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Wenn man zuerst die Peterskirche vom Anfang des Petersplatzes erblickt, wie sie daliegt zwischen den runden Säulengängen, in deren Mitte, zu beiden Seiten des Obelisken, die wundervollen Fontänen ihre Wassermassen in die Luft schleudern; wenn man hineintritt durch die luftige Vorhalle in Sankt Peters prächtigen Dom, so ist man geblendet, entzückt von der Schönheit und Pracht, aber es scheint fast jedem, als sei der Bericht von der kolossalen Größe des Baues übertrieben. Ebenso erging es mir mit dem ganzen Eindruck, den mir Rom machte. Es ist, wie die Peterskirche, so durchweg gleichmäßig in all seinen kolossalen Bestandteilen, daß nichts als klein oder besonders groß erscheint, und grade die Großheit des Ganzen bringt eine Harmonie hervor, in der das einzelne kaum noch in seiner Riesenhaftigkeit bemerkbar wird.
Die ersten Tage in Rom waren mir nicht erfreulich; ich geriet durch die verschiedenen neuen Anschauungen, durch übertroffene und unbefriedigte Voraussetzungen in einen Zustand peinlicher Unruhe. Die Piazza del Popolo, dieser weite, schöne Platz, die Peterskirche erschienen mir klein, der Corso eng und finster. Die verfallenen Gebäude, die altersgrauen Paläste, die modernen Kaffeehäuser, die Viktualienhändler in den Straßen, die Osterien (Weinkneipen), neben denen antike Prachtgebäude halbverschüttet aus der Erde hervorragen, und diese aus eleganten Fremden, Mönchen und italienischem Volke gemischte Menschenmenge gaben mir so viel verschiedene Bilder, daß ich sie nicht in eines zu fassen vermochte und mich ganz zersplittert und zerrissen fühlte.
Dazu kam, daß jeder der Bekannten, die ich vorfand, andere Ansichten, andere Pläne für die Beschauung von Rom hatte, daß jeder eine bestimmte Liebhaberei hegte, der eine für Sankt Peter, der andre für das Colosseum, der dritte für die Aussicht von Acqua Paola herab, und daß ich deshalb alles zugleich sehen sollte. Dies ist ein Martyrium, wogegen es nur ein Mittel gibt – gar nichts besehen zu gehen und dem Zufall die Anordnung der Reihenfolge von Bildern, welche uns werden sollen, mit gläubigem Fatalismus zu überlassen.
An der Piazza del Popolo, über der sich die Passeggiata befindet, die von Napoleon auf dem terrassierten Monte Pincio angelegte Promenade, begannen wir unsern ersten größern Weg durch die Stadt. Von der Piazza del Popolo laufen strahlenförmig drei Straßen aus; rechts die Ripetta, welche sich an der Tiber hinzieht; in der Mitte der Corso, am Venezianischen Palaste endigend, und zur Linken die Via del Babuino, die nach dem Spanischen Platze führt. Die Piazza del Popolo ist der erste Platz, welchen der von Norden kommende Fremde betritt, wenn er durch die Porta del Popolo seinen Einzug in Rom gehalten hat. Gleich an der linken Seite des Tores liegt die Kirche von Santa Maria del Popolo, in der einst Martin Luther gepredigt hat.
Der Corso ist eine lange, nicht breite Straße, welche mich immer an die Königsstraße in Berlin erinnerte. Hohe Häuser mit Fenstertüren, die teils auf Balkons gehen, teils nur wie Balkons vergittert sind; Magazine und Läden aller Art im Erdgeschosse über einem nicht breiten, nur mäßig erhöhten Trottoir, das sonst keine Straße Roms besitzt, machen die Unterscheidungszeichen des Corso. Von dem Luxus der Schaufenster an den Magazinen, von den glänzenden Cafés der Städte Oberitaliens ist hier nicht die Rede. Nur auf dem Spanischen Platze ist das Café Nazari einigermaßen mit jenen zu vergleichen, und später ward das große Café Ruspoli im Corso neu eingerichtet und reicher ausgestattet; indes habe ich diese auch nie so stark von Damen besucht gesehen als die Cafés in Mailand, Florenz oder Venedig.
