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Es scheint ein langes, ew'ges Ach zu wohnen In diesen Lüften, die sich leise regen, Aus jenen Hallen weht es mir entgegen, Wo Scherz und Jubel sonst gepflegt zu thronen. |
Venedig fiel, wiewohl's getrotzt Äonen, Das Rad des Glücks kann nichts zurückbewegen: Öd' ist der Hafen, wen'ge Schiffe legen Sich an die schöne Riva der Sklavonen. |
Platen |
Es war Nacht geworden, als wir nach der Visitation endlich die Dogana verlassen durften. Der Ruf: »Una barca! Una gondola!« tönte von allen Seiten an unser Ohr. Wir bestiegen die zunächstliegende Gondel, der Gondolier trat auf seinen Platz hinter dem Häuschen, und der sichere Druck seines Ruders ließ uns lautlos und pfeilgeschwind durch die Lagunen schießen.
Eine Gondel! ein Gondoliere! Welch ein Zauber weht uns an aus diesen Worten! Weich und wollüstig wiegt sich die Seele in den poetischen Bildern einer fernen Zeit, wie das Schiffchen sich schaukelt auf den leise erzitternden Wellen der Kanäle.
Stolze Ritter haben das Schwert von ihren Hüften gegürtet, das Haupt von der eisernen Wucht des Helmes befreit. Unter dem Federbarett erglänzen dunkle Locken, ein schwarzer Domino umhüllt die männliche Gestalt, welche die Prachttreppen hernieder zur Gondel schreitet. Die Gitarre liegt auf den elastischen, schwarzen Polstern, das schwarzverhangene Gondelhäuschen darüber verbirgt wie ein Sarg den Glücklichen, der daraus hervorzugehen hofft zu seliger Freude.
Rasch fliegt das leichte Fahrzeug die Kanäle entlang, fort unter den dunkeln Schauern der Seufzerbrücke, vorüber an dem Lichtgeflimmer der Piazzetta; weiter, immer weiter vorwärts! Der verschwiegene Gondoliere kennt wohl sein fernes Ziel. Er hat's erreicht und hält!
Nicht an der breiten Marmortreppe des Canal Grande, wo vor dem lichtstrahlenden Palast sich Gondel an Gondel um die Befestigungspfähle reiht, welche hell leuchten in den Wappenfarben des Hohen Hauses. Tanzmusik erklingt dort aus prächtigem Saale, eilfertige Dienerschaft fliegt durch Treppen und Hallen, geschmückte Männer und Frauen stehen in den geöffneten Fenstern der Altane, Kühlung einatmend in dem frischen Nachthauch, der herüberweht vom Meere.
Nein! leise und schnell an der Prachttreppe vorüber huscht die Gondel im Schatten der Pilaster zur kleinen Hinterpforte des Palastes am Traghetto (Landeplatz). Die Gitarre erklingt, ein Fenster wird behutsam geöffnet; die Gitarre verstummt. Unhörbar schlüpft ein zarter Frauenfuß über die Quadern, noch ein Moment – und die Liebenden sind vereint, vereint unter der treuen Obhut des schweigenden Gondoliers.
Oh! welches Glück, hinauszurudern, ungesehen, unbelauscht, durch die weiten Kanäle, in herzigster Einsamkeit, Auge in Auge versenkt, Lippe an Lippe gepreßt! gewiegt von dem schwankenden Kahn in süßeste Träume, ohne Geräusch, ohne den störenden Laut von außen, so still, daß das leiseste Flüstern, daß der zaghafteste Seufzer widerklingt in der Brust des Geliebten! hinaus in die ruhenden, mondbeglänzten Fluten des Adriatischen Meeres, dem einst die Venus entstieg, die schöne Göttin der Liebe.
Gewiß! gibt es ein Paradies, ein Eden der Liebe: in einer Gondel gelangt man dahin!
Doch »Venedig lebt nur noch im Reich der Träume«! – Keine Siegesfanfaren erklingen jetzt in den Hallen der alten Dogengeschlechter, kaum ein Zitherklang unter den Fenstern schöner Frauen. Schweigend heben sich die Prachtpaläste aus den Fluten empor, welche leise anplätschern gegen die Stufen der Marmortreppen. Nur hie und da erglänzt aus hohem Gemach der Schimmer von Lichten, nur bisweilen tritt aus der Halle eines Palastes eine Gestalt hervor, steigt die Treppe hinab und verschwindet in der Gondel, welche sie lautlos entführt.
