Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Die Misericordia

Mitten durch die buntgekleidete, heitere Menschenmenge von Florenz sieht man oft eine Schar spukhafter, schwarzer Gestalten einherschreiten, die, einen Sarg oder eine schwarzbehängte Tragbahre auf den Schultern, mit schnellem Schritte ihrer Straße ziehen. Sie tragen schwarze Leinwandkittel, wie Mönchskutten gemacht, die schwarze, spitze Kapuze über den Kopf gezogen, welche nur für die Augen ein paar Einschnitte hat. Ein Rosenkranz hängt an ihrem Gürtel, der muschelgeschmückte Pilgerhut an ihrem Arme.

Es ist die Gesellschaft der Misericordia, welche, wie mir ein Freund erzählte, noch aus den Parteikämpfen der adligen Geschlechter herstammt. Damals geschah es oft, daß die bei den Gefechten Verwundeten ohne Hilfe, ohne Beistand in den Straßen liegenblieben; sei es, daß ihre Kampfgenossen geflohen waren oder daß unbeteiligte Bürger Bedenken hatten, ihnen zu Hilfe zu kommen und dadurch als Anhänger einer Partei zu gelten und sich die Feindschaft von deren Gegnern zuzuziehen. Diese Not, unter der alle gemeinsam litten, führte zu einer Maßregel, nach der man das Parteiwesen nicht auf die Leidenden auszudehnen beschloß und sich verband, in jedem Hilfsbedürftigen nur den Menschen, nicht den Anhänger dieses oder jenes Hauses zu sehen. So ward die Misericordia gestiftet.

Fand man einen Toten, einen Verwundeten in den Straßen und gab eine bestimmte Glocke das Signal, welches die Brüderschaft herbeirief, so versammelten sich diejenigen, welche es gehört hatten; man warf die Kutten und Kapuzen über, um sich gegenseitig unerkennbar zu sein, und unter dieser Hülle schwieg der Kampf, verband man sich mitten im wilden Streite der Parteien zu milden Werken wahrer Menschlichkeit.

Jetzt ist das Institut in eine bestimmte Form gebracht. Fast alle Bürger von Florenz, ein großer Teil des Adels, der Großherzog selbst, der sich vertreten läßt, sind, wie man mir sagte, Mitglieder der Misericordia. In den verschiedenen Stadtbezirken bestimmen die einzelnen Vorsteher die Diensttuenden für jeden Tag des Monats, und diese versammeln sich auf ein bestimmtes Signal mit einer Glocke im Hause des Vorstehers, der sie an ihr Werk schickt. Sie bringen Leute, welche in den Straßen verunglücken und ihren Beistand fordern, in deren Wohnungen oder in die Lazarette; sie tragen arme Wöchnerinnen in die Hospitäler und Tote zu Grabe. Aus den kleinen Beiträgen, welche jeder Teilnehmer der Gesellschaft zahlt, ist allmählich ein Kapital erwachsen, für das die Misericordia selbst ein bedeutendes Hospital errichten konnte, in dem zahlreiche Kranke sehr wohlgeborgen sein sollen.

Kein Tag verging, ohne daß ich die schwarze Brüderschaft unter meinen Fenstern auf dem Corso vorüberschreiten sah, und oft zogen sie noch nach Mitternacht mit vorgetragenen Fackeln schnell durch die dunkeln Straßen, wenn wir aus den Theatern kamen.

Ich hatte jedesmal die Empfindung, mich vor den fremden Leuten, deren Gesichter ich nicht sehen konnte, recht herzlich zu verneigen, wenn ich aus der langen Kutte bald den mit Kalk und Staub befleckten, breitgetretenen Schuh des Handwerkers, bald den blankgefirnißten Stiefel eines jungen Dandys hervorgucken sah; oder wenn auf der Tragbahre feine, weiße Männerhände mit den schwielenvollen Händen des Arbeitenden wechselten.

Solch persönliches, anspruchsloses Helfen ist es, was uns not tut. Dabei prangen keine Namen in öffentlichen Blättern, es ist auch kein Orden dafür zu gewinnen und keine ehrenvolle Anerkennung in frommen Salons. Ungekannt, ungesehen und verloren in der großen Zahl hilft jeder, nicht mit Geld, auf das er vielleicht nur geringen Wert legt, sondern mit eigener Kraft, zu jeder Stunde, bei Tag und Nacht mit Aufopferung der augenblicklichen Bequemlichkeit.

Jeder, und dies ist für mich der Hauptvorteil der Misericordia, jeder der reichen Teilnehmer an derselben wird dadurch bisweilen an das Schmerzenslager des Armen, in die Not seines Hauses eingeführt, und das eigene Anschauen derselben ist für tausend Menschen eine unabweisliche Forderung zu helfen, soweit es in ihren Kräften steht.

Es sind nur wenig Herzen so verhärtet, daß sie kalt und starr blieben bei dem Notschrei, der ihr Ohr unmittelbar berührt, und zu jedem Vaterherzen sprechen die Tränen armer Kinder und die angstvollen Blicke sorgenbeladener Eltern.


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