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Die Fremden, il forestieri, nennt das Volk jeden, der nicht ein Italiener ist, und es mischt sich in den Ton, mit dem man das Wort ausspricht, ein wenig von der Geringschätzung, mit welcher die alten Römer von den Barbaren gesprochen haben mögen. Außer dem aber, daß der Ausländer dem Volke ein »forestiere« ist, ist er ihm ein für allemal ein Engländer, was ihm zugleich den Ketzer bedeutet. Indes der Ankunft dieser Ketzer harrt man im Herbste so sehnsüchtig entgegen, wie ein Kranker die Frühling verkündenden Schwalben erwartet. Ein großer Teil der römischen Mittelklasse lebt von den Fremden.
Diese kommen mit dem Oktober nach Rom und verlassen es nach Ostern. Die Zeit von Weihnachten bis zum Karneval und zum Ende der Passionswoche ist die belebteste; nach dieser wird es urplötzlich leer in den von den Fremden bewohnten Stadtteilen. Persiennen und Fensterladen werden geschlossen; bei allen Sattlern stehen Koffer und Wagen zur Ausbesserung vor den Türen; vor allen Häusern sieht man packen, und täglich wird es einsamer und stiller auf dem Spanischen Platze und auf der Passeggiata.
Am bemerkbarsten unter den Fremden treten die zahlreichen Engländer hervor. Morgens begegnet man ihnen in den Galerien und in den Ruinen, nachmittags auf der Promenade. Überall stehen sie da, Männer und Frauen, Eltern und zahlreiche Kinder, in zweckmäßigster, bequemer Reisekleidung, den Guide for Italy, den in roten Mohr gebundenen Murray in Händen, nach dem sie pflichttreu besehen, loben und tadeln. Es ist natürlich hierbei nur von der großen Masse der Engländer die Rede, welche reisen ohne inneres Interesse, oft ohne alle Erziehung und Bildung, entweder um »alles gesehen zu haben« oder weil es im Auslande billiger ist als zu Hause. Diese Engländer sind eine Plage in allen Hotels der Schweiz und Italiens; überall handelnd, feilschend, sich vordrängend und von einer unermüdlichen Berserkerwut im Besehen. Auf ihre Kosten erzählte ein deutscher Künstler mir folgende Anekdote.
Sein früherer Lehrer, Paul Delaroche, war nach Rom gekommen, und in Begleitung eines Lohndieners fuhr der Deutsche mit ihm die Merkwürdigkeiten besehen. In lebhafter Unterhaltung achteten die Freunde, nachdem sie schon mancherlei in Augenschein genommen harten, nicht auf die Straße, welche der Kutscher sie fuhr. Plötzlich hält der Wagen still, und sie finden sich auf offnem, flachem Felde vor einem der Tore, wo weder eine schöne Gegend noch ein Denkmal zum Verweilen laden.
»Was ist denn hier zu sehen, mein Freund?« fragt Delaroche den Lohndiener.
»Was mich betrifft, mein Herr!« antwortet dieser, »so glaube ich, es ist hier gar nichts zu sehen; aber alle Engländer fahren hierher.«
Dies ist vollkommen bezeichnend für die Art, in der das Reisen von jenen ungebildeten Engländern betrieben wird, welche durch ihr sinnloses Aburteilen, durch ihre kalte Gleichgültigkeit oft sehr störend sind, wenn man in ruhiger Betrachtung sich vor den Schöpfungen der Kunst oder der Natur zu sammeln begehrt.
Will man aber diese »Barbaren« vergessen, so muß man die Engländer sehen, wenn sie morgens zu ihren Jagden in die Campagna reiten; Männer und Frauen, die ersteren in der roten Uniform des Jagdklubs, die letztern im Reitkleide, den schwarzen Schleier am kleinen Männerhut. Greise und Matronen fahren in offenen Kaleschen voraus. Schönere, edlere Erscheinungen sieht man selten; und man erfreut sich des Volkes, das von der Verfeinerung des geselligen Luxus immer wieder zurückkehrt zu gesundem Leben in freier Natur.
