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Das Betteln ist ein Monopol in Rom, das man aber weniger streng überwacht als das Tabaksregal der Regierung.
»Sono privilegiato! – Ich habe ein Privilegium«, sagten mir alte Männer, welche ein Messingschild auf der Brust trugen, wie in Preußen die Gerichtsboten, und unter dieser Ägide die Mildtätigkeit ansprachen. Man begegnet diesen Privilegierten überall, und sie sind nicht so stationär wie die Bettler des Monte Pincio und der Spanischen Treppe, lauter unglückliche Krüppel und Mißgeburten, welche von der Hälfte der Spanischen Treppe aufwärts bis zur Französischen Akademie in immer gleichen Gruppen dasitzen und dem Fremden ihr »Date qualche cosa al vostro povero estroppiato!« (Geben Sie Ihrem armen Krüppel etwas!) entgegenrufen.
Dies und die Worte der bettelnden Kinder: »Mi mojo di fame« (Ich sterbe vor Hunger), wobei sie die fünf zusammengelegten Finger der rechten Hand mehrmals hastig zum geöffneten Munde führen, sind zwei stereotype Redensarten, die jeder in Italien tausendfältig zu hören bekommt.
Obgleich das milde Klima und die große Wohlfeilheit vieler Lebensmittel der Armut einen Teil ihrer Schrecken, dem Bettler einen Teil seiner Jammererscheinung nehmen, ist das Volk im allgemeinen doch immer bereit, der Bitte des Armen zu willfahren. Mit dem kläglichsten Ausdruck in dem oft blühenden Gesichte, eine Orange in der einen, ein Stück Brot in der andern Hand, habe ich Kinder das »Mi mojo di fame!« rufen hören, und doch hat man ihnen einen Bajocho gegeben, ohne Ermahnungen zur Arbeit daran zu knüpfen. Nur die Geistlichkeit, die Mönche und Abbate schütteln bedächtig den Kopf, machen eine abwehrende Bewegung mit der Hand und sagen ein salbungsvolles »Dio vi proveda!« (Gott sorge für euch!). Dies ist ganz logisch, wenn sie bedenken, wie wundervoll der Himmel für sie selbst sorgt, die auch nicht arbeiten und es doch bei gesunden Gliedmaßen recht wohl könnten.
Mürrische, den Hartherzigen verfluchende Bettler, wie man ihnen bei uns begegnet, habe ich in Italien nicht gesehen. Da sich die meisten an bestimmten Punkten aufhalten, kommen diejenigen, welche diese Punkte vorzugsweise besuchen, bald in ein ganz vertrauliches Verhältnis mit ihnen. Mitten auf der Spanischen Treppe fand man immer einen wohlgenährten Mann, der keine Beine hatte und sich auf den Händen mit großer Schnelligkeit fortbewegte. Er galt für reich, sollte im Laufe der letzten Zeit einer Tochter ein Haus in Trastevere als Mitgift geschenkt haben und das Haupt der Bettler vom Monte Pincio sein. Morgens und abends ritt er auf einem Esel von und nach seiner Wohnung, den ihm ein wohlgekleideter Knabe führte. Man behauptete, alle Bettler dieser Station ständen als Unterbeamte, denen er ein bestimmtes Gehalt zahle, in seinen Diensten. Ich glaube dies gern, da ich oft am Abend, wenn er schon seinen Esel bestiegen hatte, die ganze Schar mit ihren Blechbüchsen um ihn versammelt sah, eifrig sprechend und gestikulierend.
»Geben Sie Ihrem armen Blinden etwas! – »Ich habe nichts.« – »Aber morgen, Signor! Morgen werden Sie etwas haben! Morgen werden Sie Ihrem armen Blinden etwas geben!« – Den nächsten Tag dieselbe Bitte. Der Blinde kennt die einzelnen Fremden an Tritt und Stimme. »Sie haben mir schon lange nichts gegeben! Sie haben mir etwas verheißen! Das Wetter ist schön, Signor! Ich kann's nicht sehen!« Und die kleine Gabe wird gegeben, und man schämt sich, daß man sich darum erst bitten ließ.
Jeder dieser Bettler betrachtet das Terrain, auf dem er sein Gewerbe treibt, als eine Domäne, auf die kein anderer Ansprüche hat; und einmal sah ich zwei alte Männer im heftigsten Streit an den Quattro Fontane, weil der eine, ein Bettler vom Spanischen Platze, dem Besitzer des Postens an Quattro Fontane ins Gehege gekommen war.
