Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Die Napoleoniden

Weitab von dem lebensvollen Marktplatze Bolognas, durch lange, stille Straßen, in denen nur spärliche Fußgänger unter den Säulenhallen der Häuser einherschreiten und junges Gras zwischen den Steinen des Pflasters hervorsprießt, gelangt man über einen freien, mit mittelalterlichen Denkmalen gezierten Platz vor einen Palast, den Palladios schöpferischer Geist erbaute.

Kein Wiehern mutiger Rosse, keine geschäftige Dienerschaft, kein Laut fröhlichen Lebens in den fürstlichen Hallen, auf den lichten, luftigen Treppen, in den prächtigen Räumen!

An der Pförtnerwohnung begehrten wir Einlaß in den Palazzo Camerata, den Besitz der Gräfin Camerata von Ancona, der Tochter Elisa Bacciocchis, der Nichte des Kaisers.

Der greise Kastellan führte uns die Treppe hinauf und öffnete die Türe eines königlichen Saales. Es war fünf Uhr nachmittags, das Streiflicht der untergehenden Septembersonne fiel in rötlichgelben Strahlen durch die hohen Fenster, deren Vorhänge der Alte zurückzog.

Feierlicher Ernst ruhte über dem Gemach. Wir standen vor den Bildern und Statuen sämtlicher Napoleoniden, wie die Mediceer ein wahres Herrschergeschlecht. Hier sind sie vereint; und die ganze Poesie ihrer Erscheinung, die phänomenal emporblitzte aus dem wilden Chaos der Revolution, das der Kaiser mit Titanenkraft zur Ordnung und Form gestaltete, durchdringt die Seele des Betrachters in diesen Räumen.

An der Wand links vom Eingange hängt das Porträt des Kaisers im Krönungsornat, ähnlich dem Bilde in der Dresdner Galerie, wennschon der Kopf hier geistvoller aufgefaßt ist als dort. Indes der Augenblick der Krönung ist nicht der Moment, den man aus Napoleons Leben vor allen andere festgehalten zu sehen wünscht, es ist nicht seine größte Tat. Man stellt ihn sich vor, wie er, ein junger Held, auf mutigem Rosse die Alpen erklimmt, mit hochgehobenem Schwerte vorwärts deutend auf die Bahn zu unsterblichem Ruhme. Man sieht ihn im Geiste in den Pesthospitälern Ägyptens, vor den Pyramiden, an der Brücke von Arcole oder überall, wo er, ein siegreicher Genius, rasch, in feuriger Siegesgewißheit, kometenartig die Welt durchschreitet. Man denkt ihn sich nur als den gebornen Herrscher, dem in seinem Genius die Natur das Diadem gegeben; nicht als den Fürsten, der sich in feierlichem Akt die Krone aufsetzen läßt, umgeben von jener eitlen Pracht, welche so oft hohle Größe zur Würde stempeln muß.

Rechts vom Bilde des Kaisers sieht man Pauline Borghese, auf einem roten Sammetsessel von antiker Form, vor einem Vorhange von dunkelgrünem Sammet. Sie ist dem Kaiser sehr ähnlich. Ein weißes, goldgesticktes Atlaskleid, dicht unter der Brust von goldenem Gürtel gehalten, umgibt ihren Leib, Arme und Busen sind vollendet schön. Unter dem Diadem der Fürstin fließt ein langer Schleier an der reinen, von schwarzem Gelock umspielten Stirne herab. Aus den langgeschlitzten, gewitterschwülen Augen sieht sie sinnlich schmachtend den Beschauer an, erwärmend und doch kalt, Liebe flehend und doch thronend im Herrscherbewußtsein ihrer Schönheit.

Auf der andern Seite Joseph in französischer Generalsuniform, im Freien, ein Dekret in der Rechten.

Ihm folgt Karoline Bonaparte, die Gemahlin Murats. Sie steht auf der Terrasse eines Gartens. Das Kostüm etwa wie das der Leonore Sanvitale auf dem Bilde von Sohn: ein feuerfarbner Überwurf über weißem Untergewande, feuerfarbne, goldgestickte Schärpe und feuerfarbige Blumen im Haar. Sie ist weniger brünett als Pauline, sieht weniger orientalisch aus als jene und hat auch viel weniger Physiognomie. Ein flacheres, zarteres Gesicht mit blauen Augen und großer Frische, bei reichem, dunklem Haar; die rechte Königin des lebensvollen, blühenden Neapels.