Zur rechten Seite, in der Mitte des Corso etwa, liegt die Piazza Colonna, auf der die Säule des Antonin sich majestätisch erhebt. Sie trägt jetzt über den Marmorreliefs, mit denen sie von unten bis oben bekleidet ist, einen Apostel, der freilich ein wenig wunderlich darauf erscheint. Geht man den Corso zu Ende, so kommt man auf den Venezianischen Platz, auf dem der Venezianische Palast, ein selbst für Rom riesenhaftes Gebäude, sich befindet, das gegenwärtig die östreichische Gesandtschaft innehat. Zur Linken abbiegend, gelangt man nach kurzer Zeit auf einen großen Marktplatz, dessen Mitte ein eisernes Gitter umschließt, aus dem die Säule des Trajan, das Seitenstück zur Antoninssäule, hervorragt. Ich sage hervorragt, denn das Forum Trajanum, welches von dem Gitter umgrenzt wird, liegt wohl zwölf Fuß tief unter der jetzigen Höhe der Straße, und man sieht auf die Quadern des alten Pflasters, auf die halbzerbrochenen Säulen, auf verstümmelte Statuen und leere Postamente wie auf das Becken eines tiefen Springbrunnens herab.
Hier nähert man sich dem antiken Rom, es ist gleichsam die Vorhalle davon, und man erblickt dies am schönsten, wenn man von dem Kapitole hinabschreitet, am Kloster von Aracoeli vorbei nach dem Forum Romanum, wo sich urplötzlich die gewaltige Vergangenheit vor unsern Augen, uns überwältigend, erschließt.
Da stehen in mäßigen Entfernungen die Triumphbogen des Septimius Severus, des Titus und des Konstantin, geschmückt mit den stolzen Inschriften, welche diese siegreichen Kaiser zu Göttern erheben. Die gefangenen Sklaven, die schmerzdurchwühlten, schweigend duldenden Barbarenkönige; die unglücklichen, vertriebenen Juden, die Zieraten ihres zu Jerusalem zerstörten Tempels, den siebenarmigen Leuchter und den Tisch der Schaubrote tragend, sie alle blicken noch von diesen Denkmalen hernieder in jener Demütigung, in der die Hand des Künstlers sie festbannte zu ewigem Bestehen. Die Säulen des Konkordientempels, die schönen Trümmer der Kaiserpaläste, die hohen Hallen des Friedenstempels stehen in ernster Majestät und fordern auf, das Große zu leisten, wenn man sieht, wie es, dem Sturm von Jahrtausenden trotzend, Kunde gibt von dem starken Wollen der Vergangenheit.
Mitten in dem Tempel, der dem göttlichen Antonin und der göttlichen Faustina gewidmet ist, wie eine Inschrift auf dem Architrave besagt, liegt eine Kirche des heiligen Lorenzo. In den drei Riesenhallen des Friedenstempels spielen junge Römer ihr fröhliches Ballspiel, und fleißige Steinschleifer arbeiten darin. Die Via Sacra entlang, die Straße der Triumphatoren, treiben rüstige Seiler ihr Gewerbe; ein Mönchskloster stößt nahe an den zierlichen Tempel der Venus und Roma; und an den Kaiserpalästen vorüberschreitend, erblickt man als Schlußstein des Ganzen vor sich das Colosseum in seiner beinahe unerfaßbaren Größe.
Aber nur zu flüchtigem Anschauen sind wir gekommen. Durch enge Gassen, in denen ein von dem Treiben der vornehmen Fremden sehr verschiedenes Volksleben sich bewegt, gelangen wir nach dem Monte Cavallo, wo wieder andere Denkmale der Vergangenheit und andere Bilder unsere Teilnahme fordern.
Das Schweigen auf diesem Platze ist trauriger als das auf dem Forum Romanum, wo die Trümmer von jungem Laube und frischem Grün umrankt sind und das fröhliche Volksleben sich erheiternd geltend macht. Die immerwerdende Natur schmückt die zerfallende Vergangenheit mit jugendlicher Schöne; die grünumrankten Ruinen erschrecken uns sowenig, als uns die Altersspuren in dem Antlitz eine Greisin stören, die zwischen ihren rüstigen Töchtern und blühenden Enkeln einherschreitet. Vögel singen in den Baumgipfeln des Forums, Schmetterlinge flattern zwischen dem Efeu, der sich malerisch um die Wände des Colosseums schlingt, und Goldlack und Federnelken nicken duftig hernieder.
