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Ob bei dem Leichenbegängnisse des Herzogs Carl, wie billig gewesen wäre, die Schüler seiner Carls-Akademie seinem Sarge folgten, weiß ich nicht; ich glaube nicht, daß diese Veranstaltung getroffen wurde, aber ein Carlsschüler, und zwar der größte, den diese Schule hegte, befand sich damals zufällig in Ludwigsburg und sah mit Gefühlen kindlicher Wehmut, die der lebende Herzog wohl nicht von ihm erwartete, seiner Leiche nach.
Von der damaligen freien Reichsstadt Heilbronn aus stellte Schiller, der sich einige Zeit dort aufgehalten hatte, an den Herzog die Anfrage, ob er ins Vaterland wieder zurückkommen und in Ludwigsburg auf kurze Zeit sich aufhalten dürfe. Der Herzog gab ihm, altersschwach und krank, keine Antwort, sagte aber zu seiner Umgebung, er werde ihn ignorieren.
Auf dieses begab sich Schiller mit seiner Gattin und Schwägerin nach Ludwigsburg, wo er in dem Hofmedikus von Hoven einen alten akademischen Freund hatte. Hier wurde ihm sein erstes Kind geboren. »Ich sah ihn (erzählt Hoven in seiner Selbstbiographie) bei der Nachricht, daß der Herzog krank und seine Krankheit lebensgefährlich sei, erblassen, hörte ihn den Verlust, den das Vaterland durch dessen Tod erleiden würde, in den rührendsten Ausdrücken beklagen, und die Nachricht von dem wirklichen Tode des Herzogs erfüllte ihn mit Trauer, als wenn er die Nachricht von dem Tode eines Freundes erhalten hätte.«
Als Schiller damals auf einem Spaziergange der Gruft des Herzogs nahe kam, sprach er zu seinem Freunde Hoven: »Da ruht er also, dieser rastlos tätig gewesene Mann. Er hatte große Fehler als Regent, größere als Mensch; aber die ersten wurden von seinen großen Eigenschaften weit überwogen, und das Andenken an die letzteren muß mit dem Tode begraben werden; darum sage ich dir, wenn du, da er nun dort liegt, nachteilig von ihm sprechen hörst, traue diesem Menschen nicht, er ist kein guter, wenigstens kein edler Mensch.«Obiger Zug und diese Worte Schillers stehen in Hovens Selbstbiographie und in mehreren Biographien Schillers aus der Hovens abgedruckt, können aber zur Ehre Schillers nicht genug wiederholt werden.
Schiller hatte noch unter Carls stürmischer Periode gelebt und gelitten, um so überraschender ist dies sein Urteil.
In den späteren Zeiten, wo mehr Ruhe und Überlegung in das Gemüt dieses Fürsten trat, sah er die Fehler seiner früheren Jahre im vollsten Maße ein. Gewöhnlich begleitete ihn der Hofprediger vom Dienste (die Hofprediger mußten wochenweise abwechselnd in Hohenheim anwesend sein) auf seinen Spaziergängen morgens, wenn die Herzogin nicht zugegen war. Auf einem dieser, am 7. August 1792, sagte der Herzog zu seinem Begleiter: »Ich war ein ausschweifender Teufel, was um so weniger zu verwundern war, da mir jeder Diener dabei willig frönte, aber Reue und Buße, werden die Vergehungen erkannt, sind immer noch zulässig und bereiten Verzeihung.«
Seine ehelichen Verhältnisse betreffend, so lebte er mit seiner zweiten Gemahlin Franziska, wenigstens dem äußeren Ansehen nach, friedlich, und obgleich die eheliche Treue nicht groß war, erfuhr man von Zerwürfnissen beider nie etwas.
Sein Fleiß und seine Tätigkeit in den Regierungsgeschäften und sein vorsichtiges Benehmen gegen die Machthaber der Französischen Revolution kamen dem Lande wohl zustatten.
In der ruhigeren Zeit seiner Regierung suchte er Zwistigkeiten in den Gemeinden durch persönliches Erscheinen selbst zu schlichten; so einmal im Jahre 1790 zu Kirchheim am Neckar, von wo aus er damals nachstehendes Billet doux seiner Franziska nach Hohenheim schrieb, das im Original vor mir liegt und das ich, zum Beweise seines zärtlichen Verhältnisses mit seiner Gattin, hier wortgetreu und mit seiner Orthographie gebe.
