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Die Rückkehr nach Deutschland war beschlossen. Liebe Freunde geleiteten mich am 11. September zu dem Dampfschiffe, welches mich von Neapel nach Livorno tragen sollte, und blieben bei mir, bis der Befehl, das Schiff zu verlassen, sie zum Fortgehen zwang. Langsam fingen die Räder sich zu heben an, der Dampfer bahnte sich seinen Weg durch die enge, mastenwimmelnde Wasserstraße des Hafens und flog dann fröhlich, in errungener Freiheit, dem Golfe zu, die Riviera entlang, während mein Auge tränenschwer an der Schönheit des Landes hing, das ich verlassen mußte, und nach einem Balkon der Riviera blickte, von dem eine liebe Frauenhand zum letzten Abschiedsgruß ein weißes Tuch in die Luft flattern ließ.
Die Gesellschaft des ersten Platzes bestand aus etwa zwölf Personen. Der Prinz von Canino, welcher sich zum Kongreß der Naturforscher nach Genua begab, befand sich unter uns. Er ist ein Neffe Napoleons, ein großer, stattlicher Mann, von bequemsten Umgangsformen, dem Kaiser im Profile ähnlich. Sein Sekretär, der junge Dichter Masi, begleitete ihn. Außerdem waren noch der als Autor bekannte Pair von Frankreich, der Graf von Saint-Priest, und eine liebenswürdige Neapolitanerin mit ihrem Manne in der Gesellschaft, welche für eine der besten Sängerinnen Neapels gilt. Fast jede dieser Personen kannte eines oder mehrere Mitglieder der kleinen Schiffsgesellschaft, dadurch ward bald der heiterste Umgangston für dieselbe hergestellt. Man plauderte, musizierte, wozu das gute Instrument in der Kajüte verlockte, die Marchesa sang Volkslieder, welche Donizetti und Capecelatro für sie komponiert hatten, Masi ließ sich von ihr zu einer Improvisation überreden, und wir hatten den Tag so gut zugebracht, daß uns der Anbruch der Nacht überraschte.
Am Morgen sahen wir die Insel Elba aus den Fluten emportauchen. Der Prinz von Canino schlief noch ruhig in seiner Kajüte. Vielleicht dachte niemand als ich des gefangenen Adlers, der von jenem Felseneiland die brennenden Blicke in feuriger Sehnsucht nach Frankreich hinübersendete. Ein paar Stunden später erreichten wir Civitavecchia, dessen runde, feste Türme zahllose Seufzer der Gefangenen gehört hatten, welche nach den Unruhen in der Romagna in diesen Mauern schmachteten.
Wir stiegen für ein paar Stunden ans Land. Der Anblick des päpstlichen Wappens, der Gedanke, nur wenig Meilen von dem geliebten Rom entfernt zu sein, wirkten so mächtig, daß ich glaube, ich hätte in diesem Augenblicke die Rückkehr nach Deutschland unterlassen und wäre ruhig wieder nach Rom gegangen, hätte ich die Möglichkeit gehabt, es zu tun.
Nach dem geräuschvollen, tobenden Neapel hatte die Ruhe des kleinen Ortes etwas Anmutendes, und als wir am nächsten Morgen in Livorno gelandet und mit der Eisenbahn nach Pisa gefahren waren, erquickte die tiefe Stille dieser Stadt die Seele so unaussprechlich, daß ich mir denken konnte, wie man darauf gekommen ist, als vollkommene Seligkeit die Ruhe des ewigen Friedens im Paradiese zu erfinden.
Die breiten Straßen, die stillen Kais, der Katharinenplatz mit seinen großen, schattigen Bäumen lagen in traumstiller Sonntagsruhe da. Auf dem Domplatze allein waren Menschen sichtbar, die aus der Kirche kamen oder zur Kirche gingen. Der prächtige Dom, das Battisterio, der Schiefe Turm und das Campo Santo lagen, vom Sonnenlicht glänzend überflutet, in voller Pracht vor unsern Blicken. Das ganze Pisa gleicht einem schönen Campo Santo, und wie auf solchem wird die Seele mild beruhigt.
Das eigentliche Campo Santo, nach Art der schönsten Klosterhöfe in länglichem Viereck angelegt und von freien, säulengetragenen Hallen umgeben, ist mit Erde aus dem Gelobten Lande gefüllt. Vier schlanke, schöne Zypressen stehen in den vier Ecken des Rasenplatzes, den die Hallen umschließen. Die Büsten und Denktafeln berühmter Pisaner sind darin aufgerichtet. Überbleibsel von Freskomalereien, Darstellungen aus Dantes Hölle schmücken oder verunzieren die Wände. Ich möchte den letztern Ausdruck wählen, denn mein Auge wendete sich mit Entsetzen von den Zerrbildern ab, die halb gesotten aus dem Schwefelpfuhle hervorragten oder irgendeine andere Höllenstrafe erlitten.
