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Dicht an den Palazzo Vecchio schließen sich die Uffizien, ein großer, von den Mediceern erbauter Palast, in dem sich ein Teil der öffentlichen Büros und Verwaltungen und eines der reichsten Kunstmuseen der Welt befindet, dessen Mittelpunkt, dessen Kronjuwel die Tribuna ist.
Wenn man in das kleine Gemach tritt, das diesen Namen führt, so steht die Mediceische Venus uns gegenüber. Ihr zur Rechten die antike Gruppe der Ringer; der Schleifer kniet, die Sichel wetzend, zu ihrer Linken; der reizende Apollino und der tanzende Faun stehen ihr gegenüber und bilden den kleinen Kreis von Antiken, der Fremde aller Nationen zu sich heranzieht und festhält.
Sehr oft hatte ich Abgüsse der Mediceischen Venus gesehen und mich immer, da sie mich kaltließen, auf das Original vertröstet. Ich hatte mich von ganzer Seele darauf gefreut – nun stand ich davor und ward traurig, denn ich kam mir empfindungslos vor, arm in Herz und Geist, weil ich diesem Ideale der Schönheit gegenüber kein wahres Entzücken, keine rechte Freude fühlte. Es ist ein solches Glück, das Schöne zu erfassen, eine solche Lust, einen neuen, leuchtenden Eindruck zu erhalten, und nun stand ich da – nicht mit Zweifeln an dem Kunstwerke, sondern an mir selbst.
Ich wagte gar nicht zu sagen, daß ich mich getäuscht fühle in meinen Erwartungen, weil alles um mich her in Entzücken zu sein behauptete; ich mochte niemand stören, mochte auch nicht für einfältig gelten, und hoffend, daß mir vielleicht allmählich das Verständnis aufgehen werde, setzte ich mich still auf einen der Sessel und sah abwechselnd die Statuen und die Fremden an, welche sie zu betrachten kamen.
Das habe ich oftmals wiederholt, weil mich bald der Sichelschleifer unwiderstehlich anzog, und dabei hat sich mir die sichere Erfahrung angedrungen, daß vielen Menschen mit der Venus ganz dasselbe begegnet als mir. Mit geflügeltem Schritte, mit lebhaftem Auge und gespannter Erwartung in jedem Zuge, so sah ich gar viele Männer und Frauen vor die Venus treten, und fast immer wurden die Mienen kälter, gleichgültiger, je länger sie davorstanden. Mit den zärtlichsten Blicken ward jedes Glied, jedes Fingerchen gemustert, mit Liebe die Statue von allen Seiten und von allen Standpunkten betrachtet, man war heroisch entschlossen, sie um jeden Preis idealisch schön zu finden – aber nur einigen wenigen Gesichtern habe ich die Freude glauben können und die Lobsprüche, welche die Lippen erteilten. Vielleicht waren dies grade die Auserwählten, die für Kunst allein empfänglichen Seelen.
Indes damit ist es ein eigenes Ding. Ich glaube nicht, daß die Empfindung für Kunst das Privateigentum einiger durch Kunststudien dafür Gebildeten sei. Das wahrhaft Schöne wirkt auf jeden Menschen, dessen Seele nicht ganz untergegangen ist in der Barbarei des gröbsten Sinnenlebens; und ein Kunstwerk, das ganz besonderer Bildung, ganz besonderer Erklärungen und Auffassungen bedarf, um verstanden, genossen zu werden, dem fehlt die Kraft der Überzeugung, der zündende, lebenschaffende Funken, der, von dem Genie dem Kunstwerk eingehaucht, in unzerstörbarer Elektrizität den Gedanken erzeugt in der Seele des spätesten Beschauers.
Die Mediceische Venus hat diese Macht auf mich nicht geübt. Es ist eine schöne, zierliche Gestalt, der Kopf ist anmutig und fein, Schultern, Brust, Rücken, der ganze Körper sehr zart; aber die Schönheit hat etwas Weichliches, Schwächliches. So mag man sich die Tochter eines Hauses denken, in dem durch viele Geschlechter die Schönheit sorglich gepflegt und dadurch verweichlicht ist. Diese Gliederchen sind regelmäßig und fein, aber nur noch einen kleinen Grad weiter in dieser Verfeinerung, und es wird die süßlichste Schwäche. Ich hatte die Mediceische Venus anders erwartet, dies Ideal der meerentstiegenen Göttin der Schönheit und der Liebe. Es ist zuviel Zivilisation in der Mediceischen Venus, der Künstler hat sie in seiner Seele kombiniert. Sie sieht wie ein Produkt der Überlegung aus in ihrer keuschen, demütigen Weiblichkeit, die schön und rührend ist, aber nicht der Venus angemessen, nicht dem vollen, strahlenden Ideale der Schönheit, nicht der Liebesgöttin, welche die Welt beherrscht. Ihr fehlt die Anbetung fordernde Freiheit der Unschuld, die bewußtlos in reiner Schönheit wie eine Blume dem Lichte entgegenblüht.
