Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Letzter Blick auf Florenz

Den Abend vor meiner Abreise von Florenz hatte ich versprochen, bei Frau Karoline Unger-Sabatier zuzubringen, jener hochgefeierten deutschen Sängerin, die Italien uns abwendig gemacht hat und die, einem Franzosen, dem geistreichen Franz Sabatier, verheiratet, in Florenz ein durch Kunst und Wissenschaft verschöntes Leben genießt.

Die Menschen, welche mit Liebe irgendeiner Kunst leben, bilden unter sich eine Freimaurerei, deren Glieder sich gleich erkennen und als zueinandergehörend betrachten. Begegnet man sonst einem Fremden, so wird es notwendig, die Wünschelrute zu brauchen und zu versuchen, ob eine empfängliche Seele, Verständnis für uns, Anknüpfungspunkte in ihm zu finden sind. Mit Fragen nach dem Wetter, dem Wohnorte, den werten Angehörigen tappt man vorsichtig aneinander herum und verliert eine Zeit, die man nur zu oft viel genußreicher hinbringen könnte.

Dies fällt bei Künstlern fort und macht das Zusammensein mit ihnen, wenn sie wirklich Künstler sind, so leicht und angenehm. Man spart alle Einleitungen, man weiß, was man ungefähr voneinander zu erwarten hat, und ist gleich zum Anfange der Bekanntschaft mitten in gemeinsamen Interessen. Kommt nun bei einer Künstlerin eine liebenswürdige Persönlichkeit dazu, welche mit klarem Verstande und reinem weiblichem Sinn durch ein reich bewegtes Leben gegangen ist, dann entsteht eben eine jener Erscheinungen wie Karoline Sabatier, die man nie wieder vergißt und deren man sich immer mit Freude erinnert.

Ein milder Zauber, ein segensreicher Einfluß scheint sich von ihr auf alles zu erstrecken, das in ihrer Nähe lebt. Sie und ihr Mann sind reich und beide durchdrungen von dem Pflichtgefühl, diesen Reichtum für andere so ersprießlich zu machen als möglich. Während sie dem Künstler ein freundliches Obdach in ihrem Hause bereiten und ihm durch Bestellungen die Mittel geben, seinen Genius schalten zu lassen, wirken sie, dem Fourierismus huldigend, im weitesten Maßstab für das Wohl der Armen. Aus ihrem monddurchleuchteten, blütenduftigen Salon in Villa Unger, wo Karoline Sabatier mit hoher Meisterschaft uns Beethovensche und Schubertsche Lieder gesungen hatte, eilte sie fort, einem Armen eine Arznei von Kampfer zu bereiten, den ihr Mann nach Raspails Entdeckungen für ein Universalmittel hält, und besprach, mit wenig Worten einem Hausbeamten die nötigen Weisungen gebend, Arbeitspläne für Leute, welche sie beschäftigen läßt.

Ein junger deutscher Musiker, mit der Komposition einer Karnevalsoper für das erste Theater von Florenz (die Pergola) beauftragt, lebte als Gast in ihrem Hause, um in ungestörter Muße seine Arbeit zu vollenden. Er war es, der sie zum Gesange begleitete. Die Art ihres Vortrages ist unwiderstehlich zum Herzen dringend, weil sie die ganze Gefühlstiefe ihrer Seele frei im Gesange walten läßt und die Technik nicht zu Kunststücken benutzt, sondern als ein Mittel, die Stimme dem Ausdruck des Gefühls nach allen Richtungen dienstbar zu machen.

Hier, mitten in Italien, die schwermütigen deutschen Liebes- und Sehnsuchtslieder von Schubert zu hören hatte für mich einen wehmütigen Reiz. Neben einer Natur, die so mächtig zum Lebensgenusse auffordert, in der die Luft vor Sonnenschein funkelt, klang das verzweifelnde Wort des Schubertschen Wanderers: »Da, wo du nicht bist, ist das Glück« doppelt traurig. Die ruhige Entsagung, zu der unser Klima, unsere Erziehung, die ganzen bisherigen Lebenstheorien uns verdammen, erschien hier um so härter, als diese düstern Worte von einer Frau gesungen wurden, die rings um sich her Glück zu verbreiten strebte, die jeder Blume das nötige Licht, jedem Erschaffenen die nötige Freiheit und das beste Gedeihen zuzuwenden bemüht war.

