Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Die Inseln

Capri

Der Regenbogenkönig beherrscht seit Jahrtausenden den ganzen Horizont und die Erde. Er und seine Gemahlin, das Licht, lassen Sommer werden und Winter, Tag und Nacht; sie befruchten mit ihrer Wärme das Erdreich, sie durchdringen Pflanzen, Tiere und Menschen mit Leben und schaffen Wachsen, Gedeihen und Freude.

Aber während sie Segen spenden für alle, sind ihre sieben eigenen Söhne gefesselt und glücklos. Ein mächtiger Schicksalsspruch verdammt sie, unzertrennlich vereint zu bleiben, die sieben glänzenden Farben des Regenbogens, weil sie nur mächtig sind zusammen, als ein wunderbar strahlendes Ganzes.

Das ließen sich die Regenbogenfarben auch recht gern gefallen, solange die Erde wüste und leer war und nur der Geist Gottes über den Wassern schwebte. Die wüste Leere, der feuchte, kaum vom Wasser verlassene Boden hatten nichts Anmutiges. Die Farben priesen sich glücklich in ihrem sonnigen Himmelsraum, während unten auf der Erde die langbeinigen Mammutstiere und Riesenschlangen ihr unerfreuliches Dasein zu leben begannen.

Indes je länger die Königin Licht vom Himmel herabschaute, je hübscher und farbiger wurde es auf der Erde. Allerlei Blumen fingen zu blühen an, Vögelchen flatterten umher, Hirsche, Rehe und Gazellen sprangen durch die jungen Wälder, und den Himmelsknaben da oben fing das Treiben auf der Erde an gar lieblich zu erscheinen. Sie hatten ihre Freude daran wie Erdenkinder an Spielzeug und Bilderbüchern, und wie jenen dünkte ihnen bald das bloße Besehen nicht ausreichend. Sie wollten die hübschen, neuen Geschöpfe anfassen und haben, sie baten, sie flehten darum; die Eltern blieben unerweicht.

»Ihr dürft die Geschöpfe nicht heraufholen«, sagte die Mutter, »denn sie können hier oben in dem weiten Elemente mit ihren kleinen Lungen nicht atmen.«

»So laß uns hinabsteigen«, baten die Farben.

»Unmöglich!« entgegnete der Vater. »Vor eurem Glanze würde alles erblinden, was auf der Erde lebt. Ihr wißt es ja selbst, daß ihr nur am Himmel spazierengehen dürft, wenn dicke Wolkenschleier sich über die Erde gelagert haben, eure strahlende Schönheit zu verhüllen, deren unklare Ahnung die Menschen schon so sehr entzückt, daß sie euch den Friedensboten des Allmächtigen nennen.«

Das gefiel den Regenbogenfarben schlecht. Je mehr sie zu Jünglingen erwuchsen, je fröhlicher die Erde gedieh, je ungeduldiger wurden sie da oben am Horizonte. Als sie nun endlich eines Morgens erwachten und fern an den Ufern des Euphrat das erste glückliche Menschenpaar erblickten, da erklärten sie einstimmig, nicht länger bei den Eltern weilen zu können, wenn man ihnen nicht von Zeit zu Zeit verstatte, auf die Erde zu gehen und mit den Menschen zu leben in fröhlicher Lust.

Voll Sorge und Gram flüchtete das Licht vor den Thron des Allmächtigen und klagte ihm die Not, und der Allmächtige hatte Mitleid mit der Angst einer Mutter und sprach: »Ich will die Wünsche deiner Söhne begünstigen, soweit es möglich ist bei den Gesetzen der Natur. Sie sollen auf die Erde hinabsteigen und sich derselben erfreuen; aber sie dürfen sich nicht fesseln lassen durch die Schönheit der Erdgebornen, und nur alle sieben Jahre einmal soll einer deiner Söhne den Horizont verlassen, einen Erdentag zu verweilen unter den Menschen. Dann muß er zurückkehren in den Äther, wenn er nicht dasjenige töten will, was er auf der Erde am meisten liebt.«

Mit diesem Bescheide kehrte das Licht in all seiner Schnelligkeit zu den Söhnen zurück, und die Regenbogenfarben strahlten vor großer Freude so hell, daß sich ihr Bild zweimal in den Wolken widerspiegelte und die Menschen staunend emporblickten zu dem seltenen Phänomen.

Aber ein neuer Streit erhob sich und neues Unbehagen, denn alle Farben wollten zugleich hinab zur Erde, und nur einem der Brüder war es doch beschieden.

Das brennende, heftige Orangegelb setzte zuerst seinen Willen durch. Es flog zur Erde hinab. Wo sein Fuß sie berührte, verwandelte sich der Boden in leuchtendes Gold. Die Menschen strömten besitzeslustig herzu, der erste Kampf entspann sich. Der wilde Göttersohn lachte der ringenden Kämpfer und feuerte sie an zu immer erneuerter Begier, zu immer höherer Streitlust. Das Blut floß in Strömen, Verwundete und Leichen deckten den Plan, als die Sonne sank. Mit dem scheidenden Tage schwang der Äthergeborne sich empor in sein reines Element, den Brüdern zu erzählen von dem neckischen Spiele der Erdenkinder, dem er zugeschaut im fröhlichen Übermut seines Herzens.

