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San Giuseppe ist der Feiertag des Pflegevaters von dem Heilande, und man verehrt diesen heiligen Joseph sehr. Die Italiener sagen nämlich in ihrem folgerechten katholischen Heidentum: wenn Gottvater sich einen Stellvertreter (un padre putativo) auswählte, der ihn auf Erden bei seinem Sohne ersetzen sollte, so wird er dazu gewiß den besten Mann erkoren haben; folglich ist der heilige Joseph der beste Mann, und man kann ihn nicht genug verehren.
Sankt Joseph gilt aber auch sehr viel bei dem dankbaren Heilande. Als Sankt Joseph, so erzählt Alexander Dumas es im »Corricolo« einem Kapuzinerprediger nach, einmal die Aufnahme eines Banditen in das Paradies verlangte, der ihn immer als seinen Schutzpatron heiliggehalten hatte, glaubte Gott, diesem Ausbund aller Schlechtigkeit den Eintritt versagen zu müssen, und billigte gegen Giuseppes Einwendungen das Verhalten Sankt Peters, der vor ihm die Türe zugeschlossen hatte. Giuseppe, auf das empfindlichste in seiner Ehre gekränkt, erklärte, unter diesen Verhältnissen nicht länger im Himmel wohnen zu wollen, und wanderte aus. Als wackrer Familienvater nahm er Frau und Sohn mit sich, die denn auch, da die Madonna das Muster einer demütigen Gattin und Jesus das Ideal eines folgsamen Sohnes sind, keinen Augenblick anstanden, dem Vater und Gatten in das freiwillig gewählte Exil zu folgen. Die Madonna befahl ihrem Hofstaat, den elftausend Jungfrauen und allen weiblichen Heiligen, mitzukommen; dem Heiland folgten die Apostel und Märtyrer, so daß plötzlich Gott sich ziemlich verlassen in seinem Himmel befand. Er mußte endlich, da Petrus sein Amt niederlegte, selbst den Türhüter machen und begriff, daß er diese Einsamkeit nicht ertragen könne, daß er vor Langeweile in dieser ewigen Seligkeit sterben würde. Er fing also an, mit San Giuseppe zu kapitulieren und zu unterhandeln. San Giuseppe solle bleiben und der Bandit nach zehn Jahren Fegefeuer erlöset werden. Aber San Giuseppe kannte seine Macht und seinen Vorteil bereits. Er gab nicht nach, verlangte unbedingte und augenblickliche Aufnahme für seinen geliebten Banditen, und da selbst Gott die Langeweile für das größte Unglück hielt, so fügte er sich. Der Bandit kam in das Paradies, San Giuseppe kehrte mit seiner Familie und deren Anhang in den Himmel zurück, und dieser Fall bewies nach jenes Kapuziners Erklärung ganz unzweifelhaft, daß San Giuseppe der vornehmste Heilige sei.
Zu Ehren eines solchen muß das italienische Volk froh sein und sich gütlich tun. Es ist ein kindliches Wesen in den Südländern, sie sind materiell, aber ihr Materialismus ist harmlos und poetisch. Daß Enthaltsamkeit in körperlichen Genüssen Tugend sei, lehrt die Kirche für diejenigen, welche eben wie die Mönche und Nonnen sich einer ganz besondern Heiligkeit befleißigen wollen. Wer auf möglichst kurzem Wege in den Himmel zu kommen wünscht, der muß den Erdenfreuden entsagen; wem es aber auf eine kleine Zwischenstation im Purgatorium nicht ankommt, der mag sich an die Erde halten und diese genießen in ihrer ganzen Schönheit. Darin unterscheidet der starre Protestantismus sich auch wesentlich vom Katholizismus. Dieser sagt: die Erdenfreuden sind schön und erlaubt, aber es gibt eine größere, himmlische Seligkeit, die man erkaufen kann, indem man das Erdenleben opfert. Der Protestantismus dagegen erklärt die Freuden des Diesseits an und für sich als sündhaft. Er gibt von Gott die Vorstellung eines liebenden Vaters, der seine Kinder in einen fruchtreichen Garten verstößt, wo sie mitten unter den lockendsten Versuchungen nichts genießen dürfen, weil alle Früchte trotz ihres schönen Ansehens giftig sind und wo nur der Hungertod aus Entsagung vor ewigem Verderben rettet. Das ist aber die barbarischste Welt- und Gottanschauung, welche gedacht werden kann, und nur der Norden, in dem der Protestantismus entstand, konnte sie in ihrer puritanischen Strenge erzeugen.
