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Unter diejenigen seiner Freunde in dieser Schreckenszeit zu Paris, deren Ermordung er am tiefsten betrauerte, gehörte neben dem Straßburger Maire Dieterich besonders auch Adam Lux aus Mainz, ein junger Mann, der wie er, nur von Gesinnungen für reine bürgerliche Freiheit beseelt, sich mit Abscheu von dem Terrorismus eines Marat und anderer Volkstyrannen abwandte und als mutiger Verteidiger der heldenmütigen Charlotte Corday auf dem Schafotte fiel, wie auch ihm, in Verteidigung seines Freundes, des Maire Dieterich, fast das gleiche Schicksal geworden wäre.
In Briefen, die er im Jahre 1795 in der Monatsschrift für die französische Zeitgeschichte, der »Klio« abdrucken ließ, widmete er seinem edlen Freunde Lux einige Gedächtnisblätter, die er damals im Manuskripte in die Heimat sandte und die ich in späteren Jahren, obgleich noch ein Knabe, mit Teilnahme las. Ich hörte ihn oftmals behaupten, es hätten diese seine Blätter über Lux Jean Paul zur Basis seines bekannten, herrlichen Aufsatzes über Lux und Charlotte Corday gedient. In diesen Briefen schrieb er also:
» Adam Lux ist aus der Gegend von Mainz, lebte daselbst im Zirkel seiner Gattin und seiner Kinder als begüterter Landmann und als kenntnisreicher Philosoph. Sein vorzüglichstes Vergnügen war das Studium der Alten. Ein reifer Verstand, eine für alles Erhabene empfängliche Seele, ein fester und gesunder Körperbau waren die unschätzbaren Eigenschaften, die er, was so selten ist, vereinigt besaß. Die Geschichte der griechischen und römischen Republiken fesselten ihn mit Allmacht, und Catos Seele schien in die seinige überzufließen. Als die fränkischen Fahnen auf den Wällen von Mainz wehten, als sich in Mainz die Abgeordneten der eroberten Rheingegenden einfanden und die rheinisch-deutsche Konvention formierten, da trat auch Lux als Mitglied in diese Versammlung, von der er, als sie die Vereinigung mit Frankreich votierte, nebst Potocky und dem berühmten, für die Freiheit und die Wissenschaften zu früh dahingeschiedenen Forster nach Paris an den Nationalkonvent abgeschickt wurde. Die Mainzer Deputation kam gerade in einer Epoche an, wo der Kampf zwischen der Girondistenpartei und der Bergpartei schon so weit gekommen war, daß die konspirierende Pariser Munizipalität mit Hülfe einiger Häupter der letztern die erstere Partei mit einer beispiellosen Wut bekämpfte. Man kann sich leicht denken, an welchen der beiden Teile Lux' Wünsche sich anschlossen.
In sich selbst verschlossen, entfernt von der Gesellschaft, kehrte er meistens nur abends bei Eröffnung des Schauspiels in dieselbe zurück, den übrigen Tag brachte er auf einsamen Spaziergängen, besonders in dem Gehölze von Boulogne zu, wo er, unter dem erquickenden Schirme einer Eiche, bald in den Briefen des Brutus an den Cicero, bald in andern alten Schriftstellern sich mit den großen Republikanern des Altertums vertraut machte und, von ihren heiligen Schatten umringt, in tiefe Betrachtungen versunken, die Größe der Vorzeit, die schimpfliche Lage seines Vaterlandes und den damaligen Stand der Dinge in Frankreich berechnete. Ich traf ihn mehrmals auf seinen Spaziergängen. Seine Stirne war faltenlos, seine Stimme ruhig wie die eines denkenden Mannes: der ernste Blick seines Auges schien mitten in einer Art von glänzender Heiterkeit, dem Gepräge seiner Seelenruhe, zu schwimmen. Die Revolution vom 31. Mai erschien, und die Erfüllung aller der furchtbaren Ahnungen, gegen die er sich bisher zu waffnen suchte – begann. Einige seiner Freunde trugen die Trümmer der Republik mit sich in das Gefängnis, andere irrten mit denselben in den Departements umher und suchten Männermut, republikanische Tugenden und Hülfe gegen den siegenden Despotismus. Schon waffnete sich der Mittag, und in dem Westen schien das Gewitter in eben dem Augenblick auf das Haupt der Verbrecher herabstürzen zu wollen – als die Verräterei, sinnreicher als die Tugend, den drohenden Blitz von sich abwenden und auf das Haupt derer zurückfallen machte, die ihn der Freiheit und der Republik zugunsten hervorgerufen hatten.
