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Im Teatro Metastasio werden Schauspiele, Lustspiele und Trauerspiele abwechselnd gegeben. Das Apollotheater ist die Große Oper, in der die De Julia und Iwanow Verdische Kompositionen sangen und die Elßler und Taglioni das Publikum in Entzücken tanzten. Das Theater Valle bringt leichte Opern und Lustspiele; in Aliberti werden Volksstücke gegeben und wie im Apollotheater während des Karnevals große Bälle veranstaltet. Vortrefflich sind die Marionettentheater im Palast Fiano, wo neben den gewöhnlichen Darstellungen immer noch die Ballette karikiert wurden, in welchen Fanny Elßler oder die Taglioni aufgetreten waren. Außer diesen existieren noch ein paar andere, zum Teil verfallene Theater, in denen man aber nur ausnahmsweise Vorstellungen gibt.
Alle diese Theater sind nicht, wie die meisten Schauspielhäuser in Deutschland, als Prachtgebäude mit Säulen und Hallen auf freie Plätze gebaut, sondern liegen in Reihe und Glied mit den andern Häusern, durch keine auffallende Fassade von ihnen wesentlich unterschieden. Dafür brennen am Abende, um den Eingang zu bezeichnen, Pechpfannen vor den Türen, was doppelt notwendig ist, weil man in den schmalen, schlecht erleuchteten Straßen durch das Wagengedränge wahrhaft gefährdet wird.
Eines Abends waren wir nach dem Theater Metastasio gegangen, wo Signora Ristori, eine der vollendetsten Künstlerinnen, eine durchaus edle, schöne Erscheinung, in dem neu übersetzten Schauspiel »Elle est folle« (Sie ist wahnsinnig) auftreten sollte. Es ist jenes bekannte Stück, das auf allen deutschen und französischen Theatern soviel Beifall gefunden und überall dem Publikum eine angstvolle Teilnahme eingeflößt hat.
Lord Harvey, dies ist der Inhalt des Schauspiels, macht mit seiner Frau und einer Nichte eine Reise nach Italien. Er hat in der glücklichsten Ehe gelebt, als er plötzlich zu bemerken anfängt, daß ein Fremder seiner Frau unablässig folgt, den er endlich in Neapel im Tête-à-tête mit derselben entdeckt, worauf er bei nächster Gelegenheit, ohne seine Frau im geringsten befragt zu haben, den unbekannten Kavalier ins Meer stößt, als sich die beiden Männer allein auf einer Höhe am Posilip befinden. Nach dieser Tat wird ihm Neapel verhaßt, er verläßt es am nächsten Morgen und reist mit den Frauen planlos in der Welt umher, bis er, gequält von Gewissensbissen, trostlos durch den Gedanken, die Liebe seiner Gattin verloren und einen Mord begangen zu haben, in Wahnsinn versinkt, in dem er sich einbildet, seine Frau sei geisteskrank geworden. Diesen Wahnsinn seiner Frau dem Auge der Welt zu verbergen, zieht er sich mit den Seinen auf ein Gut in das Innere Englands zurück, und die unglückliche Frau ist dies zufrieden aus Rücksicht für das Seelenleid ihres Mannes. So leben sie Jahre hindurch, bis Lord Harvey einen Arzt zur Herstellung der Lady herbeiruft, der das Geheimnis entdeckt, welches dem Erkranken des Lords zugrunde lag, und die zufällige Erscheinung des vermeintlich Ermordeten bald darauf die Genesung des Lords bewirkt. Der junge, plötzlich eintreffende Unbekannte hat nämlich eine Neigung für die Nichte gehabt, ist dieser und nicht der Lady Harvey überall nachgezogen und hatte in jenem Tête-à-tête die Tante zu seinen Gunsten stimmen wollen, da er Gründe hatte, die Einwilligung des Onkels zu bezweifeln. Von diesem ins Meer gestürzt, war er nicht umgekommen, sondern nur schwer erkrankt an den Verletzungen durch den Sturz und hatte dadurch die Familie des Lords aus den Augen verloren. In dieser Weise lösen sich die Verwirrungen des leichtgeschürzten Knotens. Eine Heirat der jungen Liebenden macht den glücklichen Schluß.