Ich denke mir immer, diese Entsagungstheorie sei eine weise Polizeimaßregel des Nordens. Es ist gescheit, dem Volke dort Entsagung zu predigen, denn das Volk hat keine Genüsse, keine Freuden, und man schafft ihm keine. Wie Christus aber mitten in dem zauberhaften Naturreichtum des Orients unmöglich Askese predigen konnte, das begreift man erst im Süden. Es ist gewiß ein vollständiges Mißverstehen, diese Entsagungstheorie im Christentume zu finden. Auch wird das Entbehrungsprinzip, je höher gen Norden, je ausgebildeter aus notwendiger Hungerleiderei. Mir fällt dabei immer ein Mann ein, der, wenn er von der Unliebenswürdigkeit seiner Frau sprach, zu sagen pflegte: »Ihr wißt ja, meine Freunde, wie die Frauen sind!« Er machte sich aus seinem ganz besondern Unglück eine allgemeine Theorie. So bilden sie auch im Norden, wo sie weder Sonnenschein noch Fülle der Vegetation, wo sie gar wenig Lebensgenuß haben, sich eine Theorie aus ihrer Not und sagen: der Mensch muß entbehren! Aus Mangel an Diesseits vertröstet man sich auf das Jenseits.
In Italien hat man das nicht nötig, und niemand denkt daran, es zu tun. Man brauchte nur am Tage des San Giuseppe durch die Straßen zu gehen, um sich zu überzeugen, wie das Volk die Erdenfreuden genießt. Schon am Vorabend des Festes wurden an allen Straßenecken, auf allen Plätzen Tische aufgeschlagen, Stangen mit Zelttüchern darübergebreitet, blühende Lorbeerbäume davor aufgepflanzt. Man sah an den hoffnungsreichen Gesichtern der Jugend, die sich davor versammelte, daß an diesen Tischen sich die Freuden des kommenden Festes entwickeln würden. Und so war es auch. San Giuseppe liebte vermutlich als Ideal eines echten Familienvaters und Hausherrn eine gute, reichbesetzte Tafel; deshalb ist er der Patron alles Gebackenen, der Fritti; und Fritti werden an diesem Tage überall in den Straßen bereitet und verzehrt.
Mich hat es immer mit wahrer Freude erfüllt, zu sehen, wie sich das Volk hier auf die bequemste, reinlichste und billigste Weise ernährt. Wenn wir theoretisch von kommunistischen Einrichtungen sprechen hören, nach denen das Volk aus einer gemeinsamen Küche gespeist werden und dadurch alles billiger und besser haben solle, als die einzelne Familie es sich zu schaffen vermag, so scheint uns dies etwas Fernes, Erdachtes, schwer Ausführbares. Hier besteht es, aus der Volksgewohnheit hervorgegangen, in erfreulichster Zweckmäßigkeit. Kein Arbeiter, keine Handwerkerfamilie kocht in ihrer Behausung. In jeder Straße ist ein Friggitore vorhanden, der unter freiem Himmel auf eisernem Ofen alle Speisen zubereitet, von denen seine Kunden sich ernähren. So erspart der Arbeiter die Zeit, welche die Besorgung ihn kosten würde, erspart die Feuerung und kann sich für diese doppelte Ersparnis ein besseres Mahl verschaffen, von dessen Reinlichkeit er überzeugt sein darf, da es vor seinen Augen bereitet wird. Diese Einrichtung bedingt aber auch die Art von Speisen. Rindfleisch, Suppen und alle jene Dinge, welche eines mehrstündigen Kochens bedürfen, fallen natürlich fort. Die Nahrung der niedern Stände besteht aus abgesottenen Gemüsen, die, weil sie hier saftig und aromatisch sind, keiner Zutat bedürfen; aus Eiern, Fleisch, Makkaroni, Seefischen, Schaltieren und Fröschen, welche in Fett oder Öl vortrefflich geröstet werden. Dazu kommt der billige, vortreffliche Landwein, gutes Weiß- oder Schwarzbrot – denn man findet beides –, Ricotta, ein aus Ziegenmilch bereiteter Quark, der billig und äußerst wohlschmeckend die Stelle der Butter vertritt, nebst vortrefflichem Käse; und es ist somit eine Fülle von Nahrungsmitteln vorhanden, aus denen selbst ein Feinschmecker sich ein gutes Mahl zu wählen vermöchte.