Obgleich im Winter von 1845 und 1846 viel Russen in Rom anwesend waren, welche die erwartete Ankunft des Kaisers dort festhielt, bemerkte man sie nicht als Nation. Da sie ihre Bildung nicht wie die Engländer aus ihrer eigenen Volkstümlichkeit, sondern durch Fremde erhalten, so ist dem gebildeten Russen sein nationales Gepräge durch französische Sitte fast abgeschliffen, und er fällt unter andere Völkern nicht leicht durch seine Eigentümlichkeit auf. Auch die Franzosen verschwinden in der Masse, und neben den Engländern treten die Deutschen, zu denen man die Skandinavier mitzählt, am entschiedensten hervor; vielleicht schon darum, weil sie als nordische Völkerstämme sich auch körperlich von den Italienern abweichend zeigen, während der Franzose weniger von ihnen verschieden ist. Unter den Engländern, Franzosen und Russen sieht man fast ebensoviel reisende Frauen als Männer; bei den Deutschen ist die Zahl der Männer weit überwiegend, weil in Deutschland das Reisen ohne bestimmten Zweck nicht so allgemein üblich ist als bei den andere Nationen. Ein Deutscher reist wegen seiner Gesundheit oder um Studien zu machen und nur der Begüterte zum Vergnügen. Engländer hingegen, die im Vaterlande teurer leben, und Russen, die im Auslande besser leben als in der Heimat, wandern mit Frau und Kind dem Süden zu, in dem sie oft viele Jahre verweilen, wozu die Deutschen sich auch nur selten entschließen.
Betrachtet man die Weise, in der die verschiedenen Nationen in Rom vertreten sind und in der sie sich dort einzurichten wissen, so kommen die Engländer und Franzosen viel besser zu stehen als die Deutschen. Die Lebensweise, die Stunden der Mahlzeiten für jene stimmen mit den Landessitten zusammen. Franzosen und Engländer nehmen ein starkes Frühstück ein und halten wie die Italiener ihre Hauptmahlzeit um Sonnenuntergang. Die öffentlichen Museen sind auf diese Tageseinteilung hin von zwei Uhr nachmittags bis gegen fünf Uhr geöffnet; die Theater beginnen um acht Uhr und dauern bis nach Mitternacht; die Promenadenstunde ist von drei Uhr bis Ave-Maria, wo alle Nationen zur Mahlzeit eilen, die Deutschen ausgenommen. Diese wollen um zwei Uhr Mittag und womöglich um acht Uhr ihr Abendbrot essen und bleiben also in einer ewigen Eile und Unbehaglichkeit bei dem Bestreben, den Interessen der Kunst und der Gewohnheit des Magens gerecht zu werden.
Die Engländer wissen sich durch Geldaufwand all ihren »Comfort« auch im Auslande zu schaffen. Durch ganz Italien ist man in allen Gasthöfen auf die teetrinkenden Nordländer eingerichtet. In Rom bieten ihnen ein paar Handlungen auf dem Spanischen Platze die nötigen Saucen und Weine, an welche sie gewöhnt sind; eine englische Buchhandlung und englische Lesekabinette versorgen sie unablässig mit allen neuen Erscheinungen der Literatur. Sie haben sämtliche Zeitungen, sie sind in innigstem Zusammenhange mit der Heimat. Sonntags sieht man alt und jung, Männer und Frauen, nach ihrer Kirche ziehen; das Touristenkostüm mit dem Festtagskleide, den roten Murray mit dem schwarzen Gebetbuch vertauscht.
