Jean Paul
Leben Fibels
Jean Paul

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4. Nach-Kapitel

Letzter Tag

Da ich zum letzten Male zum Helden dieser Geschichte ging, dacht' ich schon unterwegs an die Stelle, die ich hier schreiben werde: daß nämlich nach diesen Nachkapiteln ganze Brigaden von Literatoren, die nun daraus erfahren, wo Fibel lebendig zu haben ist, aufsitzen oder einsitzen werden (manche machen sich gar nur auf die Beine), um das alte Herrlein zu besichtigen; – und so hätt' ich denn dem armen Schul-Weisel in seinen alten Tagen einen ganzen Bienen-Schwarmsack über seinem grauen Kopfe ausgeschüttet. – Literatoren, Literatoren, seid ihr nicht durch die Figur der Epizeuxis oder auch Anaphora, welche dasselbe Wort am Anfange zweimal nachdrücklich wiederholt, von euern gelehrten Reisen zu ihm abzubringen? Und wenn ich gar mich der Epiphora bediene, welche dasselbe Wort am Ende wiederholt, und ich rufe. lasset doch einem Manne kurz vor der letzten Ruhe die vorletzte Ruhe! – bleibt ihr dann noch des Teufels lebendig?

Ich hatte nachts seinen Alert bei mir behalten, welcher, seltsam genug, so gern bei mir blieb und mit mir ging, ordentlich als ob der Seidenspitz mich als den Lobredner des Post-Spitzes in den Hundsposttagen kennte und schätzte, was doch bei seiner Kälte gegen Lektüre nicht denklich ist. Ich will sogleich auf der Stelle die Nachricht geben – die ich wahrscheinlich nachher vergäße –, daß der Bienenroder, als er die Anhänglichkeit dieses Superlativ-Viehs sah, mir mit demselben ein ansehnliches Geschenk gemacht, das bekanntlich noch lebt. Der Hund Alert sollte wahrscheinlich ein Ehrensold sein, ein Ehrenhund oder ein Medaillon – oder ein evangelistisches Wappentier (wie denn Lukas hinter sich seinen Ochsen hat, Matthäus seinen Engel) – oder ein prophetisches Wappentier (da bekanntlich die Propheten Bileam und Muhammed jeder einen Esel hat) – oder überhaupt nur eine Andeutung teils meiner persischen Reinlichkeit, teils meiner persischen Abkunft (da wir Deutsche von den Persern abstammen, diesen größten Freunden sowohl der Reinheit als der Hunde) – oder wollte das Herrlein die Sache bloß aus Liebe tun: genug ich habe den Hund, und dato kratzt er sich lebendig auf meinem Schreib-Kanapée; auch soll er gern jedem Leser, der sich davon mehr zu überzeugen wünscht, wenn er mir die Ehre eines Besuchs erweist, ins Bein fahren. Verreckt er einstens für eine bessere Welt, als diese ist – worin er nichts Heiliges hat als bloß das heilige Bein, das er verlängert als Schwanz nach dem Himmel kehrt und bewegt –, so stopf' ich ihn aus mit dem vegetabilischen, das er jetzt haßt und das ihm dann bei dem Mangel an Magen so lieb sein kann wie einem Brahminen.

Doch zurück – All mein Trauer-Träumen hatte mir kein Trauer-Wachen mitgegeben, sondern jedes genommen: wie hätt' ich sonst so froh auf den nächsten Seiten von Alert sprechen können? – Ich ging recht früh ins Wäldchen, um den Greis noch im Schlafe zu sehen, in diesem alten Vorspiel des Todes, in diesem warmen Traume des kalten Todes. Aber er hatte sich schon in der großgedruckten Bibel bei Hülfe eines flammigen Morgenrots weit über die Sündflut hinausgelesen, wie ich aus den Kupferstichen ersah.

