Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Einleitung

Übergang über den Simplon und Eintritt in Italien

Wenn die goldenen Tore der Märchenwelt sich vor der wunderdürstenden Phantasie des Kindes schließen, wenn die Feenkönigin mit ihrem Zauberstabe sich für immer in das Reich der Träume zurückzieht und der Glaube an ihre Macht verschwindet, so tritt die Wirklichkeit urplötzlich in ihre Rechte ein, und die Jugend sehnt sich nach der Schönheit der Welt, die sie noch nicht kennt, wie das Kind sich gesehnt hat nach den Wundern der Märchenwelt, von denen man ihm erzählte.

Alles nimmt nun eine festere Gestalt an, die Nebelbilder konzentrieren sich, man möchte das geträumte Eldorado auf einen bestimmten Punkt der Erde versetzen, und für all die farbigen Blüten, für die goldenen Früchte jenes Fabellandes bietet der kalte, farblose Norden keinen Raum. Da wendet das Auge sich sehnsuchtsvoll nach Süden! – Nach dem Süden, wo im dunkeln Laub die Goldorange glüht, wo ein lauer Wind vom blauen Himmel weht, die Myrte schlank und hoch der Lorbeer steht! Der Süden wird die Sehnsucht des Lebens, Italien das Ziel, nach dem fast jeder Nordländer strebt.

Je tiefer Schnee und Eis die Erde bedecken, je fester sich der kristallene Reif um die Fenster des Hauses legt und je wilder der Wind es umbraust, je mehr zieht es die Seele nach Süden. Ich hatte oft in den eisigen Wintertagen meiner ostpreußischen Heimat zu den schneebedeckten Dächern der Nachbarhäuser geblickt, wenn die scheidende Sonne sie glänzend beleuchtete und sie hell hervortraten gegen den blauen, wolkenlosen Winterhimmel, und gedacht, wie ganz anders es doch sein müsse, wenn die Sonne hinter den Alpen zur Ruhe ginge und das wundervolle Alpenglühen die Gletscher röte unter dem Himmel einer südlichern Gegend. Von ganzem Herzen hatte es mich verlangt, diese fremde Welt zu kennen, aber der Wunsch war in meinen damaligen Verhältnissen anscheinend so unerfüllbar, daß ich ihn kaum mir selbst zu gestehen wagte, weil es mir von jeher töricht schien, das Unerreichbare zu begehren.

Und als mein Leben dann eine andere Wendung nahm, als der Horizont sich für mich erweiterte und ein reicheres Dasein begann, da trat die alte, nie geschwundene Sehnsucht mächtig hervor, und der friedliche Römerzug wurde beschlossen.

Ich hatte im Juli und August des Jahres 1845 die Schweiz durchreist; ich hatte die schneebedeckten Häupter der Jungfrau und des Montblanc erglühen sehen unter dem Scheidekusse der Sonne und aufflammen bei ihrem Morgengruß; die Sterne hatte ich glänzen sehen in den tiefen, hellen Spiegeln der Schweizerseen, und immer näher trat mir das schöne Italien, das Ziel meiner Wünsche.

Wie klopfte mir das Herz, als ich in dem freundlichen Vevey den ersten Spaziergang durch die Stadt machte, vom Hafen die Rue du Lac entlangwanderte und mich bald darauf in der Rue du Simplon befand. So wie in jenem Momente war mir als Kind zumute, wenn der erste Adventssonntag anbrach und mit den ersten buchsbaumumflochtenen, vergoldeten Äpfeln die ganze unbeschreibliche Weihnachtsseligkeit in meinen Gesichtskreis gerückt wurde.

Vevey hat schon einen sehr südlichen Charakter. Der Hafen mit seinen Platanenalleen, die rebengekränzten Ufer des blauen Genfer Sees, die Feigen und Trauben und Melonen, die in reichen Massen zum Kaufe feilgeboten werden, auch die Luft und das Licht und die lebhafte Physiognomie der Menschen gehören schon dem Süden an. Es ist die Introduktion der Jubelsymphonie Italien.