Oben jedoch, im Reiche des Lichtes, empfingen ihn der Zorn seiner Eltern und die bittern Vorwürfe seiner Brüder. Der Allmächtige hatte ihnen den Besuch der Erde für immer untersagt, weil der erste von den Brüdern die Habsucht und den Kampf gebracht unter die Geschlechter der Menschen.

Alle Brüder schalten und tobten, nur das sanfte Blau weinte still seine leisen Tränen. Sie fielen herab vom Himmel in das Erdreich, um zu den Füßen eines lieblichen Mädchens auf der Insel Capri als duftige blaue Blumen zu erblühen.

Ach! der Götterjüngling liebte jenes Mädchen, und sein heißes Verlangen hatte magnetisch ihre Seele berührt, daß sie aufschauen mußte in bangem Sehnen zum leuchtenden Blau des Firmamentes, dort oben zu suchen, was ihr Herz erfüllte und begehrte und wofür sie den Namen nicht hatte.

Eine tiefe Trauer erfüllte des Mädchens Brust; denn das arme Menschenherz erbebt und droht fast zu brechen, wenn eine große, göttliche Liebe ihm naht, weil es zu klein ist, ihre Wonne zu fassen. Und die Jungfrau fand nicht mehr Freude an den Spielen ihrer Gefährten, keine Lust an den Liebesworten der Erdenjünglinge, keine Ruhe, keinen Frieden und kein Glück. Einsam wandelte sie auf der Insel umher, ward bleicher und bleicher, je mächtiger die Sehnsucht des geahnten Gottes ihr eigenes Leben bewegte, und als der Schmerz zu stark ward in ihrer Seele, da schlich sie sich fort bei stiller Nacht aus der Hütte der Eltern, im Wellentod kühlende Labung zu suchen gegen das brennende Weh in ihrem Herzen.

Flüchtigen Fußes eilte sie dem Meere zu, als sie sich plötzlich von mächtigen Armen fortgetragen fühlte durch die Luft und niedergelassen zur Erde. Blaues, silberdurchfunkeltes Himmelslicht umleuchtete sie. Riesige Pfeiler von Urgranit trugen die Wölbungen einer Felsenhöhle; schönformige Steinblöcke boten sich zu Lagerstätten dar; ein leises Rauschen des Meeres wiegte wie ein liebliches Brautlied die wilden Schmerzen ihrer Seele zur Ruh, und träumerisch tauchten liebliche Gestalten hervor aus dem bläulichen Lichtmeer, welches die Höhle durchflutete.

Das Herz der Jungfrau öffnete sich einer ungeahnten, unermeßbaren Seligkeit. Heimlich hatte der Götterjüngling den Horizont verlassen, er hoffte Gnade zu finden vor dem Allmächtigen, um der leidenden Jungfrau willen. Er war bei ihr, seine Arme umschlangen sie, glühende Küsse berührten ihre Lippen, und Götterworte der flammendsten Liebe durchströmten ihr Wesen. Im höchsten Glücke schlummerte sie ein, um – niemals zu erwachen. Des Götterjünglings Flammenliebe hatte sie getötet.

Schweigend floh er zurück zum Himmel, alle Schmerzen und Freuden der Erdgebornen, die er sich vermählt im Tode, als heiliges Erbteil in der eigenen Brust. Mitleidsvoll blickt er seitdem aus den Wolken hernieder auf die Schmerzen unglücklicher Liebe; und das Menschenauge richtet sich zu dem blauen Gewölbe des Himmels sehnsüchtig empor, als wisse es. daß dort oben Verständnis wohne und Trost und Hoffnung.

Seit jener Todesbrautnacht des Götterjünglings und der Erdenjungfrau blieb aber der blaue Strahlenschimmer des Gottes ausgegossen über die Höhle; Fels und Meer erglänzen davon, ein unirdisches, hellblaues Licht durchbebt sie, jede andre Farbe durchdringend und vernichtend.

Riesige Felsen verbergen das liebliche Heiligtum, scharfe Riffe, an denen rotes Korallengras emporwuchert aus der Meerestiefe, umgeben den Eingang. Das Meer hält liebende Wacht, wie in jenen Stunden tötenden Glückes, und nur in einzelnen Momenten verläßt es die kleine Pforte des Eingangs.

Dann eilen von Nord und Süd, von Ost und West die Menschen herbei. Auf leichtem Nachen durchschiffen sie die salzige Flut, den unbewachten Augenblick erspähend, einzudringen in die Mysterien jenes wunderbaren Heiligtumes.

Ein kühner Druck des Ruders preßt das kleine, leichte Boot, nur groß genug, zwei Menschen zu tragen, tiefer in die Fluten hinab; ein sichrer Stoß, und der Nachen schießt blitzschnell in die einzige. niedrige Pforte der Grotte hinein.

Die Erdenwelt versinkt mit ihren Farben und Tönen. Eine Farbe allein, das mildeste Blau erfüllt den Raum, und stille, weiche Träume legen sich über die Seele des Menschen; Himmelsträume von Liebe, Friede und Ruhe, auf den blauen Wellen, unter dem zitternden Silberlicht in den hohen Gewölben der Blauen Grotte.


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