Gott ist zu rein, zu heilig, zu erhaben groß und zu weise gut, als daß man sich neben Ihm, und eigentlich aus Ihm eine Hölle als dem Begriff der totalsten Unvollkommenheit in allem denken könnte; gibt es aber keinen Gott, sondern bloß rein mechanische bewußtlose Kräfte, so fragt sich's, wie haben diese eine systematische Hölle zuwege bringen können?«

8 Spricht Jellinek: »O, das kann ich mir recht leicht vorstellen, und das also: Gibt es einen Gott, was nicht zu bezweifeln ist, so fragt sich's: Wie hat dies vollkommenste beste Wesen auch einen Windischgrätz z.B. erschaffen? – Dieser Tigermensch wird etwa doch die Hölle so ziemlich getreu auf der Erde vorstellen, und ist doch gleich wie eine jede Klapperschlange ein Werk der vollkommensten Gottheit?! Solle es aber keine Gottheit geben, so fragt sich's dann auch wieder, wie konnten die stummen Naturkräfte in eine so miserable Laune geraten und einen Windischgrätz gewisserart zufällig herausmodeln?! Ihr seht nun, daß unter einem Gotte, wie auch unter gar keinem Gotte das Böse sich eben so gut vorfindet wie das Gute, und zumeist noch reichlicher und stärker, woraus sich aber dann unter beiden Bedingungen die Hölle ganz gut herausfolgern läßt, und es ist daher auch gar sehr leicht möglich, in diese also ganz unschuldig zu geraten, als wie wir weiland irdisch in die Hände des Windischgrätz geraten sind. Was meinet ihr in dieser Beziehung?«

9 Spricht Messenhauser: »Ja, ja, Bruder! du scheinst ganz recht zu haben; mir kommt es nun auch schon ganz evident vor, daß ich wirklich erschossen worden bin, und das bald nach dem armen gutherzigen Blum; ich habe nun schon so manche Beobachtungen nebenher gemacht, wollte euch aber dennoch nicht stören in euren Gesprächen. Aber da ihr nun damit zu Ende seid, so kann ich euch's wohl mitteilen.

10 Sehet auf den Tisch, auf dem wir unsere wichtigen Papiere liegen hatten; die Papiere sind auf einmal rein unsichtbar geworden! Das ist schon ein frapant sonderbarer Umstand, den man sich ohne Döbler und Bosko nicht leicht erklären kann!? – So bemerke ich auch dort gegen Morgen zu auf einmal eine Türe offen, wo wir noch kurz vorher alle drei zusammen keine Spur hatten, an welcher Wandseite sich möglicher Weise etwa doch eine Art Türe vorfinden ließe?! Endlich bemerke ich mit nicht geringem Staunen, daß dieser unser Kerker sich nach Art der Döblerschen Nebelbilder anfängt in ein ganz nett aussehendes Zimmer zugestalten; also fange ich nun auch wirkliche Fenster in diesem Zimmer zu entdecken an, und nehme es ganz genau wahr, daß es nun lichter und lichter wird; es war zuvor zwar wohl auch so ein gewisses sonderbares Dämmerlicht in diesem unserem Kerker; aber wir konnten bei diesem Lichte nichts so recht bestimmt unterscheiden, ob wir von Wesen oder Gegenständen mechanischer Art umgeben sind? Nun aber nehme ich schon alles recht genau aus, und sehe allerlei recht zierliche Gegenstände!

11 Alle diese Erscheinungen bestärken mich immer mehr und mehr, daß wir uns nun richtig in einer Traumwelt oder Geisterwelt befinden müssen; aber was da in dieser sonderbaren Welt aus uns in der Folge wird, das ist freilich eine ganz andere Frage, die schier Keiner aus uns gar zu leicht beantworten wird!

12 Du Bruder Jellinek hast ehedem auch einmal etwas angezogen, wie du dich an dem Windischgrätz rächen möchtest, und wie dir diese Rache zur größten Seligkeit gereichen würde. Siehe, in diesem Punkte stimme ich dir wieder nicht bei; denn sieh', ich bin durchaus ein Fatalist. Das Fatum hat auf die Erde Gift und Balsam in gleichem Maße ausgestreut. Was kann ein Tiger darum, daß er ein Tiger ist! – Ist die Klapperschlange darum verdammlich, daß sie eine Klapperschlange ist?! Was kann die Tollkirsche dafür, daß ihre Frucht dem Leben des Menschen gefährlich ist!? Und eben so gut läßt sich das auch vom Windischgrätz sagen; er ist ein blindes Werkzeug des Fatums, das ihn so gestaltet und eingerichtet hat wie er ist, und ist in seiner Art eben so gut zu bedauern als wir, die wir ihm zu einem blutigen Opfer geworden sind.

13 Wir haben es gottlob, wie man so zu sagen pflegt, überstanden; er hat es noch zu überstehen; und wer weiß, ob er es am Ende besser haben wird, als wir es gehabt haben, die wir auch als arme Werkzeuge des Fatums eben darum gefallen sind, weil uns das leidige Fatum dazu auserkoren hat. Heute mir, morgen dir, und am Ende ist es eins, ob man 100 oder ob man 10 Jahre den Staub und den Kot der Erde flachgetreten hat, oder ob man am Galgen, oder im weichen Bette den Leib den Würmern zur Speise übergeben hat. Mir ist das nun ganz einerlei.

14 Ein Leben habe ich wieder; der Messenhauser bin ich auch noch; ich habe keinen Schmerz, wie auch keinen Hunger und keinen Durst! – Ihr meine lieben Freunde, seid mir auch geblieben, und unser Zimmer wird stets heller und schöner; was wollen wir da noch mehr?! Vom schlechter werden scheint es hier schon durchaus keine Rede zu sein; und wenn es so fortgeht, so können wir uns nur gegenseitig hoch zu gratulieren anfangen; denn besser und sorgloser ist es uns auf der lieben Erde ja auch nie gegangen! Wer weiß es, wie es sich hier noch fürder gestalten wird? Ich glaube, stets besser und besser! und solle es mit der Weile wieder einmal schlechter werden, no, so wird uns das doch etwa auch nichts Neues sein? – Denn wie gar oft hat das Fatum uns auf der Erde zwischen gut und schlecht hin und her geschoben!

15 Also bleibt es wenigstens bei mir dabei, daß ich alles annehme, wie es nur immer kommen mag; denn ändern kann ich die Sache nicht, und so ist es doch am klügsten, alle Sachen zu nehmen wie sie sind und wie sie kommen, und dabei alle seine Wünsche aber rein an den ersten besten Nagel zu hängen; denn diese haben uns noch nie Interessen getragen, und werden uns auch höchst wahrscheinlich nie einigen Nutzen bringen! Seid ihr darin mit mir ganz vollkommen eins?« –


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