Als wir am Morgen von San Giuseppe die Straße der Due Macelli entlang durch Via del Tritone nach der Piazza Barberini schlenderten, gingen wir auf dieser kurzen Strecke an fünf Friggitoren vorüber. Das Bild des Heiligen sah zwischen den Lorbeerzweigen unter der weißen Umzeltung hervor. Der weiß überdeckte Tisch trug in reinlichem Geschirr große Puddings von gesottenem Reis, aus denen als Zierat rote Levkojen herauswuchsen. Alle möglichen Sorten von Gemüsen, von Fischen und von Mehlbackwerk, in Öl braun geröstet, standen daneben. Massen von vortrefflichem Fett, in feste Form gebracht, ließen auf die Menge der Fritturen schließen, die man im Laufe des Tages noch zu machen gedachte, und die Köche in weißem Pantalon und weißer Jacke arbeiteten mit einem Eifer, als gelte es, nicht nur die Römer, sondern die ganze Welt mit Fritti zu versorgen. Der Anblick war erfreulicher und interessanter als die Zurüstungen zu einem Feste, bei dem Könige und Fürsten die Helden sind.
Die Straßen glänzten in vollster Feiertagsruhe. Minenten, die jungen Stutzer der Volksklasse, standen vor den Tischen und Bratöfen der Friggitoren. Sie sehen schön aus, diese schlanken, römischen Burschen, in der hoch hinaufgehenden Hose, die eng um das Knie schließt und dann weit und los auf den Fuß hinabfällt. Statt des Tragbandes hält eine farbige Schärpe das Beinkleid um die Hüften fest; die kurze schwarze oder teegrüne Jacke von Halbsammet sitzt leicht und luftig über dem weißen Hemde oder hängt in warmen Tagen wie ein Dolman von der Schulter herab. Ein kleiner, grauer Filzhut schützt den Kopf, und fast nie fehlt die Zigarre im Munde. Sie haben ein ungemein keckes, jugendliches Aussehen, diese Minenten, und ich habe den Morgen mich an der großen Zahl wahrhaft schöner Gesichter erfreut, die unter ihrem reichen, schwarzen Lockenhaar lebensvoll und heiter in die Welt sahen. Bei uns im Norden, wo die arbeitenden Klassen sowenig Feiertage haben, weil nur mit fleißigster Benutzung der Zeit, mit Anspannung aller Kräfte die Lebensnotdurft zu erringen ist, bei uns wird auch der Feiertag für das Volk zu einer Arbeit, weil es sich nun durchaus ein Vergnügen, ein »Extra-Amüsement« antun muß. Das hat der Italiener, dem sein gesegnetes Land viel Feiertage erlaubt, gar nicht nötig. Er kann wie der Reichste bei uns einen seiner Feiertage im dolce far niente verträumen, denn es kommt bald ein andrer, wenn er diesen einen auch ohne besonderes Vergnügen verlor. Das gibt ihm ein behagliches Sichgehenlassen, eine sichre, vornehme Ruhe im Müßiggang, die seine Erscheinung heiter macht und ihn von dem Nordländer wesentlich unterscheidet.
Mitten unter den römischen Minenten stand hie und dort ein Bürgermädchen, ebenfalls Minente genannt. Die Minente hat die Nationalkleidung abgelegt. Sie trägt das Kostüm, das auch bei uns die Mädchen der arbeitenden Klasse tragen, jedoch ein wenig nach dem Klima eingerichtet. Im Winter, wo man es kalt in den Zimmern hat und so warm in den Straßen, daß man des Mantels nicht bedarf, tragen sie durchgehende Oberröcke von verschiedenfarbigem, grobem Flanell, die hoch hinaufgehen zum Halse und Rücken und Büste, da das Leibchen ganz ohne Falten ist, in ihrer vollen Schönheit zeigen. Ein großer, rund den Hinterkopf einschließender Kamm von Metall, sei es Messing, Silber oder Gold, der spicciatoro, das eigentliche Wappen der Minente, hält die leicht herabhängenden schwarzen Haarflechten zusammen. Im Sommer kommt ein faltiger Rock ohne Taille an die Stelle des Überrockes; und ein grobes, sehr krauses Hemde, hoch über die Brust hinaufgehend, mit langen Ärmeln und klar genähten Reifen, verhüllt allein Rücken und Brust.
Die schönsten Mädchen sind die Trasteverinerinnen. Es ist eine Lust, ein solches Mädchen in seiner prächtigen Frische neben einem kräftigen Burschen von der Lungara zu sehen. Sie leuchten vor Jugend, Leben und Daseinsglück.