Mitten unter den Zurüstungen der Departements entschloß sich ein Mädchen, die zu Boden getretene Freiheit zu rächen – zwischen ihrem Entschlusse und der Ausführung war nur der Weg, den sie von Caen nach Paris zurückzulegen hatte. Kaum hatte ihr Auge den Ort erblickt, wo die große Freveltat, die Ermordung der Freiheit, sich ereignet hatte – so stieß schon ihr rächender Arm den rächenden Dolch in Marats verbrecherische Brust. – Darf man sich noch wundern, daß sie gerade ihn wählte, ihn, der, weit entfernt, gleich einem Pache seine scheußliche Seele zu verbergen, sie ebenso wie seine ekelhafte Figur zu Hülfe rief, zur Schau stellte und so zum sichtbaren Mittelpunkte alles desjenigen machte, was sich zu Verbrechen und Greueltaten fähig fühlte. Seine Mordepisteln waren ihr bekannt, er mußte also fallen.
Lux, der sich gerade in der Honoréstraße befand, als eine ungewöhnliche Bewegung auf den Straßen seine Aufmerksamkeit erregte, fragte nach der Ursache derselben. Man antwortete ihm, daß man die Mörderin Marats soeben zum Schafott führe – das heißt, das große Opfer einer bessern Welt übergebe. Lux blieb unter den Zuschauern. Charlotte Corday erschien, ihr Auge war mit einem Gemisch von Größe und Mitleiden auf die Volksmenge geheftet. – Lux las in ihren Zügen, was nur wenigen zu lesen vorbehalten war – sein Blick begegnete dem ihrigen – mehr bedurfte es nicht, um in dem Innersten ihrer Seele zu lesen und jene Harmonie entdecken zu können, die große Herzen in einem Moment auf Ewigkeiten verschwistert. – Man hatte ihm von einer aristokratischen Fanatikerin gesprochen; er fand eine Republikanerin, die, nachdem sie dem Rache fordernden Vaterland den hohen Tribut gebracht hatte, die Gesetze zu versöhnen, mit jenem Blick dem Tode entgegenging, die ihrem Wesen noch drei Schritte vor dem Schafott jene verklärte Gestalt zu geben schien, die ihr erst jenseits desselben zuteil werden sollte: man hatte ihm von einer alten Betschwester gesprochen, und er fand ein Mädchen in der vollkommensten Jugendblüte, ein Mädchen, dem die nahe Gegenwart des Todes keine der Rosen rauben konnte, die ihre Wangen schmückten – dem die jungfräuliche Sittsamkeit, gepaart mit Heldenmut und Schönheit, jenen unaussprechlichen Reiz gab, dem selbst der stupideste Fanatismus durch ein plötzliches Unterbrechen seines wilden Gebrülls und das Verbrechen durch eine dem schwachen Überrest von Menschlichkeit entschlüpfte Träne huldigen mußte. Lux folgte Charlotten bis an das Schafott, sein gut organisiertes, ungeschwächtes Auge erblickte die kleinste ihrer Bewegungen, die Art, womit sie sich dem Schafott näherte und das Totengerüst bestieg, die sanfte Schamröte, die selbst das drohende Beil nicht zurückschrecken konnte, als die Blutknechte ihr den jungfräulichen Busen entblößten – nichts entging seinem spähenden Blicke: das Eisen fiel – sprachlos, und wie vom Donner gerührt, stand er neben dem Trauergerüste und riß sich endlich nur mit Mühe von dem schrecklichen Schauspiel los. Noch ein Blick auf den enthaupteten Leichnam – und in eben dem Augenblick schlägt eine wilde Bestie das blutende Haupt ins Gesicht.
Die blutgierige Menge entrüstet sich selbst mitten in ihrer Blutgierde über die abscheuliche Freveltat – Lux teilt diese Entrüstung – sie erleichtert seine von tausend Empfindungen bestürmte Seele und gibt ihm Stärke genug, seine Wohnung zu erreichen, wo er sich gänzlich dem Übermaße seines Schmerzes preisgab – und die empörende und seelenerschütternde Szene, der er beigewohnt hatte, tausendmal sich zurückrief, um tausendmal die nämlichen Martern zu fühlen. Jetzt war Schweigen in seinen Augen ein Verbrechen: er glaubte Frankreich und seinen Kommittenten eine getreue Darstellung der Dinge schuldig zu sein. Er wollte der Wahrheit ein Opfer bringen, das, wenn es auch für den Augenblick verlorenging, ein zu erhabenes Beispiel von erfüllter Bürgerpflicht war, um nicht von der Zukunft mit Nutzen aufgefaßt zu werden.