Nie habe ich auch nur in annähernder Ahnung die Vorstellung der Stille gehabt, welche uns in Venedig umgibt. Unser Ohr ist so sehr des Durcheinanderklingens von Menschentritten, Wagengerassel und Rossestampfen gewohnt, daß wir es erst dann als ein Auffallendes empfinden, wenn es einmal einen ungemeinen Grad erreicht hat. Wirkliche Ruhe, wirkliche Stille kennen wir in unsern Städten nicht. All unsere Vorstellungen davon sind bedingt. Wenn uns nun hier mitten in einer großen Stadt, mitten auf den Kanälen Venedigs vollkommene Stille umgibt, so glauben wir zu träumen, und alte Märchen von der schweigenden Königsburg, von dem schönen, im Meere versunkenen Vineta tauchen vor unserm Geiste auf, bis die Gondel uns an die Stufen der Piazzetta führt und neue Zauberbilder uns zu umgaukeln scheinen.
Es ist Nacht. Bleiches Mondlicht strahlt matt durch die Wolkenvorhänge, welche der leise Wind langsam hinwegweht, die Sterne schauen verstohlen hervor, die Wogen des Meeres ruhen, die Gondel landet an den breiten Stufen. Zwischen den beiden schönen Säulen der Piazzetta steigt man an das Ufer. Der geflügelte Löwe von San Marco und der heilige Georg, welche die Säulen schmücken, wachen über Venedig und schützen unsern Eintritt.
Ein orientalisches Gebäude liegt zu unserer Rechten. Über byzantinisch gezierten, niedrigen Säulen, welche die Bogen tragen, erhebt sich das obere Stockwerk in ganz befremdlicher Form. Die rötlich gebrannten Ziegel verschlingen sich zu geheimnisvollen Arabesken, wunderbare Gebilde ragen aus dem Marmorzierat hervor. Die hohen Fenster beherrschen den Platz und das Meer, aber sie sind von keinem Lichte erhellt, das Haus ruht im Schweigen der Nacht.
Schlummert darin die arabische Fürstin, die Abencerragen-Geliebte, welche ein neidischer Zauberer entführte? Wachen Genien darin und flüstern ihr süße Träume ins Ohr vom fernen Geliebten, der sie ersehnt in den Fontänensälen der Alhambra? – Oder ist es ein Tempel geheimnisvoller Brüderschaft, welche dem strebsamen Neophyten die Offenbarung eines unsichtbaren Gottes in mystischen Zeichen enthüllt? Wir stehen davor in staunender Betrachtung, denn – Venedigs Dogenpalast hat nicht seinesgleichen im ganzen Abendlande.
Es ist der Zauber des Orientes, der uns umweht. Wir hören Kaskaden rauschen, wir hören Palmblätter fächeln über den Polstern, auf denen die Sultanin ruht. Aufgelöst ist ihr schwarzes, flutendes Haar, das herniedersinkt über die juwelengeschmückte Brust, über die feine Hand bis hinab zu den nackten, spangenumgebenen Füßen, welche auf den golddurchwirkten Kissen ruhen. Papageien wiegen sich in goldenen Ringen, goldene Fischchen glitzern im Marmorbassin – da – erblickt man die prachtvolle Treppe – die Riesentreppe des Dogenpalastes, und – Marino Falieros schwarzes Leichentuch fällt über die lachenden Bilder des Orients.
Wir wenden unser Auge! Das Lichtgeflimmer der Läden unter den alten und neuen Prokurazien erglänzt, die Uhr in dem Uhrhause zeigt, unter dem Gold- und Ultramarinschmuck der Fassade, die zehnte Stunde. Noch ein Schritt vorwärts, und wir stehen auf den Quadern des Markusplatzes.
Militärmusik erklingt. Vor der Markuskirche ragen die drei roten Mastbäume auf erzenem Sockel empor, die Trophäen Venedigs nach Eroberung der Inseln Morea, Candia und Zypern. Schiffer in dalmatischer Tracht, Landleute von den Inseln und Matrosen aus den freien Staaten Nordamerikas lagern zu ihren Füßen.
Kaffeehäuser und Luxusmagazine, wohin man blickt. Die mit Hallen überbauten Erdgeschosse sämtlicher Gebäude, welche von drei Seiten den Markusplatz umschließen, sind davon erfüllt. Der Markusplatz gleicht einem riesigen Opernsaale, und auch das Geräusch der wogenden Menge, von keinem Wagengerassel, von keinem Pferdetritt untermischt, bringt den Laut hervor, der bei einem großen, fröhlichen Feste uns aus den Sälen entgegentönt.
