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Vielen, die mir in diesem Leben zu Freunden und Bekannten wurden, möchte ich diese Blätter, Erinnerungen aus meiner Knabenzeit, zum freundlichen Andenken hinterlassen.
Zwar können sie ihnen aus meinem eigenen Leben nur weniges bieten. Das Leben eines Knaben, meistens nur in ruhigen Verhältnissen, im Schoße und Schutze der Eltern, bietet wohl wenig Außergewöhnliches dar, aber ich betrachte hier mein eigenes Leben auch nur als einen Faden, an den sich Bilder aus dem denkwürdigeren Leben anderer, die mich damals berührten, anreihten, wie z. B. aus dem Leben meines Bruders Georg. Der bewegteste Teil seines Lebens fiel in meine Knabenzeit, die Zeit der ersten französischen Revolution. Von der Akademie zu Stuttgart aus hatte er sich mit aller Begeisterung eines jugendlichen, nur von Freiheit und Menschenbeglückung träumenden Gemütes der Revolution in die Arme geworfen und in Paris die ganze Zeit ihrer Schrecken durchlebt, zuerst als Jakobiner, dann aber, als sich diese als Mörder der Freiheit, als Terroristen zeigten, als ihr eifriger Gegner. In einem Anhange zu diesen Bildern aus meiner Knabenzeit teilte ich noch das fernere Leben dieses Bruders mit, die Zeit, wo er, durch Napoleon aus seinen Träumen republikanischer Freiheit geweckt, das sich selbst aufgebende französische Volk aufgab und in den Felsen und Wäldern Schwedens Stärkung und Trost in seinen getäuschten Hoffnungen und in seinem verlorenen Glauben an die Möglichkeit eines selbstständigen, freien Deutschlands suchte.'
Bilder und Erlebnisse in der Jugend gehen, je mehr wir uns von ihr entfernen, in um so hellerem Lichte in uns auf dem schwarzen Grunde des Alters auf; das Ende berührt den Anfang, wir nähern im Alter uns selbst wieder mehr der Kindheit. Es gab Greise, denen die Erinnerung aus ihrem Jünglings- und Mannesleben völlig verschwand, während die Zeit ihrer Kindheit ihnen wieder zur Gegenwart wurde, daß sie vermeinten, noch Kinder zu sein. So wurde mir ein Greis von bald neunzig Jahren bekannt, der zu den Stunden, die ihn ehemals als Kind zur Schule riefen, sich jedesmal erhob, ein Büchlein unter die Arme nahm und wieder, wie ehemals im sechsten Jahre, mit demselben unaufhaltsam zur Schule wanderte.
So licht im Gedächtnisse stehend, gab ich diese Bilder oder Erlebnisse meiner Knabenzeit auch in ihrer reinen Wahrheit ohne eine poetische Ausschmückung, und ich ließ mir letztere nur einmal auf einem Blatte zuschulden kommen, was ich daselbst, um den Leser nicht zu irren, bemerkte.
Man erwarte also auf diesen Blättern keine Dichtungen (keine Dichtung und Wahrheit, keine Reiseschatten), sie enthalten ungeschmückte und wahre Erlebnisse: auch bemerke ich noch, daß diese Blätter ganz so, wie sie abgedruckt sind, schon vor drei Jahren, also lange vor all den neuen politischen Umwälzungen, ohne alle politische Absicht niedergeschrieben wurden.
Eine Vorrede, die ich schon vor drei Jahren dazu schrieb, endigte also:
»Ob mir bei etwa noch längerem Leben, bei dem immer mehr schwindenden Lichte meiner Augen und sinkendem Lebensmute und im Drange ärztlicher Geschäfte, Kraft und Muße bleiben, diesen Bildern aus meiner Knabenzeit auch solche aus meinem Jünglings- und Mannesalter nachfolgen zu lassen, daran fange ich zu zweifeln an. Schaue ich in die Zukunft, so sehe ich sich schwarze Wolken um mein Haupt lagern, und jetzt schon drückt es wie nahende Gewitterluft auf meinen Geist.«
In einem Liede, überschrieben »Prognostikon«, das sich schon in der Auflage meiner Gedichte vom Jahre 1841 abgedruckt findet, heißt es:
»Wüster Streit bricht bald herein, Bringet Tod auch dem Gesange!« |
Jetzt, wo diese Zeit wüsten Streites wirklich hereingebrochen ist, muß ich jenen Zweifel um so mehr wiederholen.
Möchten diese Blätter, wenn auch nur hie und da, einen der Politik Müden finden, der sie mit jener Unbefangenheit durchliest, in der sie geschrieben wurden! –
Weinsberg, im Mai 1849