Während ganz Paris höchstens nur in dem Innern der Häuser von dieser Szene sprach und sie ebenso schnell vergaß, als es dieselbe gesehen hatte – stillschweigend die Heldin bewunderte oder laut sie verdammte –, schrieb Lux eine Lobrede auf die erhabene Republikanerin und eine zweite Schrift über die Gegenrevolution vom 31. Mai, deren Urheber er laut verabscheute, laut als Feinde der Freiheit, als Verräter der Republik verfluchte. Er entschloß sich, für die Wahrheit auf dem nämlichen Schafott zu bluten, wo Corday, von Vaterlandsliebe entflammt, ihren Geist aufgegeben hatte. Er entschloß sich, dem Despotismus auf eine des republikanischen Bürgers würdige Art zu entfliehen und durch seinen hohen Mut die Ehre derer zu retten, die ihn durch eine ehrenvolle Mission noch näher an die Sache der Freiheit selbst gefesselt hatten. – Zur nämlichen Zeit, als seine beiden Schriften erschienen, hatte man schon so sehr in Paris dem neuen Despotismus gehuldigt, daß beinahe jedermann den Namen Lux für einen fingierten Namen, das Ganze für das Werk eines Unbekannten hielt. Als man endlich erfuhr, daß dieser Lux wirklich existiere, so hielten ihn die meisten für einen Mann, dem die Liebe den Kopf verrückt habe, die meisten erwähnten der Sache mit Achselzucken, und nur eine kleine Zahl von Republikanern fühlte den ganzen großen Umfang dieser Handlung, die um so größer ist, als damals, wo Lux gegen den 31. Mai schrieb, alle Federn in Paris dem Tyrannen huldigten und alle Bürger teils durch wirkliche, nähere oder entferntere Teilnahme, teils durch ein strafbares Stillschweigen die Begebenheiten und die Folgen vom 31. Mai zu verantworten hatten. Kaum hatte ich die beiden Schriften erhalten, so eilte ich zu Lux. – Ich fand ihn in seiner Wohnung, in dem Hotel der holländischen Patrioten, in der Straße Desmoulins. – Er schien, als er mich sah, zu erschrecken – ich ließ ihm keine Zeit, mich um die Ursache meines Besuchs zu fragen – an seinem Halse weinend, fluchte ich dem Schicksale, das eine solche Zernichtung der schönsten Hoffnungen und Aussichten zugeben konnte. Lux drang in mich, ihn zu verlassen, indem er jeden Augenblick seine Verhaftung erwarte und schlechterdings keinen seiner Freunde der geringsten Gefahr, dem geringsten Verdachte aussetzen wolle.
Als seine erste Schrift unter der Presse lag und das Manuskript der zweiten schon dem Buchdrucker übergeben ward, schrieb er folgenden Brief an einen seiner Landsleute, dessen Weise, die damaligen politischen Ereignisse anzuschauen, von der seinigen in etwas abwich, der aber vorzüglich insofern von ihm verschieden dachte, als er behauptete, daß für die Mainzer Deputation vollkommene Neutralität Pflicht wäre. Dieser Brief beweist zur Genüge, wie sehr er von aller Überspannung entfernt war und gleichsam in dem Schoße der Seelenruhe den Umfang seiner Pflichten maß. Hier die Abschrift oder vielmehr die Übersetzung seines Briefes, der in fränkischer Sprache geschrieben ist.
›An...
Mein teurer Freund und Mitbürger!
Da eine Schrift, die ich ohne Ihr Wissen verfaßte und dem Drucke übergab, im Publikum erscheinen wird; da mich die Verfolgungen, die dieselbe mir zuziehen wird, in Ungewißheit über den Augenblick meiner Verhaftnehmung lassen, so komme ich jedem Ereignisse zuvor, um Ihnen ein Lebewohl in diesen Zeilen zu sagen. Ich erkläre Ihnen hierin förmlich, daß ich meine Betrachtungen ohne Ihr Wissen niedergeschrieben habe, ich erkläre dieses nicht sowohl, um Ihnen einen Streit über die Art, womit ich unsere politische Lage ansehe und die von der Ihrigen abweicht, zu ersparen, sondern vorzüglich deswegen, weil ich die Erbitterung der Inquisitoren kenne und niemanden als mich selbst der Gefahr aussetzen will.
