Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Ein Besuch im Frauenkloster Trinità dei Monti und eine Jesuitenpredigt

Rom hat das Eigentümliche, daß in ihm noch eine Menge von Charakteren, von Zuständen, von Einrichtungen existieren, welche uns im protestantischen Norden so ferngerückt sind, daß wir kaum noch an ihr Vorhandensein glauben. Wenn ein Norddeutscher aus einem protestantischen Lande sich plötzlich nach Rom versetzt sähe, ohne die allmähliche Stufenleiter italienisch-katholischer Eindrücke von Deutschland abwärts bis Rom durchwandelt zu haben, er müßte sich in einer Traumwelt glauben. Heiligenbilder, Mönche, Kardinalsequipagen, Prozessionen, das sind alles Dinge, von denen wir zwar hören, die uns aber doch ziemlich fern und unklar vorschweben. Man glaubt daran, weil es nicht der Mühe verlohnt, daran zu zweifeln; oder man denkt nicht daran, weil es so in gar keiner Beziehung zu uns steht.

In Italien und namentlich in Rom tritt aber der Katholizismus in seiner ganzen riesenhaften Größe und Festigkeit auf. Er mahnt mich oft an den schönen Gigantenbau, an das Colosseum, das aus so festen Quadern nach so weisem Plane gebaut ist, daß es fast unzerstörbar scheint. Soviel die Zeit und die Menschen daran gerüttelt haben, soviel schon davon vernichtet ist, noch immer überragt es an Schönheit und Tüchtigkeit alle andern Bauten, und man fühlt, daß es doch noch innere Haltbarkeit und lange Dauer in die Zukunft haben wird. Es ist eine tiefe, weise Konsequenz in dem Bauplan, und alles, was konsequent ist, hat Dauer. Die Konsequenz ist es, die den Katholizismus stark macht. Der Katholizismus ist ganz und mächtig, der Protestantismus halb und ohnmächtig, solange er nicht bis zur äußersten Spitze rationeller Freiheit geht, solange er ein klägliches Mittelding von Glaubensfreiheit und Gewissenszwang bleiben will, solange er zwar unscheinbar, aber doch herrschsüchtig ein egoistisches Pfaffentum in sich verbirgt.

Der Katholizismus ist ehrlicher. Er spricht es offen aus, daß er herrschen will, und man kann, wenn man das nicht liebt, seine Maßregeln danach treffen; während für diejenigen, die im Gefühl innerer Unselbständigkeit sich ewig unter die Flügel der katholischen Mutterkirche zu bergen wünschen, von dieser auf die liebenswürdigste Weise und nach dem Bedürfnis jedes einzelnen gesorgt wird.

Das sind Betrachtungen, die sich mir aufdrängten, als ich einer Ostervorbereitung für Damen im Kloster Trinità dei Monti beiwohnte.

Wer von uns hat nicht oft genug gelesen, wie die vornehmen Französinnen unter der Herrschaft der Ludwige sich für eine Zeitlang in die Klöster zurückzogen, um dort Ruhe und Sammlung zu finden nach den berauschenden, ermüdenden Zerstreuungen der Gesellschaft? Wer hat darin nicht eine liebenswürdige Überspannung oder ein anmutiges Kokettieren gefunden, das, nachdem es in den Salons mit der Welt sein Spiel getrieben, nun im Gegensatz ein wenig mit dem Jenseits tändelt und dann beruhigt ist durch die beseligende Überzeugung, in sich ein wundervolles Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde hergestellt zu haben?

Dieses momentane klösterliche Sichzurückziehen findet in Rom ebenfalls noch statt unter dem Namen der esercizii spiritoali, und zwar kurz vor Ostern als Vorbereitung auf dies größte Fest der Kirche.

Wenn man vom Corso kommend die Via Condotti entlanggeht, so erhebt sich über der Spanischen Treppe, welche vom Spanischen Platze zum Monte Pincio hinaufführt, in schöner Stattlichkeit des Renaissancestils das Frauenkloster von Trinità dei Monti. Fast alle Nonnen sind Französinnen, die Mehrzahl aus adligen Familien. Sie leben nach der Regel des heiligen Ignatius von Loyola und beschäftigen sich mit der Erziehung der weiblichen Jugend. Die Pensionäre, jetzt etwa sechzig an der Zahl, sind alle von Adel. Eine Armenschule für Mädchen niederer Stände wird von den Nonnen in einem Seitenflügel des Klosters besorgt.