Oft saß ich da auf der Terrasse meines Hauses am See und sah hinüber zum Dent du midi und Dent du Morcles, wenn ihr purpurn beleuchtetes Schneehaupt sich im See spiegelte oder doch mindestens rote Reflexe wie einzelne Rosen über das stille Wasser warf. Dann träumte ich mich zurück in die Tage meiner ersten Jugend, um mich daran zu erfreuen, daß ich auf dem Punkte stände, jene alte Sehnsucht befriedigt zu sehn.

Aber es gibt einen Epikureismus der Entsagung, den ich sehr süß finde; er besteht darin, sich den Genuß eines Glückes, dessen man sicher ist, so lang als möglich vorzuenthalten. Ich glaube, dies hängt mit einer bestimmten Organisation mancher Menschen zusammen. Das Gewaltsame, Überraschende stört das Gleichgewicht der Seele, das Langerwartete tritt ihr bekannt und mild entgegen. Es ist so süß, das allmähliche Wachstum, das zarte Entfalten einer Knospe zu betrachten; es ist ein ahnungsvolles Entzücken, die Phantasie im voraus genießen zu lassen, was bald als unumstößliche, beglückende Wirklichkeit vor uns stehen soll.

So verweilte ich einen Tag nach dem andern in Vevey und verließ es erst am 25. August, um den Übergang über die Alpen zu machen.

Wir durchschifften mit dem Dampfboot den Genfer See, stiegen bei Villeneuve ans Land und fuhren nach dem Bergstädtchen St. Maurice, das an der Rhône liegt. Hier trennt die Rhône das milde, fruchtbare Waadtland von dem wilden Wallis, das einen ernsten Übergang bildet von der schönen Schweiz zu den lachenden Fluren des lieblichen Oberitaliens.

Früh am Morgen um vier Uhr verläßt man St. Maurice, um vor Nacht Brig am Fuße der Simplonstraße zu erreichen. Die Posten fahren wegen der bergigen Wege nur am Tage. Brig liegt schon sehr hoch. Es war tief dunkel, als wir um neun Uhr abends dort anlangten. Nur wenig Stunden Rast waren uns gegönnt für die letzte Nacht, die wir außerhalb Italien zubrachten. Um zwei Uhr weckte der Kondukteur seine Passagiere, und bei dem Schein einer trüben Laterne bestiegen wir die Wagen, die uns über den Simplon bringen sollten.

Die Sterne funkelten hell an dem dunkeln Himmel, das letzte Viertel des Mondes schwamm in der Luft. An hohen, phantastisch gezackten Felsmassen vorüber führte der Weg langsam empor, indem er sich durch Schluchten und über Höhen fortzog. Nur die nächste Umgebung konnte man erkennen, und vergebens strebte das Auge, das Dunkel zu durchdringen. Allmählich kündigte sich in grauem Schimmerlicht die Rückkehr des Tages an, und bald strahlte alles wieder im goldenen Lichte der Sonne.

Wir waren schon ein paar Stunden gefahren, als es Tag wurde und wir bei den Windungen des Weges zu unseren Füßen das in grauen Nebelschleiern schlummernde Städtchen Brig erblickten. Die Luft war frisch und ungemein leicht. Die Vögel flogen jubelnd dem Tage entgegen. Bisweilen schwang sich ein großer Vogel mit breitem Flügelschlag empor, wenn seine sichere Einsamkeit durch das Nahen des Postwagens gestört wurde. Dann schwebte er kreisend über den Tälern und blickte hinab in die dämmrigen Tiefen, wie das Auge des Denkers hinblicke auf die verworrenen Rätsel des Lebens, die sich vor seinem Geiste lösen.