Als wir nach dem Gesange in den Lorbeerhecken des Gartens umhergingen und das Mondlicht die Silberschleier durchleuchtete, welche der flimmernde Tau über das ganze Tal zu unsern Füßen gebreitet hatte, dankte ich ihr aus vollem Herzen für die Freude, welche mir ihr Gesang gewährt, und mehr noch für den menschlich schönen Eindruck, den sie selbst mir gemacht hatte. Wie alle wahren Naturen lehnte sie das Lob, welches ich ihrem Wirken spendete, mit keiner gemachten Bescheidenheit ab. Sie gab mir die Hand und sagte: »Ja! Sie haben mich recht gut verstanden, obgleich Sie mich doch nur wenig kennen. Weil das Leben mir so unendlich viel gegeben, mich so glücklich gemacht hat, möchte ich gern auch allem, was um mich her lebt, das Glück bereiten, auf das es Anspruch hat. Das Gefühl, dies nach meinen besten Kräften und nach all meiner Einsicht zu tun, muß ich aber auch haben, um vor mir selbst bestehen zu können.«

Ein paar Stunden wurden im Umhergehen verplaudert, dann sagte ich der neuen Freundin mein Lebewohl, da für den nächsten Morgen unsere Abreise von Florenz bestimmt war, und nahm aus Villa Unger das Andenken an Menschen mit, die diesen Namen im schönsten Sinne des Wortes verdienen. Solche Erinnerungen bilden den eigentlichen Schatz des Lebens, die eigentliche Fruchternte des Reisens; denn edle Menschen sind die Verkörperung des Erhabenen, die Wirklichkeit des Schönen, das uns als Gedanke und Empfindung aus Kunstwerken anspricht und begeistert.

Im Herabfahren von der Höhe, auf welcher die Villa liegt, warf ich den letzten Blick auf Florenz, wie es so friedlich dalag in der hügelbegrenzten Ebene, eine ruhende, träumende Nymphe im immergrünen, duftigen Waldrevier. Sie ist schön durch die Harmonie ihres ganzen Wesens, durch den Frieden und die zaubervolle Ruhe, welche sie umgeben; aber sie ist fast zu harmonisch schön, sie blendet nicht, sie reizt nicht, sie fesselt nicht durch die launenhaften Gegensätze wie das wilde, kokette Genua. Genua ist das Leben selbst! Genova la Superba tanzt den Saltarello, sie lacht und weint, sie stößt ab und fesselt, sie täuscht uns vielleicht und betrügt uns durch Schein; indes die lebensprühende, funkelnde Kokette ist unwiderstehlich, sie bezaubert und gewinnt selbst durch ihre Mängel.

Wollte eine Familie sich einen durchaus angenehmen Aufenthalt wählen, so riete ich ihr zu Florenz; denn Florenz gewährt jedem Wunsche nach Lebensbehagen, nach bürgerlicher Ruhe, nach geregelten Verhältnissen und jedem Streben nach höchster, künstlerischer Befriedigung ein volles Genügen. Man muß sehr glücklich sein können in Florenz. Fragt mich aber jemand, wo er den wilden, phantasievollen Träumen der Jugend, dem heißen, sprudelnden Lebensübermute ein weites Feld zu elastischen Sprüngen eröffnen könne; fragte mich jemand, wo er leben solle, während das Jugendfeuer noch in seinen Adern bebt und sich sehnt nach Lust, Freude und feurigem Leben, dann sage ich ihm: »Gehe nach Genua, freue dich an dem frischen, unermüdlichen Treiben der Menschen, an der südlichen Pracht der Riviera, an den Gesängen und Mandolinen des Volkes, und wenn du glühst vor Daseinsfreude, dann tauche unter in die kühlen Wellen des blauen Meeres, wenn die Sonne sinkt, und freue dich des Bewußtseins, daß sie wieder aufgehen wird, dir noch viele Tage kräftiger Jugend goldig und warm zu beleuchten.«


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