Hier in diesem Kloster, das durch den trefflichen Gesang der Klosterfrauen in Rom berühmt ist, halten die Damen ihre Ostervorbereitung. Durch Vermittlung einer Dame, die früher einmal ein paar Wochen zu gleichem Zwecke im Kloster gelebt hatte, ward mir der Zutritt zu einer dieser Vorübungen gestattet, und ich will versuchen, die Eindrücke, welche ich dabei empfing, für andere zugänglich zu machen, denen sie vielleicht ebenso fremdartig erscheinen dürften als mir.

Ich war mit einer Freundin, die mich begleitete, die schöne Treppe hinaufgestiegen, welche zum Kloster führt. Wir schellten, das kleine Schiebefenster ward aufgetan, eine hübsche Nonne sah hervor und öffnete uns die Türe. Die Kleidung der Nonnen ist nicht so starr klösterlich als gewöhnlich. Sie tragen ein schwarzes, faltiges Gewand, das um die Taille mit einer Schnur zusammengehalten ist, an der der Rosenkranz herabhängt. Das Gewand geht bis dicht zum Halse hinauf, und eine große Pelerine von demselben Stoffe umhüllt die Schultern. Auf dem Kopfe tragen sie eine weiße Haube von dichtem Musselin mit so breiter, gefalteter Krause, daß sie wie ein kleiner Hut das Gesicht einschließt. Ein langer, schwarzer Kreppschleier fließt vom Kopfe über den Rücken herab bis fast zu den Füßen. Ein silbernes Kruzifix ziert die Brust. Es ist eine Tracht, die einem angenehmen Äußern, wie die Nonne es hatte, welche uns einließ, sehr vorteilhaft und kleidend ist.

Da das esercizio spiritoale erst in einer Stunde beginnen sollte, hatten wir Zeit, uns vorher die Kirche anzusehen. Sie ist groß, hochgewölbt, licht und vornehm elegant; nicht geeignet zu der Sammlung, deren ein tieferschüttertes Gemüt in der Zerknirschung über große Sünden bedarf; aber sehr angenehm, um mit wehmütigem Ernst an die kleinen Sünden zu denken, deren man sich bewußt ist, ohne sie schwer zu bereuen. Sehr sauber getünchte Wände, hellpoliertes Holzschnitzwerk mit vergoldeten Zieraten, aus denen das Sacré Coeur hervorragt, dunkelrote Fenstervorhänge und schöne, spiegelblanke Kronleuchter von Kristall bilden ein Ganzes, das den Übergang von dem Salon zur Kirche zu machen scheint.

Es war Mittag vorüber. Eine Nonne von gutmütigem Aussehen führte fünf kleine Mädchen im Alter von acht bis zwölf Jahren in eine der Kapellen, setzte jeder einen Schemel zurecht, auf dem die Kleinen niederknieten, und ließ sie sich zur Beichte vorbereiten. Es war die Kapelle, in der die beiden Magdalenen von Veit gemalt sind. Die Mädchen trugen weltliche Kleidung, hatten aber schwarze Kreppschleier und sahen, was mir auffallend war, alle bleich und schwächlich aus.

Während die Kinder beteten, standen wir vor der anstoßenden Kapelle und betrachteten die schöne Kreuzabnahme von Daniel di Volterra, welche der Hauptschmuck dieser Kirche ist.

In unserer Bewunderung des schönen Bildes unterbrach uns der Eintritt eines Priesters, der sich mit jener behaglichen Sicherheit in den Beichtstuhl setzte, mit der ein Präsident sich am Sessionstisch niederläßt, und bald darauf erschien eines der kleinen Mädchen, kniete demütig nieder und fing seine Geständnisse an. Ob sich der kälteste Priester nicht beschämt an die Brust schlagen mag, wenn er hört, er, der Welt und Leben kennt, was solch ein achtjähriges Kind für Sünde hält? Ob er nie die Versuchung fühlt, die kleine Unschuld auf den Altar zu setzen und in tiefer Beschämung vor dem reinen Wesen zu knien, das von ihm Absolution verlangt?