Hunde und Pferde fehlen ihnen nicht, und für die Jagd ist in der Campagna der herrlichste Raum, der vielfach benutzt wird. Als vor ein paar Jahren ein Lord bei einer Steeplechase den Hals brach und um sein Leben kam, verbot der Papst in milder Vorsorge diese Art von Jagden. Sogleich erklärten die Engländer, daß sie Rom verlassen würden, wenn man sie solchen Beschränkungen unterwerfe; und der Papst, um die goldspendenden Wandervögel nicht fortziehen zu lassen, fügte sich ihren Wünschen mit dem scherzhaften Bemerken, »er wolle den Herren Engländern die Freiheit gönnen, sich auch in seinem Lande nach Belieben den Hals zu brechen«.
Frankreich macht in Rom einen erfreulichen Eindruck durch die Art, in der es für seine jungen Künstler sorgt.
Auf einem der schönsten und auf dem gesündesten Punkte Roms liegt die Villa Medici. Über den Kugeln, dem alten Wappen derselben, prangt jetzt das französische Wappen mit der Devise aus der Charte: »Tous les Français sont égaux devant la loi.«
Die Villa Medici mit ihrem prächtigen Palast, mit dem schönen Garten und dem unvergleichlichen Walde von immergrünen Eichen auf der höchsten Terrasse, von der man den weitesten Überblick über das Land genießt, ist die französische Akademie der Künste in Rom. Der Direktor und die Pensionäre wohnen daselbst, haben hier ganz freie Beköstigung, ihre Ateliers und eine Sammlung von Gipsabgüssen behufs der Studien, der man nicht leicht eine andere an die Seite zu stellen vermag. Die Gärten und die Sammlung sind dem Publikum beständig geöffnet, und das Ganze zeugt von der schönen Freigebigkeit eines großen Volkes.
Sieht man dagegen, wie so gar nicht für die deutschen Künstler von ihren Regierungen gesorgt ist, wie kümmerlich sie durch Versteigerung freiwillig zusammengebrachter Arbeiten die Mittel erwerben, sich ein Versammlungslokal und darin zugleich den Raum für ihre Ausstellung zu schaffen, so fühlt man die Notwendigkeit eines Volksverbandes zu einer großen, selbständigen Nation. Eine solche kann und darf natürlich freier über namhafte Summen zugunsten der Kunst und der einzelnen Künstler verfügen, als irgendeiner der zweiunddreißig Monarchen Deutschlands es vermag. Nur Österreich gibt einigen seiner Pensionäre wie Frankreich Wohnung und Atelier in dem Gesandtschaftspalast, während die Pensionäre der übrigen deutschen Fürsten eine Unterstützung von dreihundert Talern erhalten.
Mit deutschen Büchern und Zeitungen ist es in Rom sehr schlecht bestellt. Im Laufe des Winters von 1846 ward die erste deutsche Buchhandlung eröffnet. Ihr Besitzer, ein Westfale, erklärte aber gleich, daß er als guter Katholik hauptsächlich für die deutschen Schüler der Propaganda zu sorgen habe und auf diese angewiesen sei. So fand man außer geistlichen Büchern einer bestimmten Farbe und archäologischen Schriften fast gar nichts bei ihm und mußte sich begnügen mit den Büchern, welche die einzelnen Fremden aus Deutschland für den Privatbedarf mitgebracht hatten und untereinander verborgten. Allerdings besitzen die deutschen Künstler eine Bibliothek, die zum großen Teil durch Geschenke entstanden ist, indes sie ist einerseits eben deshalb wunderlich zusammengesetzt, und andererseits fehlt auch hier das Neue. Jetzt hat der König von Preußen dieser Bibliothek einen Teil der Büchersammlung des in Rom verstorbenen Prinzen Heinrich geschenkt, wodurch ihr ein bedeutender Zuwachs geworden sein soll.