Und hier in der gewaltigsten Größe der Natur hat sich der Menschengeist ein schönes Denkmal errichtet durch die Straße, welche man über den Berg geführt hat. Napoleon war es, der sie bauen ließ.

Mitten durch den starren Granit der Urgebirge ist die breite Straße geführt. Man mußte Felsen sprengen, Wasserfälle abdämmen, um die Gewölbe zu bauen, durch die man fährt, an den Stellen, wo der Weg den stürzenden Lawinen zu sehr ausgesetzt sein würde. Es macht einen merkwürdigen Eindruck, wenn man sich in diesen Galerien befindet und die tosenden Fluten eines Wasserfalles über sich brausen hört, die über den Weg fort sich in stürmender Willkür in die Täler ergießen.

Da die Wagen nur langsam fahren können, waren wir ausgestiegen und gingen den Berg hinan, die Morgenluft zu genießen. Die Stille, die Lautlosigkeit auf solchen Höhen hat etwas Feierliches, Magisches für uns, deren Ohr an den kleinlichen Lärm des täglichen, gewerblichen Lebens gewöhnt ist. Immer ferner und kleiner erschien das Städtchen Brig, das man bei den Biegungen des Weges immer wieder sah; die Täler mit ihren Menschenwohnungen verschwanden allmählich ganz. Auch die Vegetation hörte auf, und immer seltener glühte eine Alpenrose aus den Felsen hervor. Wir befanden uns in der Schneeregion und schritten, von Sommerluft umfächelt, über einzelne leichte Eisschollen fort, auf denen ein festgetretener Schnee lagerte.

Am Wege sind an den Stellen, an denen die Lawinen am häufigsten zu fallen pflegten, kleine Hütten gebaut, in die man sich flüchten kann. »Réfuge!« steht über den Türen geschrieben. So geht der Weg gegen 7000 Fuß aufwärts, so hoch als die Weengernalp am Fuße der Jungfrau.

Nicht fern von dem Hospiz, das auf der Höhe liegt, passiert man eine jener Galerien, die durch den Fels gesprengt sind. In der Mitte der einen Wand ist ein großer Quaderstein eingemauert, der folgende Inschrift trägt: »Aera Italica. Napol. Imperat. 1805.«

Ein Pole, der in der Reisegesellschaft war, jauchzte auf. Meine Seele neigte sich vor dem Riesengenius des Kaisers. Es macht stolz und freudig, wenn man sieht, wie der Wille des Menschen die Naturgewalten bändigte hier gerade an dieser Stelle, wo unter der Brücke von Gondo einer der gewaltigsten Wasserfälle sich donnernd in die Tiefe stürzt.

Das Hospiz gleicht einem großen, einfachen Gasthause. Mönche vom Augustinerorden stehen ihm vor. Der Prior und drei Klosterbrüder leben beständig hier oben. Außer einer freundlichen Kapelle hat das Haus nichts Klösterliches. Die untere Etage ist den Reisenden der niederen Stände bestimmt, die es hier jedenfalls besser finden, als sie es in ihren Wohnungen haben. Der obere Stock für die verwöhnteren Gäste der höheren Stände ist wie ein sehr schlichter Gasthof eingerichtet. Jede Etage hat ein gemeinschaftliches Speisezimmer und einen Saal.

Bei dem Eintritt in den Saal des oberen Stockwerkes fielen mir rechts und links vom Kamine zwei schöne Kupferstiche in die Augen. Ich trat näher heran, sie zu besehen, und fand die Unterschrift: »Hommage de Madame Thérèse de Bacheracht aux bons pères du Simplon.«

Ich hatte mich von Therese kurz vorher in Interlaken getrennt, wo wir uns begegnet waren und ein paar Wochen in ländlicher Stille nebeneinander gelebt hatten. Nun, da ich hier oben ihren Namen fand, der mir so plötzlich entgegentrat, war mir es, als ob ein lieber Freund mir unerwartet die Hand drücke. Der Prior erzählte mir, wie der Wagen der Frau von Bacheracht von einer Lawine überfallen sei, wie man sie hätte in das Hospiz holen müssen und wie das sehr schlechte Wetter sie zum Verweilen gezwungen habe. Mit der Gewandtheit eines Weltmannes sagte er: »Parcequ'il faisait très mauvais temps, nous avons eu le plaisir de la garder deux jours chez nous.« Er rühmte ihre Güte und Freundlichkeit und trug mir auf, das Andenken an das Hospiz bei ihr zu erneuern.