Wir gingen fort, um die kleine Andächtige nicht zu stören. Man führte uns aus der Kirche in den Klosterhof. Er ist groß und viereckig, von Gebäuden umschlossen, die einen offenen Hallengang haben. Eine Nonne geleitete ein kleines Mädchen von einer Seite des Hauses zur andern herüber. Sie sprach nicht mit der Kleinen, sie hielt sie auch nicht an der Hand, sondern ging schweigend, sie beaufsichtigend, neben ihr her. Dies konnte Zufall, notwendig sein; ich sagte mir das selbst; indes hier im Kloster machte es mir einen schmerzlichen Eindruck.

Über verschiedene Gänge und Treppen, die alle äußerst sauber und freundlich waren, brachte uns die Nonne, welche uns begleitete, in den Garten, der sich hinter dem Kloster auf der höchsten Spitze des Monte Pincio erhebt. Er war ebenso wohlgehalten und zweckmäßig besorgt als das Innere des Klosters, was hier in Italien, wo man dergleichen nicht gewohnt ist, doppelt angenehm auffiel.

Die Priorin, eine schöne, frische Frau von etwa fünfzig Jahren, ging plaudernd mit zwei Nonnen umher. Die erstere hatte das heitere Aussehen einer glücklichen Familienmutter, jene hübsche Röte des Alters, die mich immer an den roten, herbstlichen Blätterschmuck der Bäume erinnert. Die beiden Nonnen, noch in der ersten, schönen Hälfte des Lebens, waren bleich und ernst. Es paßte gut zu ihren sehr edlen Zügen.

Die Dame, welche früher einmal im Kloster gewesen war, küßte der Oberin die Hand und stellte uns vor mit dem Bemerken, daß wir der Andacht beizuwohnen wünschten. Die Oberin bewillkommte uns freundlich, und man führte uns nach der Kapelle, in der die Nachmittagsandacht gehalten werden sollte.

Ehe ich zu dieser selbst übergehe, will ich ein paar Worte über die Weise berichten, in der die Damen während dieser Osterandacht leben.

Die Bußzeit, wenn man es so nennen darf, dauert zehn Tage. Es werden zwei esercizii spiritoali abgehalten, der erste in italienischer und vierzehn Tage später ein zweiter in französischer Sprache. Die Damen leben nach der Vorschrift des heiligen Ignatius, und ein Jesuit leitet die Übungen. Jetzt war es Pater Rillo, ein Pole, der ausgezeichnetste Kanzelredner des Jesuitenordens. Man hatte mir schon früher viel von ihm und seiner unermüdlichen Tätigkeit für die Kirche, seiner rastlosen Ausdauer auf den beschwerlichsten Reisen und von seiner gänzlichen Hingebung für seine Überzeugung gesprochen.

Die Damen, welche für diese Übungszeit in das Kloster kommen, bewohnen jede eine eigene, freundliche Zelle in einem Gebäude, das, zum Kloster gehörend, jedoch von diesem getrennt, im Garten liegt. Es ist einstöckig, sehr schlicht, aber ebenso sauber als das Kloster, und die Eingangswand mit Rosen umrankt, welche in voller Blüte standen. Die Büßerinnen stehen sehr früh auf, wohnen der Messe bei, haben am Tage mehrere Betübungen und hören vier Predigten, zwei am Morgen, zwei am Nachmittage. Während der Mahlzeiten, welche diese Pensionäre des Klosters gemeinsam, jedoch getrennt von den Nonnen halten, liest eine Nonne aus dem Leben der Heiligen vor. Jede Unterhaltung aus Lust am Plaudern ist ihnen verboten; sie dürfen nur das Unerläßlichste sprechen, um zu fordern, was sie bedürfen, oder um auf die Fragen der Oberin zu antworten. An dem Tage, an welchem sie das Kloster verlassen, nehmen sie das Abendmahl, die Nonnen singen die Messe, und man sagte uns, die Abschiedszeremonie sei ebenso ergreifend als schön und prächtig. – Das Kloster nimmt die Pensionäre, von denen es verlangt wird, unentgeltlich auf, verschmäht aber auch die Bezahlung nicht, die man freiwillig, so groß oder so klein sie sein mag, bietet. Das ist menschlich und verständig. Es waren augenblicklich etwa vierzig Damen zur Andacht im Kloster.