Als ich einem Bekannten, einem Künstler, meine Anschauung der Venus mitteilte, sagte er: »Oh, es ist doch ein hübsches Körperchen!« und drückte für mein Gefühl mit diesem Lobe grade den Tadel aus, den ich selbst machte. Ich hatte gemeint, das Ideal einer Venus müßte Herz, Geist, Sinne, den ganzen Menschen in Entzücken versetzen, und das kann diese Statue unmöglich. Die Venus ist sehr hübsch; das ist wenig in diesem Falle. Auch hierbei drängte sich mir der Gedanke auf, wie selten die Menschen den Mut einer Meinung haben, auf die Gefahr hin, eines Irrtums angeklagt und vielleicht eines Bessern belehrt zu werden.
Will man sich von dieser Unselbständigkeit der meisten Menschen einmal in Masse überzeugen lassen, so braucht man nur die Galerien zu durchwandern und die Mehrzahl der Reisenden Kunstwerke betrachten zu sehen. Da bleiben sie mit den Interjektionen »Göttlich! oh! schön! erhaben!« vor den Schilderungen von Martyrien stehen, gegen die jede Faser menschlicher Empfindung sich sträubt. Sie bewundern die Marterbilder, welche große Künstler, umnachtet von finsterem Wahne einer trübseligen Schwärmerei oder gezwungen durch die Macht des Geldes, erschufen; sie behaupten dann, der Stoff sei Nebensache, die Ausführung mache das Kunstwerk, und geben lange Reihen von Gemeinplätzen zu hören.
Wie aber kann man etwas anderes empfinden als das grausenvollste Entsetzen, wenn man eine Heilige knien sieht, der rohe, blutgierige Henkersknechte mit glühenden Zangen die Brust zerfleischen – wie kann man sich nicht mit Widerwillen abwenden, wenn einem Märtyrer das Fleisch vom Körper geschnitten wird oder der heilige Lorenzo auf dem Roste bratet? Es sind wahrhafte Henkerszenen! Schlimm genug, daß eine finstere Zeit diese Martern über die Bekenner einer neuen Lehre verhängte; schlimm genug, daß man noch Jahrhunderte nachher nicht den Geist der Lehre, sondern diese Martyrien als ein Wesentliches betrachtete und die Märtyrer anbetete statt des Geistes. Aber ganz barbarisch scheint es, wenn man heute noch Lust und Bewunderung für diese Greuel hat; wenn Laien, die kein Kunststudium zur qualvollen Betrachtung des Entsetzlichen zwingt, die keine technische Geschicklichkeit daran zu studieren haben, einen Kunstgenuß durch diese Bilder zu gewinnen behaupten.
Da stehen die eleganten Damen, die englischen Ladies, die bei dem Anblick eines Frosches Zuckungen bekommen und, wenn man das Wort Hemde ausspricht, in Schamröte erglühen, vor ganzen Wänden voll Martyrien und sehen mit dem Lorgnon Dinge und Szenen an, von denen ein gesundes Gemüt sich mit Widerwillen abwendet. Auf leisen Fußspitzen schleichen sie einher und lispeln ihre erlogenen Entzückungen, deren sie sich gründlich zu schämen hätten, wenn sie wahr wären, und alles ist feierlich und still wie in einer Kirche. Einer sieht den andern an, und alle ziehen die gleiche Miene, und alle machen sich aus der göttlichen, reinen Freude an der Kunst, die frei das Schöne liebt, welches ihr gefällt, einen sklavischen Kultus, in dem sie in starrem Autoritätenglauben nach dem Handbuch bewundern und tadeln.
Die Leute sprechen immer von Freiheit; wollen frei sein, ihre Freiheit erringen, ihre Meinung vertreten, ihre Individualität geltend machen; und dennoch haben die wenigsten den Mut, diese Individualität auch nur in der Anschauung des Schönen zu behaupten, wo sie doch keinem fremden Rechte entgegentreten und keine Emeuten und Festungsstrafen zu fürchten haben. Ganz verwundert haben sie mich oft angesehen, mitleidig gelächelt, wenn ich bekannt habe, daß ich durchaus keine Marterszene sehen wolle, daß mir viele der alten Madonnen von Cimabue und Giotto durch ihre krüppelhaften Verzeichnungen zuwider wären und daß ich bei diesen altbyzantinischen Köpfen, die gar nicht viel über chinesischer Malerei stehen, gar nichts empfände als herzliches Bedauern mit dem Genius eines Künstlers, der bei wahrer Empfindung so erfolglos mit der Technik rang und sicher sich selbst nicht genugtun könnte.