Nachdem wir das Innere des Hospiz durchwandert hatten, wünschten wir die Hunde zu sehen. Das sind prächtige Tiere. Man brachte deren drei ins Haus. Es lag gradezu etwas Verständiges in der Art, mit der sie hereinkamen. Sie sahen ungemein stark und sehr klug aus. Der Prior wollte, daß sie die Pfote geben sollten, aber trotz seines wiederholten: Donnez la patte! blieben sie unbeweglich, obgleich alle Reisenden der Reihe nach ihre Hände hinhielten. Mir gefielen die Hunde sehr, und noch im Fortgehen wendete ich mich nach dem größten um und reichte ihm noch einmal die Hand. Da hob er die breite, schwere Pfote bedächtig empor und gab sie mir hin, als wüßte er, wie lieb ich die Tiere habe. Es war mir eine wirkliche Genugtuung, daß der Hund sich zu mir wendete. Ich dachte an das schöne Wort von Leon Gozlan: »L'instinct et l'âme se regardent, se réfléchissent et le fluide universel les unit par le conducteur intime de la vue, pile voltaique de l'être.«

Um Mittag verließen wir das Hospiz, speisten in dem Städtchen Simplon, das schon an der absteigenden Straße liegt, und erreichten bald darauf die Grenze, wo man die Pässe visierte und das Gepäck sehr oberflächlich durchsuchte.

Nun war ich in Italien!

Der Wagen fuhr mir, obgleich es bergab und schnell genug ging, viel, viel zu langsam. Jetzt, da der Vorhang aufgezogen war, sollten sich mir auch gleich alle Schönheiten enthüllen, die ich geahnt hatte und die ich erwarten durfte. Jedes plattere Dach, jeder Kastanienbaum und jedes sonnengebräunte Antlitz ward wie ein Pfand der Verheißung begrüßt. Und wie ein Kind hätte ich immerfort rufen mögen: Mehr! mehr!

Als wir um fünf Uhr nachmittags Domodossola erreichten, das am Fuße des Simplon liegt, machte die Post halt, um zu übernachten. Mich aber zog es gewaltsam vorwärts, und ich mietete eine Extrapost, die uns in fünf Stunden nach Baveno am Ufer des Lago Maggiore bringen sollte.

Dieser Weg nach Baveno erschloß mir die erwarteten Schönheiten des Südens zuerst. Die Luft war sehr mild und weich, ein starker Pflanzenduft erfüllte sie. Er mochte zum Teil von den blühenden Hanffeldern herrühren, doch mischte sich noch ein anderes, mir fremdes Arom darein. Die weißen Häuser mit den flachen Dächern glänzten goldig im Lichte der untergehenden Sonne. Maisfelder, Maulbeer- und Kastanienbäume zogen sich längs dem Wege hin. Bis in die höchsten Zweige der Bäume rankten sich die Weinreben empor und schlangen sich in Festons, in denen die reifenden Trauben hingen, von Baum zu Baum. Es sah so festlich aus, als sollten Ceres und Bacchus ihren Triumphzug halten durch dieses Land.