Von deutschen Zeitungen kommt nur die Augsburger Allgemeine nach Rom; durch sie allein werden die Deutschen mit dem Vaterlande vermittelt, und es ist also kein Wunder, wenn Künstler, welche lange in Italien leben, jenem mehr und mehr entfremdet werden. Von all den frischen, geisteskräftigen Regungen im religiösen und politischen Leben Deutschlands sehen sie nur einen schwachen, oft verzerrten, entstellten Schatten; und ich bin überzeugt, daß der Übertritt manches Deutschen zum Katholizismus seinen Grund vielmehr in der Abgeschiedenheit von dem protestantischen Vaterlande als in der Macht des Katholizismus gehabt hat.
Hiebei aber drängt sich noch eine Bemerkung auf. Die Preußen besitzen eine Kapelle in der preußischen Gesandtschaft, im Palast Caffarelli auf dem Kapitol, und der jedesmalige preußische Gesandtschaftsprediger ist der Seelsorger aller deutschen Protestanten. Je größer nun für die phantasiereiche Seele deutscher Künstler und der Nordländer überhaupt der phantasieanregende Kultus, die ganze Mysterienwelt des Katholizismus ist, in einem Lande, in welchem schon die südliche Natur und die ganze Kunstwelt die Seele in außergewöhnliche Aufregung versetzen, um so nötiger wäre es, in Rom protestantische Geistliche von echt protestantischem Rationalismus als Gegengewicht zu haben.
Die katholische Kirche muß ihrem Prinzip zufolge durchaus nach Bekehrung zum »alleinseligmachenden Glauben« trachten. Dies ist ihr die heilige Pflicht christlicher Liebe. Sie tut dies auch; und die feine Weltsitte, die heitere Freisinnigkeit ihrer Priester kommt ihr dabei vortrefflich zustatten. Wider den Zauber des Katholizismus aber, dem seit zwanzig Jahren doch viel namhafte Künstler erlagen, gibt es nur ein Mittel, das scharfe, nackte Schwert der hellen Vernunft. Gegen die Wunderwelt katholischer Mysterien anzukämpfen mit den starren, orthodoxen Dogmen des Protestantismus ist ein vergebenes Bestreben; fruchtlos wie das Abmähen von Unkraut, dessen Wurzeln man nicht ausrottet. Mancher, der, schwankend in klarer Erkenntnis der Wahrheit, Hilfe suchte bei protestantischen Theologen in Rom, mag es, nachdem er zum Katholizismus übergetreten war, schmerzlich bedauert haben, daß nicht ein rationeller Protestant ihn davor zu bewahren wußte. Ein Strauß, ein Feuerbach wären nirgend mehr an ihrem Platze als dort.
Im ganzen leben die verschiedenen fremden Nationen in Rom in geringem Verkehr. Die Aristokratie der einzelnen Völker steht mit der römischen Aristokratie und dadurch miteinander in Verbindung, aber die übrigen Klassen leben ziemlich getrennt. Die Deutschen feiern ihren Weihnachtsabend untereinander, die Skandinavier verbrennen ihren Julbock, die Russen sind schon durch ihren Kalender in gewisser Art von den andern Völkern geschieden, da ihre Feste nicht mit denen der übrigen zusammenfallen.
Auf Torlonias großen Bällen findet man alle Völker. Diese Bälle sind das Agio, welches der Geldfürst den Fremden von ihren Wechseln abzieht. Wer bei ihm akkreditiert ist, wird eingeladen, und man erzählt sich scherzhafte Anekdoten von der kaufmännischen Gerechtigkeit, mit welcher der Fürst seine Gäste behandelt. Er selbst stellt sie seiner schönen, anmutigen Gemahlin, einer Prinzeß Colonna, vor und gönnt ihnen die Unterhaltung derselben, mehr oder weniger lang, nach dem Belauf ihrer Wechsel. Fällt es der Fürstin ein, mit einer unvermögenden Person, deren Wesen sie fesselt, etwas länger zu plaudern, so tritt der Fürst mit einem andern Fremden heran und macht mitten in der Unterhaltung mit einem »Basta, Teresa! basta!« ein plötzliches Ende. Die Dame, welche als Zeuge solcher Szenen mir davon erzählte, konnte nicht darunter zu leiden gehabt haben, da sie, eine der reichsten Fürstinnen Rußlands und eine geistvolle, liebenswürdige Frau, gewiß um beider Rücksichten willen sich besonderer Aufmerksamkeit zu erfreuen hatte.