Jérôme steht in weißer Uniform mit hohen Reitstiefeln an einen Baum gelehnt, unter dessen Schatten seine Gemahlin sitzt, eine Prinzeß von Württemberg. Sie ist sehr schön und erscheint mit ihrem deutschen Äußern fremd unter all den italienischen Physiognomien. Die königliche Frau ist der Königin Luise von Preußen zu vergleichen. Sie trägt weißen Atlas, Perlenschmuck und rote Rosen unter einem Schleier. Jérôme, der einzige der Napoleoniden, welcher unbedeutende, kleinlich zusammengedrückte Züge hat, sieht bedientenhaft neben ihr aus.

Louis Bonaparte führt seinen etwa zwölfjährigen Sohn an der Hand. Er zeigt mit der Linken einen Fels hinan, den sie zu ersteigen beginnen, während er sich liebevoll zu dem Knaben wendet, den er mit der Rechten sich nachzieht. Beide sind in militärischer Tracht. Der Knabe hat eine Art ungarischer Husarenkleidung, rotes Beinkleid, blauen Dolman, den Kalpak mit der Reiherfeder in der Hand. Louis gleicht dem Kaiser nur in einzelnen Zügen, der Knabe dagegen ist demselben sprechend ähnlich, ein ganz Bonapartesches Gesicht.

Dann kommt Lätitia in dunkelrotem Sammet mit Goldstickereien, ein Diadem von Brillanten über der Stirne, eine wahre Römerin, die Mutter eines Weltbeherrschers. Sie hat reiches, schwarzes Haar, helle Augen, sehr ausgeprägte Züge und Formen; im Unterteil der Wangen die weiche Fülle, welche man bei ältern Italienerinnen bisweilen findet, aber keine Spur von jenen kleinlichen Falten, die kleinliche Gesinnungen dem Alter einprägen. Das ganze Gesicht ist groß, stolz und frei. Lätitia kennt die Stärke ihres Charakters, sie fühlt ihre Größe; sie findet es natürlich, daß Napoleon, der von ihrem Blute geboren ist, der unter ihrem stolzen Herzen zu leben begann, die Welt beherrscht. Es scheint ihr in der Ordnung, daß all ihre Kinder Könige sind, weil sie und Napoleon jenen so viel von ihren Strahlen zum Leuchten borgen, daß die Planeten erglänzen, als ob sie selbst Fixsterne wären. Sie hat gewiß niemals gedacht: »Mein Sohn hat Ehren auf mein Haupt gehäuft!« Lätitia hat nie eine Gnade empfangen. Sie hat der Welt den Sohn geboren, die ihr für seinen Genius zu danken hat; sie hat Napoleon das Leben gegeben, dafür bleibt er ihr Schuldner, auch wenn er ihr die Herrschaft der Welt zu Füßen legte. Der Ausdruck jener eigenen, ruhigen Machtvollkommenheit, die sich selbst die Krone verleiht, ist über ihre Erscheinung ausgebreitet. Eine wunderbare Frau!

Mitten im Saale befindet sich eine jugendlichere Büste von ihr und eine lebensgroße Statue in der Stellung und Tracht der Agrippina; beide von Canova und beide Darstellungen dem Porträt sehr ähnlich.

Die Wand gegenüber den Porträts des Kaisers und seiner beiden Schwestern nimmt ein großes Bild ein, den Hof zu Lucca vorstellend. Elisa Bacciocchi, Herzogin von Lucca, ihre Tochter neben sich, sitzt auf einem thronartigen Sessel. Ihr Gemahl, in großer Uniform, steht zur Seite und betrachtet Gérard und Canova, welche Mutter und Tochter malen und modellieren. Gérard, im schwarzen Frack, trägt den Orden der Ehrenlegion. Schöne, junge Hofdamen, junge Militärs, Diplomaten und Künstler, alle Porträts, füllen die Seiten und den Hintergrund. Das Bild macht einen ungewöhnlich lebensvollen Eindruck. Alle Gesichter und Figuren sind jugendlich frisch, keine alten, abgelebten Physiognomien; ein wahres Symbol der Napoleonischen Zeit und der Napoleoniden. Sie tauchten fertig auf aus dem Meere des Alls im Frühling einer neuen Weltordnung, blühten ein glühendes Leben, trugen reiche Früchte mancher Art und verschwanden, ohne zu verwelken.