Dies Stück, das man an jenem Abende zum ersten Male gab und das, gut gespielt, auf uns in Deutschland einen schmerzlichen, erschütternden Eindruck hervorbringt, machte in Italien eine ganz entgegengesetzte Wirkung. Schon in den ersten Szenen, als der wahnsinnige Lord dem Doktor klagt, daß seine Frau geisteskrank sei, fing das Publikum zu lachen an. Man fand es sehr spaßhaft, daß jemand sich in seinem Wahnsinn für den Verständigen und die Verständige für toll halte. Bei jedem Wort des Lords, bei seinen Klagen über den traurigen Zustand seiner Gemahlin wuchs das Lachen. Weder das vortreffliche Spiel des ersteren noch das meisterhafte der Ristori erweckten ein trauerndes Mitgefühl, die Heiterkeit ward von Szene zu Szene allgemeiner; jedem Anfall von Raserei des Lords folgte größere Lachlust, und als endlich der Arzt dem Lord sein Geheimnis entlockte, als man erfuhr, wie er aus Eifersucht den Liebhaber seiner Frau ermordet habe und darüber wahnsinnig geworden sei, kannte das ausgelassene Gelächter keine Grenzen mehr. Man klatschte Beifall, man klopfte mit den Stöcken, es war ein solcher Jubel, daß ich glaubte, der Paroxysmus sei epidemisch geworden und man werde nicht zu Ende spielen können, was dennoch geschah.
Die Erklärung für diese Erscheinung liegt aber ebensowohl im Charakter der Italiener als in den Landessitten; und wenn man diese in Betracht zog, hätte man die Wirkung des Schauspiels im voraus berechnen können.
Im Italiener ist keine Spur von Sentimentalität, keine Neigung zu selbstquälerischem Leid, kein lebhaftes Mitgefühl für all das, was wir häuslichen Jammer nennen. Das Volk lebt im ganzen körperlich ein zu gesundes Dasein, ist noch auf einer zu primitiven Stufe der Seelenentwicklung, um Sinn zu haben für schweigendes Leid, um die Wollust des Schmerzes lieben zu können. Es will froh sein, genießen und voll genießen; deshalb verlangt es auch auf der Bühne nach Erheiterung oder nach schönem, erhabenem Schmerz. Die Leiden einer Antigone, eines Ödipus, einer Francesca da Rimini flößen ihm Achtung ein. Der Italiener lauscht mit Verehrung dem eisernen Schritt, mit dem ein großes Schicksal über die Erde schreitet; er hat Mitgefühl für den Schmerz eines Helden, eines Menschen, der im Kampfe mit dem Schicksal ringt; aber er will nicht auf der Bühne durch kleines, aus Mißverständnissen erwachsenes Elend gemartert sein. Melodramen machen selten Glück, und ganz kurz vor dieser Aufführung war auch »Yelva« in aller Form durchgefallen.
Wie sich das Volk im Leben selbst die Erinnerung an den Tod fernzuhalten strebt und statt »er ist gestorben« gern die Redensart wählt: »e andato in paradiso« (er ist ins Paradies gegangen), so vermeidet es auch, sich in Gram zu versenken, den es von sich fernhalten kann.
Schweigend die Untreue seiner Gattin zu ertragen wie Lord Harvey, das scheint einem Italiener lächerlich und unwahrscheinlich. Einer jungen, schönen Frau zuzutrauen, daß sie neben ihrem tollen Manne, der sie für wahnsinnig hält, sich ruhig in einer abgeschiedenen Einsamkeit einsperren lasse, fällt ihm nicht ein. Sie müßte ihn ja, wenn sie wirklich verständig wäre, in das Irrenhaus schicken und mit einem Liebhaber in Hydepark Corso fahren. Daß sie dies nicht tut, findet man abgeschmackt, unklug und keineswegs heroisch oder erhaben; und wenn endlich der Lord wahnsinnig wird über die Untreue seiner Frau oder darüber, daß er einen Nebenbuhler umgebracht, wozu er nach italienischen Begriffen ein vollkommenes Recht hat, so sind dies Grillen und Torheiten, die man eben nur den grillenhaften Engländern zutraut und an den ewig verspotteten Söhnen Albions denn auch als unerklärliche Torheiten belacht.
Bei dieser Auffassungsweise war es kein Wunder, wenn das Schauspiel die ungemessenste Heiterkeit erregte. Man sah Menschen sich in Jammer quälen, in Tränen zerfließen, die gar keine Veranlassung dazu hatten; und die Lady, welche nach italienischen Begriffen noch allein berechtigt gewesen wäre, den Verstand zu verlieren, falls sie keinen neuen Liebhaber finden konnte, blieb auch ohne diesen Trost bei voller Vernunft neben dem rasenden Gatten.
Diese heitere Ansicht wirkte denn auch so ansteckend, daß wir in Rom über dies Melodrama ebenso herzlich lachten, als wir in Deutschland darüber geweint hatten. Ernsthaft wurden wir erst wieder bei einem darauffolgenden Lustspiel, »Der Schuhmacher«, in dem die Not der Armen durch einen Schatz geendet wird, welchen der trunkene Mann in einem alten Topfe entdeckt, den er aus Ärger zerschlägt. Das Stück war niedrig-komisch angelegt; aber die Entartung aller edleren Empfindungen durch Not und Elend hatte etwas so Trauriges, daß wir ganz davon zerdrückt nach Hause kamen.