Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Das Colosseum

Es ist Mode, das Colosseum im Mondschein mit Fackelbeleuchtung zu betrachten. Die Wirkung ist schön, welche das massenhafte Gebäude gegen den hellen Nachthimmel hervorbringt, und die wilden, hinstreifenden Lichtreflexe der Fackeln machen einen wunderbaren Eindruck. Indes die Abendbesuche im Colosseum entbehren, grade weil sie in der Mode sind, den Hauptreiz der Einsamkeit. Wie vor einem Theater halten die Equipagen an dem Eingang, und in allen Sprachen hört man die umherspazierenden Fremden ihre Bewunderung ausdrücken, dort, wo vielleicht ihre Vorfahren, als gefangene Barbaren sterbend, die grausame Schaulust der Römer ergötzten.

Aber wenn man früh am Morgen in das Colosseum wandert, dann genießt man es allein, ungestört und deshalb um so reicher. Aus den engen Straßen, welche das Forum des Trajan von dem Campo Vaccino trennen – so heißt jetzt der Platz unterhalb des Kapitols bis hin zum Colosseum –, aus diesen engen Straßen, in denen noch der feuchte Nachtnebel und die Farblosigkeit der Frühe ruhen, tritt man urplötzlich an der Akademie von San Luca in das strahlende Sonnenlicht des jungen Tages hinein.

Bäuerinnen sitzen in den grasreichen Vertiefungen, welche die schönen Säulen umgeben, ihr Frühmahl zu verzehren und sich herauszuputzen für den Weg durch die Stadt. Das weiße Kopftuch wird zurechtgefaltet, die Achselbänder des Mieders fester geschnürt, die man während der Fahrt durch die Campagna gelüftet hatte. Die schöne Albanerin weiß, daß tausend Blicke ihr folgen werden!

Weiter hinab, an den Säulen des Konkordientempels und vor den Farnesischen Gärten, liegen, von den Wagen losgeschirrt, welche die Produkte des Landes zur Stadt brachten, die silbergrauen Stiere mit den hohen, gewundenen Hörnern im Baumesschatten. Ein tiefes Schweigen herrscht in der Natur. Einsam geht man die Via Sacra entlang und tritt in den weiten Circus des Colosseums.

Alles ist still. In drei Reihen erheben sich die riesigen Bogenhallen des Theaters übereinander. Der rötliche Stein spielt in vielfarbigem Schimmer, so daß man den Marmor nicht vermißt, welcher ihn überkleidete. Einzelne Wände, ganze Teile des Gebäudes stehen in ihrer ursprünglichen Herrlichkeit da; andere hat die Zeit zerstört. Zwischen dem Bestehenden und Verfallenen füllt die Natur die Lücken aus. Reiches Grün wuchert von den Sitzreihen hervor; wo sonst die schönen Frauen Roms hinabsahen auf das blutige Spiel, blühen Goldlack und Nelken. Statt der reichen Geschmeide, die hier funkelten, blitzt der Tau in unzähligen glänzenden Tropfen; kein Schmerzenslaut sterbender Menschen und Tiere erklingt, nur leiser, süßer Vogelgesang tönt von dem blauen Himmel nieder, dessen goldenes Licht selbst dem kalten Gemäuer Wärme und Farben verleiht.

Nicht die Größe und Majestät des Riesenbaues sind es, welche die Seele so ernst stimmen! Man denkt nicht daran, die verschiedenen Hallen, die Ausgangstreppen, die Tierbehälter, die unterirdischen Käfige zu besehen; das einzelne verschwindet, denn unwillkürlich liest man in dem ernsten Buche des Schicksals. Man sieht, wie die größten materiellen Schöpfungen der Völker versinken, man wird mutlos zum Wollen und zum Schaffen. Was vermag der einzelne in dem All, in welchem das Dasein ganzer Völker und Jahrhunderte nur Spuren zurückläßt?

Das helle Sonnenlicht, das ewig frische Leben der Natur scheinen ein zu greller Gegensatz, fast ein Hohn gegen die Vergänglichkeit des Menschen zu sein, dessen Seele nach Unsterblichkeit verlangt, weil sie in sich die Kraft dazu fühlt. In sich versunken sitzt man da, und die ganze Schwere der Entsagung wuchtet sich über die gedrückte Seele.

Plötzlich erklingt Glockengetön. Im nahen Kloster an dem Tempel der Venus und Roma wird die Messe geläutet. Man blickt empor, und siehe! mitten in dem Circus des Colosseums ist das Kreuz errichtet, fest eingemauert in den Grund, der das Blut so vieler christlicher Märtyrer getrunken hat. Gegen den sonnigen Morgenhimmel zeichnen sich die dunkeln Marterwerkzeuge ab. An den Brüstungen der ersten Sitzreihe sind zwölf Altäre errichtet, die Leidensstationen des Welterlösers, mit Bildern der Schmerzensszenen geschmückt.

Das Christentum ersteht aus der barbarischen Vergangenheit, das Bild des Menschenideals in Jesus steigt tröstend empor, wo unsere Seele erlahmte unter erdrückender Entsagung. Wir fühlen, daß nur die materielle Schöpfung des Menschen vergänglich ist und daß der Geist fortzeugend ewig wirkt und schafft. Christus predigte diesen Trost, als er, seines ewigen Geistes gewiß, den Leib dem Tode hingab in voller Kraft des Lebens. Er wollte lehren, daß die höchste Resignation darin bestehe, sich als einen im Gesamten aufgehenden Teil zu betrachten und glücklos, schmerzbeladen, ohne Freude und Hoffnung für das Leben hienieden, für die Zeit des bewußten Menschendaseins, dennoch mit höchster Kraft, mit vollster Hingebung und Selbstverleugnung einem Ganzen zu dienen, das wir nicht übersehen, sondern nur ahnen können. Aber diese Ahnung eines großen Ganzen wird zur Gewißheit, wird zur Überzeugung, zum Gott, zum Ideal, dem wir uns und unser Streben unterordnen, wenn wir in Rom mit einem Blicke Jahrtausende der Weltgeschichte überschauen; in Rom, wo die Gegenwart ihr frisches Grün, ihr lachendes Leben um die Vergangenheit schlingt, gleich Kränzen der Kindesliebe um die Gräber der Eltern, und wo unter den Trümmern des Geschaffenen überall siegreich sich die unsterbliche Dauer des Geistes verkündet.

Im Colosseum verlebte ich meinen letzten Morgen in Rom. Mit dem Bilde des Colosseums soll nun auch der Leser von der Ewigen Roma scheiden, deren treffendstes Sinnbild es ist, dies Denkmal der Römerzeit, auf welches das Kreuz gepflanzt ward, mitten in dem Reichtum der göttlichen Natur.


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