Außer dem bekannten Standbilde des Kaisers von David, einer lieblichen Gruppe von Canova – Elisa mit ihrem Töchterchen in den Armen, das sich an die Mutter schmiegt – und einer anmutigen Statuette desselben Kindes von Bartolini, befindet sich noch eine Reihe von Büsten in der Sammlung. Es sind die sämtlichen Geschwister, die beiden Gemahlinnen des Kaisers, Murat, Hortensie und Eugen; den Vater des Kaisers nicht zu vergessen, der, in jugendlicherem Alter dargestellt, wie ein junger Nero aussieht. Ich hatte aber die Empfindung, dieser Kopf sei erdacht und hingestellt, um die Sammlung zu vervollständigen. Er hat nur eine typische, aber keine persönliche Wahrheit.

Alle Schwestern gleichen Napoleon mehr als die Brüder, von denen Lucian ihm am ähnlichsten sieht. Bei starker Nase ist sein Profil und der Ausdruck des Kopfes männlich schön. Unbedeutend sieht, wie gesagt, nur Jérôme aus, die andern Geschwister alle wie scharfgemeißelte Antiken.

Josephine ist ungemein hübsch, jedoch ohne wirkliche Schönheit. Ein feines, kurzes Näschen und die liebenswürdigsten Züge um Mund und Augen. Hortense fast deutsch in den Formen, im Ausdruck entschiedener und ernster als die Mutter. Eugens Büste gibt das wohltuende Gefühl, das man empfindet, wenn man einem guten Menschen begegnet. Ganz unwillkürlich ruft man aus: »Das war ein edler Mensch!«, sobald man diese edlen Züge, die klare Stirne und den ruhigen Ausdruck dieses Kopfes erblickt.

Murat ist das entschiedenste Gegenbild zu ihm. Das wahre Modell eines schönen, aber rohen Italieners aus dem Volke. Wildes, krauses Haar, wilder Bart, eine große, breite Nase, ein weiter, starklippiger Mund, wie man ihn unschön bei dem Volke in Neapel findet. So wie Murat mag einst Massaniello ausgesehen haben, so sehen noch Hunderte von Marinari aus. Geistreich, kühn, gebietend sogar, und doch roh, fast gemein. Es ist ein ganz andres Blut in ihm als in den vornehmen Napoleoniden. Selbst die Vornehmheit der Frau Jérômes, der württembergischen Prinzeß, reicht in gewisser Art nicht an den Adel der Erscheinung heran, wie er sich in Lätitia, Napoleon und Lucian ausspricht. Es ist der Unterschied des Seelenadels der volksentsprungenen Intelligenz und der durch Jahrhunderte anerzogenen Vornehmheit, die eben in der Entfernung vom Volke, das heißt vom Leben, beruht.

Der Türe zunächst steht die Büste Maria Louises. Sie verdient den Platz in diesem Raume nicht. Alle, die hier im Bilde der Nachwelt aufbewahrt werden, waren groß durch die eigne Seele oder doch mindestens durch die Liebe, die sie in Glück und Leid vereinte. Maria Louise ist die einzige Verräterin in diesem Kreise.

Ich kenne nichts Unwürdigeres als eine Frau, die da, wo sie ein Engel oder ein großes Weib sein müßte, klein und unter dem großen Berufe bleibt, den das Geschick ihr zuerkannte. Der Liebe eines Napoleons wert zu sein ist ein solcher Beruf. Als Napoleon, der Maria Louise geheiratet hatte, um einen Erben seines Namens und seiner Schöpfung zu haben, bei der Entbindung der Kaiserin auf Corvisarts Erklärung, man müsse die Mutter oder das Kind opfern, jenes »Sauvez la mère!« ausrief, hatte er, von seinem Standpunkte aus, ein ewiges Anrecht auf die vollste Liebe seiner Gemahlin erworben; er, dem ein Erbe alles, ein Frauenleben so wenig gelten mußte.

Maria Louise durfte nicht den Gatten, nicht den Sohn verlassen in der Stunde der Not. An der Seite des entthronten Kaisers, ihr Kind in ihren Armen, war ihr Platz; der öde Felsen von Sankt Helena der höchste Thron, den sie besteigen, von dem ihr Name unsterblich zur Nachwelt strahlen mußte. Östreichs Tochter hätte kein Hudson Lowe zu erniedrigen gewagt, und Maria Louise hätte als heiliges, segensreiches Gestirn geleuchtet neben dem ersten Genius ihres Jahrhunderts, statt zu versinken in die nichtachtende Vergessenheit, die ihr geworden ist. Jeder Seufzer Napoleons unter der Demütigung seiner Kerkermeister, jede Träne ihres Sohnes waren ein Vorwurf für sie, weil sie nach Glück trachtete, nach Liebesglück, während ihr Gatte und ihr Kind unter Qualen dem Tode entgegenwelkten.

Ich habe kein Bild des Herzogs von Reichstadt in jener Sammlung gesehen.


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