Je weiter wir uns von den Stadtteilen am Fuße des Monte Pincio entfernten, in denen die Fremden wohnen, desto mehr nahm das fröhliche Treiben in den Straßen vor den Buden der Friggitori zu. Jenseits des Quirinals, dicht an dem Forum des Nerva, stand ebenfalls eine solche Bude, vor der es so fröhlich herging und in der es so appetitlich aussah, daß wir es uns nicht versagen mochten, von den Herrlichkeiten zu kosten, die dort bereitet wurden. Für einen Bajocho, nicht ganz einen halben Groschen, gab man uns zwei Fritti, die vollkommen dem sogenannten »Auflauf« gleichkamen und so wohlschmeckend waren, als sie der beste Koch nur zu bereiten vermag. Wenn wir, die Fremden, für einen Bajocho zwei Backwerke erhielten, so bekommt das Volk sicher das Doppelte, denn die ersten Lebensmittel sind hier fast immer sehr billig und erleiden nicht wie bei uns durch den langen unfruchtbaren Winter eine wesentliche Steigerung des Preises, da hier die Vegetation fast nie aufhört, produktiv zu sein.
Am Bogen des Septimus Severus, unterhalb des Kapitols, traten wir auf das Forum hinaus und wanderten die Via Sacra entlang durch die Bogen des Titus und des Konstantin, am Friedenstempel und am Colosseum vorüber die Straße hinab, über die sich zur Rechten die Ruinen der Kaiserpaläste hinziehen, während links sich der Giardino Gregoriano, ein öffentlicher Garten, ausbreitet. Wir setzten uns auf Steinen vor demselben nieder.
Einzelne Geistliche spazierten im Garten umher, in dem die Bäume ihre frühlingsgrünen Blätter flüsternd im Hauche des Morgenwindes bewegten. Ernsthaft sahen die riesigen Ruinen der Kaiserpaläste auf die Straße hinab, eine Schar von Minenten begleitete dort ein heiteres Spiel mit jubelnden Freudenausbrüchen. Sie spielten Ruzzica, und zwar dem Feste zu Ehren mit Käsen statt der wirklichen Ruzzica.
Die Ruzzica ist eine Schleuder, die, wie ein Kreisel mit einer Schnur bewickelt, mittels eines Knebels an die linke Hand befestigt und mit dieser geworfen wird. Heute vertraten die festen, großen Käse die Stelle der eigentlichen Schleudern, und der weiteste Wurf trug als Sieg den geworfenen Käse davon. Es soll viel Kraft und Geschicklichkeit zum Handhaben der Ruzzica und namentlich dieses mehrere Pfund schweren Käses gehören. Die Minenten aber entwickelten große Sicherheit und die schönsten Stellungen dabei, so daß es uns lange unterhielt, ihrem Spiele zuzusehen.
Eine Strecke weiter hinab, entfernt von den Erwachsenen, trieben Knaben dasselbe Spiel mit der hölzernen Schleuder. Überall Frohsinn bei anständigster Haltung. Mir ist in den sieben Monaten, die ich in Rom verlebte, nur ein einzig Mal ein Betrunkener vorgekommen, und es muß wohl ein seltenes Ereignis sein, weil das Volk einen förmlichen Aufzug daraus machte. Es war ein Lehrling, der infolge seiner Unmäßigkeit den Anfang der Arbeitszeit verschlafen hatte. Zwei Männer führten ihn unter den Armen, ein dritter hielt ihm, obgleich das Wetter vollkommen hell war, einen zerrissenen Regenschirm über den Kopf. Man trug eine Klingel vor ihm her, die unablässig in Bewegung erhalten wurde, und Scharen lärmender Buben folgten.
Am Feste von San Giuseppe, wo es auf eigentlichen materiellen Genuß abgesehen war, sah ich im Laufe des ganzen Tages, und ich war noch am späten Abend auf der Straße, überall Leute, welche aßen, tranken und sich es wohl sein ließen, aber nirgend eine Spur von Völlerei. Heiter wie am Morgen standen die Leute abends vor den Öfen der Friggitori, und Rom war fast illuminiert durch die helle Beleuchtung dieser beweglichen Küchen.
Man konnte recht ruhig sein Abendbrot verzehren und sich ruhig niederlegen, denn hungrig ging an diesem Abende wohl kaum ein Römer zu Bette. Hier konnte man es empfinden lernen, wenn man überhaupt ein Herz für seine Mitmenschen hat, welch ein beseligendes Glück in einem Zustande der Gesellschaft liegen müßte, in dem für die notwendigen Bedürfnisse des einzelnen gehörig gesorgt wäre; und mir ist Rom, ganz abgesehen von seiner Erhabenheit und Schönheit, schon darum so wert geworden, weil das Volk dort viel glücklicher, viel mehr genießend erscheint als in unserer ärmeren Heimat.