Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mir als Knaben kam durch dieses Mannes Aufzug mein »Robinson« in den Sinn, und ich wäre ihm gern bis in den Wald nachgegangen, hätte mich nicht Matthias festgehalten und in ein Nebenzimmer des Saales geführt, wo ihm ein Herr, wie er sagte, einen Schoppen eingeschenkt, weil er ihm die Geschichte vom Nastischen Nilpferd erzählte und meine Krankheitsgeschichte.
»Er kennt Ihren Herrn Vater«, sagte er, »und verlangt Sie zu sehen, es ist ein ›gemeiner‹ Herr, und Sie dürfen sich nicht fürchten.« Inzwischen war auch der Jäger Nast herbeigekommen, der hier den Wirt machte. Er hatte der Gesellschaft ein Buch gebracht, das aus lauter Zeugnissen von hohen Herrschaften bestand, die die Künste seiner Tiere mit Befriedigung gesehen hatten; auch fanden sich in ihm die Tiere in Abbildungen. Er erzählte, wie er erst kürzlich den Hirsch, der jetzt in der Brunft sei, wo sich kein Mensch ihm zu nähern wagen dürfe, nur mit Blicken, als er gerade auf ihn mit seinen Geweihen wie rasend zurennen wollte, zum Stehen und Gehorsam gebracht, sich auf ihn geschwungen und ihn geritten habe, während der Hase dazu einen Marsch getrommelt und »der Esel«, versetzte der Bekannte meines Vaters (der mich zu sich gerufen hatte), »die Trompete blies, und das amerikanische Nilpferd! ha! ha! Herr Nast!« »Ach!« fuhr ihm Nast in die Rede, »schweigen Sie doch von diesem Tiere; ich habe es ja nicht mehr, es war ja nie mein Eigentum«, und damit entfernte er sich mit dem Buche schnell aus dem Saal. Der Herr, der mich an der Hand hielt und ein Bekannter meines Vaters war, war der als Arzt und Magnetiseur damals sehr berühmte Hofrat Dr. Gmelin von Heilbronn. Er sah mich immer sehr mitleidsvoll und liebreich an, und ich faßte ein großes Vertrauen zu ihm; aber noch schien ihn Matthias' Erzählung vom Nastischen Nilpferd sehr zu beschäftigen; Matthias mußte die Aussage seines Vetters wiederholen und tat das auf eine sehr possierliche Weise, daß alles in lautes Gelächter ausbrach.
»So geht es doch oft mit uns Gelehrten«, versetzte Gmelin, »Blumenbach hielt eine Vorlesung über dieses Tier und erklärte es für keinen Betrug, sondern für eine höchst merkwürdige, bisher noch unbekannt gewesene Pferderasse; und erst kürzlich las ich in einem Berliner Blatte, daß das Tier dort um einen bedeutenden Preis verkauft wurde und alle Naturforscher sich die Köpfe zerbrachen, was sie aus ihm machen sollten, und das seltsamste Zeug darüber aushecken.«
Einer der Herren hatte den Nast wieder herbeigerufen; da foppten sie ihn alle gar gewaltig mit dem amerikanischen Nilpferd. Er leugnete aber die Sache nicht, sondern erzählte sie ganz gemütlich fast ganz so, wie der Bauer und Matthias sie erzählt hatten. »Nun ja«, sagte er zu Gmelin, »ich foppte damit nur etwas die Herren Gelehrten, und nun mögen sie mich auch foppen, sie foppen sich selbst damit; wie manchen foppten die Herrn Ärzte schon mit Mitteln, die sie für Heilmittel ausgaben und die es nicht waren!« »Ja, ja«, versetzte Gmelin, »da sage ich nichts dagegen!« Bei diesen Worten sah er mich inniger an und sagte dann leise zu mir: »Ja, liebes Kind, auch du wurdest von Ärzten schon sehr gefoppt! Komm mit mir einmal, ich schütte dir keine Arznei ein.« Er führte mich nun eine Treppe empor in ein kleines Zimmerchen von Nast, das an den Wänden mit vielen ausgestopften Vögeln verziert war, hieß mich auf einen Stuhl setzen, sah mir mit seinen schwarzen Augen fest ins Auge und fing mich mit seinen ausgereckten Händen vom Kopf bis in die Magengegend zu bestreichen an; er behauchte mir auch mehrmals die Herzgrube. Ich wurde ganz schläfrig und wußte endlich nichts mehr von mir. Ich mag lange schlafend gesessen sein, als ich erwachte und den Matthias vor mir sah; der Herr aber war nicht mehr da, und ich sah ihn in meinem Leben nicht mehr. Auch Matthias wußte nicht, was der Herr eigentlich mit mir getan; er hatte ihm nur im Weggehen gesagt, er hoffe, daß es sich mit meinem Leiden bessern werde, nur solle man mir keine Arzneien mehr geben. Dies erzählte mir Matthias, und ich merkte es mir gar wohl für die Zukunft.
In spätern Jahren begriff ich, daß mich der Herr magnetisiert hatte. Nast war so gutmütig, daß er dem Matthias die Erzählung vom amerikanischen Nilpferde wohl verzieh, oder hatte er vielleicht nicht gehört, daß solcher sie gemacht; denn er nahm uns noch sehr freundlich zu seinen Tieren mit, nur den Hirsch, der gerade in der Brunft war, bekamen wir nicht zu sehen; dagegen trommelte uns der Hase und schoß eine Kanone los, der Esel kratzte auf Matthias' Frage »Wie lange lebe ich noch?« nur einmal mit dem Fuße, was dem Matthias ein Jahr lang große Unruhe machte. War dies eine geflissentliche Veranstaltung Nasts, oder witterte der Esel in Matthias einen Verwandten jenes Frachtbauern, der in Frankfurt seinen Rücken bläute, und wollte er durch die Prophezeiung, daß Matthias nur noch ein Jahr lebte, an ihm Rache nehmen? Wir müssen es unentschieden lassen.