Der Schiefe Turm hat etwas Unerfreuliches. Er macht den unbehaglichen Eindruck gestörter Symmetrie; man möchte ihn graderücken, um sie herzustellen. Dafür aber ist die Aussicht vom Turme über die schöne, ruhige Stadt und das reich angebaute Arnotal bis hin zur Apenninenkette sehr belohnend und lieblich.
Von dem Erdbeben, das im August stattgefunden hatte und Livorno, Pisa, Pontevera verwüstet haben sollte, war wenig zu sehen. In Livorno, wo wir nach den eingestürzten Häusern fragten, sagte man uns wie in Pisa: »Es war nichts! es war wenig!«
Nach dem Mittagessen in Pisa trennte sich die Gesellschaft, welche mit dem Dampfschiffe von Neapel gekommen war, und wir, die allein nach Deutschland zurückkehrten, langten nachts in Florenz an. Nur kurze Rast war uns diesmal in demselben vergönnt. Wir verließen es nach zwei Tagen, aber ich überzeugte mich, wie sehr Anschauungen, die wir geistig erwerben, unser eigenstes, unveräußerliches Eigentum werden. Ich kannte Florenz bis zu gewissem Grade, es war mir, als gehöre es mir, als kehre ich in mein Haus zurück; und ich zeigte dort einem Freunde, der zum ersten Male in Florenz war, die Schätze in den Galerien ganz mit der innern Genugtuung eines Besitzers.
Als wir jenseits Florenz nach durchfahrener Nacht auf der Höhe der Apenninen an frühem Morgen haltmachen mußten, um vor dem abermaligen Eintritt in die päpstlichen Staaten unsere Pässe und Koffer von neuem visieren zu lassen, wehte uns ein frischer, kalter Wind herbstlich entgegen, als wolle er uns Grüße aus der Heimat bringen. Es webte ein Etwas in der Luft, das ich in Rom, selbst in rauhen Januartagen, nie empfunden hatte, ein entschieden nordisches Element. Dazu ertönten von den Lippen der hechtgrau uniformierten päpstlichen Soldaten deutsche Laute. Es waren Württemberger, in der Schweiz für den Papst auf zehn Jahre angeworben, und es gefiel ihnen schlecht im fernen Lande.
Einer der Soldaten erzählte uns von den Unruhen in der Romagna, bei denen sein Bataillon gegen die Insurgenten geschickt worden war. Es sei doch recht viel Blut geflossen! sagte er mit seinem treuherzigen schwäbischen Dialekt, und das Bataillon hätte sich gut gehalten gegen die Italiener, die wütende Kerle wären. Daß es uns schmerzlich berührte, überall Deutsche als Söldner im Dienste des Absolutismus zu sehen, davon hatte er freilich keine Ahnung, als er uns von den Heldentaten seines Bataillons berichtete.
In Bologna aber fanden wir die Linderung für diese Mißstimmung in den Hoffnungen und dem Enthusiasmus, welche die neue Regierung Pius des Neunten in den Herzen des Volkes erregt hatte.
Dreihundertundzwanzig Männer und Jünglinge aus Bologna schmachteten infolge politischer Vergehungen in den Gefängnissen, als die allgemeine Amnestie erschien und dreihundertundzwanzig Familien in Bologna Glück und Freude wiedergab. An allen Straßenecken des Marktes war die Amnestie in Marmortafeln gegraben und in die Mauern der Häuser zum Zeichen ewigen Dankes eingesenkt. In allen Magazinen standen Büsten und hingen Bilder des Papstes. Ein andres Bild zeigt einen Mann in düsterm Kerker, dem der Genius der Freiheit auf Lichtesstrahlen erscheint. Darunter stand das Datum der Amnestie. Lobgedichte auf den Papst fand man an alle Ecken, an alle Brunnen befestigt; in den Kaffeehäusern lagen gedruckte Reden »über die Notwendigkeit der Volkserziehung« und ähnliche Motive auf den Tischen aus. Man war voll freudiger Zuversicht, voll tiefen Dankes, und diese wurden lebhaft an den Tag gelegt.