»Kirchheim a. N. ½3 Uhr.
Herzallerliebstes Franzele!
Schon der Anfang meiner Fahrt war sehr angenehm um 4 Uhr bin ich hier angekommen und habe bis auf diesen Augenblick einen fatiguanten Augenschein eingenommen; jetzo stehen zwanzig Personen vor meinem Tisch um einen Vergleich wo möglich zu erzielen welches noch lange dauren wird, doch werde ich mein Möglichstes thun um nicht gar zu spät zu kommen, aber ich lasse nicht nach bis es verglichen ist, ich kann fast nicht mehr reden.
aber schönstes Weible!
das wichtigste:
hast Du mich auch gern? Ich habe hundertmahl an Dich gedacht, auch daß Du meine Geduld beloben würdest, ja mein Franzele ist mir immer vor Augen. Adieu Engel! ich küße Dich tausendmahl in Gedanken und bin von ganzem Herzen Dein bis in den Tod.
Adresse. Der regierenden Herzogin meiner allerliebsten Frau in Stuttgardt.«
Ein anderes Billet doux desselben, geschrieben am Franziska-Tage, ohne Beisetzung der Jahreszahl, lautet nach dem Original folgendermaßen.
»Herzallerliebste Frau!
Jeder Tag ist Dir geweiht, doch besondere Fälle gestatten den Drang des Herzens im Vollerem, im mehr als gewöhnlichem maaß. Franziskens Nahme ist mir so angenehm, so wichtig, weilen Ich Dir heute Geliebteste, die Gesinnungen erneuern darf, die mein Vor Dich so zärtliches Herz empfindet, mit ächter Wärme empfindet.
Wortgepräng, schmeicheley, fliehn auf immer, der treue Freund, Gatte, tritt an die Stelle, und mit der aufrichtigen Herzenssprache, die Dein Edles benehmen mit Recht fordern darf, ruft Er Dir laut zu:
Bleibe ferner die Beruhigung meiner Tage,
und Mache Mich zum Glücklichsten der sterblichen nemlich
Zum Werkzeug Deines Glücks.
so denkt so schreibt am Franziscenstag
Dein ewig treuer
Carl H Z W«
Gutmütigen Humor zeigte er oft auch in Ordern an Untergebene. So erließ er eine Ordre an den General v. Bouwinghausen, mit dem er übrigens nicht immer in so freundlichem Vernehmen stand, die anfing:
»Mein lieber, zwar nicht Kammerherr, doch die Erlaubniß habender in all Meine innersten Gemächer eingehen zu dürfen, Nicht Geheimrath dem Titel nach, sondern doch mein festes Vertrauen besitzender, noch nicht ganz Generallieutenant, sondern doch dazu zu gelangen in baldiger Hoffnung stehender Generalmajor von Bouwinghausen!«
Einst kam der Herzog in die Wohnung des Pfarrers K. zu H. Dieser gab sich für einen sehr frommen Mann aus, war aber sehr geldbegierig. Der Herzog wußte das, und als er seine Bibel bemerkte, die unter anderen Büchern im Bücherschrank steckte, zog er sie heraus, blätterte in ihr, legte heimlich ein Goldstück in dieselbe und stellte sie wieder an ihre vorige Stelle. Nach einiger Zeit kehrte der Herzog wieder beim Pfarrer ein. Sein erster Blick fiel auf die Bibel, die sehr bestäubt noch an alter Stelle stand; er zog sie heraus, und siehe da, das Goldstück fiel ihm aus ihr in seine Hand! »Liest Er auch fleißig in seiner Bibel?« fragte er den Pfarrer. »Ihro Durchlaucht, pflichtgemäß alle Tage.« »Sieh Er«, erwiderte der Herzog, »da sagt Er nicht die Wahrheit, sieh Er, dies Goldstück legte ich Ihm vor einem Vierteljahre in das Buch, und da ist es noch in ihm. Hätt' Er darin gelesen, hätt' Er's gefunden, jetzt steck ich's wieder ein.« – Der Pfarrer sah dem Goldstück mit Ärger nach.