Dies vorausgeschickt, kehre ich zu unserm Eintritt in die Kapelle zurück. Nach dem heitern Eindruck, welchen die Kirche auf mich gemacht, hatte ich mir ein ebenso lachendes Bild von der Kapelle entworfen. Wie erstaunte ich daher, als man den Vorhang, den alle italienischen Kirchentüren haben, aufhob, eine Glastüre öffnete und uns in einen Raum hineinwies, der so finster war, daß ich anfangs fast gar nichts unterscheiden konnte. Man führte uns zu unsern Plätzen, und erst nachdem sich das Auge an das Dunkel gewöhnt hatte, fing ich an, die Gegenstände um mich her zu erkennen. Die Kapelle, lang und schmal bei mäßiger Höhe, hat ganz den Anstrich eines Gartensaales. Sie ist wie ein gewöhnliches Zimmer in grauen Arabesken auf blaßblauem Grunde gemalt. Palmen- und Lorbeerzweige umschlingen das »In hoc signo vinces«. Ein hübscher Teppich bedeckt den Fußboden. An der einen Seite der Kapelle sind, wie ich an den Bronzeschlössern bemerken konnte, verkleidete Türen nach dem Garten; an der andern Fenster, die von außen mit Läden geschlossen waren. Weiße Gardinen mit den gewöhnlichen Bronzeverzierungen geben den Anstrich häuslichen Behagens. Oben am Ende des Saales ist ein einfacher Altar, darüber das Jesuitische Sacré-Coeur. Ein Kruzifix steht neben dem Altar, die Ewige Lampe hing leuchtend darüber. Nur an dieser Stelle war durch ein Fenster dem Tageslichte Eingang gestattet. Es war totenstill und schwül in der Kapelle, und dies hatte etwas Beängstigendes für mich, als ich aus dem hellen, frischen Sonnenschein hineintrat in dies tiefe, plötzliche Dunkel.

Etwa vierzig bis fünfzig Damen waren sitzend oder kniend in Andacht versunken. Sie befanden sich in Bänken zu beiden Seiten des Gemachs, das Gesicht gegen den Altar gewendet. In der Mitte war ein freier Gang, in dem sich ein paar Nonnen geräuschlos und anmutig hin und her bewegten, um den Neuankommenden ihre Plätze anzuweisen. Als alle versammelt waren, trat die Oberin mit vier Nonnen herein, nahm mit ihnen der Tür zunächst Platz, der Vorhang vor dem Eingang wurde heruntergelassen, die schwere Holztüre geschlossen. Die Stille und Dunkelheit waren nun vollkommen, nur am Altar konnte man deutlich unterscheiden.

Nach einigen Minuten öffnete sich hinter demselben eine Türe, die ich nicht bemerkt hatte, Pater Rillo trat schnell und sicher herein und nahm auf einem Sessel vor dem Altar seinen Platz. Er sprach das gewöhnliche Gebet, die Damen hörten es kniend mit an. Währenddessen konnte ich den Pater betrachten, soweit das zitternde Lampenlicht es zuließ. Er scheint ein Mann von vierzig Jahren und von edler, apostolischer Gesichtsbildung zu sein. Das Profil, das von der Seite des nicht verhängten Fensters Licht empfing, zeichnete sich in schöner Form in der Dunkelheit ab. Es gewinnt durch reiches Haar und reichen Bart eine anziehende Würde.

Nach beendigtem Gebete fing die Predigt an. Ob und inwiefern sie sich an die vorhergegangenen Reden anschließen mochte, das konnte ich nicht beurteilen, doch vermute ich, daß es der Fall gewesen ist. Sie handelte über den Beruf für das geistliche Leben in klösterlicher Zurückgezogenheit.