Zu beiden Seiten des Weges von allen Höhen herab sahen freundliche Landhäuser hernieder und stiegen Arbeiter heimkehrend hinab. Sie trugen große Körbe voll Gras und Weinblätter, die man zum Futter benutzt, auf den Köpfen. Das sah schön und malerisch aus. Frachtwagen mit Mauleseln, einer hinter dem andern gespannt, fuhren langsam vorüber. Einzelne Geistliche ritten auf Eseln oder saßen auf den Chausseesteinen am Wege, in der sicheren Ruhe gewohnten Respektes mit Landleuten vertraulich zu plaudern. Dazwischen läuteten die Abendglocken das Ave-Maria wie segenspendend über die sanfte Stille des Landes.

Als es dunkler wurde, als ich nicht mehr die Schaulust des entzückten Auges zu befriedigen hatte und die einbrechende Nacht die Gegend verhüllte, da kam erst recht die Freude über mich, die jeder empfindet, der ein Langerstrebtes endlich erreicht hat. Ich wiegte mich träumend in dem süßen Gefühl, bis plötzlich ein neues Schauspiel mich mir selbst entzog.

Ein Gewitter war am fernen Himmel aufgezogen, und seine Blitze zerrissen unablässig das Gewölk, für Augenblicke statt der nächtlichen Finsternis Tageshelle verbreitend. Dann tauchte aus dem Dunkel der Lago Maggiore hervor, zu dem wir hinabfuhren, um, kaum wahrgenommen, dem Auge wieder zu entschwinden. Das war von wunderbar poetischem Effekte.

Sehr spät erst langten wir in Baveno an, wo wir ermüdet das Lager suchten.

Am Morgen fiel mein erster Blick auf den See. Da lag sie vor mir, die Isola Bella, die mir nach Jean Pauls Schilderung im »Titan« von Jugend an wie ein Paradies vorgeschwebt hatte. Da lagen Isola Madre und Isola dei Pescatori, von der Morgensonne beleuchtet. Ja! das war Italien, und mit allen Sinnen atmete ich dürstend die Schönheit dieser Natur ein.

Ein leichtes Boot führte uns nach der Isola Bella hinüber. Ein stattlicher, selbst prächtiger Palast, umgeben von Gartenanlagen im altfranzösischen Stile, der jedoch in dieser reichen, der Schere trotzenden Vegetation seine dürre Steifheit verliert. Man wies uns die großen Prachtgemächer des Schlosses, das Zimmer, in dem Napoleon geschlafen vor der Schlacht von Marengo. Große Mosaikfußböden, reiche Stuckverzierungen und Freskomalereien an den Decken, Marmor und wertvolle Bilder schmücken das Schloß. Laubengänge von Orangen- und Zitronenbäumen, deren Früchte in reicher Fülle herabhingen, ließen uns fühlen, daß wir in Italien wären. In kühlen Muschelgrotten sprangen klare Wasser aus dem Felsen und tränkten die Schlingpflanzen, deren saftiges Grün in üppiger Schönheit das harte Gestein umrankte und verhüllte. Pflanzen, die bei uns kümmerlich im Schutz der Gewächshäuser gedeihen, blühen hier kräftig unter freiem Himmel. An den zierlichen Gartenanlagen vorüber führte man uns zu einem Teile des Parkes, der an dieser Stelle wirklich den Namen verdiente, weil man der Natur hier größere Freiheit gegönnt hatte, sich in ihrem Reichtum zu entfalten.

Mächtige Bäume bilden einen Hain, durch dessen Grün überall lachend der See hervorblickt. Mit den nordischen Eichen und Ulmen mischen sich, ihnen fast ebenbürtig an Kraft, der Ölbaum und der Lorbeer, und einer dieser letzteren ragt so stolz empor, als wüßte er, daß er zu Besonderem geweiht sei vor allen anderen in der Jugend seines Lebens.

Hier unter diesem Baume hat Napoleon geruht, als seine Seele die Schlacht von Marengo dachte, und dem Gedanken folgend, zeichnete seine Hand mit dem Degen zwei Tage vor der Schlacht das Wort »Battaglia« in die weiche Rinde des Baumes, in der es scharf ausgeprägt festgewachsen ist wie die Tatsache im Bewußtsein der Völker.