Glauben Sie ja nicht, daß ich Tor genug sei, um nicht das Schicksal vorauszusehen, das mir eine Schrift bereitet, die die Machthaber um so mehr verwundern muß, da sie mich nicht persönlich beleidigt haben. Allein mein Grundsatz ist, daß man, was es auch kosten möge, laut der gerechten Partei folgen müsse. Meine Uneigennützigkeit und mein Gewissen werden mich, wie ich hoffe, für dies Schicksal entschädigen können, das meiner wartet. Ich bin sehr vergnügt darüber, mit Ihnen während unserer Verbannung gelebt zu haben – ich danke Ihnen für alle mir erwiesenen Freundschaftsdienste und umarme Sie von Herzen. Leben Sie wohl.
Adam Lux‹
Dieser Brief, in einer ruhigen Sprache geschrieben, legt die Motive der Handlung selbst in dem ungeschmücktesten Stile dar und trägt zu gleicher Zeit das vollkommenste Gepräge eines festen Charakters. Forster, der in dem nämlichen Hause mit Lux wohnte, erfuhr den Schritt des letzteren erst dann, als die erste Schrift schon dem Druck übergeben war, und las die zweite, bevor Lux dieselbe dem Buchdrucker zugeschickt hatte. Bekannt mit der damaligen Lage der Dinge, sah er wohl ein, daß die zweite Schrift von noch größerem Belang als die erste sei und unvermeidlich unangenehme Folgen für Lux nach sich ziehen müsse. Er bot daher, allein vergebens, alle Mittel zur Überredung auf, um seinen Freund wenigstens zur Unterdrückung der letzteren zu bewegen: Lux beharrte standhaft auf seinem einmal gefaßten Entschlusse – ›Wenn die Wahrheit‹, erwiderte er, ›wenn die Gerechtigkeit unterliegen soll, so will ich wenigstens mit unterliegen.‹ Die Schrift wurde abgeschickt und, wie Sie wissen, gedruckt.
Was man erwartet hatte, geschah. Lux wurde in Verhaft genommen: ein Kommissär des Revolutionsausschusses der Sektion erschien mit der Wache, das heißt mit ein paar bewaffneten Bürgern, die sich frei glaubten und meistens unwissende Instrumente der Tyrannei waren. Er fragte Lux, ob er der Verfasser der beiden erschienenen Schriften sei. – ›Ja, Kamerad‹, antwortete Lux, ›ich bin der Verfasser, und hier ist das einzige Exemplar, das ich noch davon besitze.‹ – Während der Kommissär mit dem Protokoll beschäftigt war, frühstückte Lux mit der größten Gelassenheit, und weit entfernt, daß der Gedanke, in den Händen der Inquisition zu sein, seinen Appetit verminderte, schien derselbe vielmehr dadurch vermehrt worden zu sein.
Man führte ihn in einer Kutsche vor den allergemeinsten Sicherheitsausschuß des Nationalkonvents. Nachdem man ihn lange genug in einem Vorzimmer hatte warten lassen, wurde er endlich zu den Inquisitoren eingelassen.
Der Kapuziner Chabot (der nämliche, der sich mit einem österreichischen Fräulein verheiratet hat) präsidierte damals das hohe Inquisitionstribunal der fränkischen Republik oder vielmehr der Bergfaktion. – Republikanischer Stolz, edle Entrüstung, die endlich in einen gerechten, allein gemessenen Zorn überging, dies waren die Antworten, die der deutsche Mann dem fränkischen Lumpen gab. Chabot und seine Kollegen hatten nicht Lust, länger mit einem solchen Mann in Gesellschaft zu bleiben. Lux wurde ungesäumt in die Force abgeführt. Er lebte in dem Gefängnisse zum ersten Male in Gesellschaft, er traf hier Miranda, MontaniéMiranda (General), einer der edelsten Republikaner Frankreichs – man kann von ihm sagen: in utrumque paratus; Montanié, Präsident des ersten Revolutionstribunals. und einige andere edle Republikaner an. In der Folge kamen Vergniaud, Valazé und einige andere dem Tode geweihte Deputierte hinzu.