Die Weise, in welcher der Pater sprach, gefiel mir sehr. Ich habe sie bei allen katholischen Predigern Italiens gefunden, welche ich zufällig gehört. Sie ist fern von dem hohlen, zur Manier gewordenen Pathos der protestantischen Geistlichen, die uns durch ihr Niederdonnern von der Kanzel, durch das gleichmäßig rhythmische Fallen und Steigen der Stimme von ihrer Begeisterung für die Sache überzeugen wollen. Der heutige protestantische Prediger kämpft für seine Überzeugung, weil er weiß, daß viele daran zweifeln; aber der Kampf macht den Menschen immer unruhig, heftig und unschön. Der katholische Kanzelredner, der Diener der alleinseligmachenden Mutterkirche, nimmt es als gewiß an, daß seine Zuhörer glauben, denn sie werden von ihm verdammt auf ewig, wenn sie es nicht tun. Er hat nicht zu kämpfen, nicht zu beweisen; er spricht zu Menschen, welche glauben müssen, darum kann er ruhig, behaglich, zutraulich sprechen, wie ein Vater im Kreise seiner Familie, wenn der Geistliche alt, wie ein geistreicher Freund zu seinen Freunden, wenn er jünger ist. So habe ich es immer gefunden, und in dieser letztern Weise drückte sich Pater Rillo aus. Er hat eine jener weichen, klangvollen Stimmen, die auch bei dem leisesten Sprechen verständlich und tönend sind; und er sprach leise, denn er hatte Damen vor sich, deren Nerven dies wohltuender sein mußte als die Posaunenstimme eines zürnenden Gottesknechtes.

Er fing seine Rede damit an, daß er erklärte, wie in der Welt alles nichtig sei, alles gleichgültig, außer daß man den Willen des Herrn täte.