Auf dem Wege von Florenz nach Bologna hatten wir im Postwagen zwei Italiener zu Gefährten. Es waren die ersten wahrhaften Musikdilettanten, denen wir begegneten, der eine ein Arzt, der andere Advokat, beide zwischen dreißig und vierzig Jahren; der Advokat ein schöner, großer Mann mit bedeutenden Zügen und allen Ansprüchen, diese äußern Vorzüge durch eine sorgfältige Kleidung und überdachtes Betragen zu unterstützen. Da er sehr laut und viel vom Theater, das heißt von der Oper erzählte und sein Nebenmann all seine Bemerkungen mit Entzücken wie Orakelsprüche hinnahm, glaubte ich anfangs, er sei vielleicht selbst ein berühmter Sänger. Diese Vermutung wuchs fast zur Gewißheit, als er allmählich eine persönliche Bekanntschaft mit allen Notabilitäten der italienischen Oper verriet, von ihnen wie von Personen seines nähern Umganges sprach, ihre Methoden streng und, wie mir schien, mit Sachkenntnis kritisierte und endlich anfing, mit schöner Stimme die Lieblingsrouladen und -passagen seiner Lieblinge zu singen. Dabei wurden er und der Doktor immer wärmer. Erzählungen, Kritiken, Intonationen einzelner Arien und Ausrufe entzückter Erinnerung wechselten schnell und schneller miteinander ab. Kaum hatte der eine eine Melodie mit strahlenden Augen begonnen, so schnappte sie ihm der andre vom Munde fort, sie mit einer Koloratur zu enden. »Bravo, bravissimo!« rief dann der erste, räusperte sich und fing sogleich eine neue Melodie an. Keiner von ihnen sang eine ganze Arie. Sie waren wie echte Feinschmecker, welche nur den Schaum des perlenden Champagners schlürfen. Nur die Pointen wurden hervorgehoben, nur die Unterschiede in der Vortragsweise der einzelnen Koryphäen durchmustert, und alle Augenblicke unterbrach ein »La divina!« (die Göttliche!), mit verklärtem Blicke ausgesprochen, den Gesang.
Die Szene war ungemein komisch. Einer der Reisenden fragte endlich den Herrn, den wir später als Advokaten kennenlernten, ob er vielleicht selbst Künstler sei. »Nein!« antwortete er, der Doktor jedoch fügte mit gewichtiger Miene sogleich hinzu: »Aber ein berühmter Dilettant«, worauf jener sich verneigte, wie um bescheiden ein Lob abzulehnen, das ihm gleichwohl vollkommen gebührte.
Irgendein Zufall lenkte indes die beiden Dilettanten von der Musik ab und der neuen Regierung zu. Da verwandelte sich plötzlich der wunderliche Musikliebhaber in einen ernsten Geschäftsmann und gab sich als einen Advokaten aus Bologna zu erkennen, der in Geschäften in Florenz gewesen sei und derselben Angelegenheit wegen nach Ferrara gehen müsse.
»Es handelt sich um einen Familienprozeß, der unter der vorigen Regierung niemals zu beendigen war«, berichtete er.
»Warum nicht?« fragte ich.
»Weil wir keine Gesetze hatten. Der Code war lange außer Kraft getreten; jeder Kardinal herrschte in seinem Bereiche nach freier Willkür. Was in Bologna Recht war, konnte in Ferrara Unrecht sein, man wußte den Parteien und sich selbst nicht zu helfen.«
»Und was für eine Verwaltung haben wir gehabt!« sagte der Doktor. »In Bologna konnte man nach eingebrochener Dunkelheit nicht über die Straßen gehen, ohne einem Anfall von Räubern ausgesetzt zu sein; dennoch war es verboten, Waffen zu tragen, um sich selbst zu schützen.«
»Jetzt ist's anders!« rief der Advokat. »Der Papst hat gleich nach Erlaß der Amnestie die Bildung einer Bürgermiliz gestattet und uns erlaubt, uns zu bewaffnen, weil er sicher sein darf, daß jeder Waffenfähige die Waffen für ihn trägt und ergreift, wenn die Not es erfordert.«
Übrigens konnte man sich leicht vorstellen, daß Bologna unter einer schlechten Polizeiverwaltung ein wahres Eldorado für Straßenräuber sein mußte. Durch die ganze Stadt ziehen sich an den Häusern gemauerte Hallen hin, nach Art der Lauben in manchen deutschen Orten. Diese sind bei den alten Häusern düster und architektonisch reich verziert, bei den neuern hell und einfacher. Überall aber bieten sich hinter ihren schattenwerfenden Säulen bequeme Zufluchtsorte für denjenigen, der sich durch eine schnelle Flucht der Aufmerksamkeit seiner Verfolger zu entziehen strebt.