Lux widmete, wie die meisten der anderen Gefangenen, den Vormittag der Lektüre. Vor dem Mittagessen versammelten sich alle in dem mit Alleen gezierten inneren Hof des Gefängnisses; man unterhielt sich hier mit vieler Freimütigkeit über die Zeitgeschichte und die Ereignisse des Tages, und hier war es, wo ich – Dank sei es dem Zufall, der mich begünstigte – mehr denn einmal in der Gesellschaft der edelsten Republikaner, die sozusagen schon den Giftbecher von ferne sahen, ganze Stunden zubrachte.
Lux war von seinen Unglücksgefährten geschätzt und bewundert, das heißt, er war schon auf Erden für dasjenige schadlos gehalten, was man im gewöhnlichen Leben Unglück nennt. Die Kerkermeister, die Gefängniswärter selbst waren über seinen stoischen Mut betroffen – keine Klage entschlüpfte seinem Munde, und jedes Verlangen, jede Forderung war von einer Würde begleitet, deren der freie Mann am wenigsten dann vergessen darf, wenn ihn die Sklaven in Fesseln halten.
Um einen Gefangenen besuchen zu können, mußte man von dem Revolutionsausschuß seiner Sektion einen Erlaubnisschein haben, den man alsdann auf dem Sicherheitsausschuß der Gemeinde unterzeichnen lassen mußte – ich war damals schon wegen starker Verbrechen als Feuillant von den einen, als Girondist von andern Dummköpfen denunziert – ich hütete mich also wohl, weder in die eine noch in die andere dieser Banditenhöhlen zu gehen. Meine abgeschnittenen Haare, meine langen Hosen und meine Jacke waren, verbunden mit meinem jugendlichen Aussehen, hinreichend, um wenigstens nicht gleich von den Gefängniswärtern (die immer damit anfingen, den Erlaubnisschein zu fordern) zurückgewiesen zu werden. Als ich den Namen Lux nannte, verwandelten sich die finstern Züge des Concierge, und die hundert Riegel sprangen vor mir auf. Eines Tages fand ich Lux mit dem ›Journal de la Montagne‹ in der Hand sehr bewegt und beinahe entrüstet auf und nieder gehen. Ich wußte schon zum voraus die Ursache. – Einer seiner Mitbürger, der durchaus Luxen aus dem Gefängnis retten wollte (G. Wedekind), hatte Lavaux, den Verfasser des Journals, dahin bewogen, einen Artikel in dasselbe zugunsten Luxens einzurücken. Man schilderte in demselben seine Verdienste um die Freiheit, schrieb seine große Handlung der Liebe für Charlotte Corday zu, die ihm den Kopf verrückt habe, suchte ihn also als einen Narren, der zur Zeit, als er seinen vollkommenen Verstand besaß, sich um die Republik verdient gemacht habe, aus dem Gefängnis zu befreien.
Lux verwarf mit Unwillen die Maske, weil Frankreich sich Republik nannte, weil er erklärter Republikaner war: was Brutus zu den Zeiten des Königtums für erlaubt hielt, würde er nicht mehr zu den Zeiten der Republik für erlaubt gehalten haben.
Montanié, Vergniaud und Miranda bestürmten Lux in meiner Gegenwart, die günstige Gelegenheit zu benutzen und sich für bessere Zeiten aufzusparen – allein ihr Zureden war vergebens – Lux verwarf das Mittel und forderte Lavaux zum schnellen Widerruf auf – Lavaux tat, was seine Pflicht war – er widerrief. In den letzten Monaten seiner Gefangenschaft wurden die Maßregeln so scharf, daß die Gefangenwärter ohne Erlaubnis durchaus niemand mehr einlassen durften – die Erlaubnisscheine selbst wurden äußerst selten erteilt. Ein günstiger Zufall machte es uns endlich möglich, einander Nachrichten von unserer Lage und Umständen zu geben. Lux schickte mir Briefe an seine Gattin und seinen Freund Vogt: er schickte sie mir oft; so wie ich sie bekam, gab ich sie nachher unserem gemeinschaftlichen Freund Forster, der eher als ich Gelegenheit hatte, sie an ihre Adresse zu senden. Aus dem Brief an den Professor Vogt erinnere ich mich noch einer Stelle, worin er seinen würdigen Freund bat, den Koadjutor von Dahlberg seiner Achtung zu versichern – da ich nicht weiß, ob diese Briefe in einer Zeit, wo die Posten unter Aufsicht von 48 000 Inquisitionsausschüssen standen, an ihre Adresse gekommen sind – so habe ich eine Sache nicht vergessen wollen, deren großen Wert die Philosophie des Herrn von Dahlberg wird zu schätzen wissen. Der Brief an seine Gemahlin trug in jedem Wort das Gepräge der zärtlichsten Liebe des Gatten und – des Vaters.