»Sie sind nicht in der Welt, um Bälle und Festinos zu besuchen«, sagte er, »um durch Schönheit und Reichtum zu glänzen, meine Damen! nicht, damit man Ihnen den Hof mache, sondern um ganz und ungeteilt den Willen Gottes zu tun. Nehmen Sie ein Blatt Papier, schreiben Sie darauf: Ich bin in der Welt, um den Willen Gottes zu tun. Halten Sie sich dies geistig ewig vor Augen, und mit diesem Gedanken handeln und leben Sie. Aber wie soll ich erkennen, fragen Sie mich, meine geliebtesten Töchter, welches der Wille des Herrn ist? Dies eben ist die schwere Aufgabe, die unsere höchste Aufmerksamkeit erfordert. Wir haben es hier besonders mit der Frage zu tun, wie man es erkenne, ob jemand den Beruf für das Klosterleben oder für die Welt habe, denn eine augenblickliche Neigung für das eine oder das andre kann uns darin täuschen. Es bedarf eines festen, entschiedenen Berufes.« – Nun beleuchtete er sehr klar und verständig den schönen Wirkungskreis einer Hausfrau und Mutter und sprach dann mit Erhebung von der Heiligkeit eines zurückgezogenen Lebens. Vom katholischen Standpunkte aus konnte es nichts Würdigeres, Gemäßigteres geben als diese Auseinandersetzung. Er ging dann darauf über, daß alles auf den Ruf ankäme, den die Stimme Gottes im Menschen erklingen lasse, denn der Mensch selbst könne sich leicht irren. »Denken Sie, meine Damen, Sie selbst oder Ihre Tochter oder Ihre Schwester wären schön und lebhaft, geistreich und von heftiger Gemütsart. Sie würden denken, mit diesen Eigenschaften ist man für die Welt geboren; Sie könnten irren, geliebteste Töchter! Diese Frau wird der Herr vielleicht rufen, denn ihre Schönheit, ihre Lebhaftigkeit, die Gefühle ihres Herzens könnten ihr zu ewigem Verderben gereichen; und was nützt es, eine Weile schön vor den Menschen in der Welt zu sein, wenn man ewig häßlich vor Gott im Jenseits ist? Eine andre möchte denken: Ich bin sanft, demütig, liebe die Vergnügungen wenig, habe nicht Freude an Schmuck und Pracht, ich will in das Kloster gehen! Mitnichten, geliebteste Tochter, grade Sie hat der Himmel vielleicht bestimmt, durch Ihre Sanftmut Frieden und Glück in einer Familie zu verbreiten.« Immer wieder kam er darauf zurück, man müsse hören auf den Ruf des Herrn und ihn nicht verwechseln mit der eigenen Neigung. Ich fühlte, daß er einem bestimmten Ziele zusteuere, ohne recht sehen zu können, welches es sei. Endlich rückte er diesem näher, indem er erklärte, man dürfe solchen Schritt nicht ohne Rat tun, man müsse ihn mit einem zuverlässigen Freunde überlegen. »Aber wen sollen wir fragen? Die Lehrerin? Sie kann leicht eine vorgefaßte Meinung über Sie haben, und wer ist die Lehrerin? Eine Person, die in der Welt lebt und irren kann. Wollen Sie die Mama fragen, meine Damen? Aber wer ist die Mama? Eine Frau, die aus blinder Liebe, um sich nicht von ihrer Tochter zu trennen, deren Seelenheil auf das Spiel setzt; eine Frau, welche sagt: Meine Tochter ist schön, geistreich, sie hat eine reiche Mitgift, sie kann einen Bräutigam beglücken, sie ist zu gut für die Einsamkeit des Klosters. Aber was kann zu gut sein, was ist nur würdig genug des himmlischen Bräutigams Jesu Christi, und wo könnte ihr größeres Glück blühen als in der Seligkeit des Gewissens? Die Elternliebe bereitet aus Mißverstand oft das ewige Verderben ihrer Kinder. Als ich noch in Civitavecchia vor den Galeerensklaven predigte, fiel mir unter diesen die sanfte, edle Gesichtsbildung eines Jünglings auf, und ich fragte ihn, wie er auf die Galeeren gekommen sei. ›Ach, mein Vater!‹ antwortete er mir, ›ich hatte den Beruf gefühlt, Kapuziner zu werden; meine Eltern – sie sind reich und angesehen –, denen ich meinen Wunsch mitteilte, nahmen mich aus dem Seminar, in dem ich erzogen ward, führten mich in die Welt und lehrten mich ihre gefährlichen Freuden kennen. Zwei meiner Vettern, wüste Gesellen, waren meine beständigen Begleiter. Anfangs erwehrte ich mich der Versuchungen, aber ich unterlag endlich und ermordete einen meiner Vettern nach einem Feste. So kam ich hierher.‹ Sehen Sie, geliebteste Töchter, wohin die Verblendung der Elternliebe führen kann! Wollten Sie die Oberin des Klosters fragen, in das Sie zu treten beabsichtigen, ob Sie den Schritt tun sollen? Sie könnte doch irgendein Interesse dafür haben und Sie, unbewußt vielleicht, irreleiten. Nur einer ist da, der, unberührt von irdischen Absichten, gesondert von der Welt und ihren Beziehungen, kein anderes Ziel, keinen andern Zweck haben kann als Ihr Seelenheil: es ist der Seelsorger! – il direttore!«

Gewöhnlich sind die Jesuiten die Seelsorger der vornehmen Damen.

Nun waren wir am Ziele. Er sagte, daß alles darauf ankäme, einen zuverlässigen Seelsorger zu haben und ihm die innersten Falten des Herzens zu enthüllen, damit er urteilen könne, was seiner Pflegebefohlenen heilsam sei, was nicht. Er sprach mit großer Wärme, seine weiche Stimme hatte etwas ungemein Beruhigendes, Einschmeichelndes, Zutrauen Erweckendes. Es lag die ganze sorgliche Teilnahme eines liebevollen Freundes darin, und sein Gesicht war voll schöner, ruhiger Heiterkeit. In der Kapelle war es drückend schwül. Das Sacré-Coeur leuchtete hell in dem Dunkel, weil die Strahlen der einzigen Lampe sich darauf konzentrierten. Pater Rillo schloß seine Betrachtung mit leisem Gebet, die kleine, verborgene Türe öffnete sich, und er verschwand geräuschlos, wie er gekommen war.

Die tiefste Stille lag über der Versammlung, die nach dem Gebet kniend sich ihren Betrachtungen überließ. Nur zuweilen hörte man das tiefe Seufzen oder das leise Schluchzen einer Dame. Die Szene hatte etwas sehr Beklemmendes.