Es war unsere Absicht gewesen, diesen Tag und vielleicht noch ein paar folgende Tage an dem See zu verleben. Indes, während des Umherwanderns auf der Insel zogen sich schwere Wolken dicht am Himmel zusammen, und schon auf der Rückfahrt strömte ein Platzregen herab, der den ganzen Tag und die Nacht anhielt, ohne daß am nächsten Morgen die kleinste Erhellung der Wolken uns Aussicht zur Änderung des Wetters geboten hätte. An die Fahrt nach den beiden anderen Inseln, an einen Ausflug nach dem Lago d'Orta war unter diesen Umständen gar nicht zu denken. Unter stürzendem Regen fuhren wir in einer Barke nach Stresa, das Dampfschiff zu erwarten, das uns nach Sesto Calende bringen sollte. Der See war so wild aufgeregt, daß die Barke wie auf dem Meere schwankte. Ein Teil der Gesellschaft war seekrank geworden. Zwei Waadtländerinnen schrien und weinten vor Angst, und während von oben durch das übergebreitete Segeltuch wohlfiltriertes Wasser auf uns niederfloß, schlugen die Wellen so stark in das Boot, daß man auch mit den Füßen im Wasser saß.

Erst nach zwei Stunden langten wir auf dem Dampfboote an und flüchteten in die heißen, überfüllten Kajüten, wo Reisende von allen Nationen, vorzüglich aber doch Italiener, nebeneinander saßen oder lagen, je nachdem ihre Seeleiden groß oder klein waren. Durch den Regen zu diesem Aufenthalt gezwungen zu sein, sich diesem Anblick nicht entziehen zu können war unangenehm genug.

Endlich langten wir in Sesto Calende an. Da aber schien es, als wolle Italien, nachdem es uns am vorigen Tage den Begriff seiner Schönheit beigebracht hatte, uns auch gleich all seine Schattenseiten zeigen, damit wir doch wüßten, was wir zu erwarten hätten.

Paß- und Douanebeamte empfingen uns am Landungsplatze und geleiteten uns in einen großen, wüsten Schuppen, wo unsere Pässe und Sachen visitiert werden sollten. Dies muß man sich gefallen lassen, das ist ganz in der Ordnung und wird es bleiben, solange Regierung und Volk sich ebenso wie die verschiedenen Staaten untereinander als feindliche Mächte betrachten. Wunderlich bleibt solch ein Zustand inmitten des tiefen Friedens, für den in den Kirchen vieler Länder oft gedankt worden ist, allerdings; indes dies ist eine Tatsache – es ist so –, und darum muß es ertragen werden, bis man es ändert.

Aber in Italien lernt man die Paßbüros und Zollämter als Institute kennen, die ihren Beamten all die Freiheit gönnen, welche den Reisenden entzogen wird. Die Beamten kommen und gehen, sind abwesend oder in den Büros anwesend, je nachdem es ihnen gut scheint.

In Sesto Calende war es Mittagszeit, als die durchnäßte, seekranke Gesellschaft des Dampfbootes an das Land gesetzt wurde. Die Leidenden mochten sich wohl nach Ruhe, die Gesunden nach Nahrung sehnen, die man in der heißen Kajüte mitten unter den Seekranken unmöglich hatte zu sich nehmen können. Alle aber wünschten sicher das Ende der Reise und die Ankunft in Mailand herbei, weil bei diesem Wetter das Verweilen auf der Landstraße sehr unerfreulich war.