Nach Carls Tode war aller Hoffnung auf seinen Nachfolger Ludwig Eugen gerichtet. Die Herzensgüte dieses Prinzen war anerkannt sowie die Achtung, die er der Landesverfassung zollte. Dem Vater Schillers lag an der Gnade des nachfolgenden Regenten sehr viel, und er sprach sich damals auch gegen meinen Vater aus, daß es ihm erwünscht wäre, sein Sohn würde sich eine Audienz bei dem neuen Herzoge erbitten und ihm zum Antritte der Regierung Glück wünschen; auch Herr von Hoven wollte ihn dazu bewegen, aber Schiller tat es durchaus nicht, er sprach nur immer von den Vorzügen des verstorbenen Herzogs.
Er arbeitete in Ludwigsburg damals an seinem »Wallenstein«, und zwar meistens bei Nacht, weil er bei Tage sehr häufig von Brustkrämpfen befallen wurde, studierte sehr fleißig die Kantische Philosophie und schrieb daselbst auch die bekannte Rezension über Matthissons Gedichte.
Öfters besuchte er auch seinen alten Lehrer Jahn und dessen Schule, in der er als Knabe Unterricht erhalten hatte. Manchmal machte er sich da die Freude, dem Lehrer die Mühe des Unterrichts auf einige Stunden abzunehmen und ihn den Schülern statt seiner zu erteilen.
Ein Verwandter von mir, älter als ich (der kürzlich verstorbene, landschaftliche Archivrat Schönleber), der dazumal Jahns Schüler war, schrieb mir hierüber: »Nach Darstellung einiger Biographen Schillers könnte es scheinen, daß Schiller erst im Oktober 1793 nach Ludwigsburg gekommen wäre, während ich mich mit Gewißheit erinnere, daß es lange vor dem Anfange der Herbstvakanz war (Schiller kam wenigstens vor Anfang September 1793 an und war noch im November und vielleicht Dezember in Ludwigsburg), wo er an einem Freitag nachmittag den Professor Jahn besuchte, als gerade Unterricht in der Geschichte gegeben wurde. Dieser Unterricht in der Geschichte veranlaßte ihn, mehrmals zu kommen und uns selbst in ihr zu belehren. Er nahm mir da oft und viel Schröks Lehrbuch aus der Hand und benutzte es als Leitfaden, während ich bei meinem Nebensitzer einsehen durfte.
Es existiert eine kleine Ausgabe seiner Werke von Cotta in Kleinoktav, mit einem Bilde von ihm. Hier ist er sitzend, den Kopf auf die Hand gelehnt, die Beine übereinandergeschlagen, abgebildet, und so saß er fast jedesmal auf der Schranne an unserem Schultische mir gegenüber, und das ist auch dasjenige Bild von ihm, das ich nach meiner Erinnerung für das richtigste halte.« –
In Begleitung seines Vaters, der schon früher mit dem meinigen durch gleiche Neigung, die Baumkultur, verbunden war, besuchte er damals auch mein elterliches Haus, aber ich erinnere mich seiner nur aus den späteren Erzählungen meines Vaters, der öfter von ihm als einer hagern, aufrechten, bleichen Gestalt sprach, auch daß er den Kopf mehr hoch als nieder getragen und dadurch auf manchen den Eindruck eines stolzen Menschen gemacht habe, was er so gar nicht gewesen sei! Das gleiche sagt auch sein Ludwigsburger Freund Hoven: »Dieses Ansehen«, schreibt Hoven, »hatte Schiller schon als Zögling der Carls-Akademie, und ich erinnere mich noch wohl, daß einst eine Frau, welche dort ihren Sohn besuchte, wie sie Schillern den Schlafsaal hinunterschreiten sah, sagte: »Sieh doch, der dort bildet sich wohl mehr ein als der Herzog von Württemberg.«
Während ich oben rühmte, mein Vater seie mit dem Vater Schillers in Bekanntschaft gestanden, fiel mir eine komische Tatsache späterer Zeit bei, die ich mich nicht enthalten kann, hier noch anzuführen. Ein Schullehrer in der Gegend von Ludwigsburg, der ein Bekannter des alten Schillers gewesen war, wollte, als Schillers Statue in Stuttgart errichtet wurde und man die Gelehrten zu Beiträgen in das Schiller-Album aufforderte, auch sein Scherflein beitragen und sandte folgende Verse ein:
»O großer Friedrich Schiller! Für mich auch Poesieerfüller, Kommst nun gegossen in das Land! – Herrn Vater hab ich auch gekannt.« |
Schade, daß die Verse nicht aufgenommen wurden!