Ich sehnte mich nach Licht und Luft und war herzlich froh, als die Oberin die Türe öffnete, den Vorhang aufhob und ich hinauskam in die freie, schöne Gotteswelt. So tief war das Dunkel der Kapelle gewesen, daß ich mehrere Minuten lang die Augen schließen mußte, weil ich das Licht nicht ertragen konnte.

Im Gespräch mit der sehr liebenswürdigen weltgewandten Nonne, welche uns geführt hatte, durchwanderten wir den Garten. Er hat eine schöne Aussicht über Rom, bis hinüber zum Monte Mario, von dem Villa Madama in koketter Schönheit herabschaut. Umhergehend betrachtete ich die büßenden Damen, welche um diese Zeit schweigend wie immer die einzige Erholungsstunde des Tages im Garten genießen. Der größere Teil schienen mir Fremde, nur wenige Italienerinnen zu sein. Ich erkannte ein paar junge, unverheiratete Engländerinnen, denen ich sonst in der Gesellschaft begegnet war. Sie grüßten mich schweigend. Was mögen die blonden Kinder mit den frischen, etwas einfältigen Gesichtern in dieser Zurückgezogenheit denken? Welche Entschlüsse mögen sie fassen? Welche Wirkung mag es auf sie machen, wenn der Seelsorger ihnen sagt, daß er ihnen ein sichererer Freund, ein unfehlbarerer Ratgeber sei als die treue, zärtliche Mutter, unter deren schützendem Auge sie ihre harmlose Kindheit verlebten? Und ob die Mutter ihre Töchter dem Kloster anvertraute, auch nur für die kurze Zeit von zehn Tagen, wenn sie es wüßte und bedächte, wie eine fremde Gewalt sich zwischen sie und die Lieblinge ihres Herzens stellt?

Ich mußte immer wieder die guten, blonden Kinder ansehen, und eine ganze Kontroverspredigt drang mir aus dem Herzen fast bis an den Rand der Lippen, während ich zu unserer Führerin sagte: »Sie sind um diesen Aufenthalt zu beneiden. Ihr Kloster und Ihr Garten sind so schön gelegen, daß ich mit Freude hier einen längern Besuch machen würde.« Und in der Tat, wäre man nicht im Kloster, man könnte sich keinen anmutigeren Aufenthalt wünschen. Die Nonne hatte kaum meine Bemerkung vernommen, als sie im gewähltesten Französisch und mit dem feinen Lächeln einer vornehmen Frau mir entgegnete: »Wir werden nach vierzehn Tagen einen zweiten Kursus in französischer Sprache haben. Der Pater Rillo verläßt uns, aber es kommt ein anderer Jesuit, ein Franzose und vortrefflicher Prediger. Sie haben nur zu bestimmen, damit man Ihnen eine Zelle einrichten und Sie von dem Beginn des neuen Kursus benachrichtigen kann. Dürfen wir auf Sie zählen?« Bei diesen Worten zog sie ein kleines Etui und Bleistift hervor für den Fall, daß ich meinen Namen einzuschreiben wünschte.

Ich fand die Nonne so liebenswürdig, Luft und Aussicht waren auf der Höhe so schön, daß ich mir nach dem Geräusch des Karnevals, nach der Ermüdung in den heißen Gesellschaftssälen zehn Tage in Ruhe und Stille bei diesen freundlichen Klosterfrauen recht sehnsüchtig wünschen und sehr erquicklich denken konnte.

Die Nonne begleitete uns höflich und gastlich bis an die Ausgangstüre. Als wir das Kloster verließen, war grade die Promenadenstunde auf dem Monte Pincio. Das ganze bunte Gewühl der Fremden von allen Nationen wogte an uns vorüber, und unter ihnen bewegten sich unscheinbar und ruhig paarweise die Schüler des Loyola. In schwarzer, schlichter Tracht wandeln sie neben den jungen Dandys, den schönen Frauen auf und nieder; und die wenigsten von diesen denken daran, daß jene schwarzen Gestalten Glieder sind einer geheimnisvollen Macht, deren Einfluß noch unberechenbar groß ist und deren Geschosse das Ziel grade so sicher treffen als die unsichtbaren Pfeile Apollos die Herzen der unbeschützten Niobiden.


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