Auf dem Monte Cavallo aber ist es still und traurig. Dort liegt die Sommerresidenz des Papstes, das Quirinal. Schweizer in mittelalterlicher Tracht bewachen die Türen. Einsam neben dem Obelisken stehen die schönen Dioskuren des Phidias und Praxiteles da, die Göttergestalten, drohend erhoben gegen die sich bäumenden Rosse, Bilder des geistigen Wollens, das die tierische Kraft besiegt; und plätschernd fällt das Wasser der Fontäne in die prächtige Granitschale, von der es überströmend in reicher Fülle herniederrauscht. Selten sieht man auf Monte Cavallo ein fröhliches Regen der Jetztzeit. Einsame Mönche gehen scheuen Blickes hier die einsame Straße; Zöglinge der Seminare in den gleichfarbigen Soutanen ihrer Klasse werden paarweise vorübergeführt, sich in den französischen Gärten des Quirinal von dem engen Stubenleben zu erholen; aus dem gepflasterten Boden wächst reichlich das Gras hervor, und mit Wehmut sieht man hernieder auf die Stadt, an deren Ende Sankt Peter sichtbar wird. Dort unten in dem Vatikan ist die Lösung zu finden für das Rätsel dieses traurigen Schweigens, für die Volkslosigkeit dieser Plätze, für die Schweizerwache, welche hier einsam, die Hellebarde über die Schulter gelegt, ein Fremder, die Paläste des Landesfürsten bewacht.
An den Quattro Fontane vorbei, wo aus den vier Eckhäusern der sich hier kreuzenden Straßen vier Fontänen leise hervorrieseln, die Piazza Barberini, die Via Felice und Via Sistina entlang, in denen die Fremden wohnen, weil hier auf der Höhe des Monte Pincio die Luft am gesündesten ist, gelangt man wieder zurück zu der Promenade des Monte Pincio, schlechtweg die Passeggiata, die Promenade, genannt.
Ein wahrhaft babylonisches Sprachengewirr dringt an unser Ohr. Englisch und deutsch, russisch, französisch und italienisch durcheinander schwatzen die Scharen fröhlicher, bunt und reich herausgeputzter Kinder, welche hier auf einem Teile der Passeggiata, der vor Wagen gesichert ist, ihre verschiedenen Spiele treiben. Puppen und Steckenpferde werden in allen Mundarten der Welt geliebkost und gescholten, und in dem Wesen dieser Menschenknospen, die hier in kindlichem Frieden einträchtig nebeneinander umherspringen und miteinander schäkern, kann man doch leicht die zutraulichen Deutschen, die kleinen spröden, zurückhaltenden Engländer, die springenden, lärmenden Franzosen und die dunkeln, warmen Italiener unterscheiden.
Elegante Equipagen, wilde Reiter, schöne Frauen und Männer ziehen lustwandelnd an uns vorüber, wenn die Sonne im Untergehen ist. Das plaudert und spricht Politik, kokettiert und liebelt, beurteilt die Kunst und schwärmt für die Natur. Wohin man hört und sieht, Leben und Lust.
Und vor uns liegen wieder tief im Hintergrunde des Tales zu unsern Füßen die große Häusermasse des Vatikans, überragt von der Kuppel der Sankt-Peters-Kirche, und die riesige Engelsburg in tiefem Schweigen. Der Monte Mario mit den wundervollen Pinien der Villa Pamfili, die sich wie dunkle Baldachine am Horizonte abzeichnen, schwimmt in dem golddurchleuchteten Abendrot, dessen blaßrosa Wölkchen sich bis hoch zum Zenit des blauen Himmels erheben, daß die Sterne wie zwischen Rosen hervorblitzen; und je tiefer die Sonne sinkt, je glühender werden die Farbentöne, je größer erscheinen die dunkeln Häusermassen und Monumente der Weltstadt zu unsern Füßen.
Die Säulen des Antonin, des Trajan, die Kuppel des Pantheon, der düstere Turm des Nero mit seiner einsamen Pinie ragen zuletzt nur noch allein hervor, wenn die Sonne hinter der Peterskuppel verschwindet und die Italiener, wie von einem Zauber getroffen, die Promenade verlassen.
Allmählich folgen die andere Nationen, denn die Luft soll ungesund sein um Sonnenuntergang. Nur die Deutschen und vornehmlich die Künstler, welche das Tageslicht an ihr Atelier gefesselt, bleiben zurück und genießen des milden Dämmerlichtes, während von allen Kirchen der Stadt das Geläute der Glocken, die Abendruhe verkündend, in leisem Klingen die Luft durchzittert mit dem süßen, lieblichen Ave-Maria!