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Das Irrenhaus, das, wie schon gesagt, in gleicher Ummauerung mit der Tuchfabrik stand, war meinem Schlafgemache so nahe, daß ich oft vor dem Singen, Lachen, Fluchen und Toben seiner armen Bewohner nicht in Schlaf kommen konnte. Ganze Nächte hindurch hörte ich da oft den Gesang einer wahnsinnigen Frau, der nur in den Worten »Ririroldidi« bestand. Sie sang dieses Unwort immerwährend in gleicher Modulation fort, wobei sie ohne Aussetzen mit dem Fuße auf den Boden stampfte. Erst gegen Tag hörte man die Töne immer schwächer und schwächer, wo sich endlich Schlaf und Erschöpfung ihrer zu erbarmen schienen. Ein anderer Wahnsinniger schrie die ganze Nacht fort die Worte »Totenköpfe und Krautsalat« und rasselte dazu mit den Ketten; denn da schloß man die Tobsüchtigen noch an. Dazwischen hörte man oft Töne, als schlüge er den Kopf gewaltsam an die Wand.
Der Schein des Mondes und besonders der zunehmende Mond steigerte jedesmal bei allen diese Schauertöne und nächtliche Unruhe, in welche öfters in Frühlingsnächten der Schlag einer Nachtigall von den benachbarten Schloßgärten und der Lindenallee wie besänftigend erklang. Ich besuchte die Unglücklichen auch oftmals in ihren Zellen und wurde ihnen bald bekannt und freundlich. Das Spiel meiner Maultrommel machte bei vielen einen guten Eindruck, und ich vermochte oft, Tobende durch Worte und Anschauen zu besänftigen. Es tut mir leid, daß ich meine Beobachtungen an vielen dieser Unglücklichen damals nicht niederschrieb. Meine Neigung und einiges Geschick, mit Geisteskranken umzugehen, was ich später erproben mußte, war mir wohl von der Natur von Geburt aus zugeteilt.
Großen Anteil nahm ich besonders an einem noch jugendlichen Manne, der, wie ich glaube, seine Erziehung auch in der Carlsschule erhalten hatte; er hieß von S—r, ist aber mit einem andern seines Namens, der später in ähnliche Zustände kam, nicht zu verwechseln. Er war von kleiner Statur, hatte einen feinen Körperbau, eine zarte Stimme und sah mit funkelnden grauen Augen mißtrauisch um sich – und je nachdem ein Mensch kam, schloß er die Augen –, denn er hatte die fixe Idee, man wolle ihn vergiften, und das könne selbst durch Blicke geschehen. Es hieß, er sei durch unglückliche Liebe in Irrsein verfallen. Ich brachte es durch einige Besuche bei ihm bald so weit, daß er vor mir die Augen offen hielt und mich ohne Mißtrauen ansah. Als er einmal aus Furcht, vergiftet zu werden, mehrere Tage lang durchaus nichts mehr aß, holte mich sein Diener zu ihm, und ich brachte ihn dadurch zum Speisen, daß ich ihm den Vorschlag machte, wir wollten abwechslungsweise, zuerst ich einen Schub, dann er einen Schub seiner Suppe mit dem gleichen Löffel zu uns nehmen, bis das Schüsselchen geleert sei. Dies geschah, mußte aber nach einigen Tagen, da er nur unter dieser Bedingung wieder speisen wollte, von mir wiederholt werden. Nach eingetretener Verschlimmerung half aber auch dies Auskunftsmittel nicht mehr, und er hatte schon fast 8 Tage lang alle Speise versagt. Ich war bei ihm, er war wie ein Gerippe, bleifarben im Gesicht, hatte eingefallene Augen und schien gar nicht mehr auf den Füßen stehen zu können. Ich sprach ihm vergebens zu, er erwiderte immer: »Alles ist vergiftet«, da sprang er auf einmal, wie mit der letzten Lebenskraft, auf das Kämmerchen seines Dieners zu, in dem ein Kanarienvogel in einem Käfig saß, riß diesen heraus und hatte ihn mit einem Schluck mit Federn und Gebein im Magen, indem er schrie: »Der ist nicht vergiftet, ha! ha!« Er war auf sein Bett zurückgefallen, das Verschlingen des Vogels war so schnell geschehen, daß der Diener das Ohr horchend auf den Magen des Herrn legte und behauptete, man höre den Vogel noch in ihm flattern. In der Nacht starb er. Er hatte einige Tage zuvor noch sein Testament niedergeschrieben, in welchem er dem Fürsten von Thurn und Taxis seine Gebeine zu Stockknöpfen und Billardkugeln vermachte.