Ein anderer Ort, an dem sich viele Fremde versammeln, sind die musikalischen Soireen des deutschen Musikers Landsberg, zu denen er soviel Leute freundlich einladet, als seine geräumige Wohnung zu fassen vermag. Von Künstlern und Dilettanten wird dort vorzugsweise deutsche Musik ausgeführt, und die kernigen, deutschen Männerquartette, die majestätischen Symphonien Beethovens klangen uns als ernste Grüße der fernen Heimat doppelt süß in der Fremde.
Aber Landsberg war nicht der einzige Deutsche, welcher die herzliche Gastfreiheit seines Volkes bekundet. Tut das gesamte Vaterland wenig für seine in Italien lebenden und studierenden Künstler, so helfen diese sich selbst und wissen es in schönem Gemeinsinn möglich zu machen, noch die Wirte vieler Deutschen zu werden, die, reicher als jene, nach Italien kommen.
Die Künstler haben ein Casino gegründet, für das sie seit dem letzten Jahre deutsche Zeitschriften kommen lassen. Allen Fremden germanischen Stammes wird gegen ein ganz unbedeutendes Einschreibegeld der Besuch des Casino gestattet; und im vorigen Winter wurden daselbst Konzerte und Bälle gegeben, bei denen die fröhliche Gastlichkeit der Wirte zehnfach ersetzte, was ihnen an transalpinischer Pracht fehlen mochte. Der Saal war mit Fahnen geschmückt, welche die Künstler dazu gemalt hatten; bunte, selbstgemachte Lampen und Blumengirlanden schmückten die Wände; an guten Sängern, an unermüdlichen Tänzern war kein Mangel; der lorbeergekränzte Vereinspokal machte bei frohem Gesange die Runde an der Tafel. Man ließ jedem schönen Scherz sein volles Recht; es waren heitere Feste, an die sich gewiß jeder mit Lust erinnert, der für harmlosen Frohsinn noch empfänglich ist.
Alle Fremden waren darüber einig, daß man nirgend angenehmer, nirgend ungezwungener, freier leben könne als in Rom, weil man sich die Freiheit nahm, sich diese Freiheit zu erlauben. Die meisten Menschen, und die Deutschen vor allen, bauen sich gegeneinander, gegen ihren Nächsten, turmhohe Schutzmauern der Etikette und der Konvenienz, hinter denen sich das Ich in vornehmer Ausschließlichkeit verschanzt. Ist jedoch diese chinesische Schutzmauer erst einmal fertig, so bemerkt das Ich mit Verdruß, wie es sich jede Aussicht nach dem Du versperrt hat, wie die Mauer nicht nur dem Nachbar, sondern ihm selbst die freie Luft, die freie Bewegung entzieht; aber man schämt sich zu sagen: »Mein Absperrungssystem war eine Torheit«, man ist zu feig, die Grenzwand freimütig einzureißen, und jeder sitzt in seiner einsamen Klause und schmollt über die Verhältnisse und über die Menschen.
In Rom, wo man nicht Zeit hat, die Barrikaden aufzupflanzen, wo man das Wohlgeboren, die Geheimratstitel, die Roten Adlerorden von den neun verschiedenen Klassen und Abstufungen, die Exzellenzen und Uniformen nicht gut auspacken kann, ohne lächerlich zu sein – denn innerlich bringt sie jeder Deutsche mit –, da tritt der ursprünglich liebenswürdige, zutrauliche Charakter unserer Landsleute auch in geselliger Beziehung einmal erfreulich hervor.