Da ichs für meine Pflicht hielt, seine Einsamkeit nicht lange zu stören, so sagt' ich zu ihm, ich schiede und gäbe ihm bloß ein leichtes Abschiedsbriefchen statt Abschiedswörtchen – ein Blättchen, das wohl niemand zu lesen bekommen soll –; da heftete er so warme Augen darauf, daß ich reine Freude über den Eindruck, den das erste kleine Manuskript von mir auf ihn machte, empfand, bis er mich freundlich fragte, ob ich nicht mehr von diesem himmlischen – Streusand hätte. Es hatt' ihn nämlich besonders der blaue Streusand ergriffen, in dessen Äther ich die gestirnten Gedanken meines Blättchens gestreuet hatte. Er bat mich geradezu um meine Sandbüchse; »denn es kann sein,« sagt' er, »daß ich noch an jemand schreibe, vielleicht an Gott selber.« Dabei erzählte er mir einmal recht redselig, daß das Wort Blau ihn überall besonders gerührt – z. B. die blauen Berge in amerikanischen Reisebeschreibungen bis zur Sehnsucht –; und so hab' er die Flachsblüte und die Kornblumen und blaue große Glasschalen von jeher geschätzt. »Und meine selige Mutter hatte noch im Sarge lebendige blaue Augen«, setzt' er dazu.

Ich schied, sehr bewegt, doch verschlossen; es war nicht die Rührung eines Abschiedes, den man von einem Freunde, einem Jünglinge, einem Greise nimmt, sondern die des Abschieds von einem fremdartigen entfernten Wesen, das uns nur kaum von seinen hohen kalten Wolken, die es zwischen Erde und Sonne halten, nachblickt. Es gibt eine Seelen-Stille, ähnlich der Körper-Stille im Eismeer und auf hohen Gebirgen; jeder Sprech-Laut unterbricht, wie einer in einem zartesten Adagio, zu prosaisch hart. Auch das Wort »zum letzten Male« hatte der Greis schon längst hinter sich.

Außer dem Hunde schenkte oder vermachte er mir noch eilig meine in Duft und Farbe romantische Lieblingsblume, eine blaue spanische Wicke in einem Ton-Töpfchen; desto lieblicher, da dieser Schmetterling von Blume sich so leicht verhaucht und seinen Düften nachstirbt. Er bat mich, es nur nicht übelzunehmen, da er sein gewöhnliches Morgenlied, nach überlebtem Sterbe-Abende, noch nicht angestimmt, wenn er mich gar nicht begleite oder mir nicht einmal nachschaue, und er könne ohnehin nicht sehr sehen. Darauf sagte er fast wie gerührt: »O recht wohl zu leben, Freund! Auf Wiedersehen, wo meine seligen Anverwandten auch dabei sein werden und der große Prediger, dessen Namen ich vergessen habe. Auf Wiedersehen!«

Sogleich trat er ganz ruhig an seine Drehorgel. Ich lösete mich von ihm wie von einem Leben los. Wiewohl er seine Orgel unter den Bäumen spielte und sein Gesicht mir nachgerichtet hatte: so wußt' ich doch, daß ich seinen blöden Augen bald zum unbeweglichen Nebel werden mußte, und blieb daher stehen, als er das Morgenlied (vom alten Neander) anfing:

Noch läßt der Herr mich leben!
Mit fröhlichem Gemüt
Eil' ich, ihn zu erheben;
Er hört mein frühes Lied.

Unter dem Singen flogen um ihn seine Vögel; auch die Hunde schienen der Musik gewöhnt und schwiegen, und den Bienenschwarm wehte diese gar in sein Häuschen hinein. So entfernt er mir war und so sehr von den Jahren gegen das Grab gebückt: so sah er doch von weitem wegen seiner so langen Gestalt noch aufgerichtet genug aus.

Eben bauete in Abend, wohin mein Weg zuführte, die Morgensonne einen Regenbogen mit allen Farben in den frühen Tag hinein, und der Morgen glühte noch mit seiner einzigen roten nach; und Morgen und Abend, Anfang und Ende, die Farbentore der Zeit und der Ewigkeit standen gegeneinander aufgetan, und beide führten nur aus Himmel in Himmel. Ich blieb so lange stehen, bis der Greis den letzten (den zwölften) Vers seines Morgenliedes ausgesungen:

Bereit, den Lauf zu schließen
Auf deinen Wink, o Gott!
Und lauter im Gewissen:
So finde mich der Tod. –

Dann zog ich meine Straße langsam weiter.


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