Zehn bis vierzehn Tage waren vorüber, ohne daß ich Nachricht von Lux erhalten hatte; eines Tages las ich wie gewöhnlich das Abend-Journal, ich fand am Ende desselben den Artikel: Revolutions-Tribunal. Dieser Artikel enthielt diesmal die fürchterlichen Worte – Lux, Deputierter des rheinisch-deutschen Konvents, ist um drei Uhr vor dem Tribunal erschienen – auf die Frage, ob er Verfasser der Schrift gegen die Revolution vom 31. Mai sei, antwortete er mit – ja. Das Tribunal verdammte ihn als einen gegen die Freiheit, das Volk und die eine und unzertrennliche Republik Verschworenen – zum Tod: Um fünf Uhr wurde der Mordspruch auf dem Revolutionsplatz vollzogen.
In einer der in den letzten Dekaden herausgekommenen Schriften, die die Gefängnisgeschichte eines jungen Republikaners ist, finde ich folgende Stelle, die den braven Lux betrifft:
› Adam Lux, merkwürdig wegen seines Charakters eines Deputierten der Stadt Mainz und seiner Bewunderung der außerordentlichen Corday, sah dem Tod mit dem höchsten Grad stoischer Ruhe entgegen. Er sprach gerade mit uns über die Gefahr der Leidenschaften und den Mangel der Beurteilungskraft, der eine feurige und unverdorbene Seele beständig über das Ziel hinausreißt, als man ihn rief, um ihm seinen Anklage-Akt zuzustellen – er las ihn mit Kaltblütigkeit und steckte ihn mit Achselzucken in die Tasche.
›Hier‹, sagte er zu uns, ›mein Todesurteil. Dieses Gewebe von Abgeschmacktheit führt den Repräsentanten einer Stadt auf das Schafott, die mich abgeschickt hat, um euer zu werden. Ich endige im 28. Jahr meines Alters ein elendes Leben; – morgen werde ich kalt wie dieser Stein sein! Allein sagt denen, die euch von mir sprechen werden, daß wenn ich den Tod verdient habe, es nicht unter den Franken war, wo ich ihn empfangen sollte – sagt ihnen, daß ich seine Annäherung mit Ruhe und Verachtung gesehen habe.‹ –
Er brachte die Nacht mit Schreiben zu, frühstückte mit Appetit, gab seinen Mantel einem unglücklichen Gefangenen, erschien um 3 Uhr vor dem Tribunal und war um 6 Uhr nicht mehr.‹
Im Original heißt es um 9 Uhr und 3 Uhr – allein es ist ein Fehler.
Ein braver Jüngling, der als 17jähriger Knabe der Bataille von Jemappe beigewohnt hatte, der Sohn meines Hausherrn, begegnete Luxen gerade, als er am Louvre vorüberfuhr – er kannte unsere Verbindung, und da er mich erst einige Minuten zuvor ununterrichtet von dem, was vorging, gesehen hatte, so folgte er Luxen bis an das Schafott und eilte, mir dann die schreckliche Nachricht mit allem, was er selbst gesehen hatte, zu überbringen.
Der Wagen fuhr diesmal, nicht wie sonst zu geschehen pflegte, durch die Honoréstraße, sondern längs der Seine und der Mauer vom Garten der Tuilerien. Ich weiß nicht, ob, weil es schon spät war oder weil die Mörder das Scheußliche ihrer Handlung zu sehr fühlten, um das große Opfer, das sie dem Despotismus brachten, zu sehr den Augen des betrogenen Haufens auszusetzen.
Mit Lux fuhr eine Frau. Er sprach ihr Mut bei und hörte nicht auf, den wenigen, die er auf seinem Wege antraf, den Namen der Volkstyrannen zu nennen. Er bestieg das Schafott wie eine Rednerbühne.«