Außer den Krüppeln betteln auch die Ciuciarenfamilien, welche auf der Spanischen Treppe sitzen, vom Großvater herab bis zu dem Säugling, größtenteils schöne, kräftige Menschen, die Modelle der Maler. Sie sind aus der Campagna, tragen das Kostüm des Landvolkes, und der Fremde gibt ihnen seinen Bajocho, weil sie so schön sind, namentlich die Kinder.
Neben diesen Bettlern, und bisweilen von ihnen ernährt, leben auf dem Pincio Scharen von herrenlosen Hunden; Tiere von den gemischtesten Rassen, die kein Obdach haben, um die sich niemand kümmert und die ihr Leben fristen, wie es geht. Einige davon laufen jeden Mittag nach dem Lepre, wo sie mit dem Abhub der Tafel gefüttert werden; andere kommen zu bestimmten Stunden an bestimmte Wohnungen und Ateliers, wo man ihnen ein paar Brocken zuwirft, und abends sieht man ganze Züge über die Passeggiata laufen, wenn sie sich in ihre Schlupfwinkel und Höhlen zurückziehen. Niemand denkt daran, daß sie wasserscheu werden könnten, daß sie getötet werden müßten. Sie genießen die Freiheit der Wildnis mitten in einer zivilisierten Stadt.
Der schönste Bettler in Rom war ein Knabe, den wir immer an der Fontäne vor dem kleinen Vestatempel trafen und der uns jedesmal anbot, uns den Vestatempel, den Tempel der Fortunae Virilis und das Haus des Pilatus zu zeigen, welches auch das Haus des Cola Rienzi sei. Einer meiner Begleiter hatte ihm mehrmals gesagt, daß wir das alles wüßten; und da der Knabe trotzdem nicht fortging und unablässig einen Bajocho forderte, drohte er ihm mit dem Stocke.
»Ach was Stock!« rief der Junge. »Sehen Sie das schöne Wetter und den schönen Tempel, geben Sie mir einen schönen Bajocho!«
Als er mich darüber lachen sah, merkte er, daß er wohl nichts zu fürchten habe, und nun begann ein blitzschnelles, possenhaftes Geplauder, aus dem immer wieder der Refrain hervorklang: »Sehen Sie, schöne Signora, das schöne Wetter und den schönen Tempel; der Herr will mir seinen schönen Stock geben, geben Sie mir einen schönen Bajocho.«
»Gut!« sagte mein Begleiter, »du sollst den Bajocho haben, aber erst erkläre vernünftig, was es mit diesem Hause hier für eine Bewandtnis hat. Du sagst, es sei das Haus des Pilatus.«
»Ja! Signor.«
»Aber du hast es ja auch das Haus des Rienzi genannt?«
»Ja! Signor.«
»Nun, wie kann es denn dem Rienzi gehört haben, wenn es des Pilatus war?«
»Nun Signor! der Rienzi wird es vom Pilatus gemietet haben!« rief der Junge mit solcher Schelmerei, daß diese allein die paar Bajochi wert war, welche er denn auch erhielt.
So gibt es in Italien Bettler von den verschiedensten Privilegien. Die vornehmsten sind die Bettelmönche, die ihr Privileg von Gott zu haben behaupten, dafür einen Eid der Armut leisten und, da sie doch essen und trinken, sich kleiden und ein Obdach haben wollen, aus Pflichterfüllung betteln müssen. Dann kommen die von der Regierung privilegierten Bettler, welche immer alte, kranke, arbeitsunfähige Leute sind und Anspruch auf die Milde der Gesunden, Arbeitsfähigen haben. Darauf folgen die unprivilegierten Krüppel, denen aber die Natur mit der mangelhaften Gestalt das wahre Privilegium gab, auf fremde Hilfe zu rechnen; und den Schluß machen die Bettler, welche nicht Arbeit fanden in der schlecht eingerichteten Gesellschaft oder welche nicht arbeiten wollen. Diese letztern sind es, gegen die sich die Erbitterung der Fremden richtet. Man nennt sie faul, unverschämt, man weigert ihnen die Gabe, man droht ihnen mit Schlägen – und warum? Weil sie nicht geschworen haben, nichts zu tun und zu betteln, sondern dies ohne Eid tun.
Ich habe nie begreifen können, warum nicht alle Bettler in Rom Bettelmönche werden. Das Bettelgelübde würden sie halten so gut als die andern; und die übrigen Gelübde? – mit denen würden sie auch ebensogut fertig werden als die Mönche.