Ich finde es unbegreiflich, wie man neben den schönsten, vollendetsten Schöpfungen, neben der antiken Plastik, neben Raffael, Tizian und Veronese, zu behaupten wagt, es läge wirkliche Schönheit in jenen ersten Versuchen der Kunst oder in den gemalten Martyrien. Wie manche Menschen ihren Rock nach der Mode bestellen und kaufen, so kaufen sie ihr Urteil, und das eine ist oft ebenso schlecht wie das andre, und eins paßt ihnen sowenig als das andre. Aber nicht allein auf abstrakte Begriffe dehnt sich dieses aus, sondern auch auf ihr Urteil über Menschen. Auch dafür haben sie ein festes Ellenmaß, ein Prokrustessystem mit fertigen Hauptklassen, in die alles untergebracht werden muß. Da paßt nun mancher nicht hinein, und wenn sie aus Ungeschick nicht wissen, wohin sie die Ausnahmen einregistrieren sollen, werfen sie sie fort dem System zuliebe, damit nur alles hübsch in Ordnung bleibe.
Ich bin manchmal ganz verstimmt geworden durch die Menschen in den Galerien. Oft habe ich gehört, daß reiche Fremde vor irgendeinem Bilde der guten alten Künstler von den Tausenden sprachen, die sie mit Freuden dafür geben würden; und davor saß ein blasser, vermagerter Mensch, der das Bild mit großem Geschick, mit sorglicher Liebe bis zu seinen Fehlern kopierte und der sehr glücklich gewesen wäre, halb soviel Hunderte von Talern zu erhalten, als man Tausende für das Original zu zahlen geneigt war. Man konnte sich einen wirklichen Kunstgenuß durch die Kopie bereiten, eine vortreffliche Erinnerung an das Original gewinnen, einem Menschen, vielleicht einer Familie, wie ein Rettungsengel erscheinen – man verschmähte es. Es ist nicht »fashionable«, Kopien zu kaufen, man muß Originale, womöglich Werke verstorbener Meister besitzen. Erst wenn der arme Maler, wie Correggio, dem Drucke des Elends erlegen sein wird, wenn eine bleiche Gattin und jammervolle Kinder an seinem Sterbebette geweint haben werden, dann wird es Zeit sein, die Bilder mit Gold aufzuwiegen, das dann freilich nicht mehr Glück und Freude über den Künstler zu bringen vermag.
Wenn die Unwahrheit, die Eitelkeit in diesem Treiben mich ganz traurig gemacht hatten, dann kehrte ich zu der Tribuna zurück und sah mir die Statuen an und betrachtete mir den Sichelschleifer, der den Blick traurig gen Himmel erhebt. Mehrmals habe ich die Frage aufwerfen hören, was der schwermütige Ausdruck des Mannes bedeute, der so schmerzlich resigniert aussehe bei der Arbeit, die für ihn ein Spiel sei. Mich dünkt, die Antwort ist nicht schwer und liegt nahe genug.
Mir ist es zu einer festen Überzeugung geworden, daß der Künstler, welcher diesen Sichelschleifer bildete, auch die Zierde der kapitolinischen Sammlung, den sterbenden Fechter, schuf. Es ist, wenn mein ungeübtes Auge mich nicht trügt, dieselbe Behandlungsweise des Haares und der ganzen Muskulatur, der Hände und Nägel besonders; und beide Figuren gehören auch ihrer Idee nach entschieden zusammen.
Auf den Tod getroffen ist der Fechter zu Boden gesunken. Er stirbt zur Lust des Publikums, das den bezahlten Sklaven betrachtet; und so tief ist das Gefühl der Abhängigkeit in sein Bewußtsein gedrungen, daß er, den Todesschmerz besiegend, noch im Sterben schön bleiben will, um das Auge seiner Herren nicht zu beleidigen. Schild und Schwert sind seiner Hand entsunken, das Halsband, das Zeichen der Knechtschaft, schlingt sich um seinen Nacken, das Haupt sinkt todesmatt zum Körper herab, der sich schmerzvoll auf den Arm stützt, um nicht zusammenzubrechen. Aber trotz dieser Erschöpfung, trotz dieser letzten Anstrengung seiner Kräfte leuchtet von der edeln Stirne des Fechters das Hoheitsbewußtsein der Menschenwürde; und während der Körper machtlos erliegt im Dienste einer zum Gesetz gewordenen Tyrannei, schwingt sich der Geist in göttlicher Befreiung in das All, in die Natur zurück, in der allein Freiheit und Friede herrschen.