Das ganze Gepräge Bolognas gibt ein höchst charakteristisches Bild des oberitalienischen Mittelalters, in gewisser Art noch bedeutender als Florenz, weil in Bologna auf dem Markte alle Bauten des Mittelalters nebeneinanderstehen, ohne daß durch neue Zutaten die Harmonie des Eindruckes gestört wird.
Der Hauptplatz und der schönste Punkt Bolognas ist der große, viereckige Markt, der Platz des heiligen Petronius. Die alte Podesteria (der Sitz der Herrscher), das Collegio dei Mercanti, der Dom, alle in dem schönen, strengen Stil des Mittelalters gebaut, umgeben ihn. Unter der Podesteria ziehen sich weite, vergitterte Hallen hin, in denen die Fleischer und Fischer ihre Ware verkaufen. Große Marmortische, steinerne Fußböden mit breiten Abzugskanälen machen die Hallen für ihren Zweck auf das vollkommenste geeignet. Sie geben einen Beweis von dem vorsorglichen Gemeingeiste des Mittelalters, wie er, für das Volk bedacht, aus der republikanischen Römerzeit hervorwuchs. In den mittelalterlichen Bauüberresten Deutschlands findet er sich nirgend. Überhaupt erscheint das deutsche Mittelalter, selbst wenn man es in Nürnberg, seiner schönsten Blüte, mit dem italienischen vergleicht, kleinlich und armselig beschränkt überall, wo es nicht dem Kirchenbaue galt.
Mitten auf dem Platze des heiligen Petronius steht in der Fontäne eine kolossale Statue des Neptun von Johann von Bologna. Als wir abends aus einer Seitenstraße, in der sich zunftartig nebeneinander alle Läden der Gold- und Silberarbeiter in kleinen, mit Emblemen geschmückten Buden befinden, auf den Marktplatz traten, den schon die Dämmerung umhüllte, hatte man ein so vollständiges Bild des Mittelalters, wie es sich vielleicht nirgend so leicht bietet.
Zwischen den alten, ernsten Gebäuden bewegten sich die Menschen umher, deren modische Kleidung nicht mehr deutlich zu unterscheiden war. In den Fleischhallen schimmerten die Lampen der Leute, welche die Hallen für den nächsten Morgen säuberten; zwischen den zahlreichen, engen Holzbuden des Platzes, in denen alle Bedürfnisse des Kleinlebens feilgehalten werden, fuhren langsam große, schwere Wagen den Häusern zu, welche die Weinernte in die Keller trugen.
Diese Wagen sind lange, schmale, auf sehr kleinen Rädern ruhende Gestelle, vorn mit einer Zierat geschmückt, wie die Schnabelspitzen der Fischerboote im Mittelländischen Meere; an Deichsel, Speichen und wo es sonst tunlich ist, finden sich Skulpturzieraten und blanke Nägelbeschläge. Es sieht aus, als stammten diese Fuhrwerke aus früher Vorzeit. Sie passen mit ihrer Tüchtigkeit und Ausschmückung vollkommen zu der Architektur Bolognas, wie sie sich in den zahlreichen alten Bauwerken ausspricht. Es waren am Tage Hunderte von diesen Karren, mehr oder weniger schön, in Bewegung; die Weinernte war sehr reich und ganz Bologna von einem Duft gegorener Trauben erfüllt, der überall aus den geöffneten Kellerfenstern strömte.
Bologna scheint mir für das Mittelalter ebenso interessant zu sein als Rom oder Pompeji für das Altertum, und ich habe es lebhaft bedauert, es nach kurzem Aufenthalte verlassen zu müssen. Störend in der schönen Harmonie des Ganzen sind mir nur die beiden sich liebevoll gegeneinander neigenden schiefen Türme am Eingange der Stadt gewesen, gewaltige viereckige Massen in Form riesiger Dampfschornsteine. Sie machen noch einen viel peinlichern Eindruck als der Turm in Pisa, weil die Abweichung stärker zu sein scheint, und man fragt sich unwillkürlich, wie eine Zeit, die das Gefühl des Schönen in ihren Baudenkmalen so prächtig dargelegt hat, zu diesen geschmacklosen Ausgeburten, zu den unerfreulichen Spielereien kommen konnte, von denen sich doch vielfach unwiderlegliche Zeugnisse finden.
Nachdem wir am Abend die Stadt in verschiedenen Richtungen durchwandert hatten, galt unser erster Gang am Morgen der Akademie und in ihr Raffaels heiliger Cäcilie.
Die Komposition ist durch vortreffliche Kopien so vollständig bekannt, daß man sie nicht zu beschreiben nötig hat, die Idee der dreifachen Musik, der profanen, Kirchen- und Sphärenmusik tief und schön bezeichnet; der Ausdruck in den verklärten Zügen der Heiligen seligstes Entzücken, wie jemandes, der unvermutet die langersehnte Stimme eines Heißgeliebten erklingen hörte.