Der Markusplatz zeigt uns die italienische Geselligkeit und das italienische Volksleben im Freien in einem Bilde – und doch ist Venedig nicht mehr das eigentliche, südliche Italien. Venedig ist ein besonderes, liebliches Wunder, ein geheimnisvolles Rätsel, eine stolze Ruine, vom Zauber der Vergangenheit umzittert; Venedig ist ein frei gebornes, poetisches Weib unter der lastenden Herrschaft eines aufgedrungenen Gebieters; Venedig ist unvergänglich schön und doch schon Beute des Verfalles – und weil es das alles ist, ist's eben das zauberhafte, traumselige, phantastische Venedig und unvergleichlich.
Auf dem Markusplatze reihen sich Stühle an Stühle. Kellner eilen von einem zum andern, Eisgläser, Kaffeetassen und Sorbetti zu präsentieren. Knaben bieten in zierlichen Körben kandierte Früchte feil, preisen uns Muschelkästchen, Korallenspielereien, Fächer und Glasperlenschmuck zum Kaufe an, in weichem, lieblichem Dialekt. Am Arme der Männer wandeln die geschmückten Frauen auf und nieder; bedächtige Perser, schöne armenische Greise und flammende junge Griechen liegen in den offenen Sälen der Cafés oder auf den Stühlen im Freien hingestreckt und folgen, die lange Pfeife im Munde, mit den dunkeln, brennenden Augen den schlanken Frauengestalten, welche sich hier, mitten in der Nacht, mitten unter fremden Männern, fessellos bewegen.
Dort stehen östreichische Offiziere, den Stock, die Prügelwaffe, von der eingeschnürten Taille herabhängend, ein schmachvolles Ehrenzeichen; hier erglänzen Goldstücke in dem Laden eines Wechslers, und Schiffskapitäne schließen Kontrakte für die Fahrt. Bisweilen, aber selten im Vergleich zu Rom und Neapel, huscht noch ein verspäteter Mönch unter den Prokurazien dahin. Hat er Trost gebracht am Lager oder in der Hütte der Leidenden, wie fremd muß die Fröhlichkeit des Markusplatzes seine Seele berühren; hat er vom verbotenen Becher des Lebens gekostet, wie melancholisch mag das Bild des düstern Klosters ihm scheinen; wie glücklich der Weltgeistliche, der hier unter warmem Himmel frei und lächelnd das Lachen auf schönen Lippen, in blitzenden Augen erweckt.
Aus den Fenstern der Gebäude sehen wie aus den Logen eines Theaters Männer und Frauen hinab, deren Gestalten sich formenschön hervorheben auf dem Lichthintergrunde der Zimmer. Der ganze Markusplatz ist voll Menschen, wohin das Auge sich wendet; Musik umtauscht uns, man wandert fort und fort, man schwatzt, man lacht bei ihrem Klange, ob auch Stunde um Stunde versinkt und der Zeiger am Uhrhause unaufhaltsam vorrückt, man genießt, man lebt das Leben.
Es ist nach Mitternacht geworden! Der Mond ist hinabgesunken ins Meer, die Gruppen auf dem Markusplatze fangen an, sich zu lichten, man geht freier umher, die Wärme, welche die Masse hier ausströmte, wird geringer, der frische Lufthauch vom Meere macht sich fühlbar, die Gasflammen fangen an, unruhiger zu flackern. Nun erst übersieht man die Größe und Schönheit des Raumes. Man tritt an das äußerste Ende des Platzes, ihn besser zu betrachten.
Schlank und stolz hebt sich von den Quadern wie eine Riesensäule der Markusturm empor, frei und selbständig, nicht an eine Kirche, nicht an einen Palast gestützt, ein Bild der selbständigen Republik. Dahinter erglänzt es in strahlendem Goldglanz. Reich wie eine Moschee ist die Markuskirche geschmückt in aller Pracht byzantinischen Stils, und mitten aus den runden Bogen des Orients, aus ihren kioskartigen Spitzen und Wölbungen, mitten aus dem Goldlicht der Mosaiken leuchtet über das unruhige Lebensgetümmel des Markusplatzes ein ruhig Bild, beruhigend und erhebend, vom Hauptportal der Markuskirche durch die Nacht – das Bild des triumphierenden Christus, der sich aufschwingt von der Erde zum Himmel.