Der Sichelschleifer ist das Seitenstück dazu. Es ist der arbeitende, im Sonnenbrand erliegende Sklave, der freudlos arbeitet im Dienste seines Herrn und das tränenschwere Auge zur Sonne erhebt, zu sehen, wieviel lange Stunden ihn noch von Weib und Kindern trennen, welche hungern, während er die Sichel wetzt für die reiche Ernte seines Herrn. Der Typus des Proletariers ist es, dessen Menschennatur nicht zur Arbeitsmaschine zu entwürdigen ist; es ist der Arbeiter auch unserer Tage. Er beugt die muskelstarke, schöne Gestalt dem harten Drucke der Notwendigkeit, aber er blickt klagend zum Himmel empor, und sein Geist sucht dort die Lösung für das »Weshalb?«, das er nicht begreifen kann.
Wehe, wenn der Fragende die Antwort in sich findet, wenn er einsehen lernt, daß es keinen Grund für sein Elend gibt als die Willkür fremder Habsucht – wenn der Kniende sich emporrichtete und der starke Arm die Sichel wie ein Schwert gebrauchte. Er schleift schon Jahrtausende an der Sichel – sie muß doch nun endlich scharf sein!
Man könnte einen Saal, in welchem sich wahre Vertreter der arbeitenden Stände versammelten, nicht symbolischer schmücken, als wenn man diese beiden Statuen und noch zwei andere aus der Tribuna darin aufstellte. Zur Seite des Sichelschleifers steht die Gruppe der Ringer, zwei Jünglingsmänner, die sich bekämpfen in gewaltsamer Anstrengung. Es ist ein wunderbarer Zufall, daß sie neben dem Schleifer stehen; denn die Not erzeugt den Kampf, wie die Unterdrückung die Freiheit gebiert. Man sieht, der Kampf ist Ernst! Sie ringen auf Tod und Leben, der Sieg des einen muß der Untergang des andern sein und wird es werden, wenn's zum Kampfe kommt, wenn man, den flehenden Blick des Sichelschleifers nicht beachtend, abwartet, bis er gewaltsam fordert, wo er lange vergebens gebeten hat.
Schräg dem Sichelschleifer gegenüber befindet sich der tanzende Faun, ein Bild grobsinnlicher Natur, der in sinnebetörendem Rausche Vergessenheit, in wilder Lustigkeit Ersatz für Freude sucht. In dem Schmerz, in der Sklaverei des Schleifers liegt noch der ganze Adel des Menschen, der mit Bewußtsein sein Schicksal erträgt; hier ist der Mensch zum Tiere herabgesunken, und die tierische Natur verlangt um jeden Preis körperlichen Genuß, selbst um den Preis des Seelenadels.
Viel schärfer, viel eindringlicher als alle frommen Traktätchen würden diese Statuen zu manchem Herzen sprechen, wenn man sie ohne andere zerstreuende Umgebung sähe!
Sie haben mich oft und innig erfreut, die Schöpfungen Raffaels, die hier beisammen hängen: die sanften, mädchenhaften Madonnen, welche das Kind ihrer Liebe so traumstill und seelenruhig an das reine Herz drücken; der feurige, kleine Johannes, das Tigerfell auf seinen Schultern, ein Knabe, in dem schon die ganze Begeisterung des Mannes glüht; und die schöne, glänzende Fornarina und der milde Kopf des Papstes Julius des Zweiten. Ich habe mich an der Pracht der Venusgestalten Tizians erfreut, die so lebenstrahlend daliegen in der heißen Schönheit ihres Wesens, als müßten Rosen aus der Erde sprießen, wo diese Lebensfülle sie warm berührt; aber das Bild des Schleifers war einmal in den Vordergrund meiner Seele getreten und wollte nicht mehr weichen.
Es hat ja jeder Mensch seinen eigenen Heiland und seinen eigenen Glauben in religiöser Beziehung, seinem Erfassen und seinem Bedürfen angemessen; es spricht zu jedem von uns die Natur die Sprache, welche er versteht – wie sollte es anders sein mit der Kunst, die ebenso göttlich, ebenso erhebend ist als Glaube und Natur?