Aber was mich gleich beim Eintritt in den Saal gewaltig fesselte, mich endlich ganz von der heiligen Cäcilie abzog, das war ein Bild Guido Renis, eine trauernde Maria an der Leiche des Heilandes.
Ich liebe Guidos kokette Porzien und Kleopatren nicht, wie sie graziös das Feuer verschlingen oder mit schmachtender Salonmiene die Natter gegen den Busen drücken; auch die Aurora im Casino Ludovisi und die Christusköpfe, welche ich bisher von ihm gesehen, hatten mir keine wirkliche Teilnahme, keinen Glauben an ihre Wahrheit einzuflößen vermocht. Hier aber ergriff mich die Tiefe und männliche Kraft dieses Malers mit magnetischer Gewalt.
Das Bild, wohl zwanzig Fuß hoch und etwa zehn Fuß breit, zerfällt in drei Abteilungen von ungleicher Größe. Die kleinere unten enthält eine Ansicht der Stadt Bologna mit den schiefen Türmen, beschützt von zwei schönen, lilientragenden Engeln. Darüber erhebt sich die zweite Abteilung, die fünf Schutzheiligen Bolognas. In der Mitte ein kniender Kardinal, das Kruzifix in den Händen; eine jener heuchlerischen Physiognomien, die man noch heute aus manchen Kutten hervorblicken sieht. Ein Mönch in schwarzem Gewande, hinter ihm stehend, blättert ernsthaft in einem Breviere; der heilige Franziskus, die schöne, bekannte Figur, kniet rechts vor dem Kardinal, in brünstigem Gebet versunken. Ein Krieger in männlichster Kraft und Schönheit, reich im Waffenschmuck, bildet die äußerste Rechte des Vorgrundes, dem zur Linken ein Bischof mit der Bischofsmütze und gelblichbraunem Brokatmantel als Gegenstück dient.
Aber selbst die Schönheit dieser Gestalten, der charakteristische Ausdruck dieser Männerköpfe verschwindet vor der obern Gruppe; man sieht nur diese und erkennt daran die Kraft des Malers, der dieser Steigerung des Schönen, dieses Konzentrierens der Begeisterung in sich fähig war.
Christus liegt tot auf einem Lager von gelbbraunen Tüchern, ein rotes Sammetkissen unter den dunkelbraunen Locken. Der Kopf ist dem Beschauer zur Linken; der Körper ruht flach ausgestreckt, der rechte Arm fällt schlaff herab, und die linke Hand schließt sich mit gebogenem Arme fest an die linke Hüfte, als hätte sie da ein Schwert geführt; denn wie ein ausruhender Kämpfer liegt Christus da, ein schöner, edler, stattlich großer Männerkörper, mit einem gelblichen Tuche um die Hüften verhüllt. Keine Spur des Todeskampfes, keine schaudererregende Magerkeit, keine bluttriefenden Wunden, nur leise angedeutet die Nägelmale an Händen und Füßen und der Schwertstich des Lanzenknechtes.
Der heiligste Frieden ist über die ganze Gestalt ausgegossen. Die Brust, die nur für das Höchste sich hob, ist noch gehoben, die Spur des göttlichen Gedankens thront noch auf der Stirne, der Idealismus leuchtet noch im Tode hervor, den Sieg des Geistes verkündend über die Materie.
Und dahinter, mitten am Sarkophage, steht die Madonna in graublauen Gewändern, die ein bräunlicher Überwurf zum Teile verbirgt, eine schöne, kräftig freie Frauengestalt, aufrecht im Schmerze. Die Arme hängen hernieder, die Hände sind gewaltsam zusammengepreßt, den tiefen Schmerz konzentrierend, als halte sie sich nur mühsam zurück, den angebeteten Toten durch eine Berührung zu entweihen. Das Auge hat sich vom langen Anschauen des Geliebten langsam und schwer zum Himmel gehoben und sucht, ob nicht von dort der Strahl der Liebe und des Trostes in ihre Seele fallen wird, der ihr aus seinen Blicken Leben und Freude gab. Aber der Himmel leuchtet in hellem Blau ruhig über ihrem Haupte, und der nie zu erfassende Jammer des »Dahin!« steigt mit seiner Verzweiflung vor ihrem innern Auge auf.
Zwei schöne Engel weinen über ihr – wer weinte nicht mit diesem Schmerze! Ich konnte kein andres Bild mehr betrachten und verließ in Gedanken versunken die Akademie.