Indes die Beamten waren in ihre Wohnungen zum Mittage gegangen, kein einziger der bei der Visitation Beteiligten zurückgeblieben, und wir hatten, während die Herren in aller Ruhe ihr Mittagsbrot verzehrten, anderthalb Stunden Zeit, dies Wartenmüssen sehr lästig zu finden. Ich glaube, es ist eine List der Douaniers. Weil sie wissen, wie sehr verhaßt und unwillkommen sie sind, wollen sie es dahin bringen, noch sehnlichst herbeigewünscht und mit Freuden begrüßt zu werden. Von uns wenigstens ward ihnen beides zuteil, und wir waren sehr froh, als wir den Zollschuppen mit dem Wirtshause zunächst der Post vertauschen konnten.

Dies Wirtshaus war der Typus einer schlechten italienischen Locanda, und ich habe später in Italien viele jener Osterien, jener Kneipen für das niedere Volk, kennengelernt, in denen man sehr viel behaglicher war. Schmutzige Hallen um den geräumigen, von allen vier Seiten durch das Haus begrenzten Hof, Wagen, Karren, Esel, Postillione, Vetturine und Stallbuben in lautem, lärmendem Streit, Koch und Küchenjungen aus der unterhalb der Halle gelegenen Küche hervorlugend, die Töpfe, Tiegel und Löffel in den Händen, und all dies im unerfreulichsten Zustande. In der Gaststube auf dem umgekehrten Estrichboden Hühner, die vor dem Regen Schutz suchten so gut als wir und wie berechtigte Hausinsassen von der Wirtin respektiert wurden. Aber trotz der unsauberen Tücher auf den langen, schmalen Tischen, trotz der großen, wackelnden Stühle und den unfreundlichen Gesichtern der Wirtsleute wurden wir heiter, als eine gute Suppe mit Käse und Makkaroni und gebratene Hühner unsere Lebensgeister endlich erfrischten. Bei jedem gebratenen Huhn, das der Wirt hereinbrachte und der Appetit der Reisenden verschwinden machte, sah ich mir triumphierend die welschen Hühner an, die mir ganz unverschämt über die Füße hüpften, und dachte: Springt ihr nur! Auch eure Stunde wird kommen, und wenn wir fort sind, gibt es andere Deutsche, Engländer und Russen, die uns rächen werden, indem sie euch verspeisen. Und dann mußte ich lachen über mich selbst. Es war so recht deutsch von mir, Rache für die Unbill, die ich erlitt, von der kommenden Generation zu erwarten.

Etwa um vier Uhr – obgleich zwei Uhr auf den Postkarten gedruckt stand – waren die Wagen zur Abreise bereit. Die Postillione wurden von den Stallknechten aus der Osterie, die Postbeamten, welche uns in die schlechten Wagen verteilen sollten, aus dem Café geholt, und wir verließen Sesto Calende mit dem tröstlichen Bewußtsein, daß sich um unsertwillen niemand in seiner gewohnten Lebensweise gestört habe.

Man hatte uns gesagt, der Weg nach Mailand sei schön; das mag auch wahr sein, indes die Reisenden, die ihn mit mir zugleich zurücklegten, haben gewiß ebensowenig davon gesehen als ich. In schlechten Wagen, bei strömendem Regen, der uns zwang, alle Fenster zuzuziehen, fuhren wir auf Chausseen einher, deren Bäume alle graue Nebelmäntel um sich gewickelt hatten. Es war feucht und unbehaglich wie in nordischen Herbsttagen, und als die Dunkelheit hereinbrach, konnte man sich nach Litauen versetzt glauben.

Um zehn Uhr abends hielten die Posten. Wir waren unter dem Arco della Pace in Mailand. Unter dem Schutze dieses Friedensbogens, den Napoleon hier am Ende der Chaussee hatte bauen lassen, welche vom Simplon nach Mailand führt, wurden abermals die Pässe visiert, ehe man uns die Fahrt nach der Stadt erlaubte.

Eine halbe Stunde später waren wir wohlbehalten in Reichmanns Hotel gelandet, sehr froh, es erreicht zu haben, und gleichsam mit einem kurzen Abriß desjenigen versehen, was Italien uns an Leiden und Freuden bieten würde.


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