Wesentlichen Anteil an der Bildung dieser verständigen, einfachen Umgangsformen haben die Künstler, die mehr oder weniger mit den Fremden in Berührung kommen. Nur einige Fromme, wie Veit und Overbeck, vermeiden fast jeden Umgang; die älteren Künstler, an die genialische Formlosigkeit der romantischen Epoche gewöhnt, sträubten sich anfangs ein wenig gegen die Neuerung, Bälle und Konzerte in ihrem Casino zu veranstalten. Der Frack und der schwarze Hut schienen ihnen ein Greuel, eine Zerstörung des Idealismus; indes die junge Welt siegte. Die feindlichen Herren wohnten trotz ihres Zornes den Festen bei, und mancher von ihnen gestand am Ende, daß in einer hübschen, tanzenden Blondine auch ein gewisser Idealismus liege, für den man wohl ein oder das andere Opfer bringen dürfe.
Die Künstler in ihren Ateliers zu besuchen ist eine der Morgenunterhaltungen für die Fremden und, wie es betrieben wird, ein arger Mißbrauch. Künstler, wie die Bildhauer Wolff, Jerichau, Tenerani, die Maler Rahl, Riedel, Gurlitt und der hochverehrte Cornelius, wurden durch müßige Fremde, die glücklich waren, ein paar Stunden ausgefüllt zu haben, über alle Gebühr geplagt. Man denkt nicht daran, daß dem Künstler die Zeit sein einziges Kapital ist; man berücksichtigt nicht, wie unschätzbar ihm in den kürzeren Tagen des Winters jede helle Stunde wird und daß viele Fremde ihm mit ihrem hohlen Geschwätz, mit ihrem sinnlosen Aburteilen und mit der vornehmen Geringschätzung, in der sie den Künstler oftmals behandeln, Laune und Stimmung verderben. Overbeck allein hatte, sich gegen diesen Mißbrauch seiner Zeit zu bewahren, den Sonntag für den Empfang von Fremden bestimmt; während selbst Cornelius von der Zudringlichkeit der Besucher leiden mußte, weil er zu freundlich war, sich ernst dagegen schützen zu wollen, obgleich er bei seiner großartigen Komposition für das Camposanto in Berlin gewiß einer tiefen innern Sammlung bedurfte.
Diese verschiedenen Elemente, die Reisenden aller Nationen, die Künstler, die Gelehrten und die Kranken, welche in Italien Genuß, Fortbildung und Heilung suchen, bilden, wie die einzelnen Steinchen eines Kaleidoskops den schönen Stern, die bunte Masse der Fremden in Rom, welche großenteils in erhöhter geistiger Spannung leben. Dies macht sich in der Gesellschaft entschieden bemerkbar. Man weiß, daß dieser Kreis von Menschen, der uns lieb geworden ist, sich nach wenig Monaten trennt; man wird manchen werten Bekannten vielleicht niemals wiedersehen! Darum eilt man, in dem flüchtigen Beisammensein soviel voneinander zu erfahren, einander soviel zu geben als möglich. Man lebt wie ein kräftiger, genußfreudiger Mensch, dessen Lebensstunden gezählt sind.
Ich glaube, daß diese geselligen Einwirkungen von den Ärzten viel zuwenig berechnet werden, wenn sie Nervenkranke zur Herstellung nach Italien schicken. Der Süden versetzt die Phantasie in eine ungeahnte Wunderwelt; die Kunstanschauungen, die Blicke in die Vergangenheit regen die ganze Tätigkeit der Seele an; und so ruhig und abgeschieden man nach mehrjährigem Aufenthalte in Rom zu leben vermag, so aufregend und angreifend ist es im ersten Jahre für den Fremden, der mit offener, tätiger Seele und leidendem Körper dorthin kommt.
Für den Gesunden freilich ist Rom ein Aufenthalt, mit dem sich selbst in Italien kein anderer vergleichen läßt.