Justinus Kerner
Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit
Justinus Kerner

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Handarbeiten und weitere Beschäftigung meines Geistes während derselben

Zu den Unglücklichen des Zuchthauses führte mich später, als ich auf die Fabrikation des Tuches aufmerksam gemacht werden sollte, oft mein Geschäft (denn hier war die Spinnanstalt), aber sie waren mir immer ein höchst trauriger, unheimlicher Anblick, ich konnte mich bei ihnen nicht wie bei den Irren verweilen, ich konnte nicht versuchen, sie zu bekehren, ich suchte immer sobald wie möglich wieder von ihnen zu kommen. Das Wehgeschrei solcher, die beim Empfang und beim Gehen den sogenannten Willkomm und Abschied, in ein Holz gespannt, durch Schläge erhielten, weckte mich, ging ich durch diese Gänge, oft aus Dichterträumen auf.

Aber auch der Direktor der Fabrik mußte mich oft aus meinen Träumen durch unpoetische Anweisungen, weil ich nun einmal ein Kaufmann werden sollte, wecken. Er lehrte mich das Ellenmaß kennen, nicht daß er mich damit schlug, sondern er erklärte mir seine Einteilungen und lehrte mich die Tücher messen, in Ballen packen und auf die Ballen das Fabrikzeichen und die Nummer mit dem dicken, in Dinte getauchten Pinsel malen, in welch letzterem Geschäfte ich ihn aber selbst, kraft meiner Malerkunst, übertraf; denn ich machte oft noch zum Überflusse einen Lorbeerkranz um das Fabrikzeichen, oder das Ludwigsburger Stadtwappen, einen Adler, oder drei Hirschhörner auf die Ballen. Das Auspacken und Auswiegen der Indigofäßchen war auch keine freudige Beschäftigung. Der blaue Staub drang sogar durch die Kleider, und ich lief im Gesicht und am ganzen Leibe blau an. Am schwersten fiel mir aber das Ausmessen des Tuches beim Handverkaufe, zu dem ich später auch angewiesen wurde, und noch mehr das Berechnen der an Mann gebrachten Ellen. Es mag sein, daß hier oft eine halbe Elle für eine Viertel gezählt und statt 6 Gulden 5 Gulden berechnet wurden. Das Zählen des Geldes wollte auch nicht begriffen werden, und ich lernte es bis auf den heutigen Tag noch nicht. Das machte oft unter Zank und Streit Erwachen aus allen Dichterträumen. »Studieren Sie nur recht den Nelkenbrecher und Büsching in Ihren Freistunden«, wurde mir oft gesagt. Ich las diese Bücher auch, aber machte während des Lesens Verse und schrieb einmal, ganz in Gedanken, in das Briefkopierbuch, gleich nach Kopierung eines italienischen Briefes, Verse auf den Hund des Direktors ein, die mir während des Kopierens beigefallen waren. In meiner nächsten Umgebung war niemand, der Sinn für Poesie hatte; dagegen war im Waisenhause (das, wie gesagt, auch in dieser Ummauerung sich befand) ein junger Lehrer, mit Namen Lehrer, der für Poesie, Musik und Malerei vielen Sinn hatte und selbst ein guter Musiker und besonders ein vortrefflicher Landschaftsmaler war. Er war älter als ich, aber doch schloß ich mich an ihn sehr an. Er hatte an meinen Versen immer große Freude, ich teilte ihm alle mit und schenkte ihm ganze Bücher voll, wogegen er mich öfters mit Tonsetzungen derselben erfreute. Dieser vortreffliche Mensch gereichte mir in diesen Tagen geistiger Gefangenschaft zum großen Troste und erschien mir oft noch im späten Alter freundlich im Traume. Er starb als geschätzter Stadtschullehrer in Ludwigsburg.

Auch ein lieber Mensch befand sich, nicht auf dem Comptoir, sondern unter den Fabrikarbeitern. Er war Tuchscherermeister und hieß Kübler. Ihm verdankte die Fabrik die erste Einrichtung von Tuchschermaschinen, die er in Brünn kennenlernte. Ich hielt mich oft in seiner Werkstätte auf und lernte von ihm das Tuchscheren vermittelst der Maschine sehr bald. Dagegen erfreute ich ihn oft durch meine elektrischen Versuche, und er war mir in Erbauung einer neuen Elektrisiermaschine mit mannichfaltigem Apparat sehr behilflich. Auch in meine Leidenschaft, die ich für Anbringung und Errichtung einer Camera obscura, wo ich mich nur befand, hatte, ging er ein, und wir errichteten in einem Kämmerchen, vor welchem alle Bewohner dieser Räume, die noch frei gehen durften, Fabrikarbeiter, Waisenkinder, Züchtlinge und Irren, vorüberzogen, eine vortreffliche Camera obscura und hatten an Sonntagen stundenlang unsere Freude an dem bunten, lichten Gewimmel im Kleinen auf dem ausgespannten Papiere.


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